E-Book, Deutsch, 262 Seiten
Marsiske Wie ich den Frieden fand
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-5650-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Bekennerschreiben aus dem Dreißigjährigen Krieg
E-Book, Deutsch, 262 Seiten
ISBN: 978-3-7583-5650-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Leben in Frieden -- das ist eine ganz neue Erfahrung für den jungen Caspar, den es auf der Flucht vor Kriegsgräueln und Hexenjägern nach Nordamerika verschlagen hat. In dem Medizinmann Hokahey hat der alchemistisch gebildete Waisenjunge zudem einen Seelenverwandten und guten Freund gefunden. Doch die Idylle ist nicht von Dauer: Als die Zerstörungswut des Dreißigjährige Krieges auch den amerikanischen Kontinent erreicht, beschließen die beiden, ihr Wissen aus zwei Welten zu vereinen, um den Vormarsch der Europäer zu stoppen...
Hans-Arthur Marsiske ist Journalist und Autor von Sachbüchern und Romanen. 1989 wurde er am Institut für Sozial- und Wirtschafts-geschichte der Universität Hamburg zum Dr. phil. promoviert und hat seitdem als freier Autor vornehmlich für die Ressorts Kultur, Wissenschaft und Technik gearbeitet. Sein Science-Fiction-Roman "Die letzte Crew des Wandersterns "erschien 2019 im Hinstorff-Verlag. "Wie ich den Frieden fand" ist sein erster historischer Roman.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Hochverehrter Leser!
Ist das die richtige, Euch angemessene Anrede? Verzeiht mir bitte, wenn meine Worte Euch roh und ungeschliffen erscheinen mögen. Ich bin nur ein einfacher Mann und mit den Feinheiten des Umgangs unter Menschen von Bildung und hohem Stand nicht vertraut. Und ich habe diese Schrift zuerst ja auch gar nicht an Euch oder sonst irgend jemanden richten wollen, sondern sie für mich selbst begonnen. Die Geschehnisse, von denen ich hier berichten will, hatten mich zuletzt so aufgewühlt, dass ich mir sehnlichst jemand wünschte, mit dem ich in meiner Sprache über den Wirrwarr an Gedanken und Gefühlen in mir hätte sprechen können. Da schlug Hokahey vor, mir selbst einen Gesprächspartner zu schaffen. Ich könne die Worte von meiner Zunge lösen und ihnen ein eigenes, unabhängiges Dasein verschaffen, meinte er. Wäre das nicht ganz so, als würden sie mir gegenübertreten, wie von einem anderen gesprochen? Werter Leser, Ihr sollt sogleich erfahren, wer sich hinter dem seltsam klingenden Namen verbirgt, könnt aber an diesem Ratschlag schon erkennen, wie klug Hokahey ist. Obwohl er selbst nicht lesen und schreiben kann, hat er die Macht der Schriftzeichen genau verstanden: Schon bald, nachdem ich die ersten Worte aufgeschrieben hatte und sie deutlich lesbar vor mir auf dem Blatt standen, lichtete sich auch der Nebel in meinem Kopf und mir wurde rasch klar, was zu tun war. Dazu gehört, dass ich meine Gedanken nicht für mich behalten darf, sondern Euch, werter Leser, mit einbeziehen muss. Denn wenn im kommenden Frühjahr alles geschehen sein wird, werde ich nicht mehr da sein, um es Euch zu erklären. So will ich also den Winter nutzen, um aufzuschreiben, wie es dazu gekommen ist. Ich will nicht verschweigen, dass ich mich ein wenig davor fürchte. Ich fürchte mich vor hässlichen Dingen, die mir gegenübertreten könnten, wenn ich sie aus meinem Geist hervor hole und in geschriebene Worte verwandle. Und noch mehr fürchte ich mich davor, was mit den Worten geschehen mag, wenn sie einmal von mir getrennt sind und ihr eigenes Leben führen. Ist es