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E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Allgäu Krimi

May Kratzat


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96041-007-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Allgäu Krimi

ISBN: 978-3-96041-007-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Evelyn Eberius, Erste Bürgermeisterin von Nesselwang, leidet seit einem Unfall unter Gedächtnislücken. Spielt ihr der Verstand also einen Streich, als sie einem Mann begegnet, der eigentlich schon seit Jahrzehnten tot ist? Vor fünfunddreißig Jahren soll er seine Freundin am Kögelweiher ermordet und sich anschließend selbst das Leben genommen haben. Evelyn folgt einer längst erkalteten Spur – und einer vergangenen Liebe, die sie tiefer in ihre eigene Vergangenheit führt, als gut für sie ist. Der Tod ist nicht das Ende: Liebe, Leidenschaft und Mord im Allgäu.

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1 Ma sieht it in d’ Leit nei, bloß nah dra
Oder: Man kann den Leuten nur bis vor den Kopf schauen Evelyn hatte zwei Seminartage der Bayerischen Akademie für Verwaltungsmanagement für Bürgermeister und Bürgermeisterinnen überstanden, zuhörend und schreibend, und sich in ihre Schulzeit zurückversetzt gefühlt. Wie eine Managerin kam sich Nesselwangs Erste Bürgermeisterin trotzdem meist nicht vor. Sie mochte die Landeshauptstadt, aber im Auto erschien ihr München wie ein böswilliger Gegner, der ständig neue Überraschungen parat hatte. Sie hatte keinen Nerv für endloses Rumgefahre gehabt und sich für den Bus entschieden. Als sie endlich an der Kurapotheke in Nesselwang ausstieg, kündigte sich ein gutes Gefühl an: fast daheim. Wie auf einem Gemälde schichteten sich die Bergketten von den Allgäuer Alpen bis zur Zugspitze hintereinander auf, jedes Detail war deutlich zu sehen, die Luft warm und klar. Was Föhn bedeutete. Etwas in der Art herrschte auch in ihrem Kopf, nur mit weniger Klarheit. Evelyn freute sich auf Ruhe, darauf, die Eindrücke, die endlosen Gespräche und den massiven Input hinter sich zu lassen. Im V-Markt würde sie schnell noch eine Kleinigkeit zu essen einkaufen und alles Weitere auf später verschieben. Evelyn deutete in der dem Supermarkt angegliederten Bäckerei gerade auf eine belegte Semmel, um sie sich einpacken zu lassen, als sie ihn bemerkte. Das Unerwartete hatte sie schon des Öfteren verblüfft, doch selten war es derart eindrucksvoll gewesen. Die Überraschung kam direkt aus dem Grab. Er stand an einer der Kassen, kramte in seinem Geldbeutel nach kleinen Münzen und lächelte die Kassiererin entschuldigend an. »Ich hab’s gleich.« Evelyn stockte der Atem. Sie starrte ihn unhöflich an, obwohl sie doch ein paar Jahre zu alt zum Starren war. Für einen Augenblick stand alles still. Jörg Heider war zurückgekommen. Sie lief die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, drehte den Schlüssel im Schloss und stellte die kleine Reisetasche im Gang ab. Sie hatte keinen Appetit mehr, sie war sich sicher, keinen Bissen hinunterzubringen. Die Eindrücke ließen sich nicht einfach abschütteln. Wenn sie ihn gesehen hatte, mussten es auch andere getan haben. Aber hatte sie ihn tatsächlich gesehen? Sie streifte sich ihre Schuhe ab und ließ sich aufs Bett sinken. Du hast ein echtes Problem mit der Wirklichkeit. Evelyn musste zugeben, dass sie manches Mal unleugbar ein Problem hatte zu erkennen, woraus die Realität bestand. »Jörg ist tot.