E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Maxian Das Geheimnis der letzten Schäferin
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-23386-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-23386-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1
Salzburg, Juli 2017
»Hallo, Schönheit!« Zufrieden betrachtete Nina Ludwig Meter für Meter die Fassade ihres Restaurants in der Salzburger Altstadt nahe der berühmten Getreidegasse. Das gesamte Gebäude wirkte ausnehmend freundlich und frisch, fast wie ein kleines Palais. Am Vorabend war das Gerüst entfernt worden, das zwei Wochen lang den Eingangsbereich verunstaltet hatte. Doch die Sache war es wert gewesen. Die Maler konnten stolz auf ihr Werk sein. Der warme altrosa Anstrich verlieh dem Haus einen Hauch Romantik, ebenso die historischen hohen Kastenfenster mit den hellgrauen Fensterfaschen und der einladenden doppelflügeligen Eingangstür. Darüber stand in dunkelroter schwungvoller Schrift der Name des Restaurants auf der Hausmauer: Ludwig.
Mehr brauchte es nicht. Der Name stand für die Philosophie des Lokals, das ein beliebter Treffpunkt für Gäste war, die gutes Essen in stilvoller Atmosphäre schätzten. Ninas Spezialität war die gehobene Küche in Bioqualität, und dazu gab es erlesene Weine. Das hatte ihr bereits einige Auszeichnungen eingebracht, etwa zwei Hauben von Gault Millau und dieses Jahr den Gourmet-Tipp von Wo isst Österreich. An ihrem ersten Stern von À La Carte arbeitete sie noch. Dementsprechend gehörten auch Ninas Gäste zu jener Gesellschaftsschicht, die sich anspruchsvolle Küche leisten konnte und wollte. Dass sie, mit gerade einmal dreißig Jahren, zudem erfolgreich Kochbücher schrieb und ihre eigene Kochshow im Fernsehen moderierte, steigerte ihre Popularität und damit den Bekanntheitsgrad des Lokals. Nina arbeitete hart für diesen Erfolg. Ihre Freunde bezeichneten sie als unverbesserlichen Workaholic mit einem stark ausgeprägten Ordnungstick. Liebevoll gemeint, wie sie stets betonten. Egal, wie es in ihren Ohren klang, Nina konnte gut mit diesem Ruf leben.
Jetzt fehlen nur noch die Tröge mit den Oleandern, um das Bild perfekt abzurunden, dachte sie glücklich lächelnd. Der Gärtner wollte die rosa Blütenpracht noch heute liefern. Beschwingt steckte Nina den Schlüssel ins Türschloss und trat in den Gastraum.
Das Ludwig war nicht besonders groß, dafür war das Inventar exquisit. Es bestand aus sieben Tischen mit je vier Stühlen und einer langgezogenen Bar, an deren Ende eine automatische Schiebetür aus Milchglas in die Küche führte. Auf den Tischen lagen verteilt zusammengefaltete weiße Tischtücher, die Tina, die Servicekraft, später aufdecken würde. Wechselnde Kerzen in eleganten bauchigen Gläsern und eine der Jahreszeit entsprechende florale Dekoration ließen das Ludwig alle drei bis vier Monate in einem neuen Licht erscheinen. Im Sommer dominierten Weiß- und Rosatöne das Lokal, im Herbst sanfte Violett- und Brauntöne und zur Adventzeit setzte Nina auf Rot- und Grüntöne. Es kostete jedes Mal ein Vermögen, doch die Gäste schätzten das stilvolle Ambiente ebenso wie Ninas Kochkünste.
