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McCarthy Der Schöpfer der Ewigkeit

Die SOL-Trilogie, Band 1 - Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19227-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die SOL-Trilogie, Band 1 - Roman

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ISBN: 978-3-641-19227-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es war einmal auf einer Welt aus kollabierter Materie …

In der achten Dekade des galaktischen Königreichs SOL lebt die Menschheit dank zweier atemberaubender Technologien in nie gekanntem Frieden und Wohlstand. W-Stein kann jede Substanz – ob natürlich, künstlich oder gar hypothetisch – nachbilden; Kollapsium, bestehend aus kleinsten schwarzen Löchern, ermöglicht die virtuelle Übertragung von Materie innerhalb des Sonnensystems – auch von Menschen. Während der Erfinder von Kollapsium, Bruno de Towaji, von einer wissenschaftlichen Innovation von mythischen Ausmaßen träumt, arbeitet sein Konkurrent Marlon Sykes verbissen an einem Telekommunikationsprojekt, für das ein Ring aus Kollapsium um die Sonne gelegt wird. Doch als ein Saboteur diesen Ring angreift und er sich unaufhaltsam auf die Sonne zubewegt, muss aus gnadenloser Konkurrenz gewissenhafte Zusammenarbeit werden, deren Gelingen über die Zukunft des gesamten Sonnensystems entscheidet.

Wil McCarthy, geboren 1966 in Princeton, New Jersey, lebt mit seiner Familie in Denver, Colorado. In seinem Beruf als Ingenieur bei Lockheed gehörte er zu den Männern, die bei Raketenstarts »Lenkungssysteme startklar« melden. Als Science-Fiction-Autor wurde er durch zahlreiche brillante Kurzgeschichten bekannt, denen mehrere Romane folgten. Er machte die Idee der programmierbaren Materie in seiner SOL-Trilogie populär, zu der er auch wissenschaftlich arbeitete. Heute leitet er eine Solarenergie-Firma und ist als Kolumnist für Syfy tätig.
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1. KAPITEL


Worin ein wichtiges
Experiment gestört wird

In der achten Dekade des Königinreiches Sol, auf einem kleinen Planeten in der Tiefe des Kuipergürtels, lebte ein Mann namens Bruno de Towaji, der zu dem Zeitpunkt, da unsere Geschichte beginnt, gerade seinen 3088zigsten Morgenspaziergang rund um die Welt begann.

Der Begriff ›Morgen‹ wird hier mit Bedacht gebraucht, denn unterwegs durchquerte er die Tag- und die Nachtzone einmal hin und einmal zurück, und das ohne ein einziges Mal anzuhalten. Es war ein ausgesprochen kleiner Planet, kaum sechshundert Meter im Durchmesser, um den eine noch kleinere ›Sonne‹ und ein ›Mond‹ kreisten, die Bruno selbst konstruiert hatte.

Begleite ihn: Sieh, wie seine Schritte durch die blühende Wiese pflügen, spür das Jucken der Pollen in Augen und Nase. Und jetzt geht es durch den Mittagswald, durch dessen Blätterdach die Sonnenstrahlen fallen. Die Bäume sind klein und weit ausladend, Zitrusgewächse und Hartriegel, weniger eine schattige, von Pilzen wimmelnde Wildnis als vielmehr ein Kompromiss mit den Gesetzen der Physik – größere Bäume hätten die Troposphäre durchstoßen. So aber streifen die höchsten Äste gerade mal an den vorbeiziehenden bauschigen Sommerwolken und kämmen sie.

An den Nordhügeln vorbei: Sieh, wie der Bach zwischen ihnen hervorrieselt, wie der Wald den Weiden am Ufer weicht. Die Brücke ist ein malerischer Bogen aus einheimischem Holz; am anderen Ufer liegen in der Nachmittagssonne das Grasland, der Gemüsegarten, der von gebeugten Robots gepflegt wird, die Felder mit wilder Gerste und Mais, um die sich niemand kümmert und auf die schräge Sonnenstrahlen fallen. Hinter dir senkt sich die Sonne herab und gleitet schließlich hinter den stark gekrümmten Horizont des Planeten. Trotz der Strahlenbrechung aufgrund des feinen Atmosphärendunstes wird es ganz plötzlich dunkel, und dann wird der Untergrund steinig – nicht zerklüftet, aber hart und flach und mit Findlingen übersät, gesprenkelt mit robusten mediterranen Gewächsen. Hier aber beschreibt der Bach eine Biegung, und während der Abend der Nacht weicht, weitet sich der Lauf zu einem Sumpf mit Rohrkolben und kleinen Rinnsalen und mündet schließlich in einen kleinen See. Manchmal scheint der Mond und malt lange, weiße Reflexe aufs unbewegte Wasser. Heute aber sind nur die Sterne zu sehen, der Milchstraßennebel und die ferne, stecknadelkopfgroße Sol. Dort ist die ganze Geschichte ausgebreitet; wenn du magst, kannst du die Menschheit mit der Hand bedecken.