nicht eine Quelle des Übels, dass wir Weißen, die wir über den gewaltigen Ozean hierher gekommen sind, so viel von unserem Körper abtrennen, die Sprache ebenso wie die Kraft, mit der wir Berge aushöhlen und unsere Feinde bekämpfen? Vielleicht steckt das Böse in den Buchstaben selbst, sodass wir es weiter tragen, ohne es zu wollen, wenn wir sie benutzen? Hokahey glaubt nicht, dass die Zeichen selbst böse sind. Erst wenn sie zusammenkommen, sich miteinander verbinden, erwachse daraus Böses oder Gutes, Lustiges oder Trauriges, Klarheit oder Verwirrung, sagt er. Es sei wie mit Worten, Klängen oder Bildern. Sie können uns erschrecken, erfreuen, Wut entfachen oder besänftigen, je nachdem wie sie zusammengefügt werden. Für die Wirkung seien nicht die Zeichen verantwortlich, sondern der Erzähler, der sie benutzt. Sicher verleihe es den weißen Männern große Macht, ihre Worte dauerhaft festhalten zu können. Doch diese Macht könne ebenso Gutes bewirken wie Schlechtes. Ich hoffe, dass er recht hat und meine Schrift ebenso wie die Taten, von denen sie erzählt, am Ende Gutes bewirken – oder doch zumindest mehr Gutes als Schlechtes. Nun wäre es wohl schicklich, an dieser Stelle mitzuteilen, wann und wo all dies aufgeschrieben wurde. Allein, da ist immer noch so viel Verwirrung wegen der zehn Tage, um die sich die Kirchenleute schon so lange streiten. Daher weiß ich nur so viel: Es ist ein warmer Herbsttag, vielleicht der letzte in diesem Jahr, an dem ich diese ersten Worte auf Birkenrinde festhalte. Für die kaisertreuen Katholischen mag es schon November sein, für die Reformierten vielleicht noch Oktober. Selbst beim Jahr bin ich mir nicht sicher. Schreiben wir noch 1639 oder schon 1640? Oder womöglich schon 1641? Ihr mögt Euch vielleicht wundern, verehrter Leser, aber hier im Dorfe Kachnawage am Ufer des Flusses Teionontatátie, den die Niederländer Maquaas Kill nennen, haben diese Zahlen keine Bedeutung. Und seit ich hier lebe, habe daher auch ich aufgehört, die Jahre zu zählen. Das Jahr, in dem ich in der Neuen Welt ankam und Hokahey zum ersten Mal begegnete, weiß ich aber noch. Es war an einem sonnigen Tag im Spätfrühling des Jahres 1635, als unser Schiff De Vliegende Vis Fort Oranje erreichte. Der niederländische Handelsposten liegt nicht weit von hier nahe der Mündung des Teionontatátie in den mächtigen Strom des Skahnéhtati, der bei den Niederländern Grote Rivier heißt. Ich sehnte mich danach, nach der langen Zeit auf dem engen, ständig schwankenden Schiff endlich festen Boden zu betreten. Dann sah ich, wie winzig die Siedlung war. Eine Handvoll Leute lebte dort in einfachen Hütten, geschützt durch eine starke, hohe Palisade aus angespitzten Baumstämmen. Als ich das Schiff verließ und durch das Tor schritt, hatte ich das Gefühl, von einem Kerker in den anderen zu wechseln. Gut, das neue Gefängnis war immerhin trocken und schaukelte nicht. Aber ich konnte um mich herum keine Wände mehr ertragen. Ich wollte kräftig ausschreiten, statt ständig nur wenige Schritte hin und her laufen zu können. Ich wollte den Hügel besteigen, den ich bei der Anfahrt gesehen hatte, und von dort aus die Umgebung betrachten, wollte endlich wieder Wälder und Wiesen sehen statt immer nur Wasser und Wellen. So lief ich also, kaum dass ich das Fort durch das flusswärts gelegene Tor betreten hatte, schnurstracks durch das gegenüber liegende Tor wieder hinaus. Auch die eindringlichen Warnungen, bloß nicht die