E-Book, Deutsch, 166 Seiten
Lühring Einführung in die Lerntherapie
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8288-6932-5
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Psychologisch-pädagogische Grundlagen in Theorie und Praxis
E-Book, Deutsch, 166 Seiten
ISBN: 978-3-8288-6932-5
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Lerntherapie bedeutet: Ressourcen aktivieren, Persönlichkeit stärken, ganzheitlich arbeiten. An Lehrerinnen und Lehrer sowie (Schul-)Psychologen, Pädagogen, Schulberater, Ergotherapeuten, Logopäden und weitere Berufsgruppen aus dem psychosozialen Arbeitsfeld sowie an Eltern betroffener Kinder und an alle, die Interesse an der Lerntherapie haben, richtet sich dieses Buch mit einem umfassenden Überblick über das Thema. Zunächst erläutert die Autorin gut verständlich die wichtigsten psychologischen Grundlagen zur Motivation, zum Lernen sowie zur allgemeinen Diagnostik und stellt dann die Lernstörungen Lese-Rechtschreib-Schwäche und Rechenschwäche umfassend dar. Das Thema ADHS beschreibt sie im Zusammenhang mit selbstregulativen Methoden. Den aktuellen Forschungsstand zu Symptomen, zur Ursache und zur Diagnostik bezieht sie dabei ein und rundet die Kapitel durch Praxistipps ab. Die wichtigsten Informationen zur Lerntherapie fasst die Autorin in einem abschließenden Kapitel zusammen.
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2 Definition von Lernstörungen
Kinder mit Teilleistungsstörungen (synonym zu „Umschriebene Entwicklungsstörung“ (UES)) sind durch gravierende Defizite in einem umschriebenen Leistungsbereich bei ansonsten altersgemäßen Fähigkeiten gekennzeichnet. Lernstörungen sind multikausal verursacht und wirken sich häufig negativ auf das Selbstbild und Sozialverhalten aus, und Störungen der Lernvoraussetzungen können überdauernde Lernstörungen nach sich ziehen (Wyschkon et al., 2009). In der Regel werden Lernstörungen über das Vorliegen erwartungswidriger Minderleistungen im Bereich des Lesens, des schriftlichen Ausdrucks (einschließlich Rechtschreibung) und des Rechnens definiert. Dabei sind drei Kriterien zu beachten: Die Leistung muss deutlich unter dem aufgrund (a) des Alters, (b) der allgemeinen Intelligenz und (c) der Beschulung erwartbaren Niveau liegen.
Es liegen also trotz mindestens durchschnittlicher Intelligenz in einzelnen Bereichen, die isoliert, aber auch in verschiedenen Kombinationen auftreten können, Störungen vor, die dann die umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (UES) zur Folge haben wie z. B. Legasthenie, Dyskalkulie und Konzentrationsstörungen wie AD(H)S.
Ob es nun mehr Kinder mit einer LRS oder einer Dyskalkulie gibt, ist schwer zu sagen. Eine Aussage dazu ist abhängig von den Definitionskriterien beider Störungen. Um einen Vergleich anzustreben, müssen die Definitionskriterien analog formuliert werden. Es finden sich dann bei analoger Definition etwa zwei- bis dreimal so viele Kinder mit LRS relativ zu solchen mit Rechenstörungen (Wyschkon, 2009). Dabei haben Jungen ein erhöhtes LRS-Risiko, während Mädchen ein erhöhtes Risiko zur kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten haben (Hasselhorn & Schuchardt, 2006).
