Manotti / DOA / Heber-Schärer | Die ehrenwerte Gesellschaft | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Manotti / DOA / Heber-Schärer Die ehrenwerte Gesellschaft


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86241-622-6
Verlag: Assoziation A
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-86241-622-6
Verlag: Assoziation A
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fesselnd, präzise und schnörkellos beschreiben Dominique Manotti und DOA die Korruptheit, die Intrigen und inzestuösen Machtverflechtungen der herrschenden Klasse. Ein mitreißend schneller Rhythmus, sich atemlos überschlagende Ereignisse und packende Dialoge sorgen für höchste Spannung. Eine düstere Affäre, fiktiv und doch so nahe an der Realität, dass es einen frösteln lässt.

Dominique Manotti, geboren 1942 in Paris. Ehemalige Professorin für Wirtschaftsgeschichte. 1976-1983 Generalsekretärin der Pariser Sektion der Gewerkschaft CFDT. Politisch geprägt durch den Widerstand gegen den Algerienkrieg und die Mairevolte 1968. Schrieb mit 50 Jahren ihren ersten Roman und erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, gilt als Grande Dame des französischen Roman Noir. DOA (Dead on Arrival), geboren 1968 in Lyon, arbeitet als Schriftsteller und Drehbuchautor. Sein Pseudonym bezieht sich auf den legendären Film Noir gleichen Namens von Rudolph Maté aus dem Jahr 1950. Für seinen 2007 erschienenen Thriller 'Citoyens clandestins' erhielt er den Grand Prix de la littérature policière.