« Ihr eigenes Flüstern erschreckte sie. Oder hatte sich ihre Erinnerung die Bilder nur geborgt? Seit ihrem Unfall wies ihr Gedächtnis große Lücken auf, und an Jörg Heider hatte sie lange nicht mehr gedacht, nicht denken wollen. Die Kirchenglocken läuteten. Zwei Mal, Pause, dann setzten sie wieder ein. Jemand war gestorben. Irgendwo klingelte ein Handy. Und klingelte, klingelte. Der Ton kam ihr vertraut vor. Ihr Handy! Evelyn stöhnte, rieb sich die Augen. Als sie ihre Finger hinterher betrachtete, waren deren Kuppen schwarz. Sie war eingeschlafen, ohne sich abzuschminken. Vollständig angezogen lag sie auf ihrem Bett, die leichten Vorhänge wehten in der spätsommerlichen Brise. Auf dem Holzfußboden tanzten Sonnenstrahlen. Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch, es war früher Nachmittag. Hatte sie heute noch etwas vorgehabt? Sie wusste es nicht. »Eberius«, meldete sie sich und hoffte, dass sie nichts vergessen hatte. Kurz dachte sie an den Mann an der Kasse im Supermarkt und atmete tief ein. Komme, was da wolle, sie war gewappnet. »Wieder zurück aus der großen Welt? Gerade rechtzeitig, so scheint es mir. Frau Bürgermeister, ich hab zwei schlechte Nachrichten«, verkündete Peter Pamel, der Hauptamtsleiter der Marktgemeinde Nesselwang. Sie hatte dessen Nummer gespeichert, und er wusste sicher, wen er anrief, also unnötig, sich mit Namen zu melden. »Es waren nur zwei Tage«, sagte Evelyn. »Und bloß kein Neid, von der großen Welt hab ich wenig mitbekommen.« Leider hatte sie den Zweiten Bürgermeister nicht darum bitten können, den Seminartermin für sie zu übernehmen, weil es keinen Zweiten Bürgermeister gab. Auch ihren Hauptamtsleiter hätte sie gern hingeschickt, aber er wäre nicht die Zielgruppe gewesen. »Ich mag in München nur den Fischbrunnen am Marienplatz. An dem kann sich der Stadtkämmerer was wünschen«, sagte Pamel. »Aber auch nur am Aschermittwoch«, erwiderte Evelyn. Die Tradition nannte sich Geldbeutelwaschen. Doch Pamel wollte sicher etwas völlig anderes von ihr, nur was? »Ich bin noch nicht ganz da«, sagte sie, wusste aber, dass die Hoffnung, der rege Hauptamtsleiter würde sie schonen, vergeblich war. »Wir haben einen neuen Toten, und Pfarrer Winkler ist abgehauen«, grummelte Pamel. »Niemand da, der die Seele dem Himmel übergibt.« Evelyn schmunzelte. Peter Pamel und seine unnachahmlich plastische Sicht auf die Dinge. Die Nachricht vom verschwundenen Pfarrer war nicht wirklich betrüblich, der Mann hatte sich bei vielen in der Gemeinde unbeliebt gemacht. Für den neuen Toten dürfte das keine Bedeutung haben, er würde es nicht mehr bemerken. Die Angehörigen schon. »Dann fragen wir eben in Pfronten nach, ob uns jemand aushilft«, schlug Evelyn vor. Pfronten war eine Dreizehn-Dörfer-Gemeinde, und in einem davon würde es bestimmt auch einen manierlichen katholischen Pfarrer geben, der die Gottesdienste und die Beerdigungen in Nesselwang übernehmen konnte. Inzwischen war es drei Uhr, wie die Kirchenglocke von St. Andreas eben verkündet hatte. »Nein«, wischte Pamel ihren Vorschlag weg. »Darauf sollten wir besser verzichten, sonst können wir uns das ewig aufs Butterbrot schmieren lassen.« Evelyn sah Pamel vor sich, wie er überlegte. Dann zupfte er abwesend mal an seiner Nase, mal am linken Ohr. Sie ahnte, dass gleich noch etwas kommen würde. »Wir fragen den Pfarrer vom Altenheim«, schlug Pamel vor. »Im Gegensatz zum eigenwilligen Winkler ist der immer angenehm, freundlich und zugänglich. Rudi Schäfer versteht es, mit den Leuten umzugehen, die meisten kennt er ja seit ihrer Geburt. Ich werde ihn fragen«, lautete sein Angebot. Schäfer, der genauso wie sein Namenspatron auf seine Schäfchen achtgab, war schon etwas in die Jahre gekommen. Er lebte in einer