E-Book, Deutsch, 94 Seiten
Marks Fenster nach Sarajevo und Magdeburg
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-74303-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Lebensgeschichten von Frauen. Eine Spurensuche anlässlich des Jubiläums 45 Jahre Städtepartnerschaft Sarajevo und Magdeburg
E-Book, Deutsch, 94 Seiten
ISBN: 978-3-347-74303-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Lebensgeschichten von Frauen im 20. und 21. Jahrhundert in Zusammenhang mit Krieg, Flucht, Exil... spielen eine Rolle in diesem Buch. Es werden Frauen- und Männerstimmen aus Sarajevo eingefangen, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, und aus Magdeburg, der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. Diese beiden Städte sind seit dem 29. September 1977 Partnerstädte. Anlässlich dieses Jubiläums hat die Autorin Cornelia Marks Frauen in Sarajevo und Magdeburg interviewt und erstaunliche Brücken entdeckt, und vielleicht auch ein paar neu erbaut. Die intensiven Gespräche ergaben, dass es Verbindungen zwischen einigen Menschen von dort und hier gibt. Einige hatten sich, als bosnische Flüchtlinge zu uns kamen, in Sachsen-Anhalt kennengelernt, angefreundet, und deren Freundschaft und Verbundenheit hält bis heute an. Andere Freundschaften existieren seit über fünfzehn Jahren zwischen Schrifsteller*innen aus Bosnien und Herzegowina und Sachsen-Anhalt. Sie sind noch immer lebendig und leuchten im vorliegenden Buch in Texten und Bildern auf. Mehrere Gedichte und ein Essay von drei der bedeutendsten Lyriker*innen aus Bosnien und Herzegowina, Adisa Ba?i?, Mile Stoji? und Faruk ?ehi?, erzählen von diesen schönen, kreativen Beziehungen. Dazu gibt es Fotos zu sehen, die Sarajevo zeigen und auch manche Erzählungen und Lebensberichte veranschaulichen. C. Marks hat außerdem die Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Magdeburg, Heike Ponitka, und zwei bei der Stadt Magdeburg angestellte Mitarbeiterinnen interviewt, die interessante Dinge zu erzählen wissen. Unter anderem berichten sie von etlichen Aktionen in Bezug auf 45 Jahre Städtepartnerschaft mit Sarajevo. Sarajevo war im damaligen Bosnienkrieg von April 1992 bis zum Februar 1996 von serbischen Angreifern belagert, es war eine schreckliche Tragödie. Während dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge etwa 11.000 Menschen, darunter 1.600 Kinder, getötet und 56.000 verletzt, zum Teil schwer. Und Magdeburg war in seiner ganz anders gearteten Geschichte vielleicht in gewisser Weise trotzdem auch eine verwundete Stadt, obwohl Vergleiche unmöglich sind. Magdeburg ist zwei Mal fast völlig in Flammen aufgegangen - im Dreißigjährigen Krieg und 1945, als der von Nazideutschland angezettelte Krieg mit den alliierten Bombern quasi zurückkam und viele deutsche Städte in Schutt und Asche legte, so auch Magdeburg. Dieses Buch stellt ein Stück Zeitgeschichte dar. Es beleuchtet vor allem das 20. Jahrhundert, doch auch den Beginn des einundzwanzigsten. Es ist ein Buch gegen Krieg - gegen alle Kriege - und besonders den Frauen und Kindern gewidmet, die meist die Hauptleidtragenden in einem solchen Konflikt sind. Leider ist all das gerade in der Ukraine wieder traurige Realität. Wer hätte erwartet, dass ein solch brutaler neuer Krieg noch einmal möglich wäre, mitten in Europa? Insofern lässt sich das, wovon mehrere Frauen im vorliegenden Buch erzählen, von ihrem Kriegstrauma, z.B. wenn Adisa Ba?i? aus Sarajevo über ihre Teenager-Zeit im belagerten, von Granaten zerstörten Sarajevo dichtet - auf die Ukraine und auf alle anderen heutigen Kriegsgebiete übertragen. Denn die Erfahrungen, das Leid der Zivilbevölkerung, insbesondere der Frauen und Kinder, wiederholen sich. Es ist in allen Kriegen das Gleiche: Da gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer... Eine 94jährige Magdeburger Zeitzeugin erzählt vom Zweiten Weltkrieg und danach, und sie schildert auch beeindruckend die schlimmste Bombennacht 1945, die für sie ein Trauma war. Sie berichtet von ihrem Vater, der im Zweiten Weltkrieg in der Fabrik, in der er arbeitete, mutig Zwangsarbeitern half und deshalb von der Gestapo gefangen genommen, verhört, gefoltert und umgebracht wurde.
