Maelicke | DAS KNAST-DILEMMA | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 289 Seiten

Maelicke DAS KNAST-DILEMMA

Wegsperren oder resozialisieren? - Eine Streitschrift

E-Book, Deutsch, 289 Seiten

ISBN: 978-3-939816-93-5
Verlag: Nomen Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



"Menschen wegzusperren ist einfach. Und führt meistens zu nichts." Bernd Maelicke

Jedes Jahr werden in Deutschland ungefähr fünfzigtausend Menschen aus den Gefängnissen entlassen, das entspricht der Einwohnerzahl einer Stadt wie Passau. Mehr als die Hälfte von ihnen hat leichtere oder mittelschwere Straftaten begangen, fast ein Drittel ist gefährlich oder schwer kriminell. Weil die meisten Entlassenen wieder rückfällig werden, ist der deutsche Strafvollzug ein »Drehtürvollzug«, der jährlich bundesweit rund 4,5 Milliarden Euro kostet.

An diesem Punkt setzt der Resozialisierungsexperte Bernd Maelicke an. Seine These ist, dass der geschlossene Vollzug nur für Schwerkriminelle oder gefährliche Straftäter wirklich notwendig ist. Die Gefängnisse sind trotz aller Reformen für die meisten Straftäter nach wie vor »Schulen des Verbrechens«, sie machen Menschen nicht besser, die schädlichen Folgen der Subkultur überwiegen.

Anhand von Fallbeispielen, erfolgreichen Projekten, persönlichen Erfahrungen, empirischen Zahlen und Fakten legt Bernd Maelicke dar, warum und wie das Gesamtsystem der ambulanten und stationären Resozialisierung verbessert werden muss. Er plädiert dafür, z. B. durch einen Ausbau der Bewährungshilfe Strafentlassene dabei zu unterstützen, sich wirksamer in die Gesellschaft einzugliedern. Nur so kann es gelingen, weitere Delikte insbesondere junger Straftäter zu verhindern und potenzielle Opfer zu schützen.
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Weitere Infos & Material


