McCammon | MATTHEW CORBETT und der Fluss der Seelen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 7, 360 Seiten

Reihe: Matthew Corbett

McCammon MATTHEW CORBETT und der Fluss der Seelen

Roman
überarbeitete Ausgabe
ISBN: 978-3-95835-602-3
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 7, 360 Seiten

Reihe: Matthew Corbett

ISBN: 978-3-95835-602-3
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



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Kapitel 1
  Der Mann war gewaltig wie ein Berg. Seine Schultern glichen zwei über einem Steilhang aufragenden Felsbrocken. Sein Gesicht war ein sonnengebräuntes Stück Fleisch über einem wilden, tintenschwarzen Bartgestrüpp, das bis zur Mitte seines tabakbefleckten Hemds hinunterhing. Seinen verbeulten grauen Dreispitz hatte er aus Höflichkeit vor der im Ballsaal versammelten Gesellschaft abgenommen. Seine schwarzen Haare waren der mit Bärenfett pomadisierte Schopf eines Verrückten. Der Gestank längst verstorbener Bären dünstete davon aus und hatte ein halbes Dutzend große, grüne Fliegen angelockt, die sein schmierig glänzendes Haupt umschwirrten und umsummten. Kurz nachdem er das Haus durch die Vorhänge vom Garten her betreten hatte, wo Kerzen in Tontöpfen flackerten und Zikaden melodisch in den Birnbäumen zirpten, war die den Tanz anspornende Musik verstummt. Plötzlich gaben Geige, Cello, Cembalo und das Geklapper der Rhythmusstäbe weder Takt noch Ton von sich, und auch die Pirouetten der Tänzer auf den blankpolierten Bohlen des kerzenbeleuchteten Raums kamen zum Stillstand. Alle Blicke richteten sich auf den riesigen schwarzgekleideten Mann, der gerade mit seinen festen, dreckigen Stiefeln auf eben jene Holzplanken getreten war – und die, die wussten, was sich vermutlich gleich ereignen würde, holten zum Flüstern und mit dem Finger zeigen Luft. Sie zeigten auf einen jungen Mann namens Matthew Corbett, der fast genau in der Mitte des Ballsaals neben der schönsten Frau stand, die es je gegeben hatte. Der Berg von einem Mann ließ seinen Blick im flackernden Kerzenschein durch den Raum schweifen. Rote und weiße Papiergirlanden hingen von der Decke. Unweit von ihm war eine lange Tafel mit dem Festschmaus des Abends aufgebaut: zwei mit Austern gefüllte, gebratene Truthähne, ein mit Pilzen und Speck gestopftes Spanferkel, gegrillter, mit Krabbenfleisch gefüllter Barsch, und eine Auswahl von Kartoffeln, die mit diversem Gemüse, Eingelegtem und Eingewecktem gefüllt waren. Auf Tabletts standen Flaschen mit Wein aus Frankreich und Karaffen voller Bier aus der Carolina-Kolonie. Gläser glitzerten. Die Musik war leicht und lebhaft gewesen, die Konversation geschliffen und geistreich, und die Tanzenden hatten flinken Fußes präzise Pirouetten gedreht. Alles in allem war es ein famoses Fest gewesen – bis dieser schwarzbärtige, finsterhaarige Stier des Waldes durch die duftigen Vorhänge hereingetrampelt kam. Jetzt, wo die Musik nicht mehr spielte und das Flüstern erstarb, war nur noch das Summen der Fliegen übriggeblieben, die hungrig die glänzenden, stinkig verfilzten Haarsträhnen umschwirrten. »Oh nein«, sagte die schöne Frau, die sich an Matthews rechten Arm klammerte. Und dann noch einmal, als wollte sie das Untier von sich fernhalten: »Oh nein!