E-Book, Deutsch, Band 62, 218 Seiten
Reihe: Classica Monacensia
Mayr Schwäche, Scheitern, Fehlverhalten
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-381-12983-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Darstellung von Fallibilität als Inszenierungsstrategie der Autor-persona bei Horaz, Ovid und Seneca
E-Book, Deutsch, Band 62, 218 Seiten
Reihe: Classica Monacensia
ISBN: 978-3-381-12983-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Zentrum dieser Monographie steht die Frage, wie die römischen Autoren Horaz, Ovid und Seneca die Darstellung eigener Schwäche, eigenen Scheiterns und eigenen Fehlverhaltens als Mittel ihrer literarischen Selbstinszenierung einsetzen. Anhand ausgewählter Passagen der Satiren, der Tristia und Epistulae ex Ponto sowie der Epistulae morales wird untersucht, welche unterschiedlichen Ausprägungen von Schwäche, Scheitern und Fehlverhalten in den Texten jeweils dargestellt werden, mit welchen sprachlichen Mitteln diese Darstellung erfolgt und welche persuasiven Effekte durch sie erzielt werden. Es wird gezeigt, dass alle drei Autoren diese Darstellung nutzen, um sich bestimmte Kompetenzen und somit letzten Endes positiv konnotierte Eigenschaften zuzuschreiben.
Christoph Mayr wurde 2024 mit dieser Arbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert. Inzwischen ist er als Gymnasiallehrer für die Fächer Latein und Deutsch tätig
Autoren/Hrsg.
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1.2 Theoretische Grundlagen und zentrale Begriffe
1.2.1 Historischer Autor, Autor-persona und biographische Informationen
Autoren inszenieren die Figuren ihrer Texte so, dass die persuasive Wirkung dieser Texte unterstützt wird. Dazu können sie diese Figuren mit bestimmten Merkmalen, Charakterzügen und einer Biographie ausstatten und so Ähnlichkeiten und/oder Übereinstimmungen mit einer historischen Person konstruieren oder behaupten, dass die im Text vergebenen Informationen auf eine historische Person rekurrieren. Durch die Vergabe solcher biographischer Informationen wird dem Lesepublikum das Angebot gemacht, literarische Figur und historische Person im Prozess der Lektüre miteinander zu identifizieren. Jede Figur eines Textes bleibt gleichwohl immer literarisches Konstrukt und darf nicht mit der historischen Person gleichgesetzt werden, auf die im Text referenziert wird. Das gilt auch für eine Autor-persona. Als Autor-persona bezeichne ich eine Figur, die als Verfasser des Textes dargestellt wird, als dessen Ich-Sprecher sie in Erscheinung tritt, und die beispielsweise durch die Vergabe biographischer Informationen das Angebot macht, sie mit dem historischen Autor dieses Textes zu identifizieren. Durch die Inszenierung einer solchen Autor-persona entwirft der historische Autor ein Autorbild. Er fungiert dabei gewissermaßen nur als Regisseur des auf der ‚Bühne des Textes‘ vorgeführten Geschehens und der darin involvierten Figuren und tritt im Text nicht selbst als Akteur in Erscheinung. Literarische Texte zeigen also nicht, wer ihr Autor tatsächlich ist beziehungsweise war, sondern wie eine potentiell Ähnlichkeiten und/oder Übereinstimmungen mit ihm aufweisende Figur im Text inszeniert wird, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Spricht oder schreibt eine Autor-persona über ihre eigene Fallibilität, heißt das also nicht, dass auch der historische Autor in entsprechender Hinsicht fallibel war, sondern dass er eine Figur seines Textes als fallibel inszeniert, um die persuasive Wirkung des Textes zu unterstützen. Diese Wirkung kann auch darauf abzielen, dem Lesepublikum das Angebot zu machen, ein bestimmtes Autorbild zu konstruieren. Die Inszenierung einer Autor-persona erfolgt häufig über die Vergabe biographischer Informationen. In den Texten, die in dieser Arbeit behandelt werden, finden sich diesbezüglich unter anderem folgende Informationen: Name, soziale Abstammung, geographische Herkunft, Ausbildung, Alter, soziale Beziehungen, berufliche Laufbahn und körperliche Konstitution. Auf Grund der zeitlichen und räumlichen Nähe zur Entstehung eines Textes bestand für das zeitgenössische antike Lesepublikum die Möglichkeit, die Faktizität solcher Informationen zu kennen. Das macht es zwar plausibel, dass diese Informationen zumindest in ihren Grundzügen mit der Lebenswirklichkeit des historischen Autors übereinstimmen. Sie ermöglichen trotz dieser potentiellen Übereinstimmungen aber keine Rückschlüsse auf diese Lebenswirklichkeit des historischen Autors, sondern entwerfen lediglich ein Autorbild. Die nicht zu beantwortende und damit wenig gewinnbringende Frage nach dem Realitätsgehalt biographischer Informationen wird im Folgenden deshalb nicht gestellt. Aussagen, die wie biographische Informationen als Referenzen auf die außertextuelle Welt gelesen werden können (aber nicht müssen), sind vielmehr in die andere Richtung zu denken. Die Kenntnis biographischer Fakten ist für ein Verständnis der zu untersuchenden Texte nicht notwendig, eröffnet dem Lesepublikum je nach Vorwissen und Lektürehaltung aber bestimmte Deutungsmöglichkeiten. Denn die Vergabe biographischer Informationen kann dazu eingesetzt werden, die im Text entworfene Welt und die in ihr agierenden Figuren zu inszenieren. Beispielsweise lässt sich nicht rekonstruieren, ob es Folgen für die historische Person Horaz hatte, dass in den Satiren oftmals auf die niedrige soziale Herkunft der Autor-persona verwiesen wird. Der Hinweis auf diese Herkunft wird jedoch wiederholt für die Inszenierung der Autor-persona ‚Horaz‘ genutzt. 1.2.2 (Selbst-)Inszenierung durch Rollen