Vorwort zur 3. Auflage 11

Vorwort zur 2. Auflage 13

Prolog 15

I. Von geraden Wegen und krummen Bahnen 23

II. Auf der Suche nach etwas Besserem als Strafvollzug 133

III. Schleswig-Holstein als Modellversuch 157

IV. Wegsperren oder resozialisieren? 183

V. Perspektiven 219

VI. Resozialisierung und Zeitenwende 247

VII. Literatur 257

VIII. Erweitertes Vorwort von Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner 261


Prolog
Dieses Buch handelt vom rationalen und irrationalen Umgang mit Kriminalität. Die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden, ist berechtigterweise weit verbreitet. Pro Jahr registriert die Statistik der Polizei in Deutschland über eine Million Menschen, die Opfer einer Straftat wurden. Das entspricht mehr als einem Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen sind Opfer von Körperverletzungen, Einbrüchen, Raubüberfällen, Sexualdelikten, Mord oder Totschlag geworden. Hinzu kommt die Dunkelziffer all der Taten, die nicht polizeibekannt werden, die sich hinter bürgerlichen Fassaden oder in Parallelgesellschaften, in sozialen Brennpunkten oder in Migrantenquartieren abspielen. Die Politik antwortet darauf mit Phrasen. Eine sich immer wiederholende Aussage lautet: »Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel!«, eine weitere: »Wegsperren, aber für immer!« Mit der Angst der Menschen vor Kriminalität und mit solchen Sprüchen kann man Wahlen gewinnen – man denke nur an Roland Koch in Hessen oder Ole von Beust und Ronald Schill in Hamburg. Nachdem die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug im Jahr 2006 vom Bund auf die Länder übertragen worden ist, entscheidet immer häufiger der Ausgang von Landtagswahlen, ob die Quote der inhaftierten Gefangenen ansteigt, ob mehr oder weniger Gefangene in den offenen Vollzug kommen, wie viele Beamte im Vollzug und wie viele Bewährungshelfer eingesetzt werden.1 Die Landtage bestimmen, wie viele Haushaltsmittel für den Vollzug und wie viele für ambulante Maßnahmen zur Verfügung stehen. Alle Experten wissen, dass diese Faktoren Auswirkungen auf die Rückfallquoten der Entlassenen und damit auf die Sicherheit der Bürger als potenzielle Opfer haben. In der Kriminalpolitik entscheiden die Politiker allerdings weitgehend nach Kriterien der politischen Opportunität, nicht nach denen einer systematischen Qualitäts- und Kostenkontrolle. Es mangelt an nachhaltigen Konzepten auf der Grundlage wissenschaftlicher Ergebnisse der Kriminologie und der Strafvollzugswissenschaften sowie an entsprechenden nachhaltigen und wirkungsorientierten Masterplänen für die Resozialisierungspolitik auf Landes- und auf regionaler Ebene. In Schleswig-Holstein ist dies seit 1988 anders – dieses Buch handelt unter anderem davon. Schon der Begriff (Re-)Sozialisierung macht deutlich, dass es darum geht, Fehlentwicklungen in der Biografie der Täter nachträglich zu korrigieren. Bereits in ihrer Kindheit und Jugend ist ihre Sozialisation zumeist nicht so verlaufen, dass spätere Straftaten verhindert werden konnten. Es geht also um den Versuch einer nachträglichen Sozialisation – nunmehr im fortgeschrittenen Alter von Jugendlichen, Heranwachsenden und Erwachsenen. Negative Erfahrungen und Verhaltensweisen haben sich bereits verfestigt, das soziale Umfeld erweist sich zusätzlich als gefährdender Faktor. Resozialisierung ist deshalb ein äußerst komplexer Prozess, der bei jedem Täter sehr individuell und unterschiedlich verläuft. Viele Hürden müssen überwunden, viele Umwege gegangen werden. Resozialisierung gelingt nur wechselseitig – die Täter wie die Gesellschaft müssen daran gemeinsam mitwirken. Nachdem ich mich mehr als sechzig Jahre ehrenamtlich, hauptamtlich, wissenschaftlich und politisch mit diesem Thema beschäftigt habe, sind meine Haupterkenntnisse und mein Hauptvorwurf, dass wir in Deutschland trotz besseren Wissens – und das empört mich am meisten – nicht alles fachlich Mögliche und Erprobte tun, um Kriminalität zu verhindern und Opfer zu schützen. Die Gesellschaft, die Politik, die Medien sind fixiert auf den vermeintlichen Königsweg des Wegsperrens der Täter hinter Gefängnismauern. Dabei wird völlig übersehen, dass 95 Prozent von ihnen irgendwann wieder entlassen werden (mehr als 40 Prozent bereits nach maximal einem Jahr) und dass die Rückfallquoten trotz aller Reformbemühungen in den letzten vierzig Jahren weitgehend konstant geblieben sind. Zudem verursacht der Freiheitsentzug etwa zwanzig Mal so hohe Kosten wie beispielsweise die Bewährungshilfe, deren Erfolgsquoten außerdem bei in vielen Fällen durchaus vergleichbarer Klientel weitaus günstiger sind. Dieses Buch handelt von Tätern und Opfern. Es handelt aber auch von Staatsanwälten und Richtern, Bewährungshelfern und Sozialarbeitern freier Träger, von Gefängnismitarbeitern aller Funktionsbereiche, Ministerialbeamten, ehrenamtlichen Helfern und vielen anderen, die als Akteure auf dem Feld der Resozialisierung tätig sind. Ich habe sie alle erlebt, war