Kochen war seit Kindesbeinen an ihre große Leidenschaft. Schon als kleines Mädchen hatte sie ihrer Großmutter mütterlicherseits so oft wie möglich über die Schulter gesehen. Lieselotte Koller entstammte einem Bauernhof in Oberbayern und war eine leidenschaftliche Hobbyköchin gewesen. Unter ihrer Aufsicht durfte Nina bereits mit fünf Jahren mit einem scharfen Messer Tomaten und Gurken schneiden. Und auch später ging sie ihr oft hilfreich zur Hand. Ninas Mutter teilte diese Leidenschaft nicht. Eva war Steuerberaterin, kümmerte sich um Ninas Buchhaltung und war froh, wenn sie nicht am Herd stehen musste. Und Nina dankte ihr dafür, dass sie sich um ihre Steuer kümmerte, denn davon verstand sie nichts.
Ninas Vater war Dozent und unterrichtete an der Salzburger Universität Germanistik und Linguistik. Seine Leidenschaft galt ausschließlich Büchern, er verbrachte mehr Zeit in der Bibliothek als anderswo. Werner konnte Kafka & Co zitieren, aber Wasser brannte ihm quasi am Herd an. Den Speisen auf seinem Teller zu Hause widmete ihr Vater kaum Beachtung, was wiederum mutmaßlich an den leidenschaftslosen Kochkünsten ihrer Mutter lag. Aber Leidenschaft allein hatte selbst bei Nina irgendwann einmal nicht mehr ausgereicht, und sie wollte mehr draus machen.
»Eine gute Ausbildung ist die Basis, dir deinen Traum vom eigenen Restaurant zu erfüllen«, hatten ihre Eltern gemeint und ihre Kontakte spielen lassen, obwohl sie ihre Tochter lieber an der Universität studieren gesehen hätten. Doch sie unterstützten Nina und halfen ihr dabei, dass sie eine Lehre in einem Dreihaubenrestaurant in Wien absolvieren konnte. Unter den strengen Augen ihres damaligen Chefs hatte sie ihr Können perfektioniert und die Liebe zur gehobenen Küche entdeckt. Zum Leidwesen ihrer Großmutter. Diese schwor auf bodenständige Hausmannskost und hielt wenig »von dem ganzen Firlefanz am Teller«, wie sie es nannte. An diesem Punkt trennten sich ihre kulinarischen Wege. Doch eines war Nina schon als Kind in Fleisch und Blut übergegangen: Lebensmittel waren heilig. Diese Gesinnung betonte ihre Großmutter stets mit der Geste, wenn sie in die Rückseite eines selbst gebackenen Brotes ein Kreuz einritzte und Nina mit den Worten darauf einschwor: »Vergiss nicht, dem Herrgott dafür zu danken.«
An den außergewöhnlichen Geschmack ihres Brotes konnte sie sich erinnern, als hätte sie erst gestern eine Schnitte davon gegessen. Ein Genuss, den sie vermisste. Nie wieder hatte sie so gutes Brot gegessen wie jenes ihrer Großmutter. »Was ihr heute als Bio teuer kauft, war zu meiner Zeit ganz normal. Es wurde nicht so viel Schindluder mit den Lebensmitteln getrieben«, hatte sie behauptet, wenn wieder irgendwo ein Lebensmittelskandal aufgedeckt wurde.
Das Läuten ihres Handys riss Nina aus der Erinnerung. Sie kramte ihr Telefon aus den Tiefen ihrer Handtasche hervor. Auf dem Display stand der Name des Produzenten ihrer Sendung. Sie wischte über den grünen Punkt.
»Hallo Oskar!«
»Servus Nina!«
Hofinger kam wie üblich sofort auf den Punkt. Und so erfuhr sie zwischen Tür und Angel, dass die Produktionsfirma eine Sendung mit ihr und dem Dreisternekoch Julian Leroy vorbereitete. Der Produzent tauchte vor ihrem inneren Auge auf, als säße er, zurückgelehnt in seinem Ledersessel hinter dem wuchtigen Schreibtisch voller Unterlagen, direkt vor ihr. Seine grauen akkurat geschnittenen Haare, der modische Anzug mit passender Krawatte ließen ihn immer top gestylt erscheinen. Er war stets korrekt, eine Ausgeburt an Höflichkeit, trotzdem in der Sache knallhart. Sie mochte ihn.