Nicht alle Lernschwierigkeiten können als Lernstörung klassifiziert werden. Aufmerksamkeitsstörungen gehören demnach nicht dazu, obwohl sie das Lernen stark beeinträchtigen können. Grundlage für die Klassifikation sind die Klassifikationskataloge ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation und das DSM-5. Auch zwischen diesen beiden Manualen gibt es Unterschiede in der Definition von Lernstörungen. Während im ICD-10 sensorische Beeinträchtigungen im Hören und Sehen oder neurologische Erkrankungen vorliegen, und zum Ausschluss einer Lernstörungsdiagnose führen, definiert das DSM-5 die festgestellte Minderleistung auch deutlich als Lernstörung, wenn diese aufgrund sensorischer und neurologischer Auffälligkeiten entsteht. Für die praktische Feststellung ist die zweitgenannte Definition hilfreicher, da leichte sensorische bzw. neurologische Beeinträchtigungen bei sehr schwacher Lese-, Rechtschreib- oder Rechenleistungen kaum wirklich auszuschließen sind (Hasselhorn & Schuchardt, 2006).
2.1 Lernschwäche versus Lernstörung
Kinder sind von einer Lernschwäche betroffen, wenn trotz unbeeinträchtigter Intelligenz Lernschwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben und/oder Rechnen auftreten und die Lernergebnisse unter der alters- und klassentypischen Norm liegen. Sie erfüllen damit das einfache Diskrepanzkriterium.
Von einer Lernstörung (Teilleistungsstörung, UES) spricht man, wenn die Lernleistung nicht nur unter der Norm, sondern auch deutlich unter dem individuellen Intelligenzniveau liegt. Diese zweifache Abweichung von einem Erwartungswert entspricht einer Diagnose unter Berücksichtigung des doppelten Diskrepanzkriteriums.
Die Unterscheidung zwischen Schwäche und Störung ist stark umstritten, und eine Vielzahl an Studien konnte bisher zwischen lernschwachen Kindern und Kindern mit Lernstörungen weder Unterschiede hinsichtlich der Symptome noch der zugrunde liegenden kognitiven Defizite feststellen. Lerntherapeutische Interventionen erzielen demnach vergleichbare Effekte (Fischbach et al., 2013)
Da in der Forschung bislang keine Unterschiede feststellbar wurden, stellt sich auch die Frage nach dem Sinn des doppelten Diskrepanzkriteriums, was allgemein dazu führt, auf eine Unterscheidung von Lernschwäche und Lernstörung zu verzichten (Fischbach et al., 2013).
Das vorliegende Buch verzichtet ebenfalls auf diese Unterscheidung.
Wenn es um die Erforschung spezifischer Defizite in der grundlegenden Informationsverarbeitung bei Lernstörungen geht, dann eignet sich zur Erklärung das Arbeitsgedächtnismodell von Baddely (1986). Es werden in diesem Modell drei Komponenten unterschieden: die modalitätsübergreifende zentrale Exekutive und die zwei ihr untergeordneten kapazitätsbegrenzten Subsysteme, die phonologische Schleife und der räumlich-visuelle Notizblock. Mittlerweile kann man von gut gesicherten Erkenntnissen über Aufbau und Funktion des Arbeitsgedächtnisses und dessen Einfluss auf das Lernen und Schulleistungen sprechen.
Die Struktur des Arbeitsgedächtnisses von Kindern mit Lernstörungen unterscheidet sich nicht von derjenigen Struktur unbeeinträchtigter Kinder. Was die Defizitmuster angeht, so konnte man feststellen, dass Kinder mit Rechenstörungen ein sehr heterogenes Forschungsbild abgeben (Schuchardt & Mähler, 2010).
2.2 Störung der Lernvoraussetzungen
Lernvoraussetzungen sind elementare Basisfunktionen und Fähigkeiten, die ein möglichst störungsfreies Lernen ermöglichen.
Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen sind grundlegende Gehirnfunktionen, die für ein störungsfreies Lernen wichtig sind. Zu diesen Basisfunktionen gehören auch die elementaren Fähigkeiten der auditiven und visuellen Wahrnehmung, Kognition (Denken), Sprache und Emotionalität. Zudem sind diese Funktionen die Lernvoraussetzung für den Erwerb bestimmter Kulturtechniken wie beispielsweise die phonologische Bewusstheit für das Erlernen des Lesens und Schreibens oder die visuelle Informationsverarbeitung (visuell-räumliche Wahrnehmung) für die Zahlenbegriffsentwicklung.