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Emina Dubravic: Ein Ballettsaal für Sarajevoer Musikschüler, mitten im Krieg
Es ist ein heißer Tag im Mai 2022 in Sarajevo, und auf dem Dach eines Hotels in der Altstadt treffe ich mich mit Emina Dubravic. Wegen der Autogeräusche und des wunderbaren Quietschens der Straßenbahn gingen wir dann doch hinein und setzten uns in die gemütliche Lobby, wo wir uns in Ruhe unterhalten und an Mineralwasser laben konnten, und wo ich vor allem das Interview mit meinem Rekorder im Handy aufzeichnen konnte. Ich spürte sofort, dass ich eine starke Frau vor mir hatte, die viel durchmachen musste, aber nie den Mut verlor. Als der Krieg im April 1992 in Sarajevo began, brachte E. Dubravic ihren Sohn Amer (*27.04.1992) zur Welt. Ihr Schicksal war sehr tragisch, denn ihr Mann wurde im Krieg von Scharfschützen in Sarajevo erschossen. Von nun an musste sie allein in den Wirren des Krieges für ihren kleinen Sohn da sein, woher nahm sie den nötigen Mut und die Zuversicht, um dieses Schicksal zu ertragen und die schwerste Zeit ihres Lebens irgendwie zu überstehen? Ihr Sohn, aber auch die Musik haben ihr stets Kraft im Leben gegeben. Sie war früher die Direktorin der Musikschule in Sarajevo, wechselte jedoch noch einmal ihren Beruf und arbeitete dann etwas völlig Anderes, was bewundernswert ist: als Ministerin für Arbeit, Sozialpolitik, Vertriebene und Flüchtlinge des Sarajevo-Kantons. Ihr Herz schlägt jedoch weiterhin leidenschaftlich für die Musik und sie und ihr Sohn sind musikalisch in einem Verein (RKUD “Proleter” Sarajevo) sehr aktiv.
Liebe Emina Dubravic, aus Magdeburg erfuhr ich, (u.a. aus Erzählungen von Frank Satzky, dem Leiter des Magdeburger Knabenchors), dass Sie während der Belagerung Sarajevos die Musikschule geleitet und für Ihre Schüler trotz des schrecklichen Krieges einen Balletsaal errichten lassen haben. Als ich von Ihrer Geschichte und Ihrem Engagement hörte, war ich tief berührt. Würden Sie mir erzählen, wie Sie es geschafft haben, etwas so Schönes, Bedeutsames für die Kinder unter solch unvorstellbar schwegen Bedingungen zu leisten?
Und E. Dubravic beginnt, in erstaunlicher Bescheidenheit, Ruhe, Festigkeit, beinahe Sachlichkeit zu erzählen:
„Ich habe 1994, mitten im Krieg, als Direktorin die Musikschule Sarajevo übernommen. Die Schule war während der gesamten Kriegszeit von 1992 bis 1995 geöffnet.
Leider sind in den Wirren des Krieges viele Instrumente verschwunden. Vor dem Krieg war es so: Die Kinder bekamen jeweils ein Instrument am Anfang des Schuljahres und sie nahmen es als Leihinstrument zum Üben mit nach Hause. Als der Krieg im April 1992 in Sarajevo begann, war es mitten im Schuljahr, und sehr viele Familien flohen ins Ausland… Übrig blieben nur die Klaviere und einige Instrumente, die sich immer in der Schule befanden.
Unser Ballett hatte nie einen eigenen Saal. Es probte immer im Nationaltheater. Als ich 1994 die Schule übernahm, stellte ich fest, dass es zu Problemen kam, weil die Schülerinnen und Schüler mit den professionellen Ensembles probten und sie sich daher schon als Profis fühlten. So verschwamm die Grenze zwischen dem Lernen in einer Schule und dem professionellen Tanz. Die Kinder hatten das Empfinden, dass sie nichts mehr zu lernen brauchten, dass sie fertig ausgebildete Balletttänzerinnen und -tänzer waren. Aber das war nicht normal, so konnte es nicht weitergehen, sagte ich zu mir selbst, und beschloss, die Proben im Nationaltheater abzubrechen. Wir brauchten einen Ballettsaal in der Musikschule, die jedoch ein Haus mit sehr kleinen Räumen ist. Das größte unter all den kleinen Klassenzimmern wählte ich schließlich aus und traf die Entscheidung, es zu renovieren und als Ballettsaal einzurichten. Die Renovierung begann Ende 1994 und dauerte sehr lange, das ganze Jahr 1995 hindurch, bis nach dem Krieg, 1996. Es gab keine Materialien, es fehlte an allem, aber alles wurde wenigstens vorbereitet und soweit arrangiert, wie es in dem Moment möglich war. Erst nach dem Krieg bekamen wir endlich die Materialien, die wir brauchten, und wir konnten zum Beispiel die Ballett-Stangen aus Holz aufbauen. Wir hatten bis dahin keine Spiegel. Erst als der Krieg vorbei war, konnten wir Spiegel anbringen und die Folien von den Fenstern abnehmen. Das heißt, wir haben im Krieg die Arbeiten am Ballettsaal mehr oder weniger vorbereitet, aber er wurde erst nach Ende des Krieges fertiggestellt. Bis heute tanzen die Ballettschülerinnen und –schüler in unserem Saal. Hier lernen sie, und wenn sie Proben außerhalb der Schule haben, in Theatern, mit den Ensembles, dann ist das etwas Besonders, weil die Kinder dort mehr Platz haben. Es ist eine Art Praxis für die Kinder, eine zusätzliche Möglichkeit des Ausprobierens, aber die Ballettausbildung an sich findet in der Musikschule statt und wird auch dort abgeschlossen.
