McCarthy True - Wenn ich mich verliere
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8025-9473-1
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: True-Reihe
ISBN: 978-3-8025-9473-1
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als Rory Macintoshs Freundinnen herausfinden, dass sie noch Jungfrau ist, heuern sie den attraktiven Tyler Mann an, damit er sie verführt. Doch die Gefühle, die zwischen Rory und Tyler bei ihrer ersten Begegnung erwachen, sind ebenso leidenschaftlich wie echt - und schon bald müssen die beiden sich entscheiden, wie viel sie bereit sind, für den jeweils anderen aufzugeben ...
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Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, mich Freitagabend zu betrinken. Noch viel weniger hatte ich meinen Mitbewohnerinnen Jessica und Kylie verraten wollen, dass ich noch Jungfrau war. Aber sie hatten mich mit Grant allein gelassen. Ich wusste, was Jessica und Tyler, Kylie und Nathan in den Zimmern der Jungs machten. Na ja, ich kannte es nicht aus eigener Erfahrung, was sie da trieben – ich hoffte nur, es würde nicht allzu lange dauern. Ich musste nämlich noch für meinen Test in anorganischer Chemie am Montag lernen und sechs Kapitel Hemingway lesen, in denen es um versoffene, völlig fertige Schriftsteller und ihre betrügerischen Ehefrauen ging, was immer eine Herausforderung für mich war, da ich die Faktizität von Mathe und Naturwissenschaften vorzog. Das Beziehungsgeflecht fiktiver Figuren zu analysieren empfand ich als reine Zeitverschwendung, besonders in Anbetracht dessen, womit Hemingways Figuren ihre Zeit verbrachten. Alkohol und Sex. Welch Ironie. Aber Jessica war unsere Fahrerin. Zu Fuß zurück zum Campus zu laufen war zu weit, und die Gegend war auch eher von der Sorte, dass mein Dad immer wieder besorgt die Stirn runzelte und mich fragte, warum ich denn nicht in einem Kaff wie Bowling Green aufs College gehen konnte, wo die Leute sich nicht auf dreckigen Sofas vor den Häusern fläzten und für jedermann sichtbar Crack rauchten. Zu Fuß heimzugehen war also keine Option, denn ich stand weder auf Crack, noch war ich besonders risikofreudig – nicht im Geringsten. Allerdings kam mir die Tatsache, hier allein mit Grant herumzusitzen, während meine Zimmergenossinnen sich amüsierten, nun fast schon riskanter vor, als durchs Getto zu laufen. Denn die Situation ähnelte dem Versuch, sich über eine öffentliche Toilette zu hocken und dabei bloß nichts zu berühren. Es war schwierig. Unangenehm. Und es war still. Grant redete nicht. Und ich auch nicht, also saßen wir einfach nur da und schwiegen. Die Stille wurde immer unangenehmer, und ich versuchte, mich nicht zu bewegen, denn ich wollte mich nicht mehr bewegen als er. Und da er noch nicht mal zu atmen schien, war das gar nicht so einfach. Grant tat mir sogar leid, was verrückt war, denn ich war eigentlich keins dieser Mädchen, das von allen anderen beneidet wurde und das alle Jungs zur Freundin haben wollten. Aber Grant war süß. Er hatte lange Haare, die ihm ständig in die Augen fielen, hohe Wangenknochen und dichte dunkle Wimpern. Er war viel zu dünn, und auf seinen engen schwarzen T-Shirts, die immer zerknittert waren, standen so freche Sprüche wie Bite me und What the F are you looking at? Seine dreckige Jeans hing ihm immer tief auf dem nicht vorhandenen Hintern, mit dem er Mary Kate Olsen Konkurrenz hätte machen können, und er trug sie nicht so, weil er gut aussehen wollte. Ich glaube, er aß nicht genug, ehrlich. Nathan hatte mir erzählt, dass Grants Vater Alkoholiker sei und dass seine Mutter eine ihrer Kolleginnen bei Taco Bell mit einem Kugelschreiber niedergestochen habe und deswegen in der Klapse säße. Bei Grant zu Hause kaufte einfach niemand ein. Ich war also wie ein dummes Schulmädchen in Grant verschossen, denn ich witterte meine Chance bei ihm. Ich dachte, es wäre vielleicht nicht vollkommen unmöglich, dass er tatsächlich etwas von mir wollte. »Zigarette?«, fragte Grant und hielt mir eine Schachtel Marlboros hin, als wir so in Nathans Wohnzimmer saßen. Dabei vermied er es, mich direkt anzusehen. »Nein, danke.