Mansfield | Die Gartenparty | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 29, 544 Seiten

Reihe: Manesse Bibliothek

Mansfield Die Gartenparty


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-27234-0
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 29, 544 Seiten

Reihe: Manesse Bibliothek

ISBN: 978-3-641-27234-0
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Große weibliche Erzählkunst von der Meisterin der modernen Short Story
Mit dieser exklusiven Auswahl lässt sich die Meisterin der kleinen Form (wieder)entdecken. Es war der kurze, oft alles entscheidende Lebensmoment, der Katherine Mansfield faszinierte. Ganz bewusst konzentrierte sie sich auf die detaillierte Beschreibung des Augenblicks: Die junge Hutverkäuferin, die am Fenster sitzend von Pelzmänteln und Sportcoupés träumt. Der Schock einer Sippe aus der High Society, als man vom gewaltsamen Tod eines Anwohners hört, dann aber doch darauf verzichtet, die Gartenparty abzusagen. Der Moment, in dem die Ehefrau begreift, dass ihr Mann die Hand ihrer Freundin um eine Sekunde zu lang gehalten hat. Wie kaum einer anderen Autorin gelingt es Katherine Mansfield, stets jenen Zeitpunkt einzufangen, der die ganze Wahrheit offenbart. Mit ihren Erzählungen schuf sie eine moderne Form der englischen Kurzgeschichte und gleichzeitig ein Werk, das dank seiner psychologischen Raffinesse bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat. Wer moderne Literatur liebt, die unterhaltsam und raffiniert zugleich ist, kommt an dieser Autorin, die selbst Virginia Woolf als 'die beste aller Schriftstellerinnen' bezeichnete, nicht vorbei.

Katherine Mansfield (1888-1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur.