schützende Umzäunung zu verlassen, konnten mich nicht davon abhalten. Geht nicht allein in den Wald, so hatte es schon während der Überfahrt immer wieder geheißen, wenn mit ängstlich flüsternden Stimmen von den Wilden erzählt wurde, die dort lauerten, den Grausamsten der Grausamen. Bevor Ihr ihnen in die Hände fallt, tötet Euch lieber selbst mit eurer letzten Kugel oder, wenn es nicht anders geht, schlitzt Euch selbst die Kehle auf. Das ist immer noch besser, als ihr Gefangener zu werden. Denn dann wird Euer Sterben lange dauern. Tagelang werden sie Euch martern, Ihr werdet das Ende herbei sehnen, aber sie werden Euch nicht gehen lassen, sondern gerade genug Leben in Euch lassen, dass Ihr leiden könnt. Ihr werdet darum flehen, in die Hölle eingelassen zu werden, nur um diesen Qualen zu entkommen. So ungefähr redeten jetzt auch die Bewohner von Fort Oranje auf mich ein, als sie mich zielstrebig auf das Tor zuschreiten sahen, und heute weiß ich, dass ihre Geschichten kaum übertrieben waren. Aber Ihr müsst wissen, geschätzter Leser, ich bin aus dem Böhmischen. Ich bin im Wald groß geworden und habe dort schon als kleines Kind viel Schlimmes gesehen. Es war damals so viel Mord und Meuchel in unserem Land, dass ich es mir bis heute nicht schlimmer vorstellen kann. Und so habe ich früh gelernt, mich zwischen Bäumen, Gras und Sträuchern unsichtbar zu machen und den gewalttätigen Horden, die allenthalben durch die Gegend zogen, aus dem Wege zu gehen. So gedachte ich es auch in den Wäldern der Neuen Welt zu halten. Denn auch das wurde erzählt: Es sollten dort die merkwürdigsten Pflanzen und Pilze wachsen, manche mit magischen Kräften. Die wollte ich finden, wollte die Stimmen der Vögel und anderer Tiere hören, ihre Witterung aufnehmen. Doch was ich fand, war Hokahey. Oder, nein – eigentlich fand er mich. Er stellte sich nicht gleich mit seinem Namen vor, sondern war auf einmal einfach da. Von einem Augenblick auf den anderen. Stand da, mitten auf einer Lichtung, rührte sich nicht, schaute mich nur an. Ich hätte wohl erschrecken sollen. Sein Anblick hätte durchaus Anlass dafür geboten. Dunkle Streifen auf seinem Gesicht gaben ihm das Aussehen einer Raubkatze. Sein Kopf war kahl bis auf ein Büschel schwarzer Haare, die, zu einem Zopf geflochten, den Hinterkopf wie ein Pferdeschweif schmückten. Er trug keine Kleidung außer einer Art Gürtel, an dem verschiedene Beutel hingen wie auch ein kleines Ledertuch, das sein Gemächt verdeckte. In der rechten Hand hielt er einen Speer, der ihn um eine Kopflänge überragte. Quer über die Brust trug er einen Bogen, auf dem Rücken einen Köcher mit Pfeilen. Stolz und kräftig stand er da, ein Krieger. Seine Erscheinung ängstigte mich jedoch nicht, sondern weckte vielmehr meine Neugier. Ich fragte mich, wo er so plötzlich herkam. Wie hatte er das gemacht? Da war kein Gebüsch in der Nähe, in dem er sich vorher versteckt haben konnte, das Gras war viel zu flach, um Deckung zu bieten. Und ich hatte meine Umgebung ständig im Auge gehabt. Es konnte nur ein winzig kleiner Moment gewesen sein, den ich nicht hingesehen hatte, viel zu kurz, um sich unbemerkt auf diesen moosbewachsenen Felsen zu stellen. War das Zauberei? Auf dem Schiff hatte ich viele Geschichten gehört, die von den geheimnisvollen Zauberkräften der Wilden erzählten, hatte ihnen aber bisher wenig Glauben geschenkt. Ich überlegte. Wohin hatte ich geschaut, bevor ich ihn entdeckte? Ich hatte mir...