Julian Leroy? Ausgerechnet der, schoss es Nina durch den Kopf. Sie konnte den eingebildeten Münchner nicht leiden. Seine Kochsendung lief im Bayerischen Fernsehen und bestand aus einer großen Prise Selbstverliebtheit. Zudem sah er noch gut aus. Er war groß und schlank. Sein zerzaustes dunkelblondes Haar und seine strahlend blauen Augen ließen ihn jungenhaft wirken, auch wenn er sicher auf die dreißig zuging. Dazu sein lässiges Gehabe und die ewig gute Laune. Kameratauglich und übermäßig fröhlich. Auf Nina wirkte sein Getue aufgesetzt. Jedoch machte genau genommen das alles zusammen einen Großteil seiner Beliebtheit bei den Zuschauern aus, das musste Nina eingestehen.
»Hast du mir zugehört?«, vernahm sie Hofingers Stimme. Offenbar hatte er ihr eine Frage gestellt.
»Ja, ja«, behauptete Nina rasch. »Klar, hab ich dir zugehört.« Ihre gute Laune war schlagartig dahin. Sie ging zur Restauranttür und schloss sie hinter sich ab.
»Dann sag doch endlich etwas dazu!«, forderte Hofinger sie auf.
Der Gedanke, dass er sich einen Scherz mit ihr erlaubte, schlich sich in ihren Kopf, denn schließlich kannte er ihre Einstellung Leroy gegenüber. Aber Hofinger war geschäftstüchtig und nicht der Typ, der in solchen Dingen Witze machte.
»Muss es unbedingt Leroy sein?« Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, mit ihm in einer Küche zu stehen und fröhlich in die Kamera zu lächeln. Derweil kannte sie ihn nicht einmal persönlich. Aber sein überzogenes Auftreten in seiner Show genügte, um ihn unsympathisch zu finden. Dabei wusste sie auch, dass sie ein neues Format kaum ablehnen könnte.
»Er freut sich auch schon auf dich.« Wenn sie Hofingers zynischen Tonfall richtig deutete, hielt Julian Leroy ebenso wenig von ihr wie sie von ihm.
»Natürlich muss er es sein, Nina«, antwortete er schließlich auf ihre Frage. »Er ist ein Star, die Medien reißen sich um ihn, und das Publikum liebt ihn. Wo er auftaucht, ist die Hölle los«, fuhr der Produzent fort.
Die Hölle und Leroy passten auffallend gut zueinander, fand sie und sagte: »Die Medienwirksamkeit ist die eine Sache, die andere ist …«
»Das Thema lautet ›Küche anno dazumal in Österreich und Deutschland‹«, unterbrach sie Hofinger. »Ihr beide seid prädestiniert für diese Sendung. Und mal unter uns, Nina …« Er räusperte sich. »Die Quoten von Nina kocht sinken. Eine Show gemeinsam mit einem begehrten deutschen Starkoch schadet deiner Popularität also auf keinen Fall. Auch weil du dann erstmals bei unseren Nachbarn im Fernsehen zu sehen bist. Verstehst?« Er wirkte auf einmal leicht ungeduldig. Wahrscheinlich hatte er auf mehr Begeisterung ihrerseits gehofft, weil sie im Grunde genommen ein umgänglicher Typ war. Diszipliniert, umgänglich und einsichtig.
»Ich wusste nicht, dass du jetzt auch noch mein Agent bist.« Diese spitzzüngige Bemerkung konnte sich Nina nicht verkneifen.
»Lass es dir durch den Kopf gehen und komm gleich am Montag um zehn in mein Büro, dann besprechen wir alles Weitere.« Er verabschiedete sich und legte auf.
Nina zog eine Grimasse. Sie spürte, dass es bereits beschlossene Sache war und sie, so sie nicht...