« Das Untier jedoch grunzte nur wie ein furzendes Pferdegespann. Seine eisengrauen Augen hatten sich auf ihr Ziel gerichtet. Matthew spürte das Erschrecken der schönen Frau und berührte sie beruhigend am Arm. »Na, na, ist doch gut«, sagte er. In seinem weinroten Anzug und weißem Hemd mit dem hohen Kragen und Rüschen aus spanischer Spitze sah er geradezu prunkvoll aus. »Äh … wer ist er denn?« Ohne den Blick ihrer bezaubernden leuchtenden Augen von der sofortige Gewaltanwendung androhenden Visage abzuwenden, flüsterte sie ihm zu: »Er ist der Mann, der Euch umbringen wird.« »Wie bitte?«, entgegnete Matthew. Er glaubte, sie hatte gerade etwas gesagt, das er lieber nicht hören wollte. Der monströse Berg regte sich. Seine Bewegung belebte die Beine der erstarrten Tänzer, die sich aus dem Weg retteten. Die Stiefel hämmerten auf die Planken wie ein Trommelwirbel, der einem Verblichenen die letzte Ehre erweist. Obwohl die Musikanten auf ihrer Bühne in Sicherheit waren, zogen sie sich vorsichtshalber bis an die Wand zurück, auf deren Webteppich die Komödie und Drama symbolisierenden Masken abgebildet waren; denn üblicherweise wurde die Bühne von den redlichen Charles Town Players benutzt. Das Stiefelstampfen setzte sich über die Fußbodenbohlen fort, Schritt um unheilverkündenden Schritt, bis der Neuankömmling drohend vor Matthew Corbett aufragte. »Nicht schon wieder!«, sagte Pandora Prisskitt. Ihre roten Lippen verzogen sich. In den dunkelblauen Augen ihres herzförmigen Gesichts blitzte Wut auf, aber auch so etwas wie Anbetteln. »Bitte! Ich flehe Euch an!« Mit der Endgültigkeit eines Dämons am Jüngsten Tag schüttelte der Mann den Kopf. »Betteln hilft nicht«, antwortete er mit einer Stimme, die abgrundtief wie ein Höllenloch und so rau wie eine holprige Straße war. »Es muss erledigt werden.« Matthew gefiel nicht, wie das klang. »Es muss erledigt werden?«, fragte er Pandora und hörte seine Stimme zu seinem Verdruss leicht zittern. »Ihr«, sagte der riesige schwarzgekleidete Mann, der Matthew seinen schmierigen Wurstfinger mit dreckigem Fingernagel gegen die Brust stieß, »müsst sterben.« »Ist das denn notwendig?« »Es ist unumgänglich«, sagte das Untier. »So. Nun lasst uns die Details klären.« Der Mann griff in die Tasche seines langen Mantels – welcher Matthew an diesem schwülen Freitagabend Ende Juni alles andere als jahreszeitgemäß vorkam – und holte einen schwarzen Lederhandschuh heraus, der aussah, als hätte er den Großteil seiner Existenz auf dem Fußboden eines Schweinestalls und vollgeäpfelten Pferdeunterstands verbracht. Ohne Zeit zu verlieren, ohrfeigte er Matthew damit erst die linke und dann die rechte Wange. Im gesamten Ballsaal wurde nach Luft geschnappt, erschaudernd und auch erwartungsfroh die eine oder andere Lippe geleckt, denn selbst die vornehmsten Gentlemen und Ladys liebten ein leidenschaftliches Duell. »Ich fordere Euch heraus!«, knurrte der Mann in einem Ton, der die sauberen Gläser auf dem Tisch klimpern und die Saiten des Cembalos summen ließ. »Magnus Muldoon!«, rief Pandora Prisskitt, deren Wangen sich röteten. Ihre langen Haare von der Farbe eines geschmeidigen Nerzpelzes waren mit einer Goldspange zusammengerafft, die wie ein P geformt war. Sie war in ein französisches Gewand gekleidet, das so rot wie die roteste Rose im Colleton Park war und am Hals und den Ärmeln von hellrosa Spitzen betont wurde. »Ich werde es nicht dulden! Nicht noch einer!