E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Mandeng Umwege sind auch Wege
1. Auflage, Ungekürzte Ausgabe 2021
ISBN: 978-3-95910-326-8
Verlag: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Vom Schwarzsein und anderen Abenteuern
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95910-326-8
Verlag: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Annabelle Mandeng, 1971 als Tochter einer deutschen Studienrätin und eines kamerunischen Regierungsbeamten in Göttingen geboren, wuchs mit ihrem älteren Bruder nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter in Bad Zwischenahn, Togo und Pakistan auf. Sie hat bereits als Jugendliche an Theatern gespielt, ist in Fernsehserien, TV- und Kinofilmen vor der Kamera zu sehen und arbeitet seit Jahren als TV- und Eventmoderatorin sowie als Synchronsprecherin. Sie ist auch als Malerin tätig, zuletzt mit einer Einzelausstellung im Hotel de Rome in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zwischen den Meeren
Es ist Nacht, und die Flammen des Feuers spiegeln sich in den Augen der Tänzer. Die Kaurimuscheln1 an den Kostümen klackern, die Trommeln schlagen in hypnotischen Rhythmen. Nackte Füße auf gestampftem Sand, Schweiß, Gesang, Intensität. In gebeugter Haltung bewegen sich die Tänzer um das Feuer, während ich mit großen Augen im Schneidersitz danebensitze. Kamerun, das Land meines Vaters.
Ich war fünf Jahre alt und mit meiner Mutter und meinem Bruder Ousmène zum ersten Mal dort zu Besuch. Vor über drei Jahren hatten sich meine Eltern scheiden lassen. Diese rituellen Tänze gehören ebenso zur Kultur meines Vaters, dem Doktor der Wirtschaftswissenschaften, wie die Anzüge, die gepanzerten Wagen und das Sicherheitspersonal im Ministerium. Als Oberhaupt unserer Großfamilie innerhalb der Yambassa2 wechselte er fließend zwischen den Pflichten eines Oberhauptes und denen eines Regierungsbeamten, trug dunkle Dreiteiler ebenso wie farbenfrohe Boubous3, leitete sowohl internationale Konferenzen als auch traditionelle Zusammenkünfte in seiner Heimat.
Die Flammen wärmten mich, in meinen Ohren dröhnten die fremden Klänge. Ich war fasziniert und verloren gleichzeitig. Vor Kurzem noch im beschaulichen Bad Zwischenahn, befand ich mich jetzt irgendwo auf dem Land unweit von Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Dort war meine Haut zu dunkel, hier zu hell. Die wenigen Wochen in Kamerun verwirrten mich. War Deutschland, das Land meiner Mutter, meine Heimat? Oder gehörte ich hierher? Wo war mein Ursprung, wo mein Zuhause? Immer häufiger stellte ich mir diese Fragen, aber erst als Jugendliche merkte ich irgendwann, dass all das eigentlich keine Rolle spielte. Ich verstand mit der Zeit, dass nicht die geografische Zugehörigkeit zählte, sondern die geistige. Nicht das Land und seine Grenzen, sondern die Menschen und ihre Möglichkeiten.
Diese besondere Nacht in Kamerun werde ich nie vergessen. Die Glut des Feuers, der wilde Tanz, der Schein der Flammen auf den dunklen Gesichtern. Obgleich unsere Zeit in Kamerun nur kurz und die Trennung meiner Eltern endgültig war, bekamen mein Bruder und ich einen Eindruck von der Kultur, die zu unserer Hautfarbe gehörte. Dieser Besuch im Land meines Vaters nahm mir die Hilflosigkeit, wenn es in Deutschland wieder hieß: »Ach, ihr seid doch bestimmt adoptiert«, weil wir so anders aussahen als unsere blonde Mutter.
