Mariak | Amok-Lagen in Deutschland: Ausgewählte Fallbeispiele und kriminologische Erklärungsmuster | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 708 Seiten

Reihe: Schriften zur Gewaltprävention

Mariak Amok-Lagen in Deutschland: Ausgewählte Fallbeispiele und kriminologische Erklärungsmuster

Aktuelle Fachbeiträge zur Prüfung wahrscheinlicher Tatmotive - Szenarien der Grundprobleme als Vorstufe der Gewalt gegen Menschen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-90689-1
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aktuelle Fachbeiträge zur Prüfung wahrscheinlicher Tatmotive - Szenarien der Grundprobleme als Vorstufe der Gewalt gegen Menschen

E-Book, Deutsch, Band 3, 708 Seiten

Reihe: Schriften zur Gewaltprävention

ISBN: 978-3-347-90689-1
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese deutschen Tatorte erlangten traurige Berühmtheit: Eppstein-Vockenhausen (Freiherr-von-Stein-Schule, 1983), Eching und Freising (staatliche Wirtschaftsschule, 2002), Erfurt (Gutenberg-Gymnasium, 2002), Emsdetten (Geschwister-Scholl-Realschule, 2006), Würzburg (Kaufhaus am Barbarossaplatz, 2021, Berlin (Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, 2022), und jetzt schließlich auch Hamburg (Deelböge, Gemeindehaus der Zeugen Jehovas, 2023). Die Liste ließe sich problemlos verlängern. Die Namen sind nur allzu bekannt. Aus Medienberichten - und viel zu oft aus eigener bitterer Erfahrung - ist Bürger*innen der Bundesrepublik der Begriff 'Amoklauf' vertraut. Tatsächlich scheint es kaum Personen zu geben, die nicht eine recht dezidierte Meinung zum Thema 'Amok' besitzen. Aber landläufige Klischees führen im Regelfall in die Irre: So sind zum Beispiel Amokläufer*innen keineswegs unzurechnungsfähige, plan- und ziellos mordende Berserker-Typen, sondern oft genug Mehrfachmörder*innen, die ihre Anschläge präzise und langfristig vorbereitet haben - und keineswegs 'im Rausch' handeln. Die irrtümliche Interpretation der im Vollrausch handelnden Amokläufer*innen wurde bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sogar in renommierten Enzyklopädien vertreten. Denn: Der Ursprung des Begriffes 'Amok' ist wesentlich im malaiischen Kulturraum zu verorten. So bedeutet das malaiische Wort 'Amuk' in unserer Sprache so viel wie 'zornig', 'rasend oder auch 'blindwütig angreifen und töten'. Nun handeln Amokläufer*innen in unseren Breiten im Regelfall weder 'blindwütig', noch sind alle diese Täter*innen paranoid bzw. zum Tatzeitpunkt einem paranoiden Anfall ausgesetzt. Diese Tatsache wird anhand der nachstehenden Kurzbiografien und Fallbeschreibungen deutlich erkennbar sein. Immerhin finden sich in unserer Zeit zu diesem Thema zahlreiche fachwissenschaftliche Texte mit aktuell-solidem Erklärungsversuch. Diese dürfen nicht allein auf den akademisch-fachlichen Bereich begrenzt werden. Sie müssen allen interessierten Bürger*innen offenstehen, denn alle sind wir in unserer Sicherheit und Lebensqualität von diesen fatalen Gewalttaten betroffen.

Volker Mariak wurde in Hamburg geboren und ist dort aufgewachsen. Nach grafischer Lehre und zweijährigem Militärdienst, Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Abschluss: Diplom-Sozialwirt. In den Jahren 1976 bis 1981 Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg mit dem Abschluss Diplom-Soziologe. Promotion zum Dr. rer. pol. im Jahre 1986. Danach Studium der Kriminologie mit dem Abschluss Diplom-Kriminologe. Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und später Lehr- und Forschungstätigkeit an einem Sonderforschungsbereich der Universität Bremen. Nachfolgend Leiter der Forschungsdokumentation und Senior-Projektleiter in einem privatwirtschaftlichen Regional- und Stadtforschungsinstitut. Primäre fachliche Interessengebiete: Ethik, Tierschutz, Kriminologie.

