E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Die "Shatter me"-Reihe
Mafi Shatter Me
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-33448-2
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Nr. 1 #BookTok-YA-Bestseller: Band 1 der mitreißenden Romantasy-Reihe
E-Book, Deutsch, Band 1, 336 Seiten
Reihe: Die "Shatter me"-Reihe
ISBN: 978-3-641-33448-2
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Du darfst mich nicht anfassen', flüstere ich. Bitte fass mich an, möchte ich in Wahrheit sagen. Aber wenn man mich anfasst, geschieht Seltsames. Schlimmes.
Ihr Leben lang war Juliette einsam, eine Ausgestoßene - ein Monster. Ihre Berührung ist tödlich, man fürchtet sie, hat sie weggesperrt. Bis die Machthaber einer fast zerstörten Welt sich ihrer als Waffe bedienen möchten. Doch Juliette beschließt zu kämpfen - gegen die, die sie gefangen halten, gegen sich selbst, das Dunkel in ihr. Für ihre Liebe. Und für den Zauber der Berührung ...
Die TikTok Sensation - Mitreißende Young Adult Romantasy-Reihe mit Suchtfaktor für alle Fans von Leigh Bardugo, Sarah J. Maas und Victoria Aveyard.
Dieses Buch ist bereits unter dem Titel 'Ich fürchte mich nicht' erschienen.
Tahereh Mafi ist die internationale Bestsellerautorin und 'National Book Award'-nominierte Autorin von mehr als einem Dutzend Büchern, darunter die 'Shatter Me'-Serie, die 'Woven Kingdom'-Serie, 'Wie du mich siehst' und 'Wie ein leuchtender Stern'. Ihre Bücher wurden in über dreißig Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Autor Ransom Riggs, und ihrer Tochter in Südkalifornien. Die Autorin ist online unter taherehmafi.com zu finden.
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2
Am nächsten Morgen riecht es nach Regen.
Der Geruch von nassem Stein und aufgegrabener Erde hängt in der feuchten schweren Luft. Ich atme tief ein und schleiche auf Zehenspitzen zum Fenster. Presse die Nase an die kühle Scheibe. Spüre, wie sie beschlägt von meinem Atem. Schließe die Augen und horche auf das leise Plätschern im Wind. Regentropfen erinnern mich daran, dass Wolken einen Herzschlag haben. Dass ich einen habe.
Ich denke immer wieder über Regentropfen nach.
Sie fallen vom Himmel, stolpern über ihre Füße, brechen sich die Beine, vergessen ihre Fallschirme, wenn sie heruntertaumeln, einem ungewissen Ende entgegen. Als entleere jemand seine Taschen über der Erde. Dem es egal ist, dass die Regentropfen zerplatzen, wenn sie auftreffen, dass sie zerspringen, wenn sie den Boden erreichen, dass Menschen die Tage verwünschen, an denen die Tropfen so dreist sind, an ihre Tür zu klopfen.
Ich bin ein Regentropfen.
Meine Eltern haben mich aus ihren Taschen geleert und auf einer Betonplatte verdampfen lassen.
Durchs Fenster kann ich sehen, dass wir nicht weit weg von den Bergen und auf jeden Fall nahe am Wasser sind, aber inzwischen ist das Wasser überall. Ich weiß nur nicht, auf welcher Seite wir sind. In welche Richtung wir schauen. Ich blinzle in die frühe Morgensonne. Jemand hat die Sonne aufgeklaubt und sie wieder an den Himmel gehängt, aber sie steht jeden Tag ein bisschen tiefer. Sie ist wie ein achtloser Elternteil, der sein Kind nur zur Hälfte kennt. Der nie begreift, wie seine Abwesenheit die Menschen verändert. Wie anders wir alle im Dunkeln sind.
Ein plötzliches Rascheln sagt mir, dass mein Zellengenosse wach ist.
Ich fahre herum, als sei ich wieder dabei ertappt worden, wie ich Essen stehle. Das habe ich nur einmal gemacht, und meine Eltern glaubten mir nicht, als ich sagte, ich hätte es nicht für mich getan. Ich sagte, ich wollte nur die Streunerkatzen bei uns um die Ecke retten. Aber meine Eltern dachten, ich sei nicht menschlich genug, um für Katzen zu sorgen. Nicht so etwas jemand wie ich.