Wir fuhren auch in das Dorf unserer Familie, eine Ansammlung von Lehm- und Steinhütten, umgeben von Bananen- und Kakaoplantagen, wo ich meine Großeltern kennenlernte. Die hießen Jacques und Jacqueline; Namen, die mein Bruder und ich als Zweitnamen geerbt haben: Ousmène Jacques und Annabelle Jacqueline. Das gefiel mir. Meine Großmutter war damals schon sehr krank, und ich erinnere mich, dass ich ihr einen nassen, kühlen Waschlappen auf die heiße Stirn
legte.
Kamerun, dieses facettenreiche zentralafrikanische Land zwischen Tschadsee und Atlantik, in dem ich mich immer als Fremde gefühlt habe. Trotzdem liebe ich den intensiven Geruch der lehmhaltigen Erde, das laute Gezirpe der Zikaden und die alles umarmende Hitze. Kamerun und Hitze gehörten für mich vom ersten Moment an zusammen. Und obwohl ich mit den hohen Temperaturen kein Problem hatte, freute ich mich riesig, als es wenige Tage vor unserer Rückreise hieß: Onkel Léonard bringt uns zu einem Swimmingpool mit Wasserrutsche!
Das war genau das Richtige für mich, denn ich war – wer hätte das gedacht? – ein echter Wildfang, kletterte auf alles drauf, rannte in Kreisen, kippelte am Tisch, machte viel Sport, hüpfte überall und ständig, um irgendwie meine überschüssige Energie loszuwerden.
Als wir an dem Pool ankamen, flitzte ich in meiner orangen Frotteehose schnurstracks zur Rutsche und rauf auf die fünf Meter hohe Leiter. Unter mir fummelte mein Onkel seine Kamera heraus, und kaum war ich oben angekommen, rief er: »Annabelle, dreh dich mal um für ein Foto!«
Das tat ich so schwungvoll, dass ich ausglitt und abwärtssauste. Während ich flog, sah ich, wie mein Onkel die Kamera wegwarf und mir seine Arme entgegenstreckte. Er fing mich zwar ab, trotzdem ditschte mein Kopf kurz auf, was mir eine Platzwunde bescherte, die umgehend genäht werden musste. Schnell wurde ich mitten im Nirgendwo zu einem Arzt gefahren. Wir kamen zu einem kleinen Bungalow, drum herum üppige Vegetation, darin nur ein kahler Raum mit einer Liege. Als ich realisierte, dass der Arzt die Wunde ohne Betäubung vernähen wollte (die Alternative wäre eine Vollnarkose gewesen), protestierte ich lautstark und flehte meine Mutter durch den Blutschleier vor meinen Augen an, dass der Arzt das lassen solle. Da drückte sie meine Füße – am Kopf durfte sie nicht stehen – und sagte: »Wenn du ganz tapfer bist, bekommst du ein großes Eis!«
Na, wenn das so ist … Ich biss die Zähne zusammen und ertrug stumm die fünf Stiche an meiner Stirn. Vielleicht war das der Grundstein, der mich all die Unfälle und Operationen, die noch auf mich zukommen sollten, ohne viel Gewese durchstehen ließ. Jedenfalls bekam ich mein Eis! Es gibt sogar ein Foto davon: Breit grinsend stehe ich in oranger Frotteehose mit meinem Rieseneis in der Hand und einem Riesenpflaster auf der Stirn mitten im Urwald.
Meine Eltern hatten sich darauf geeinigt, dass meine Mutter das alleinige Sorgerecht bekommen und wir auch nur die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen sollten, weshalb mein Vater in unserem Leben genauso wenig eine Rolle spielte wie Kamerun als das Land meines Vaters. Ganz anders sieht es mit unserer gemeinsamen Hautfarbe aus. Ich fand es zwar schon immer total klasse, Halb-Kamerunerin zu sein, obwohl ich immer wieder mit mehr oder weniger offenem Rassismus konfrontiert werde. Aufgehalten hat mich das allerdings nicht …
Bis ich das nächste Mal nach Afrika reiste – diesmal nach Togo, wo meine Mutter eine Stelle beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) antrat –, lebten wir next to Ostfriesland am Zwischenahner Meer.