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1. Freitag
Das Studio ganz oben im Hinterhaus eines alten Pariser Gebäudes ist groß und luftig. Beide Fenster stehen offen. Draußen Dächer und da und dort das leise Echo laufender Fernseher. Weiter weg deutlich, aber unaufdringlich, der Lärm der Stadt. Poster von Walen, schwarzen Fluten, Atompilzen an den Wänden verkünden mit einem gewissen Triumph den bevorstehenden Weltuntergang. Im Studio drei junge Leute. Mitten im Raum arbeitet Julien Courvoisier, ein rundlicher Blondschopf, Mitte zwanzig, fieberhaft und konzentriert an einem 24-Zoll-iMac in makellosem Weiß, der zwischen Papieren und leeren Bierdosen auf einer aufgebockten alten Holztür thront. Auf dem Bildschirm ist nicht der Desktop von OS X Tiger, sondern der von Windows Vista zu sehen. Ein Mauspfeil bewegt sich ganz von allein. Fenster sind geöffnet, Word, Explorer und Outlook, und man sieht, wie eine E-Mail geschrieben wird. Dann und wann grunzt Julien zufrieden. Hinter ihm, auf Kissen auf dem Boden ausgestreckt, Erwan Scoarnec, etwa gleichaltrig, groß, brünett, schlank, aber nicht mager, mit leicht slawischen Gesichtszügen. Er lässt Juliens Rücken nicht aus den Augen und versucht seine Nervosität, seine schlechte Laune mit einem Joint zu bezwingen. »Julien, schaffst du’s? Läuft es?« Keine Antwort, sicher hat Julien ihn nicht mal gehört. Nervtötend. Zwei Züge. »Scheiße! Antworte wenigstens, sag doch was!« Eine lässige Handbewegung, sonst nichts. Erwan steht auf, holt sich ein Bier aus dem Eisschrank in der Küche. Im Vorbeigehen wirft er einen zweideutigen Blick auf das Mädchen, Saffron, kaum älter als zwanzig, hochgewachsen, schlank, taillenlanges schwarzes Haar und fast durchscheinende weiße Haut. Mit The Stooges in den voll aufgedrehten Kopfhörern hat sie sich von der Welt abgeschnitten. Und von ihm. Auch sie. Frustrierend. Sie wiegt sich im Rhythmus vor einem schmalen, hohen Spiegel, der an einem Bücherstapel lehnt, fasziniert von diesem Bild von sich selbst, in dem sie sich nicht auf Anhieb wiedererkennt. Ein Gebrüll, an Tarzan erinnernd, Julien springt auf, wirft die Arme hoch. Die beiden anderen stürzen zu ihm. Sie stehen alle wie angewurzelt. Vor ihren Augen verändert sich das Bild auf dem Desktop, ein neues Fenster geht auf, darin wird ein Video sichtbar, und die Boxen des Geräts fangen an, Hintergrundgeräusche von sich zu geben. »Live aus der Wohnung vom alten Soubise.« »Du bist bei ihm zu Hause?« Saffron kann es nicht fassen. »Ohne Scheiß?« Erwan, die Kippe im Mund. »Yes, man. Und ich kontrollier auch seine Webcam.« Die Bilder zeigen einen weißen Raum mit hoher Decke, Haussmannsche Maße, an den Wänden Regale voller Bücher und Aktenordner und im Hintergrund eine geöffnete Tür zum Flur. Im Vordergrund ein Mann, Anfang vierzig, graumeliertes Haar, bartloses, scharfgeschnittenes Gesicht, nicht schlecht für einen Alten. Er sitzt vor sich hinpfeifend am Schreibtisch. Soubise. Der Mann im Hintergrund. Der Feind. In Reichweite, ihnen ausgeliefert. Das Feld der Möglichkeiten, das sich vor ihnen auftut, ist schwindelerregend. »Erklär’s mir, Julien, ich versteh’s nicht.« Saffron hat eine dunkle Stimme und einen merkwürdigen Akzent, in dem sich Anklänge aus dem Südwesten mit einem Hauch Englisch mischen. Ihr Nachname ist Jones-Saber. Ihre vor langer Zeit verstorbene Mutter war Französin, ihr Vater ist Engländer, und sie ist im Périgord aufgewachsen. Julien glänzt: »Am schwierigsten war es, seine IP-Adresse zu finden. Ich habe ihm unter dem Namen seines Chefs Cardona, des großen Gurus der CEA, eine E-Mail mit einer JPG-Datei im Anhang geschickt. Und diese Virendatei hat mir die Adresse zurückgemailt.« Er frohlockt, wirft sich vor Saffron in die Brust. »Soubise ist nicht besonders vorsichtig. Er fühlt sich sicher, weil es sein privater Laptop ist.« Erwan fasst wieder Fuß, das ist vertrautes Gelände. »Wie auch immer, dank der neuen Technologien sitzen diese Kerle jetzt im Glashaus.« »Nein, nicht alle. Einmal bin ich schon erwischt worden.« Julien schnappt seine Bierflasche, trinkt einen Schluck und deutet auf den Bildschirm. »Okay, mit der IP-Adresse braucht man dann nur noch eine gute Software, die die Lücken einer anderen Software nutzt. Hier zum Beispiel ist der Schwachpunkt Quicktime.« »Hör auf mit deinem Spezialistengewäsch, du siehst doch, dass du Saf’ auf die Nerven gehst.« »Nein, gar nicht, red weiter, ich mag Poesie.« »Einfach ausgedrückt, ist der Schwachpunkt die Art, wie die letzte Version von Quicktime mit den Speicherbefehlen umgeht. Da die üblichen Firewall- und Antivirus-Programme das Programm kennen, ist seine Aktivität nicht verdächtig. Wenn man darüber eindringt, erregt das keine Aufmerksamkeit. Und mit dieser krummen Tour kann man dann spielen, man braucht nur zu wissen, welchen Code man eingeben muss.