E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Edition Aufatmen
Malm Zwischen Menschlichkeit und Herrlichkeit
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-417-27072-3
Verlag: R.Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Krisenzeiten geistlich leiten
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Edition Aufatmen
ISBN: 978-3-417-27072-3
Verlag: R.Brockhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Magnus Malm (Jg. 51) ist schwedischer christlicher Redakteur, Publizist und Leiter von Einkehrzeiten. Seine Bücher zum Thema Leiterschaft ('Gott braucht keine Helden') haben auch in Deutschland einen großen Einfluss. Er lebt mit seiner Familie in Asklanda bei Göteborg.
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1
WER IST HERR, WER DIENER? –
Geistlich erfolgreich leiten, ohne nach Erfolg zu streben
Am 3. Oktober 1960 hielt der schwedische Politiker Dag Hammarskjöld, der zu dieser Zeit zweiter Generalsekretär der Vereinten Nationen war, eine Rede vor deren Generalversammlung. Hammarskjölds energisches Handeln im Kongo hatte die Sowjetunion verärgert, die am gleichen Morgen seinen Rücktritt gefordert hatte. Unter anderem warf die Sowjetunion Hammarskjöld vor, dem »Kongo ein weiteres Joch aufzuerlegen«, »die elementare Gerechtigkeit verhöhnt zu haben« und versucht zu haben, »die blutigen Verbrechen, die gegen das kongolesische Volk begangen wurden, zu rechtfertigen«. Darauf antwortete Hammarskjöld unter anderem:
In den letzten Wochen wurden wir in dieser Versammlung Zeugen, wie eine historische Wahrheit geschaffen wurde; wenn eine Behauptung einige Male wiederholt wird, ist sie keine Behauptung mehr, sondern eine etablierte Tatsache, auch wenn keine Beweise dafür gegeben sind. Aber Fakten bleiben Fakten und die wahren Fakten sind hier allen zugänglich, die sich für die Wahrheit interessieren.
Wer sich auf die Geschichte beruft, wird gewiss von der Geschichte gehört werden. Und er wird sich dem Urteil der Geschichte stellen müssen, wenn es auf der Grundlage von Fakten von Menschen verkündet wird, die freien Sinnes und fest davon überzeugt sind, dass nur durch die Prüfung der Wahrheit eine friedliche Zukunft erbaut werden kann.
Schon hier wird deutlich, dass wir in einer neuen Zeit leben. Heutzutage tragen das Internet und aktive Kampagnen von Politikern dazu bei, die Wahrheit aufzubrechen, sie mit Lügen zu vermischen und eine weltumspannende postfaktische Ära zu schaffen. Ziel ist nicht länger, wie bei alter Propaganda, die Leute von Lügen zu überzeugen, sondern sie glauben zu machen, dass es gar keine Wahrheit mehr gibt. In einem solchen Klima können Führungspersonen eine beliebige Agenda so lange zum Thema machen, um ihre Macht zu stärken – egal, ob sie wahr ist oder nicht.
Wie reagierte Hammarskjöld auf die Vorwürfe? Er antwortete:
Ich habe keinen Grund, mich oder meine Kollegen gegen diese vorgebrachten Vorwürfe oder Beurteilungen zu verteidigen. Lassen Sie mich nur sagen, dass Sie, Sie alle, Richter sind. Keine einzelne Partei kann diese Befugnis für sich beanspruchen. Ich bin mir sicher, dass Sie sich von Wahrheit und Recht werden leiten lassen.
Dann beschreibt er sein Führungsverständnis. Es steht ebenfalls in scharfem Kontrast zu der narzisstischen Fixierung auf die eigene Person und der Überzeugung, die heute so weitverbreitet ist:
Es geht nicht um die Person, sondern um die Institution. Eine schwache oder nicht existente Vollstreckungsbehörde würde bedeuten, dass die Vereinten Nationen nicht länger in der Lage wären, aktiv jenen Schutz zu bieten, den die Mitglieder brauchen. Wer die Verantwortung als oberster Angestellter trägt, sollte zurücktreten, wenn er die Vollstreckungsbehörde schwächt. Doch er sollte bleiben, wenn es notwendig ist, um diese zu erhalten. Das, und nur das, erscheint mir das einzig anwendbare Sachargument.