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Die Frau im Laden Den ganzen Tag lang herrschte eine fürchterliche Hitze. Der Wind wehte nah am Boden; er wurzelte im Tussockgras1 und taumelte die Straße hinunter, dass der weiße Bimsstaub, den es uns in die Gesichter trieb, auf uns liegen blieb und uns einpuderte und am ganzen Leib juckte. Die Pferde stolperten hustend und prustend vorwärts. Das Packpferd war krank – da war ein großer kahler Fleck, wundgescheuert am Bauch. Immer wieder blieb die Mähre abrupt stehen, warf den Kopf zurück, sah uns an, als wollte sie losheulen, und wieherte. Hunderte von Lerchen gellten, der Himmel war schieferfarben, und das Zirpen der Lerchen erinnerte mich an Griffel, die über die graue Schiefertafel kratzten. Nichts war zu sehen als Welle um Welle von Tussockgras, dazwischen purpurrote Orchideen und Manukabüsche2, dick von Spinnweben überzogen. Jo ritt voraus. Er trug ein blaues Baumwollhemd, Cordhose und Reitstiefel. Ein weißes Taschentuch mit roten Flecken – wie von Nasenbluten – war um seinen Hals geknüpft. Weiße Haarsträhnen sahen unter seinem Schlapphut hervor – auch Schnurrbart und Brauen waren sozusagen weiß –, und er hing murrend im Sattel. Nicht einmal hatte er an dem Tag gesungen: «Is mir egal, und wisst ihr, warum? Weg’n Schwiegermama, fragt nicht so dumm!»3 Es war der erste Tag seit einem Monat, dass wir darauf hatten verzichten müssen, und jetzt kam uns sein Schweigen unheimlich vor. Jim ritt neben mir, weiß wie ein Clown; seine schwarzen Augen glitzerten, und er streckte ständig die Zunge heraus und befeuchtete seine Lippen. Er trug eine «Jaeger»-Weste und eine blaue Segeltuchhose, mit einem geflochtenen Ledergürtel um die Mitte. Wir hatten seit dem frühen Morgen kaum ein Wort miteinander gewechselt. Am Mittag hatten wir neben einem sumpfigen Bach Rosinenkekse und Aprikosen gegessen. «Mein Magen fühlt sich an wie ein Hühnerkropf», sagte Jo. «Also, Jim, du bist der Hellste von uns – wo isn dieser Laden, von dem du die ganze Zeit faselst? ‹Aber ja›, sagstu, ‹ich weiß ’nen tollen Laden mit ’ner Koppel für die Pferde und ’nem Bach mittendurch von ’nem Freund von mir, der dir noch vor seiner Hand ’ne Flasche Whisky gibt.› Den Ort würd ich gern mal sehn … aus reiner Neugier … nicht dass ich dir je nicht glauben würd … das weißtu … bloß …» Jim lachte. «Und vergiss nicht, dass da auch noch ’ne Frau ist, Jo, mit blauen Augen und blondem Haar, die dir noch vor ihrer Hand sonst was geben will. Schreib dir das hinter die Ohren!» «Die Hitze macht dich plemplem», sagte Jo. Aber er presste seinem Pferd die Knie in die Flanken. Wir trotteten weiter. Ich nickte ein und träumte schlecht, dass die Pferde überhaupt nicht vorankämen … und dann, dass ich auf einem Schaukelpferd säße und meine alte Mutter mich ausschimpfte, weil ich so viel grässlichen Staub vom Wohnzimmerteppich aufgewirbelt hätte. «Du hast das Teppichmuster ganz abgenutzt», hörte ich sie schimpfen, und sie riss an den Zügeln. Ich schniefte und sah mich beim Erwachen Jim gegenüber, der sich mit einem boshaften Lächeln über mich beugte. «Das war knapp», sagte er. «Ich konnte dich grad noch auffangen. Was ist los? Bistu weggetreten?» «Nein!» Ich hob den Kopf. «Gott sei Dank sind wir irgendwo angekommen.» Wir waren nun auf der Hügelkuppe, und unter uns befand sich ein whare4 mit Wellblechdach. Es stand in einem Garten, ein ganzes Stück von der Straße entfernt – gegenüber war eine große Koppel, und ein Bach, gesäumt von jungen Weiden, floss hindurch. Ein dünnes Räuchlein stieg kerzengerade aus dem Schornstein des Whare, und während ich gerade hinschaute, kam eine Frau heraus, gefolgt von einem Kind und einem Schäferhund – die Frau hatte etwas in der Hand, was ich für einen schwarzen Stock hielt. Sie fuchtelte damit in unsere Richtung. Die Pferde legten einen Schlussgalopp hin, Jo nahm seinen Schlapphut ab, warf sich jauchzend in die Brust und stimmte an: «Ist mir egal, wisst ihr, warum …?» Die Sonne brach durch die blassen Wolken und warf ein helles Licht auf das Geschehen. Es fiel auf das blonde Haar der Frau, auf ihre flatternde Schürze und auf die Flinte in ihrer Hand. Das Kind versteckte sich hinter ihr, und der gelbe Hund, ein räudiges Tier, trabte mit eingezogenem Schwanz ins Haus zurück. Wir zogen die Zügel an und stiegen ab. «Hallo», schrie die Frau. «Ich dachte, es sind drei Raubvögel. Meine Kleine kommt zu mir gerannt. ‹Mama›, sagt sie, ‹da kommen drei braune Dinger übern Hügel›, sagt sie. Und ich raus wie der Blitz, kann ich euch sagen. ‹Das wern Raubvögel sein›, sag ich zu ihr. Oh, diese Raubvögel hier, kaum zu glauben.» Die «Kleine» gewährte uns einen Blick auf ein Auge hinter der Schürze der Frau – und zog sich wieder zurück. «Wo ist dein Alter?», fragte Jim. Die Frau