« »Nicht noch ein was?«, fragte Matthew wie vor den Kopf geschlagen. »Nicht noch ein toter Mann, den ich auf dem Gewissen habe«, sagte sie, ohne das Untier aus dem Blick zu lassen. »Hört mich an, Magnus! Das muss aufhören!« »Hört auch auf. Wenn sie alle tot sind.« »Ihr könnt nicht jeden einzelnen von ihnen umbringen!« »Doch«, entgegnete Magnus Muldoon, der Matthew mit Blicken aus seinen eisengrauen Augen über der spitzen Nase und dem grausigen Bart durchbohrte. »Kann ich.« »Ich habe das Gefühl«, sagte der junge Problemlöser aus New York, »dass ich im zweiten Akt dieser Aufführung dazugestoßen bin.« Dann sah er zufällig nach oben und entdeckte zu seinem Erschrecken, dass an Lederkordeln direkt über seinem Kopf das Emblem der abendlichen Festivitäten hing, ein bemaltes Holzschwert. Denn es handelte sich schließlich um den berühmten alljährlichen Damokles Ball von Charles Town. »Also gut!«, knurrte Magnus Muldoon, ohne Pandoras flehende Miene und ihre Hand zu beachten, die sie auf Matthews Brust gelegt hatte, als wollte sie sein Herz davor bewahren, herausgerissen zu werden. »Wie wollt Ihr …?« »Jetzt reicht es mir aber«, sagte der ältliche Gentleman, der soeben herangetreten war, unter der Weste seines dunkelblauen Anzugs eine Pistole hervorgezogen und die gefährlich aussehende Waffe gespannt hatte, unter deren Lauf ein kleines Bajonett angebracht war. Er hielt sie neben Muldoons fliegenumschwärmtes Haupt. »Ihr werdet Euch aus dem Gesichtsfeld meiner Tochter entfernen, Sir, sonst fließt Blut!« Matthew kam sich vor wie ein loser Knopf an einer engen Jacke. Er entwickelte sich in diesem zweiten Akt zu einem der Hauptdarsteller, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung des Skripts zu haben. Er hatte das Gefühl, sich, ohne es zu wissen, eine Rolle der Charles Town Players angeeignet zu haben. Und er war nicht darüber im Bilde, ob es sich hier um eine Komödie oder eine Tragödie handelte. Matthew Corbett war im holden Monat Mai dieses Jahres 1703, in dem seine Welt zwischen Pistolenlauf und Prügelbruder zum Stillstand kam, gerade erst vierundzwanzig Jahre alt geworden. Manchmal, üblicherweise wenn er sich in der spätabendlichen Stille von New York in seinem Häuschen bettfertig machte, fragte er sich, wie man zugleich jung und alt sein konnte. Denn einige der Dinge, die ihn sowohl verwirrten, herausforderten, als auch sein Leben unlösbar durchwirkten, besaßen die Macht, jugendlicher Überschwänglichkeit das Kerzenlicht auszublasen und seine Zukunftsaussichten garantiert zu trüben. Er war älter als seine Jahre auf dieser Welt, und erfahrener als das, was er erlebt hatte. Während jener für seinen Arbeitgeber, der in London gegründeten Herrald-Vermittlung, durchgeführten Nachforschungen war er immer wieder fasziniert, auf der Hut, von Verzweiflung übermannt, unerträglich froh und einfach zu Tode geängstigt. Und, so muss man auch sagen, öfter, als er sich erinnern mochte, fast zu Tode gepeinigt worden. Aber er musste sich erinnern, denn so arbeitete sein Gehirn nun mal. Er war ein beharrlicher Spieler, selbst wenn er nicht an einem Schachbrett saß und keine Figuren in der Hand hielt. Ihm schien es, als spielte er auch ständig um sein Überleben; in einem Schachspiel, das er ahnungslos mit dem...



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