E-Book, Deutsch, Band 28, 146 Seiten, E-Book
Reihe: Geist und Wissen
Mattarucco Mussolini und seine Zeit
1. Erstauflage 2017
ISBN: 978-3-86935-317-3
Verlag: Steve-Holger Ludwig
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Betrachtungen über den italienischen Faschismus
E-Book, Deutsch, Band 28, 146 Seiten, E-Book
Reihe: Geist und Wissen
ISBN: 978-3-86935-317-3
Verlag: Steve-Holger Ludwig
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Tomaso Mattarucco, geboren 1977, studierte in Italien und Deutschland und ist staatlich geprüfter Übersetzer; Forschungen und Publikationen zum Faschismus. Er unterrichtet am Hans-Furler-Gymnasium in Oberkirch.
Autoren/Hrsg.
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Tomaso Mattarucco
Mussolini und seine Zeit
Betrachtungen über den italienischen Faschismus
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www.verlag-ludwig.de
ISBN: 978-3-86935-317-3
ISBN der Printausgabe: 978-3-86935-297-8
Einleitung
Wenige Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts haben die Geschichte nicht nur Italiens, sondern auch Europas dermaßen geprägt und mitgestaltet wie Benito Mussolini. Wenige Persönlichkeiten wurden so verehrt und mythisiert und später so gehasst und dämonisiert wie der italienische Diktator.
Dieses Buch verfolgt das freilich ehrgeizige Ziel, einige Aspekte des Lebens von Mussolini zu beleuchten und kritisch zu analysieren. Hierzu werden die neuesten Ergebnisse der Forschung herangezogen, um ein unvoreingenommenes Bild jener politischen Bewegung zu zeichnen, die sich an einer Philosophie der Aktion orientierte, um ein verarmtes und anachronistisches Italien erst umzuwandeln und dann in ein neues, faschistisches Europa zu katapultieren.
Das vorliegende Buch ist das Ergebnis langjähriger Recherchen und eines komparativen Studiums der Fachliteratur über das Phänomen des Faschismus. Es ist jedoch zugleich eine Arbeit, die aufgrund Mangel an zuverlässigen Quellen einige Fragen unbeantwortet lassen muss. Besonders viel Raum wird der komplexen Persönlichkeit Mussolinis eingeräumt, seiner psychologischen Entwicklung und dem Verhältnis zu Hitler. Dies gilt auch für den historischen Hintergrund jener Zeit. Grundsätzlich versteht sich diese Arbeit als Einführung in die Thematik . Dabei werden einige Aspekte ausgeblendet; zum Beispiel die Darstellung der Persönlichkeit und der Rolle der Berater Mussolinis und der Faschisten der ersten Stunde. Es ist folglich nicht das Ziel, die Biografie Mussolinis vollständig, lückenlos und detailreich zu rekonstruieren, sondern einige ihrer weniger bekannten Aspekte kritisch zu analysieren. Folglich erhebt dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es begnügt sich mit der Interpretation von Fakten, die Spezialisten durchaus bekannt sind, im deutschen Sprachraum jedoch nur unzureichend wahrgenommen wurden.
In Italien werden seit vielen Jahren exzellente Werke über den italienischen Faschismus publiziert. Der Faschismus-Experte Renzo De Felice (1929–1996) hat beispielsweise eine monumentale Biografie veröffentlicht, die aus acht Bänden besteht und praktisch alle Aspekte Mussolinis beleuchtet. Warum sollte es also notwendig sein, ein neues Buch über den Diktator zu verfassen? Persönliche Erfahrungen haben gezeigt, wie wenig man in Deutschland jenseits der Fachwissenschaft über Mussolini weiß, der oft einfach als gefährlicher Psychopath abgestempelt wird, und wie oberflächlich die Kenntnisse über seine psychologische und politische Entwicklung sind. Das vorliegende Buch wendet sich an Fachstudierende und geschichtlich Interessierte; es möchte einige Facetten des Faschismus aufhellen und eine Persönlichkeit erklären, die zwar in die Geschichte eingegangen ist, die jedoch weiterhin beunruhigt und zahlreiche Rätsel aufgibt.
Mahatma Gandhi (1869–1948) sagte einmal: »Ich bin unglücklicherweise kein Übermensch wie Mussolini.« Die Faszination, die dieser Mann ausübte, kann man sich heute, wo man sich vergleichbarer Tyrannen mit Mühe entledigt hat, kaum realistisch vorstellen. Nach der Meinung des deutschen Journalisten und Schriftstellers jüdischer Abstammung Emil Ludwig (1881–1948) war er beispielsweise ein großer Staatsmann. Mussolini gründete eine politische Bewegung, die sich primär nicht durch die freilich zentrale Rolle der Gewalt, sondern, wie der Historiker Arrigo Petacco (*1929) schreibt, durch den ungenierten und taktisch versierten Pragmatismus ihres Führers auszeichnete. Während sich Revolutionäre und Erneuerer wie Stalin, Hitler und zum Beispiel später Pol Pot statisch und monolithisch einer präkonstruierten Ideologie bedienten und unfähig waren, sich außerhalb dieses prädefinierten politischen Rahmens zu bewegen, betrieb Mussolini eine an die vorhandene Kontingenz anpassungsfähige Politik, die sogar in die Lage versetzt wurde, sich selber zu negieren und mit Bravour zu überwinden.1 Die politischen Ziele Mussolinis wurden mit Härte und Rücksichtslosigkeit verfolgt und durchgesetzt, jedoch wäre es falsch, diese als vorgefertigt und einer bestimmten Ideologie zugehörend zu betrachten. Nur auf diese Art und Weise konnte sich Mussolini so lange behaupten und die vielen Krisen überwinden, die im Laufe der Geschichte der Bewegung deren innere Stabilität gefährdeten.