Es wird kälter; bedenke, dass dich der Planet von der kleinen Sonne – der einzigen Wärmequelle – abschirmt. Die tödliche Kälte des Weltraums ist so nah, dass du buchstäblich einen Stein hineinwerfen könntest. Das Ufer aber führt um die im Halbdunkel liegenden Wiesen herum, der Horizont rötet sich vom Streulicht, und dann auf einmal ist wieder Morgen, und die warme Sonne erscheint über der Planetenkrümmung. Und da liegt Brunos Haus: niedrig, flach, marmorweiß und morgengelb leuchtend. Du hast etwa zwei Kilometer zurückgelegt.

So sah Brunos Morgenspaziergang aus, der sich kaum von allen anderen Morgenspaziergängen unterschied. Bisweilen zog er einen Mantel an und nahm die andere Route über die Hügel und die Pole, durch Kalt und Warm und Kalt und Warm, doch dabei ging es hauptsächlich um Masochismus; die Polarroute war zwar kürzer, aber landschaftlich weniger reizvoll.

Er hatte bereits gefrühstückt; der Spaziergang sollte die Verdauung fördern und ihn für das Tagwerk stärken: für seine Experimente. Vor ihm öffnete sich automatisch die Haustür. Robotdiener wichen ihm behände aus, sodass er freien Weg zum Arbeitszimmer hatte. Die Robots verneigten sich, obwohl er ihnen schon tausendmal gesagt hatte, sie sollten das sein lassen. Wortlos grummelnd gingt er an ihnen vorbei. Natürlich gaben sie keine Antwort, doch ihre bronzefarbenen und zinngrauen humanoiden Körper summten und klickten leise. Als rein mechanische Wesen, von der Bürde der Imagination und des Begehrens unbelastet, widmeten sie sich allein seinem Wohlergehen und seiner Zufriedenheit.

Eine weitere Tür ging auf, schloss sich hinter ihm und verschwand. Er schwenkte die Hand, und die Fenster wurden zu Wänden. Ein weiterer Handschlenker, und die Deckenleuchten verschwanden, die Bodenleuchten desgleichen, der Schreibtisch und die Stühle und weitere Möbelstücke verwandelten sich in optische Supraleiter und wurden unsichtbar. Holographische Projektionen schufen die Illusion der heutigen Versuchsanordnung: fünfzig Kollapsone, kleine Würfel, sichtbar als stecknadelkopfgroße Zusammenballungen von Tscherenkowstrahlung, taubenblau und schwach pulsierend, umkreisten den holographischen Planeten in einem komplizierten Tanz wechselnder Umlaufbahnen.

Nachdem der letzte Satz kaputtgegangen war, hatte er die vergangene Woche damit zugebracht, sie zusammenzusetzen.

Sie zusammensetzen? Doch, ja.

Stell dir eine Kugel aus Di-ummanteltem Neutronium vor, das Compton-Streulicht aussendet. Es handelt sich um eine Art übergroßen Atomkern; eine Milliarde Tonnen gewöhnlicher Materie, zusammengepresst zu einem Durchmesser von drei Zentimetern, sodass die Protonen und Elektronen sich zu einer dicken Neutronenpaste verbinden. Sich selbst überlassen würde die Kugel innerhalb von Nanosekunden explodieren und eine Milliarde Tonnen Protonen und Elektronen mit beträchtlichem Impuls hervorschleudern. Daher die Verkleidung: kristalliner Diamant und Faserdiamant und dann wieder Kristall, umhüllt von einer gebundenen Schicht von W-Steinb. Eine wahrhaft zähe Substanz; Bruno hatte noch nie gehört, dass es Neutronen gelungen wäre, sich zufällig aus ihrem kleinen Gefängnis zu befreien.

Diese ›Neubel‹ waren der Samen des Samen – acht davon mussten noch weiter zusammengepresst werden, bis ein Kollapson entstand –, und der kleine ›Mond‹ war einfach nur Brunos Speicher: zehntausend Neubel, zusammengehalten durch ihre beträchtliche Gravitationskraft. Weitere fünfzehnhundert bildeten den Kern des kleinen Planeten, eine Kugel von einem halben Meter Durchmesser, mit einem Skelett aus W-Stein, ummantelt von einer einige hundert Meter dicken Schicht aus Erde und Stein und einer von Robots und Künstlern gestalteten Oberfläche.

Bruno war nämlich sehr reich.

Außer Monden und Planeten aber konnte man auch Schwarze Löcher daraus machen, in stabilen Gittern angeordnete Schwarze Löcher, die als ›Kollapsium‹a bezeichnet wurden.