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1. Vorwort „Sie alle ziehen ihres Weges fort – an ihr Geschäft - und meines ist der Mord!" Dieses Zitat aus dem berühmten Schiller-Drama „Wilhelm Tell“ (Friedrich Schiller: „Wilhelm Tell", 4. Akt, 3. Szene) charakterisiert zunächst recht gut die Gemütsverfassung der nachfolgend hier biografierten Gewalttäter. Es bestehen jedoch gravierende Unterschiede zwischen dem Tyrannenmörder Tell und den Amokläufer*innen verschiedenster Couleur, wenngleich Ihnen allen ein Mut der Verzweiflung sowie Zorn und Rachegelüste gemeinsam sind. 1. 1. Feindbild Gesellschaftssystem / konträre Gruppen Wo der Dichterfürst Schiller seinen fiktiven Wilhelm Tell gezielt gegen eine Person - den verhassten Landvogt Hermann Gessler - vorgehen lässt, haben wir bei dem nachstehend erörterten Personenkreis eine Täter-Gruppe vor Augen, die im Regelfall zahlreiche Unschuldige (Schüler*innen, Lehrkräfte, Passant*innen, Besucher*innen eines Weihnachtsmarktes, usw.) auf brutale Art schwer verletzt oder tötet. Diesen Tätern gemeinsam ist indirekt eine primäre Zielsetzung: Die Ausübung von „Terror“. Im „Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache“ (DWDS) heißt es zu diesem Begriff: „[…] gegen eine Gesellschaftsordnung, gegen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft gerichtete systematische Verbreitung von Furcht und Schrecken, besonders durch Gewaltakte, Morde mit dem Ziel, politische Ziele gewaltsam durchzusetzen" (URL DWDS) Diese Definition trifft bis auf eine Ausnahme (den Verwandten-Mord des Adrian S.) auf alle hier erörterten Täter und Amok-Lagen zu, wobei nicht stets präzise politisch- oder religiös-ideologische Ziele im Vordergrund stehen, sondern durchaus auch die diffuse Rache am gegebenen „Gesellschaftssystem" zu den Beweggründen gehört. Inwieweit der schweizerische Freiheitskämpfer Wilhelm Tell mit seiner Mordtat ebenfalls ein ideologisches Zeichen gegen die Tyrannei der Habsburger setzen wollte, bleibt im Dunkel der Legende. 1. 2. Notwehr oder Meuchelmord ? Bemerkenswert in Abgrenzung zu heutigen Amokläufer*innen ist der Schillersche Hinweis auf die Notwehr-Situation seines Helden: Tell ist nach Friedrich Schiller eben kein Mörder mit eventuell niedrigen Motiven wie zum Beispiel Rachsucht oder dem Hass auf Gessler und das Haus Habsburg. Und nicht einmal das „hehre" überindividuelle Motiv des Tyrannenmordes wird verteidigend benutzt: „Der Mord Tells an Gessler erhält durch diese seine persönliche Situation eine gewisse Rechtfertigung als Notwehr. Ohne Reue und ohne das Gefühl von Schuld verlässt er den Ort des Geschehens und auch als der Kaiser-Mörder Parricida um Tells Schutz bittet, weiß er seine Tat als Notwehr zu verteidigen, während er den Mord von Johann Parricida als ehrsüchtig enttarnt. Tells Mord ist kein Meuchelmord. Er zeigt sich nach dem Schuss als ehrlicher und offener Gegner und gibt sich dem sterbenden Gessler zu erkennen. Zu seiner Tat bekennt er sich offen.“ (URL Friedrich Schiller Archiv) Diese Begründungen treffen auf nachstehend erörterte Amokläufer scheinbar nicht zu: Aber handelt nicht auch so mancher dieser Gewalttäter aus (putativer) Notwehr im Schillerschen Sinne? Wenn Mobbing-Opfer langfristig ohne Hilfe bleiben, und ihren Leidensdruck beenden wollen, wenn Opfer eines absurden, existenzgefährdenden Behördenmarathons sich am Ende ihrer Geduld sehen und mit aufgestautem Zorn das „System" bekämpfen wollen, welches sie psychisch und physisch schädigt: Lassen sich da nicht Parallelen der Motivation finden? In der Charakterisierung des „Helden" heißt es, Tell sei kein Meuchelmörder, er habe den Tatort nach Gesslers Erschießung als ehrlicher, offener Gegner verlassen. Aber da scheint jemand den Begriff des Meuchelmordes zu verkennen: Dieser historische Rechtsbegriff verweist auf die vorsätzliche Tötung von Menschen, heimtückisch, hinterhältig. Kurz: Es ist der Überfall auf ahnungslose Opfer. Und genau das geschah in der „hohlen Gasse". Tells überraschtes Opfer hatte nicht die geringste Chance, sich gegen die Tötung durch den routinierten Schützen zur Wehr zu setzen. Wie Tell sich nach der Bluttat benahm, ist in dieser Hinsicht irrelevant. Tell war somit ebenfalls ein Meuchelmörder wie jeder