Das Denken in und Übernehmen von Rollen war in der römischen Gesellschaft nicht nur zentraler Bestandteil des konkreten, häufig politischen Handelns und der rhetorischen Ausbildung und Praxis. Es ist unter dem Konzept der persona auch in philosophisch-theoretischen Schriften fassbar. Ausgehend von diesem antiken Denken und Handeln wurden die Begriffe der Rolle und der Inszenierung in die Theatersprache übernommen und haben über die Sozialwissenschaften Einzug in die Literaturwissenschaft gefunden und sich dort etabliert, um soziale Interaktions- und Kommunikationsprozesse zu beschreiben. Das in den Sozialwissenschaften beschriebene und von den Literaturwissenschaften übernommene Rollenkonzept beruht auf der Auffassung, dass sich jeder Mensch mit Erwartungen konfrontiert sieht, die von außen an ihn gestellt werden oder die er an sich selbst stellt, und in der Regel versucht, sich diesen Erwartungen gemäß zu verhalten. Auch Figuren literarischer Texte übernehmen eine oder mehrere Rollen oder bekommen eine oder mehrere Rollen zugeschrieben, an die sie selbst, andere Figuren und das Lesepublikum bestimmte Erwartungen stellen können. Sind Menschen oder literarische Figuren nicht im Stande, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, oder wollen sie diese nicht erfüllen, können Konflikte entstehen, die den ‚dramaturgischen Erfolg‘ ihres Agierens in einer bestimmten Rolle, also die Beeinflussung ihres ‚Publikums‘ in ihrem Sinne, erschweren können. Auch die Autor-personae ‚Horaz‘, ‚Naso‘ und ‚Seneca‘ nehmen Rollen ein oder bekommen Rollen zugeschrieben, deren Nichterfüllung zu Rollenkonflikten führen kann. Von ‚Horaz‘ als Verfasser von Verssatiren ist beispielsweise zu erwarten, dass er aus einem moralischen Standpunkt heraus Kritik am Verhalten anderer üben wird und dass er das Verhalten, das er bei anderen kritisiert, selbst nicht zeigt. Kann er diese Erwartungen nicht erfüllen, wirkt er in der Rolle des satirischen Kritikers unglaubwürdig. ‚Naso‘ wiederum übernimmt die Autorschaft früherer Ovidiana und präsentiert sich damit als Dichter, der auf dem Höhepunkt seiner literarischen Karriere aus Rom verbannt wurde. Deshalb ist für das Lesepublikum die Erwartung naheliegend, dass er weiterhin nach literarischer Anerkennung streben und sich insbesondere um eine Rückkehr nach Rom bemühen wird. ‚Seneca‘ stellt sich zu Beginn jeden Briefs mit dem Namen der persona anderer Werke des historischen Autors Seneca vor. In der Rolle des Briefschreibers erweckt er dadurch die Erwartung, dass er eine stoische Grundhaltung sowie einen kompetenten Umgang mit philosophischem Gedankengut zeigen und zumindest versuchen wird, sein Denken und Handeln an den eigenen Ratschlägen auszurichten. Kommt er diesen Erwartungen nicht nach, wirkt er als Verfasser philosophisch-paränetischer Briefe unglaubwürdig und nimmt seinen Paränesen einen Großteil ihrer Überzeugungskraft. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Frage, wie eine Autor-persona durch die Darstellung ihrer Fallibilität inszeniert, das heißt ‚in Szene gesetzt‘, ‚gezeichnet‘ oder dargestellt wird. Als Inszenierung bezeichne ich die Zuschreibung beziehungsweise Übernahme von Rollen an beziehungsweise durch Figuren, die in einem Text agieren. Der Begriff der Inszenierung umfasst dabei auch immer einen in aktiver Art und Weise gestalteten Akt der (Rollen-)Präsentation. Dieser Akt erfolgt in literarischen Texten meistens nicht getrennt von der Rollenzuschreibung oder -übernahme, da die Zuschreibung, Übernahme und Präsentation von Rollen durch die sprachliche Gestaltung des Textes vollzogen und somit vom Lesepublikum ‚gleichzeitig‘ wahrgenommen werden. Rüdiger Ontrup und Christian Schicha verstehen Inszenieren als den Vorgang, durch den „Handlungen oder Zusammenhänge absichtsvoll mit einer bestimmten Wirkungsabsicht zur Erscheinung gebracht werden“, wobei „ein kalkuliertes Auswählen, Organisieren und Strukturieren von Darstellungsmitteln“ stattfindet, „das in besonderer Weise strategisch auf Publikumswirkung berechnet ist.“ Jeder Inszenierung liegt somit eine Intention der inszenierenden Instanz zu Grunde, die in der Regel darauf abzielt, andere Menschen zu bestimmten Einstellungen oder Handlungen zu bewegen. Als ein maßgebliches Ziel jeder Inszenierung lässt sich somit Persuasion bestimmen. In literarischen Texten finden Inszenierungen auf unterschiedlichen Ebenen statt. Auf der höchsten Ebene schreibt der historische Autor den Figuren im Text Rollen zu beziehungsweise lässt die Figuren Rollen einnehmen, die er durch die sprachliche Ausformulierung des Textes modelliert. Auf auktorialer Ebene ist die Sprecher-Instanz für diese Zuschreibung und Modellierung von Rollen zuständig, auf figuraler Ebene können sie auch die Figuren eines Textes vornehmen. Die Zuschreibung...