Ohne Macht lässt sich nichts erreichen. Aber die Macht dient nicht den Zielen der Führungsperson, sondern denen der Organisation. Diese wiederum dient nicht der oder dem Vorsitzenden, sondern ihren Mitgliedern. Vor allem den schwächsten Mitgliedern, betont Hammarskjöld:
Durch meinen Rücktritt würde ich in der jetzigen schwierigen und gefährlichen Zeit die Organisation ausliefern. Dazu habe ich kein Recht, denn ich trage Verantwortung gegenüber allen Mitgliedsstaaten, für die diese Organisation von entscheidender Bedeutung ist. Eine Verantwortung, die vor allen anderen Belangen Vortritt hat.
Weiter sagt er:
Es ist nicht die Sowjetunion, und im Übrigen auch keine der anderen Großmächte, die des Schutzes der Vereinten Nationen bedarf. Es sind all die anderen Staaten. In diesem Sinn ist die Organisation vor allem ihre Organisation, und ich bin zutiefst überzeugt, dass sie diese klug nutzen und führen werden. Ich werde meinen Posten bis zum Ende meiner Amtszeit als Diener dieser Organisation im Interesse all dieser anderen Nationen behalten, solange sie es wünschen.
In diesem Zusammenhang sprach der Repräsentant der Sowjetunion von Mut. Es ist sehr leicht zu gehen, hingegen nicht so leicht zu bleiben. Es ist sehr leicht, sich den Wünschen einer Großmacht zu beugen. Es ist etwas anderes, Widerstand zu leisten.
Wie alle Mitglieder dieser Versammlung wohl wissen, habe ich bereits zuvor bei vielen Gelegenheiten und in vielen Zusammenhängen so gehandelt. Wenn es von den Nationen gewünscht wird, die sich in dieser Organisation am besten geschützt sehen, werde ich dies auch weiterhin tun.2
Loslassen
Welches Geheimnis steckt hinter dieser Art von Führung? Wie kann man in solch einem Sturm Rückgrat zeigen und gleichzeitig mit einer solchen Demut, ohne Rücksicht auf die eigene Macht und Position, in Freiheit leiten? Das Buch Zeichen am Weg, in dem die Tagebuchaufzeichnungen gesammelt sind, die nach Hammarskjölds Tod 1961 in seiner Wohnung gefunden wurden, gewährt einen Blick auf die verborgene Landschaft, aus der sein Leben und sein Führungsverständnis erwuchsen. Im selben Jahr, in dem er zum Generalsekretär der Vereinten Nationen gewählt wurde, schrieb er die Grundlage für die zitierte Rede: »Wer sich Gottes Hand überlassen hat, der steht den Menschen frei gegenüber.«3
Je mehr man in Zeichen am Weg liest, desto deutlicher wird, dass diese Überantwortung keine kühle und distanzierte Lebensanschauung für ihn ist, die sich neben anderen einordnen lässt. Schon Ende der 1940er-Jahre schreibt Hammarskjöld:
Den Griff loslassen von der Gestalt, die vor der Welt einen Namen trägt; die das Bewusstsein durch sozialen Ehrgeiz und zügelnden Formwillen aufgebaut hat. Loslassen, um zu fallen, fallen – in blinder Hingabe vertrauen. Zu etwas anderem, einem anderen.4
Voraussetzung dafür, diesen Halt angesichts der Stürme der Weltpolitik nicht zu verlieren, war für Hammarskjöld vor allem: »Die innere Ruhe zu bewahren – mitten im Lärm. Offen zu bleiben, still, feuchter Humus in der fruchtbaren Dunkelheit, wo Regen fällt und Saat erwächst – egal, wie viele im trockenen Tageslicht Staub über den Markierungen aufwirbeln.«5