Zellengenosse betrachtet mich.
Er war in seinen Kleidern eingeschlafen. Er trägt ein marineblaues T-Shirt und khakifarbene Cargohosen, in kniehohe schwarze Stiefel gesteckt.
Ich trage tote Baumwolle auf dem Körper und Rosenfarbe im Gesicht.
Er tastet mich mit den Augen ab, und die langsame Bewegung bringt mein Herz zum Rasen. Ich fange die Rosenblätter auf, als sie von meinen Wangen fallen, als sie herabschweben, als sie mich mit etwas bedecken, das sich wie ein Mangel an Mut anfühlt.
Hör auf, mich anzuschauen, will ich sagen.
Hör auf, mich mit den Augen anzufassen, und behalte deine Hände bei dir und bitte und bitte und bitte –
»Wie heißt du?« Er legt den Kopf schräg, und die Schwerkraft zerbricht in zwei Stücke.
Ich schwebe im Augenblick. Ich blinzle und halte meinen Atem unter Verschluss.
Zellengenosse bewegt sich, und meine Augen zerspringen in tausend Teile, die durch den Raum jagen, eine Million Fotos schießen; eine Million Augenblicke in der Zeit. Flackernde Bilder aus alter Zeit, erstarrte Gedanken im leeren Raum, ein Wirbelsturm von Erinnerungen, die in meine Seele schneiden. Er erinnert mich an jemanden von früher.
Ein scharfer Atemzug, und meine Augen fliegen auf.
Keine Tagträume mehr.
»Warum bist du hier?«, frage ich die Risse in der Betonwand. 14 Risse in 4 Wänden in tausenderlei Grautönen. Der Boden, die Decke: dieselben Steinplatten. Die erbärmlichen Bettgestelle: aus alten Wasserrohren gebaut. Das kleine Fenster: zu dick zum Zerschlagen. Meine Hoffnung ist erschöpft. Meine Augen sind wirr und schmerzen. Mein Finger zeichnet träge einen Pfad auf den kalten Boden.
Ich sitze auf dem Boden, und da riecht es nach Eis und Metall und Schmutz. Zellengenosse mir gegenüber im Schneidersitz. Seine Stiefel glänzen zu sehr für diesen Ort.
»Du hast Angst vor mir.« Seine Stimme nimmt keine Gestalt an.
Meine Finger ballen sich zur Faust. »Ich fürchte, da irrst du dich.«
Ich lüge vielleicht, aber das geht ihn nichts an.
Er schnaubt, und der Laut bildet ein Echo in der stillen Luft zwischen uns. Ich schaue nicht auf. Will den Blick nicht sehen, der mich durchbohrt. Ich schmecke die abgestandene verbrauchte Luft und seufze. In meinem Hals steckt etwas fest, etwas Altbekanntes, das ich gelernt habe hinunterzuschlucken.
Es klopft zweimal an der Tür, und meine Gefühle springen vor Schreck an ihren Platz zurück.
Zellengenosse ist im Nu auf den Beinen.
»Da ist niemand«, sage ich zu ihm. »Nur das Frühstück.« 265 Mal Frühstück, und ich weiß noch immer nicht, woraus es besteht. Es riecht nach Chemikalien; ein formloser Klumpen, immer im Extremzustand. Zu süß oder zu salzig, aber auf jeden Fall widerlich. Meist bin ich zu ausgehungert, um das zu bemerken.
Ich höre, wie Zellengenosse einen Moment zögert, bevor er sich der Tür nähert. Er schiebt den Schlitz auf und späht hinaus in eine Welt, die es nicht mehr gibt.
»Scheiße!« Er reißt das Tablett durch die Öffnung und schlägt dann seine Hand an seine Brust. »Scheiße, Scheiße.« Er ballt die Finger zur Faust und beißt die Zähne zusammen. Hat sich die Hand verbrannt. Ich hätte ihn warnen können, wenn er mir zugehört hätte.
»Man muss mindestens drei Minuten warten, bevor man das Tablett anfasst«, sage ich zur Wand. Ich schaue nicht auf die hellen Narben an meinen kleinen Händen, auf die einstigen Brandwunden. »Das machen die, glaube ich, mit Absicht«, füge ich leise hinzu.