Wohnung im Anbau des Seniorenheims in Nesselwang und hielt in der kleinen Kapelle noch immer den Gottesdienst ab. Evelyn mochte den alten Pfarrer, er hatte immer ein offenes Ohr für Probleme aller Art. Für ihr persönlichstes Problem müsste sie allerdings selbst eine Lösung finden. Doch sie fürchtete sich davor, die Antwort tief in ihrem Innersten zu entdecken. Es schien überhaupt, als fürchtete sie sich vor so manchem, seit sie die fünfzig vor gut über einem Jahr überschritten hatte. Vorhin, als sie kurz weggedämmert war, waren die Bilder auf sie eingestürmt. Jörg Heider, der sie im Arm hielt. Er brauchte ihr nicht zu sagen, dass sich nicht wiederholen würde, was sie getan hatten. Die Zeit würde weiterlaufen und Evelyn mit ihr. Ohne ihn. Ihr Gedankendurcheinander würde sich nicht so einfach wieder auflösen lassen wie diese Szene, die nicht ihrem Traum, sondern der Erinnerung entsprungen war. Sie setzte sich im Bett auf und warf einen Blick in den Spiegel über der Kommode. Dunkle Ränder unter den grünen Augen, ein hübsch hässliches Geschmiere. Sie verzog den Mund und sank zurück in die Kissen. »Frau Bürgermeister?« Peter Pamel wartete offenbar auf eine Antwort. Aber auf welche Frage? Evelyn konnte sich nicht erinnern. »Alles gut«, sagte sie. »Prima. Unser Karlheinz ist am Nachmittag draußen bei den Toten, es muss noch einiges hergerichtet werden. Bestimmt geht ihm die Dachser wieder an die Kehle, aber du machst das schon.« Lässig serviert. Das hatte sie jetzt von ihrem »Alles gut«. Karlheinz Meier war Nesselwangs Friedhofswärter, ein gelassener, angenehmer Mensch. Die erwähnte Pfarrsekretärin mit Namen Dachser war da schon um einiges anstrengender gestrickt. Evelyn biss sich auf die Unterlippe. Sie war Pamel in die Falle gegangen. »Und dann haben wir da noch …« Der Hauptamtsleiter zerriss offenbar eine Notiz und schnalzte mit der Zunge. »Ich muss es ja ansprechen, aber es ist schon ziemlich … äh, speziell.« Aufgekratztes Kichern. »Das Ding ist schon wieder weg. Wir können nicht erwarten, dass die ein neues schicken, wer weiß denn außerdem, was da dann draufsteht. Also müssen wir es selbst in die Hand nehmen.« Er prustete, verschluckte sich, hustete. »Selbst in die Hand nehmen?«, fragte sie. »Du doch nicht, Frau Bürgermeister.« Ein erneuter Lachanfall. »Es geht um das geklaute Ortsschild. Die Engländer haben versprochen, es zu ersetzen.« Zum wievielten Mal? Evelyn verdrehte die Augen. Also hatte eine englische Reisegruppe mal wieder das Ortsschild von Wank abmontiert, einem kleinen Weiler, der zu Nesselwang gehörte. Evelyn hatte die Worte ihres jetzt fünfzehnjährigen Enkels bei dem ersten Vorfall dieser Art noch im Ohr: »Das ist echt der Brüller, Oma. Die verdammten Wichser.« Sie hatte ihn darauf hingewiesen, keine ordinären Ausdrücke zu verwenden, sich im Stillen aber darüber gewundert, dass andere Leute schon ähnliche Witze darüber gerissen hatten. Erst das Englischlexikon im Internet hatte Evelyn darüber aufgeklärt, dass »to wank« im Englischen genau den von Paulinus verwendeten Ausdruck meinte. »Ersetzen bezieht sich auf die Kosten?«, fragte Evelyn. »Klar«, grunzte Pamel. »Hast du eine Ahnung, wohin sich Pfarrer Winkler verdrückt haben...


Ina May wurde im Allgäu geboren und verbrachte einen Teil ihrer Jugend in San Antonio/Texas. Nach ihrer Rückkehr in die bayerische Heimat absolvierte sie ein Sprachenstudium und arbeitete als Fremdsprachen- und Handelskorrespondentin für amerikanische Konzerne. Heute ist sie freie Autorin und lebt mit ihrer Familie im Chiemgau.



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