Amokläufer bzw. jede Amokläuferin unserer Zeit – bei allem Verständnis für seine ultimative „Problemlösung“ gegenüber dem grausamen, bedrohlichen Landvogt. Bemerkenswert: Auch Amokläufer*innen stehen im Regelfall zu ihrer Tat, zeigen keine Reue und sind ohne Schuldgefühl. Sie begehen oftmals am Tatort den geplanten Suizid oder stellen sich sogar friedlich der Polizei (wie zum Beispiel Adrian S.). Nur in wenigen Fällen wird eine verdeckte Flucht versucht (wie zum Beispiel von Anis Amri). Immerhin: Wilhelm Tell selbst bezeichnet seine als Notwehr beschönigte Tat an anderer Textstelle des Dramas durchaus als „Mord". Die pathetischen, selbstgerechten Worte des Wilhelm Tell gegenüber dem „gewöhnlichen" Mörder Johann Parricida lassen also auf eine recht unsichere, entschuldigende Einschätzung der eigenen Handlungsweise schließen, wenngleich sie mit Blick auf die dichterische Freiheit, auf ästhetische Prämissen und das moralische „Kontrastieren" Schillers entschuldbar sind: „Verfluche dich und deine That – Gerächt Hab‘ ich die heilige Natur, die du Geschändet – Nichts theil' ich mit dir –Gemordet Hast du, ich hab‘ mein theuerstes vertheidigt." (Schiller, „Wilhelm Tell", 5. Akt, 2. Szene) Fazit: Für den Meuchelmörder Tell ist seine Tat letztlich ein Akt der Verteidigung. Aber genau diese Tatbewertung nehmen aus ihrer subjektiven, verquasten Sicht auch Amokläufer*innen für ihre Ultima Ratio in Anspruch. 1. 3. Senkung der Hemmschwelle durch Tiertötungen Bemerkenswert ist ein weiterer Punkt im Vergleich des Wilhelm Tell mit heutigen Mehrfachmörder*innen: Tell ist ein lang erfahrener, geübter Scharfschütze, der seine Treffsicherheit durch professionelles, leidenschaftliches Töten von Wildtieren erwarb (Schiller: „Willhelm Tell", 3. Akt, 1. Szene): „Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet; Rastlos muß ich ein flüchtig‘ Ziel verfolgen. Dann erst genieße ich meines Lebens recht, Wenn ich mir das jeden Tag aufs neu‘ erbeutete.“ In den Biografien zu Serienmörder*innen und Amokläufer*innen findet man fast regelmäßig den Hinweis auf notorische Tiertötung und Tierquälerei: Ein Beispiel: Der berüchtigte Mehrfachmörder und ausgebildete Jäger Frank Gust, welcher auf die Frage, wieviel Tiere er im Zeitablauf getötet habe, offen antwortet: „Groß- und Kleintiere zusammengerechnet wohl etliche hundert Tiere. So in die unteren Tausend reingehend." (Klages, 2017, S. 121). In ihrem Vorwort zu den Gust-Interviews von Petra Klages greift Dr. Nicolette Bohn die Fall-Informationen auf und bemerkt: „[…] zunächst tötete und quälte Frank Gust kleinere Tiere wie Mäuse, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen. Dann wurden größere Tiere wie Schafe, Rinder und Pferde zu seinen Opfern. Frank Gust übte und verfeinerte seine späteren Tötungsmuster an Tieren.“ (Vorwort Nicolette Bohn in: Klages, 2017, S. 10) Ihr Fazit und ebenfalls das von Petra Klages: Hätte man diese Signale bemerkt und Gust entsprechend frühzeitig therapiert, wäre er wohl nie in dieser Form zum Täter geworden (Vorwort Nicolette Bohn in: Klages, 2017, S. 10). Mit direktem Bezug auf das Phänomen Amokläufe sei hier als zweites Beispiel der Mehrfachmörder Martin Peyerl genannt, der die Mordtaten von Bad Reichenhall (am 01. 11. 1999) zu verantworten hatte und nach dem Amoklauf Suizid beging. Peyerl war von seinem Vater, einem engagierten Sportschützen und Schusswaffensammler, bei gemeinsamen Schießübungen an der Waffe ausgebildet worden. Peyerl geriet derart zu einem „begeisterten Pistolen-Enthusiasten" (Eisermann, 2001, S. 39). Als der „Pappkamerad" (Zielscheibe mit einem aufgemalten Menschen) in der Garage des Vaters nicht mehr den nötigen Kick bot, ging Peyerl in das nahe Waldgebiet und schoss dort auf Vögel und wohl auch auf kleine, am Boden lebende Wildtiere. In einer der zahlreichen amerikanischen Studien zum Thema „Animal Abuse and Violent Criminal Behavior" kommt das Forschungsteam zu folgendem Fazit: „The deadly violence that has occurred in schools in recent years has, in most cases, begun with cruelty to animals. […] Many of the school shooters committed acts of animal cruelty before turning their aggression on classmates, teachers, and...



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