1954 formuliert Hammarskjöld ein Gebet, an das er sich einige Monate vor seinem Tod erinnert:
Gib mir einen reinen Sinn – dass ich dich sehe,
einen demütigen Sinn – dass ich dich höre,
einen liebenden Sinn – dass ich dir diene,
einen gläubigen Sinn – dass ich in dir bleibe.6
Ich fasse Hammarskjölds Führungsverständnis in den folgenden drei Punkten zusammen. Und diese Grundlagen können aus meiner Sicht bis heute als Grundlagen geistlicher Leiterschaft dienen:
• Die Gewissheit, dass das eigene Leben im Dienst Gottes steht. Es geht nicht darum, Karriere zu machen, sich Positionen zu sichern oder eine Marke zu prägen. Man überlässt sein Leben und alles, was man hat, etwas Größerem als der eigenen Selbstverwirklichung. Das Ziel ist nicht die eigene Ehre, sondern die Ehre Gottes und das Wohl der Allgemeinheit.7
• Die tiefe innere Verankerung in Stille und Gebet. Mit ihrer Hilfe übersteht der Halt in Gott die Belastungen des Lebens und der Arbeit. Die Disziplin von täglicher Stille und Gebet rückt alles ins richtige Verhältnis und ermöglicht es, einen anderen Weg als den des Mainstreams einzuschlagen.
• Die Freiheit, nicht ständig die Bestätigung anderer Menschen zu suchen. Scheitern oder Kritik erschüttern nicht den eigenen grundlegenden Selbstwert, da man zutiefst in Gott verankert ist. Wird man bewundert oder ist man erfolgreich, wird das Selbstwertgefühl aus dem gleichen Grund nicht größer. Die Führung baut nicht auf der Resonanz anderer Menschen auf, sondern auf dem Widerhall dessen, was man selbst als Wille Gottes versteht.
Das Matthäusevangelium fasst im zwölften Kapitel eine solche Führung kompakt zusammen. Jesus hatte jeden Erfolg, von dem eine christliche Führungsperson nur träumen kann: »Viele folgten ihm und er heilte alle.« Was macht Jesus in dieser Situation des »Erfolgs«? Beruft er eine Pressekonferenz ein und berichtet von seinem Durchbruch? Geht er auf Vortragstournee durch die Kirchen des Landes, um sein Erfolgsrezept zu verraten? Schreibt er einen Bestseller über den Schlüssel zu effektiver Führung? Matthäus berichtet, dass Jesus »(ihnen) verbot zu sagen, wer er war«.
Damit erfüllte sich die Prophezeiung Jesajas über Jesus: »Dies ist mein Diener, den ich auserwählt habe. Ich liebe ihn und habe meine Freude an ihm. Ich werde meinen Geist auf ihn legen, und er wird den Völkern Gerechtigkeit verkünden. Er wird weder kämpfen noch schreien; er wird seine Stimme nicht in der Öffentlichkeit erheben. Er wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Durch seine Treue wird er die vollkommene Gerechtigkeit durchsetzen. Und auf seinem Namen wird die Hoffnung der ganzen Welt ruhen.«
Matthäus 12,16-21
Punkt für Punkt wird hier das Gegenmodell zu einer Führungskultur des narzisstischen Zeitalters entworfen.
Jesus wird nicht durch seine Ausstrahlung, seine Kompetenz, seinen Dienst oder Erfolg definiert, sondern durch seine Beziehung zum Vater: »Dies ist mein Diener, den ich auserwählt habe. Ich liebe ihn …«
Er hat ein anderes Ziel als seine eigene Karriere, Einkommen oder Popularität: »Ich werde meinen Geist auf ihn legen, und er wird den...