blinzelte flüchtig und verzog das Gesicht. «Auf der Schur. Schon seit ’nem Monat. Sie wern doch nich bleiben wolln? Ein Sturm zieht auf.» «Da könn’ Se Gift drauf nehmen», sagte Jo. «Also sind Se ganz allein, Missus?» Sie stand da, zupfte an den Rüschen ihrer Schürze und blickte uns reihum an wie ein hungriger Vogel. Ich lächelte beim Gedanken daran, was Jim Jo vorgeflunkert hatte von ihr. Ja, ihre Augen waren blau, und ihr schütteres Haar war blond, aber es war kein schönes Blond. Sie war eine Witzfigur. Wenn man sie anschaute, vermutete man, sie sei unter der Schürze nur Haut und Knochen – ihre Vorderzähne waren ausgeschlagen, ihre Hände rot und aufgedunsen, und sie trug ein Paar schmutzige Halbschuhe. «Ich bring die Pferde auf die Weide», sagte Jim. «Ham Se was zum Einreiben? Poi hat sich furchtbar wundgescheuert!» «Sekunde!» Die Frau stand einen Moment lang stumm da, und ihre Nasenlöcher weiteten sich beim Atmen. Dann brauste sie auf: «Mir wär’s lieber, Sie würden nicht bleiben … Und Sie können auch nicht, basta. Ich vermiete diese Koppel nicht mehr. Sie müssen weiterreiten; ich hab nix!» «Na, da soll mir doch einer!», polterte Jo. Er nahm mich beiseite. «Hatse nicht mehr alle», flüsterte er. «Zu viel allein, weißtu», sagte er mit Nachdruck. «Verleg dich aufs Schöntun, sie gibt schon noch nach.» Doch es war gar nicht nötig – sie gab von selber nach. «So bleim Se eben!», brummte sie achselzuckend. Und zu mir: «Ich geb Ihnen den Balsam, wenn Se mitkommen.» «In Ordnung, ich bring ihn dann raus.» Wir gingen zusammen den Gartenweg hinauf. Er war auf beiden Seiten mit Kohlköpfen bepflanzt. Sie rochen wie abgestandenes Spülwasser. Auch Blumen gab es: Schlafmohn und Nelken. Ein kleines Beet war mit Paua-Muscheln5 eingefasst – vermutlich gehörte es dem Kind, denn es lief seiner Mutter davon und begann mit einer schadhaften Wäscheklammer darin zu graben. Der gelbe Hund lag auf der Schwelle und schnappte nach Flöhen; die Frau gab ihm einen Tritt. «Gr-rr, verpiss dich, du Vieh … es ist nicht aufgeräumt. Hab keine Zeit dafür gehabt heute … war am Bügeln. Komm rein.» Es war ein großer Raum, die Wände waren mit alten Seiten aus englischen Zeitschriften tapeziert. Königin Victorias Thronjubiläum6 schien das neuste Blatt zu sein. Ein Tisch mit Bügelbrett und Waschzuber, ein paar Holzbänke, ein schwarzes Pferdehaarsofa und ein paar geborstene Rohrstühle, an die Wände geschoben. Der Sims über dem Ofen war in rosa Papier eingeschlagen und mit getrockneten Gräsern und Farnen und einem Farbdruck von Richard Seddon7 ausgeschmückt. Es gab vier Türen – eine davon führte, dem Geruch nach zu urteilen, in den «Laden», eine zum «Hof», und durch eine dritte sah ich das Schlafzimmer. Fliegen summten im Kreis um die Decke, und Honigstreifen und Säckchen mit getrockneten Nelken waren an die Vorhänge geheftet. Ich befand mich allein im Zimmer; sie war im Laden den Balsam holen gegangen. Ich hörte sie herumstapfen und vor sich hin murmeln: «Ich hab doch welchen, aber wohin hab ich diese Flasche getan? … Hinter dem Eingemachten … nein.» Ich räumte mir auf dem Tisch einen Platz frei, setzte mich darauf und ließ die Beine baumeln. Von der Koppel drüben hörte ich Jo singen und das Geräusch der Hammerschläge, als Jim die Zeltpflöcke einschlug. Die Sonne ging unter. Es gibt keine Dämmerung in unserem Tageslauf in Neuseeland, nur eine seltsame halbe Stunde, in der alles bizarr wirkt – und erschreckend –, als ginge der wilde Geist des Landes um und feixte über das, was er sah. Allein in dem hässlichen Raum bekam ich es mit der Angst zu tun. Die Frau da nebenan war ja schon endlos am Suchen. Was trieb sie bloß dort drin? Einmal meinte ich zu hören, dass sie mit den Händen auf den Ladentisch schlug, und einmal stöhnte sie leise, machte ein Hüsteln daraus und räusperte sich. Am liebsten hätte ich «Beeilung!», gerufen, aber ich hielt mich still. «Guter Gott, was für ein Leben!», dachte ich. «Tagein, tagaus hier zu sein, mit dieser Göre und einem räudigen Hund, man stelle sich das vor! Und dann gab sie noch was aufs Bügeln. Verrückt, natürlich muss sie verrückt sein! Nimmt mich wunder, wie lang sie schon hier ist … und ob ich sie vielleicht zum Reden bringe.» In diesem Moment streckte sie den Kopf durch die Tür. «Was wollten Se schon wieder?», fragte sie. «Balsam zum...


Mansfield, Katherine
Katherine Mansfield (1888–1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur.

Wehrli, Irma
Irma Wehrli, geboren 1954, ist seit 1984 freie Übersetzerin und widmet sich mit Vorliebe den Klassikern der englischen und US-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. 2011 erhielt sie das Zuger Übersetzerstipendium für ihre Arbeit an Thomas Wolfes "Of Time and the River".



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