Bruno war als Erster darauf verfallen, und jetzt, siebzig Jahre später, beschäftigte er sich noch immer damit. Man könnte auch sagen, er hatte seine Seele dafür verkauft. Jedenfalls hatte er eine ganze Lebensphase dafür hingegeben: seine Liebe, seine Wahlheimat auf Tongatapu. Aber der Lohn war gewaltig: Er konnte die Raumzeit nach seinen Wünschen manipulieren. Welches Potenzial sich damit eröffnete …

Das war das Aufregende daran, und es hätte ihm durchaus gereicht, die Unternehmung zu leiten und die Ausarbeitung einer Horde von Angestellten oder hingebungsvollen Doktoranden oder wem auch immer zu überlassen. Allerdings brachte fast niemand die Geduld auf, die Gleichungen auszuarbeiten oder zu untersuchen, welche Strukturen stabil waren und welche nicht, geschweige denn die Eigenschaften der stabilen Strukturen aus den Grundprinzipien herzuleiten. Das war Knochenarbeit, und nur wenige Studenten besaßen die erforderliche Zähigkeit. Das war das größte Problem. Das zweitgrößte waren die Unfälle, die sich ereigneten, wenn Experimente mit Kollapsium schief gingen, und das drittgrößte Problem waren die zwanzig Milliarden Menschen, die sich in einem solchen Fall verständlicherweise aufregten.

Deshalb beschritt die Hand voll Menschen, die in der Lage gewesen wären, diese Art Forschung zu betreiben, einfachere, ausgetretene Pfade, die Pfade, auf denen Unfälle weit seltener waren als Ruhm und Reichtum. Arbeitstiere nannte er sie bisweilen.

Er setzte sich auf seinen unsichtbaren Stuhl, der unter ihm die Form veränderte. Der Stuhl war nicht weich, sondern smart, ein massiver Gegenstand, der sich seiner speziellen Körperform anpasste. Er ließ die Knöchel knacken, bewegte die Schultern, schüttelte die Handgelenke wie ein Athlet der Vergangenheit, der sich anschickte, ein schweres Gewicht zu heben. Dies alles tat er langsam; ein Beobachter hätte gemeint, voller Ingrimm. Es kam nicht darauf an, dass die eigentliche Hebearbeit von elektromagnetischen Greifern verrichtet wurde; er versuchte, sich in den gleichen Geisteszustand zu versetzen wie ehedem die Athleten, in einen Zustand, in dem der Körper dem Geist gehorcht und Steifheit, Schmerz und Zeit sich widerwillig unterwerfen. Auf dein Kommando …

Auch Bruno hatte versucht, wie eines der Arbeitstiere zu sein, ja, wirklich. Er hatte Jahre darauf verwandt, seine Telekommunikationskollapsiter immer schneller, besser und billiger zu machen, hatte das Iskon gebaut und ein Vermögen verdient. Das alles aber langweilte ihn, denn was er wirklich wollte, war, einen arc de fin zu erschaffen, der in der Lage wäre, sich Photonen vom Ende der Zeit zu schnappen. Die Zeit hatte tatsächlich ein Ende – das ergab sich eindeutig aus den Zustandsgleichungen –, doch wie das Ende beschaffen war, das war Gegenstand endloser Diskussionen und zahlloser Mutmaßungen. Aber warum sollte man streiten und theoretisieren, wenn man nur ein Fenster zu öffnen brauchte und sich mit eigenen Augen vergewissern konnte?

Daher die fünfzig Kollapsone mit ihren wechselnden Orbits und der unheimlichen Hawking-Tscherenkow-Strahlung. Nicht um einen Bogen zu bauen – welch vermessener...


Stöbe, Norbert
Norbert Stöbe, 1953 in Troisdorf geboren, begann schon als Chemiestudent zu schreiben. Neben seiner Tätigkeit als Chemiker am Institut Textilchemie und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen übersetzte er die ersten Bücher. Sein Roman New York ist himmlisch wurde mit dem C. Bertelsmann Förderpreis und dem Kurd-Lasswitz-Preis ausgezeichnet. Seine Erzählung Der Durst der Stadt erhielt den Kurd-Lasswitz-Preis und die Kurzgeschichte Zehn Punkte den Deutschen Science Fiction Preis. Zu seinen weiteren bekannten Romanen zählen Spielzeit, Namenlos und Der Weg nach unten. Norbert Stöbe ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Schriftsteller. Er lebt als freier Autor und Übersetzer in Stolberg.

McCarthy, Wil
Wil McCarthy, geboren 1966 in Princeton, New Jersey, lebt mit seiner Familie in Denver, Colorado. In seinem Beruf als Ingenieur bei Lockheed gehörte er zu den Männern, die bei Raketenstarts »Lenkungssysteme startklar« melden. Als Science-Fiction-Autor wurde er durch zahlreiche brillante Kurzgeschichten bekannt, denen mehrere Romane folgten. Er machte die Idee der programmierbaren Materie in seiner SOL-Trilogie populär, zu der er auch wissenschaftlich arbeitete. Heute leitet er eine Solarenergie-Firma und ist als Kolumnist für Syfy tätig.



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