« Pause. »Und ich weiß es.« Julien triumphiert. Soubise beugt sich zu ihnen, das heißt zu seinem PC, und Saffron und Erwan haben denselben Reflex, sie zucken zurück, erst dann schauen sie sich an und lachen. »Eine Runde für alle!«, ruft Erwan. Er zündet den Joint wieder an, zieht einmal und reicht ihn weiter an seinen Kumpel. Dann geht er noch mal zum Eisschrank und holt weitere Bierflaschen. Benoît Soubise konzentriert sich ein letztes Mal auf den Bildschirm, um den Schluss seiner zusammenfassenden Mail noch einmal durchzulesen. Er verbessert ein Wort, ändert zwei Kommata, kürzt einen Satz, dann schickt er sie ab und verlässt Outlook. Das Fenster seines Arbeitszimmers steht offen, die Fassaden der ruhigen Straße im 17. Arrondissement fangen das letzte Licht des Tages ein. Der April ist dieses Jahr besonders mild. Er schaut auf die Uhr, zwanzig Uhr vorbei, und denkt, er sollte los zu dem Abendessen, das Barbara für ihn organisiert hat, auch wenn ihn die Freunde, die sie ihm vorstellen will, nicht interessieren. Auf seinem Computer erscheint der Bildschirmschoner. Soubise steht auf, geht ins Schlafzimmer, betrachtet sich flüchtig im Ankleidespiegel. Er überlegt kurz, ob er sich umziehen soll, und verzichtet, die Jeans werden es tun, sie sind von Armani, und das weiße Hemd ist noch präsentabel. Er fährt sich rasch durchs Haar, um es etwas zu bändigen. Er nimmt den leichten Regenmantel von der Sessellehne, im Flur im Vorbeigehen seine Autoschlüssel und verlässt die Wohnung. Das Autoradio ist auf France Inter eingestellt. Die Abendnachrichten laufen, hauptsächlich Berichte über den Präsidentschaftswahlkampf. Nach den letzten Meinungsumfragen vor dem ersten Wahlgang an diesem Wochenende liegt der Kandidat der Rechten, Pierre Guérin, weit vorn. Ihnen zufolge hat er über fünf Punkte Vorsprung vor seinem ernsthaftesten Herausforderer, Eugène Schneider, dem Champion der größten Oppositionspartei. Von den anderen zehn Kronprätendenten kann, heißt es im Kommentar des Senders, nur die Vertreterin des Zentrums noch punkten, wahrscheinlich auf Kosten Schneiders, dem sie am meisten Stimmen wegnähme. Soubise, den Ellbogen im offenen Fenster, betrachtet die Gegend und hört zerstreut zu. Der Moderator redet weiter über Politik, er erinnert an die Unterzeichnung des Dekrets zum Bau des EPR-Reaktors1 in Flamanville am 11. April letzten Jahres. Guérin, derzeit Finanz- und Wirtschaftsminister und Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen, habe heute erklärt, für wie gut er dieses Projekt halte, das eine neue Ära für die französische Atomindustrie einläute und ihren führenden Rang bekräftige. Überrascht stellt Soubise lauter und hört aufmerksam zu. Vor ein paar Monaten noch war die Haltung des Ministers ganz anders, er war entschieden gegen die neue Technologie. Warum diese Kehrtwende? Jetzt? Das Timing droht Guérins eigene Projekte zu gefährden. Es sei denn, er plant irgendeine Schweinerei. Sobald der Moderator geendet hat, greift Soubise zum Handy und sucht die Nummer von Cardona im Telefonbuch – vielleicht hat der eine Erklärung für dieses Rätsel –, ohne zu merken, dass er von der Spur abkommt. Sein rechtes Vorderrad streift den Gehsteig, er steuert zu heftig gegen und landet in einem parkenden Lieferwagen. Aufprall, der Sicherheitsgurt spannt sich, der Airbag bläst sich auf, die Hand mit dem Telefon wird nach oben gerissen und der Apparat schlägt ihm die Augenbraue auf, die zu bluten anfängt. Soubise steigt gereizt aus, betrachtet die Schäden, Auto kaputt, die Frontschürze schleift am Boden und streift das linke Rad. Er schaut sich mit einem langen Seufzer um. Rote Rinnsale auf seinem Regenmantel. Er flucht und wischt mit dem Handrücken darüber. Sinnlos, er vergrößert die Flecken nur. Hinter Soubise hat ein Autofahrer angehalten und fragt, ob alles in Ordnung sei....


Dominique Manotti, geboren 1942 in Paris. Ehemalige Professorin für Wirtschaftsgeschichte. 1976–1983 Generalsekretärin der Pariser Sektion der Gewerkschaft CFDT. Politisch geprägt durch den Widerstand gegen den Algerienkrieg und die Mairevolte 1968. Schrieb mit 50 Jahren ihren ersten Roman und erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, gilt als Grande Dame des französischen Roman Noir.

DOA (Dead on Arrival), geboren 1968 in Lyon, arbeitet als Schriftsteller und Drehbuchautor. Sein Pseudonym bezieht sich auf den legendären Film Noir gleichen Namens von Rudolph Maté aus dem Jahr 1950. Für seinen 2007 erschienenen Thriller "Citoyens clandestins" erhielt er den Grand Prix de la littérature policière.



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