Störungen der Lernvoraussetzungen bewirken überdauernde Lernstörungen (vgl.: Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fähigkeiten, ICD-10 F81). So können Lesen, Schreiben oder Rechnen nicht sicher in der vorgesehenen Zeit und in ausreichender Qualität erworben werden. Die erwarteten Leistungsergebnisse werden trotz angemessener Lernangebote und normaler Intelligenz nicht erreicht.
2.3 Die nonverbale Lernstörung
Eine besondere Form einer überdauernden Lernstörung ist die sogenannte nonverbale Lernstörung, die sehr häufig in Kombination mit Asperger-Autismus auftritt. Bei der nonverbalen Lernstörung besteht in der Regel eine dissoziierte Intelligenz (ICD-10 F74) mit signifikanter Schwäche in der nonverbalen Intelligenz (im Gegensatz zur Störung der Lernvoraussetzung) sowie eine Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten (vgl.: ICD-10 F81).
Betroffene Kinder fallen meist schon im Kleinkindalter dadurch auf, dass sie über besonders gute sprachliche Fähigkeiten verfügen, aber wenig Interesse an motorischen Aktivitäten zeigen und meist auch recht ungeschickt wirken. Darüber hinaus haben sie große Schwierigkeiten, die Emotionen beim Gegenüber wahrzunehmen, und senden selbst undeutliche beziehungsweise missverständliche emotionale Signale aus.
Als Entstehungsursache werden neurologische Störungen angenommen. In einer Lerntherapie können die Symptome behandelt werden, beispielsweise die Fähigkeiten der Wahrnehmung und/oder die Sozialkompetenz.
Es gibt insgesamt zehn Kriterien für die Diagnose einer nonverbalen Lernstörung (nach Rourke 1989):
1. Probleme mit der Wahrnehmung von taktilen Signalen (z. B. an den Handflächen), links ausgeprägter als rechts
2. Motorische Ungeschicklichkeit, die im Laufe der Zeit eher stärker wird
3. Orientierung im Raum (Raum-Lage-Problematik) erschwert auch hinsichtlich der Organisation von Gegenständen im Raum: das heißt, es bestehen Probleme dabei, Gegenstände räumlich richtig zuzuordnen. Die Kinder finden sich deshalb auch beim Aufschreiben ihrer Hausaufgaben („An welcher Stelle habe ich was aufgeschrieben?“) nicht so gut zurecht und sind vor allem dabei nicht schnell genug
4. Probleme im Umgang mit neuen Informationen, Situationen oder bei Veränderungen ihrer Alltagsroutine
5. Probleme bei der nonverbalen Problemlösung
6. Schwierigkeiten dabei, Informationen „ganzheitlich“ zu erfassen
7. Schwierigkeiten und Probleme dabei, Zeitspannen (zum Beispiel den Zeitraum einer Viertelstunde) richtig zu erfassen, weil Zeit für sie „ungreifbar“ ist
8. Hervorragende Speicherfähigkeit für Wörter
9. Die Kinder und Jugendlichen reden viel, haben dabei aber Probleme, „auf den Punkt“ zu kommen, und verirren sich manchmal regelrecht in ihren gedanklichen Äußerungen
10. Die Kinder und Jugendlichen reden häufig in Monologen und „überbeanspruchen“ gewissermaßen die Sprache (sie reden noch, während sonst gleichaltrige Kinder schon längst im Tun sind, also zum Beispiel beim Spielen).
2.4 Der Underachiever / Minderleister
Hinsichtlich der Motivationsstruktur sind Minderleister häufig unterdurchschnittlich leistungsmotiviert und daher stark auf lerntherapeutische Unterstützung angewiesen. Mitverantwortlich für eine niedrige Motivation kann ein negatives Selbstkonzept sein, welches durch verschiedene Ursachen ausgelöst worden sein kann.
Die Ursachen für eine Minderleistung sind allerdings nicht eindeutig zu bestimmen. Sie liegen vermutlich gleichzeitig auf schulischer Seite, auf der Seite der Familie sowie auch auf der Seite des...