»Ach, jetzt redest du mit mir?« Er ist wütend. Seine Augen funkeln, bevor er wegschaut, und ich merke, dass es ihm vor allem peinlich ist. Er ist ein harter Bursche. Zu hart, um vor den Augen eines Mädchens dumme Fehler zu machen. Zu hart, um Schmerz zu zeigen.
Ich presse die Lippen zusammen und starre auf das kleine Glasquadrat, das sie Fenster nennen. Es sind nicht mehr viele Tiere übrig, aber ich habe Geschichten von Vögeln gehört, die fliegen. Eines Tages sehe ich vielleicht einen. Die Geschichten heutzutage sind so verworren, dass man nicht viel glauben kann. Aber ich habe von mehr als einer Person gehört, dass sie in den letzten Jahren einen fliegenden Vogel gesehen hat. Deshalb behalte ich das Fenster im Auge.
Heute wird ein Vogel kommen. Er wird weiß sein und auf dem Kopf goldene Federn haben wie eine Krone. Er wird fliegen. Heute wird ein Vogel kommen. Er wird weiß sein und auf dem Kopf goldene Federn haben wie eine Krone. Heute wird ein –
Die Hand.
Auf mir.
Zwei Fingerspitzen
streifen meine Schulter kaum eine Sekunde, und alle Muskeln alle Sehnen meines Körpers sind angespannt und verknotet und krallen sich in mein Rückgrat. Ich bin reglos. Ich rühre mich nicht. Ich atme nicht. Wenn ich mich nie mehr bewege, kann ich dieses Gefühl vielleicht behalten.
Seit 265 Tagen hat mich niemand berührt.
Manchmal denke ich, die Einsamkeit in mir wird durch meine Haut brechen, und manchmal weiß ich nicht, ob ich die Hysterie durch Weinen, Schreien oder Lachen bezwingen kann. Manchmal sehne ich mich so verzweifelt danach, zu berühren, berührt zu werden, zu fühlen, dass ich meine, in einem Paralleluniversum, wo mich niemand je finden wird, von einer Klippe zu stürzen.
Das ist durchaus denkbar.
Ich schreie seit Jahren, ohne gehört zu werden.
»Hast du keinen Hunger?« Seine Stimme klingt tiefer, ein bisschen besorgt.
Ich hungere seit 265 Tagen. »Nein.« Das Wort ist kaum mehr als ein zerfetzter Atemzug, als es über meine Lippen kommt, und ich wende mich ihm zu, obwohl ich das lassen sollte. Er starrt mich an. Forschend. Sein Mund ist leicht geöffnet, die Arme hängen reglos an seiner Seite, er blinzelt, verwirrt.
Etwas schlägt mir in den Magen.
Seine Augen. Da ist etwas mit seinen Augen.
Er ist es nicht er ist es nicht er ist es nicht.
Ich packe die Welt weg. Schließe sie ein. Drehe den Schlüssel um.
Schwärze begräbt mich in ihren Falten.
»Hey –«
Meine Augen brechen auf. Zwei zerschlagene Fenster, die meinen Mund mit Glassplittern füllen.
»Was ist los?« Seine Stimme klingt angestrengt achtlos, bemüht unbeteiligt.
Nichts.
Ich konzentriere mich auf das durchsichtige Quadrat zwischen mir und der Freiheit. Ich will diese Betonwelt zerstören. Ich will größer, besser, stärker sein.
Ich will wütend wütend wütend sein.
Ich will der Vogel sein, der wegfliegt.
»Was schreibst du?« Zellengenosse spricht wieder.
Diese Worte sind Auswurf.
Dieser zitternde Stift ist meine Kehle.
Dieses Blatt Papier ist mein Spucknapf.
»Warum gibst du keine Antwort?« Er ist zu nah zu nah zu nah.
Niemand ist jemals nah genug.
Ich sauge Luft ein und warte darauf, dass er wegläuft, wie alle anderen in meinem Leben. Meine Augen sind aufs Fenster gerichtet, auf eine Verheißung. Eine Verheißung von etwas Großartigem, etwas Wunderbarem, einem Grund für den Irrsinn in meinen Knochen, eine Erklärung für meine Unfähigkeit, jemanden zu berühren, ohne alles zu zerstören. Ein Vogel wird kommen. Er wird weiß sein und auf dem Kopf goldene...