»Maren, guck mal, ein Frosch!«, rief ich und hielt meiner besten Freundin ein dickes grünes Exemplar entgegen. Großes Gekreische von Maren. Dreckiges Gelächter von mir. Wir gruben auch gern gemeinsam Regenwürmer aus und versuchten, uns gegenseitig davon zu überzeugen, dass sie frisch aus der Erde besonders gut schmecken. Oder wir stopften der anderen Juckpulver unters T-Shirt. Was sich neckt, das liebt sich. Maren und ich sind nämlich ein Herz und eine Seele, seit wir uns vor mehr als 45 Jahren kennengelernt haben, »Quasi-Schwestern«, wie Maren zu sagen pflegt.
Als meine Mutter mit uns in jene Doppelhaushälfte samt Garten zog, war ich drei Jahre alt. Meine erste bewusste Erinnerung: Marens kleine Schwester Britta watschelt mir in dicken Windeln entgegen und lacht mich an! Nebenan wohnte der Rest der Familie, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich auch die gleichaltrige (pardon, vier Tage ältere) Maren traf, zumal unsere Gärten zaunlos ineinander übergingen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Für meinen Bruder, den alle Ousi nannten, waren wir Lütten natürlich vollkommen uninteressant. Schließlich war er schon acht. Trotzdem verbindet uns vier bis heute eine besondere Innigkeit.
Auch Marens Mutter Elke hat Ousmène und mich sofort ins Herz geschlossen. Diese Familie ist für mich ein Geschenk.
Denn egal, was danach in meinem Leben passierte, ob wir ins Ausland zogen, Trouble hatten oder ich mal wieder operiert werden musste: Maren und ihre Familie sind an meiner Seite, was mich jeden Tag aufs Neue mit dankbarer Wärme erfüllt.
Maren, Britta und ich besuchten auch denselben Kindergarten. Maren und ich waren in der »drünen Druppe«, Britta bei den »Kleenen« in der blauen. Als Nachbarskinder konnten wir aber sowieso jeden Tag miteinander spielen, Häuser aus Kartons und Burgen aus Matschepampe bauen, Kaulquappen züchten oder Erdbeeren aus dem Garten gegenüber stibitzen. Was kleine Mädchen auf dem Land eben so taten. Wenn Ousi dabei war, dann als Brittas Babysitter. Unter uns: der lausigste Babysitter der Welt. Wenn möglich, legte er sich nämlich einfach zu ihr ins Gitterbett, rollte sich um sie herum und schlief ein. Und fing Klein-Britta an zu brüllen, störte ihn das herzlich wenig; er hatte einen festen Schlaf.
Bad Zwischenahn wurde unser Zuhause. Ousi und ich hatten viele Freunde, unsere Mutter ging ihrer Arbeit als Mathematiklehrerin an der Berufsschule nach, und wir alle fühlten uns wohl damit, in diesem ländlichen Ort zu leben. An Anfeindungen aufgrund meiner Hautfarbe kann ich mich nicht erinnern, nur daran, dass fremde Menschen auf der Straße mich ungefragt anfassten. Sie fuhren mir in die Haare oder ins Gesicht und sagten: »Du bist aber schön braun … und diese Locken, wie süß!« Ich kam mir vor wie ein exotisches Tier. Natürlich sah ich im Spiegel, dass ich dunkler war als alle anderen Kinder um mich herum, aber ein Frosch war ja auch nicht wie der andere. Darum verstand ich die Aufregung gar nicht. Es gab auch niemanden, der mir das erklären konnte oder wollte. Und da meine Mutter blond ist und blaue Augen hat, mussten Ousi und ich uns wohl oder übel daran gewöhnen, dass Außenstehende oft annahmen, wir seien ihre Adoptivkinder. Allzu selten waren damals sogenannte Mischehen.
Meine Mutter war erst 27, als sie und mein Vater sich trennten. Danach ging sie jedoch zielstrebig ihren Weg: Obwohl alleinerziehend mit zwei kleinen Kindern, schloss sie ihr BWL-Studium mit Diplom ab und wurde Studienrätin, was in den Siebzigern sensationell war. Meinen Vater...