Mussolini instrumentalisierte in der Anfangsphase seines Aufstiegs die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene historische Konstellation und die damit einhergehende Unzufriedenheit zu seinen Zwecken. Die Auflösung der vier großen Reiche – dem osmanischen, dem russischen, dem habsburgischen und dem deutschen (das jedoch formell, in Form der Weimarer Republik, weiter bestand) – hinterließ im damaligen Europa eine politische Lücke, die zu einer bemerkenswerten Krise des Parlamentarismus führte und das Aufkommen totalitärer Entwicklungen stark begünstigte. Europa wurde von einer dermaßen destabilisierenden Nachkriegszeit erschüttert, dass die Gefahr des Kommunismus und damit des Endes der Zivilisation mehr als ein bloßes Hirngespinst war.2 Ehemalige Frontkämpfer und , Verstümmelte, Industrielle, Politiker, fast alle gesellschaftlichen Kategorien also, sahen sich der Gefahr eines kommunistischen Vormarsches ausgesetzt. Italienische Kommunisten drohten, die immensen Probleme des Landes »auf sowjetische Art« zu lösen, plädierten für die Abschaffung des Privateigentums und scheuten nicht vor Gewaltanwendung zurück. Die beiden Jahre unmittelbar nach dem Krieg – 1919/20 – wurden als »die roten Jahre« () bezeichnet, in denen eine linksgerichtete Gewaltwelle das Land erschütterte und die traditionelle, auf religiöser und weltlicher Autorität basierende Ordnung in Frage stellte. Mussolini präsentierte sich insofern als der Heilsbringer, als der Nation, als er die Überwindung eines ebenso reaktionären wie starren Kapitalismus und des bolschewistischen Kommunismus in Form eines sozialen Kompromisses anstrebte und den damals sogenannten »dritten Weg« als wichtigstes Ziel seiner Politik proklamierte. Er gründete eine politische Bewegung, deren Programm derart vage und unpräzise war, dass sich das Identifikationspotenzial für Nationalisten, ehemalige Irredentisten und Linksorientierte als überraschend groß erwies. Zweifelsohne ist der Faschismus als europäisches Phänomen ohne Mussolini undenkbar. Der Diktator prägte und formte eine sich an stark symbolhaften und heidnischen Ritualen orientierende Bewegung, welche vor allem Jugendliche in ihren Bann zu ziehen vermochte, nicht zuletzt aufgrund ihrer meritokratischen Grundsätze und erneuernden Zielsetzung. Bis zum Ausbruch des Krieges konnte Mussolini auf einen weit verbreiteten Konsens zählen, der ihm propagandistisch wirkungsvolle Taten auf ökonomischem und politischem Gebiet erlaubte. Selbst das kulturelle (verblendete) Leben hielt das Banner des Faschismus hoch und es wäre sicher falsch, von zwanghafter Gleichschaltung oder skrupelloser Knechtung der Intellektuellen zu sprechen.
Der bereits erwähnte Pragmatismus Mussolinis brachte ihn dazu, sich der Philosophie zu bedienen. Vom Philosophen des aktualen Idealismus Giovanni Gentile (1875–1944) bezog er die Grundsätze, die er für die Legitimierung seiner Entscheidungen und seiner Programme brauchte und verwerten konnte.3 Auch die für Mussolini wegweisende Philosophie von Oswald Spengler (1880–1936) stellte teilweise nur einen Vorwand dar, um die faschistische Bewegung zu nobilitieren und ihr eine vorgeblich solide kulturell-philosophische Grundlage zu geben, die bei Bedarf jederzeit negiert bzw. modifiziert werden konnte. Im Rahmen dieses Pragmatismus ist die antisemitische Wende der Regierung ab 1938 zu verstehen, auf die später noch eingegangen wird.
Zwei Ereignisse markieren den Höhepunkt des : das Konkordat mit der katholischen Kirche am 11. Februar 1929 und die Gründung des Imperiums am 9. Mai 1936. Das Konkordat setzte der sabotierenden und beschämenden -Politik des Vatikans ein Ende, so dass jeder gute Katholik zugleich engagierter Faschist sein durfte. Mit der Gründung des Imperiums positionierte sich das faschistische Italien endlich in das Konzert der europäischen Großmächte. Was eigentlich beim Volk noch mehr Begeisterung hervorrief, war der Umstand, dass der als der Erste betrachtet werden konnte, der die Hügel Roms zu ihrem vergangenen Ruhm zurückgeführt hatte. Nun konnte Italien wieder eine Position in Europa einnehmen, die...