„Neben dem Ballettsaal war es mir in der relativ kurzen Periode als Direktorin gelungen, sehr viele Instrumente zu besorgen, dank zahlreicher helfender Menschen, die Anteil am Schicksal unserer Schule nahmen.“
Woher kamen all diese Instrumente?
„Sie kamen aus ganz Europa. Dazu kann ich eine Geschichte erzählen: Eines Tages begegnete ich rein zufällig zwei jungen Männern, die spontan unsere Schule besuchten, weil sie auf der Straße Musik hörten, die aus unserem Gebäude erklang. Sie traten ein, interessierten sich für unsere Arbeit und fragten erstaunt, wie es sein konnte, dass hier drinnen Musik gespielt wurde, während draußen immer noch Kriegsaktionen zu hören waren. Es überraschte sie, dass die Schule in dieser schlimmen Zeit geöffnet blieb. Und es stellte sich heraus, dass die beiden jungen Männer Musikproduzenten aus Bologne waren! Sie beschlossen, der Schule zu helfen und eine CD herauszubringen.“
Können Sie mehr über diese CD sagen, und inwiefern gelang damit eine Unterstützung für die Schule?
„Diese CD war eine Hommage an den italienischen Domenico Modugno. Seine Lieder wurden von italienischen Sängerinnen und Sängern gesungen. Hauptsächlich war es klassische Musik. Die CD hieß NOTTE I LUNA. Dazu gehörte ein Heftchen, worin unter der Überschrift MUSIK FÜR SARAJEVO erklärt wurde, dass der Erlös für den CD-Verkauf an die Musikschule in Sarajevo gehen sollte, um uns zu helfen. Irgendwann war eine größere Summe zusammengekommen und die Zusammenarbeit mit den beiden Musikproduzenten aus Bologne fand einen schönen Abschluss. Sie meldeten sich bei uns, fragten, wie das gesammelte Geld zu uns gelangen könnte, und wir freuten uns sehr und beschlossen, von dem Geld Akkordeons für die Kinder zu kaufen. Als wir in die Akkordeon-Fabrik kamen und die Geschichte von der CD erzählten, da wollten sie uns ebenfalls helfen: Sie gaben uns zwei Akkordeons zum Preis für eins. Das war tatsächlich eine großartige Unterstützung für uns, denn ein Akkordeon war sehr teuer, es kostete 8000 Euro, und nun bekamen wir für denselben Preis zwei Stück. Mit unseren neuen Akkordeons probten wir dann und reisten nach dem Krieg sogar zu Aufnahmen nach Frankreich. Sehr gut arbeiteten wir beispielsweise mit der Stadt Albertville in Frankreich zusammen. Wir hatten etwas gemeinsam: So wie Sarajevo, ist auch Albertville eine Olympiastadt. Dort gaben sie uns viele Instrumente, darunter einige Blasinstrumente. So sammelten und kauften wir seit dem Krieg, bis ungefähr 2007, allmählich – oder bekamen geschenkt - immer mehr neue Instrumente, ungefähr im Wert von 450.000 Euro. Und 2004 schenkte uns eine Delegation aus Ihrer Stadt Magdeburg mehrere Violinen, ich glaube zwei oder drei, ich kann mich jetzt an die genaue Zahl nicht mehr erinnern. Wir verdankten es dem Engagement von Frank Satzky. Diese Violinen sind heute noch in unserer Schule und die Kinder spielen darauf. Wir haben auch Schülerinnen und Schüler, die sehr talentiert sind, aber aus armen Verhältnissen kommen und sich kein eigenes Instrument leisten können. Gerade für sie ist es wichtig, dass sie von uns ein Leihinstrument bekommen, auf dem sie üben dürfen.“
Sind Sie in der Zeit des Krieges, seit Sie 1994 die Schule als Direktorin übernommen haben, trotz Lebensgefahr oft in die Musikschule gegangen, um zu arbeiten?
„Ja, jeden Tag. Die Schule war an keinem Tag geschlossen. Ich bin jeden Tag zur Musikschule gelaufen, siebeneinhalb Kilometer zu Fuß von zuhause bis zur Schule und nachmittags die gleiche Strecke wieder zurück. Es ging nur zu Fuß, etwas anderes war unmöglich, denn es fuhr keine Straßenbahn, es hat überhaupt nichts mehr funktioniert. Und von allen Seiten wurde geschossen, oh. Der Weg war ganz und gar nicht sicher. Am schlimmsten war es für mich, wenn ich mich morgens von meiner Familie, von meinen Eltern und meinem kleinen Kind, verabschiedete, dass ich nicht wissen konnte, ob wir uns abends wiedersehen würden. Es konnte ja alles Mögliche passieren.“
Sie sind jeden Tag diesen gefährlichen und weiten Weg gelaufen… Und die Kinder…?!
„Die Kinder sind nicht immer in die Musikschule gekommen, manchmal...