selbst einer von ihnen. Während meines Jurastudiums in Freiburg arbeitete ich als ehrenamtlicher Helfer im Gefängnis, meine Doktorarbeit schrieb ich zum Thema »Entlassung und Resozialisierung«. Vier Jahre lang, von 1974 bis 1978, war ich in Frankfurt am Main als Leiter der Akademie für Jugendarbeit und Sozialarbeit in der Aus- und Fortbildung von Sozialarbeitern tätig. Als Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) begleitete ich von 1978 bis 1990 kriminalpolitische Modellversuche wie zum Beispiel die »Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen« oder Reformansätze im Jugend- und Frauenvollzug, bei der Bewährungshilfe und der Freien Straffälligenhilfe in mehreren Bundesländern. Als Ministerialdirigent war ich dann von 1990 bis 2005 im Justizministerium in Schleswig-Holstein verantwortlich für die Verbesserung des dortigen Systems der ambulanten und stationären Resozialisierung. Seit dem Jahr 2000 konnte ich an der Universität Lüneburg und auch in der Schriftleitung der Fachzeitschrift Forum Strafvollzug meine Erfahrungen auswerten und weitervermitteln. Ich habe in diesen Jahrzehnten miterlebt, mit welchen Aktivitäten und welchen Anstrengungen alle Akteure unermüdlich versuchen, in ihren Organisationen und Institutionen Täter zu resozialisieren und Opfer zu schützen. Ihr Engagement kann gar nicht hoch genug geschätzt und gewürdigt werden. Allerdings reichen lobende Worte nicht aus, um das Reso-System in Deutschland zu verbessern. Strategien, Konzepte, rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen müssen grundlegend und dringend verändert werden. Geschieht dies nicht, ist die Gefahr groß, dass immer mehr Menschen, die aktiv an der Wiedereingliederung straffällig gewordener Menschen in die Gesellschaft arbeiten, resignieren oder sich gegen drohende Kürzungen wehren müssen. Ihr alltäglicher Frust wächst an, ihre Innovationsbereitschaft geht zurück. Was wir brauchen, ist eine schonungslose und selbstkritische Analyse der Stärken und Schwächen unseres Reso-Systems und auf dieser Grundlage einen neuen Aufbruch, hin zu weniger Rückfällen, besserem Schutz der Opfer und wirksamerem Einsatz der Mittel. In diesem Buch werde ich Wege aus dem Dilemma »wegsperren oder resozialisieren?« aufzeigen – Wege, die sich in zahlreichen Projekten in Deutschland oder international bereits als gangbar und erfolgreich erwiesen haben, die aber in den deutschen Bundesländern bisher weitgehend Ausnahmen geblieben und jedenfalls nicht Regel geworden sind. In Schleswig-Holstein konnten wir in den letzten dreißig Jahren zeigen, wie in der Reso-Politik innovative Ideen Wirklichkeit werden: ein wissenschaftlich begründetes Gesamtkonzept, eine nachhaltig angelegte Kommunikationsstrategie, belastbare und tragfähige politische Entscheidungen und eine professionell gesteuerte Umsetzung mit begleitender Erfolgskontrolle – auch darüber werde ich ausführlich berichten. Alle Aussagen und Feststellungen in diesem Buch beruhen auf meinen unmittelbaren Erfahrungen aus vielen Jahrzehnten der persönlichen Betroffenheit und engagierten Mitwirkung. Fachbücher habe ich in meinem Leben mehr als genug geschrieben, jetzt stehen in einer persönlichen Zwischenbilanz konkrete Personen und Situationen im Mittelpunkt. Alle Akteure und ausgewählten Ereignisse sind exemplarisch für die vielfältige und komplexe Realität. Einiges wurde allerdings verfremdet, um Persönlichkeitsrechte zu achten und zu schützen. Am Beispiel des Straftäters Timo S. werden wir eine typische sozial- und legalbiografische Karriere über etwa zehn Jahre begleiten. Wir werden erkennen, wie Timo S. zum Täter wurde und welche Faktoren seine erfolgreiche Sozialisation verhindert haben. Wir erleben Versuche der Resozialisierung durch Strafvollzug, Bewährungshilfe und andere Hilfsorganisationen und erkennen ihre sehr begrenzte Wirksamkeit. Die Lebensgeschichte von Timo S. ist repräsentativ für die überwiegende Mehrzahl der derzeit Inhaftierten. Im zweiten Teil schildere ich meine Suchbewegungen nach etwas Besserem als Strafvollzug – hier geht es um Forschungsprojekte, Modellversuche und eindrucksvolle Schlüsselpersonen, die ebenfalls versucht haben, das Reso-System zu verbessern. Von 1990 bis 2005 hatte ich die einmalige Chance, zusammen mit anderen Mitstreitern diese Erfahrungen und...


BERND MAELICKE
geboren 1941, ist einer der bekanntesten Experten auf dem Gebiet der Kriminal- und Sozialpolitik.

Von 1978 bis 1990 war er Direktor des renommierten Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt/Main. Von 1990 bis 2005 steuerte er als Ministerialdirigent im Justizministerium von Schleswig-Holstein die Reform des Strafvollzugs und der ambulanten Dienste, seit 2005 ist er Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) in Lüneburg.

In zahlreichen Aufsätzen und Büchern publizierte er innovative Konzepte zur Resozialisierung von Straftätern und zum Schutz von Opfern.


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