« Sein gesenkter Blick gab mir das Gefühl, keine Angst vor ihm haben zu müssen. Ich fühlte mich von ihm nicht bedroht oder eingeschüchtert, denn auch wenn er mich nicht direkt ansah, konnte ich an dem gehetzten Ausdruck seiner grauen Augen erkennen, dass er sehr verletzlich war. Ich wollte von ihm geküsst werden. Ich nahm einen großen Schluck von dem Bier, das er mir fünf Minuten zuvor gegeben hatte, und dachte darüber nach, dass sicher alles großartig werden würde, wenn er nur erkennen würde, was mir bereits klar war: Wir waren absolut perfekt füreinander. Zwei total sensible, unauffällige, stille Menschen. Ich würde ihn niemals herumschubsen, so wie Tyler es tat und wie es unter Jungs angeblich normal war. Ich würde ihn niemals bloßstellen oder aus Jux seine Klamotten anzünden, wie es sein angeblich bester Freund Nathan getan hatte. Seine Hand zitterte leicht, als er sich die Zigarette anzündete. Wir saßen auf karierten Sesseln, zwischen uns stand ein Couchtisch aus Eiche, und im Fernsehen lief ein Spielfilm. Irgendein mieser Streifen mit Tom Cruise. Ich hatte Tom Cruise noch nie gemocht. Er erinnerte mich an den schrecklichen Cousin von irgendwem, der einen erst breit angrinst und einem dann an den Hintern grapscht und mit seiner Whiskeyfahne etwas Ekliges ins Ohr flüstert. Grant allerdings starrte aufmerksam auf den Fernseher, während sein Zigarettenrauch in verführerischen Ovalen durch die Luft waberte. Er konnte Ringe blasen. Mein einziges Talent bestand darin, Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid umzuwandeln, obwohl ich – um mein Licht nicht allzu sehr unter den Scheffel zu stellen – am College ziemlich gut war. Ich war im Honors Program für herausragende Studierende und auf dem besten Weg, meinen Abschluss mit magna cum laude zu machen. In dem Zusammenhang barg die Tatsache, dass ich mit Jessica und Kylie zusammenwohnte, fast noch mehr Ironie, als dass ich Hemingway lesen musste. Die beiden hätten ihren Schnitt um einiges verbessern können, wenn es für Beliebtheit Noten gegeben hätte, wohingegen ich in Fächern wie »Small Talk« und »Einmaleins des Flirtens« glatt durchgefallen wäre. Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Keine heimlichen Liebesbriefe oder verschwitztes Händchenhalten in der Grundschule. Kein Typ an der Highschool, der mich bei Schulveranstaltungen seine Footballjacke tragen ließ. Kein Tutor am College, der plötzlich den Wert eines funktionierenden Gehirns erkannte, und sich die Nächte mit mir in Cafés um die Ohren schlug, um zu lernen. Nichts davon. Ich wusste gar nicht genau warum, denn ich fand eigentlich nicht, dass ich unattraktiv war. Vielleicht ein bisschen unscheinbar, eindeutig still, aber in keinster Weise abstoßend. Ich hatte keinen Körper- oder Mundgeruch, keine Haare, wo sie nicht hingehörten, oder kahle Stellen, wo keine sein sollten, und ich hatte auch keinen nervösen Tick oder so. Es hatte zwar schon ein paar Typen gegeben, die mit mir rummachen und mir die Hände in die Hose schieben wollten, aber bisher hatte noch keiner richtig mit mir zusammen sein wollen. Also sollte ich irgendwie versuchen, Grant näherzukommen. Denn das hier war meine Chance, mir einen Freund zu angeln, mit dem ich stundenlang rummachen, im Kino zusammen Popcorn essen und mir ständig SMS mit triefend süßen Kosenamen schreiben konnte. Nur um zu sehen, wie sich so eine Beziehung anfühlte; ich wollte sie anprobiert haben wie ein tolles Paar hochhackige Schuhe. Vielleicht würde es sogar darauf hinauslaufen, dass Grant sich meinen Namen auf den Oberarm tätowieren ließ. Ein kurzer Name wie Rory würde sogar auf seinen dünnen Arm passen. Das wäre etwas Dauerhaftes, das zeigte, dass es auf dieser Welt jemanden gab, dem so viel an mir lag, dass er für immer meinen Namen tragen wollte. Doch in Wirklichkeit hatten Grant und ich seit fünfzehn, zwanzig Minuten kein Wort miteinander gesprochen. Er fragte auch nicht mehr, ob ich noch ein Bier wollte. Er besaß die außergewöhnliche Fähigkeit zu spüren, wann ich mein Bier ausgetrunken hatte, und hielt mir, ohne mich überhaupt anzusehen, sofort ein neues hin. Ich wollte eigentlich gar nicht so viel trinken, aber ich schaffte es auch nicht, Nein zu sagen. Sein wortloses Rüberreichen der Bierdose war das Einzige, das uns irgendwie miteinander verband, abgesehen von der Tatsache, dass wir beide Menschen waren und uns zufälligerweise im gleichen Raum befanden. Allmählich war ich ganz schön angesäuselt von den drei Bieren, die ich kurz hintereinander in mich reingeschüttet hatte, und ich fragte mich, wie lange mein angeblich großes Gehirn noch brauchen würde, sich eine Bemerkung einfallen zu lassen, um mit Grant einen Flirt anzufangen und dabei verführerisch meine Haare zurückzuwerfen. Ich kannte eine Menge Mädels, die redeten wie ein Wasserfall, wenn sie betrunken waren, doch meine Zunge schien an meinem Gaumen festzukleben, und in meinen Ohren klingelte es. »Glaubst du …?«, fing Grant an und wandte sich mir auf einmal mit dem ganzen Körper zu. Ich war so überrumpelt, dass ich mich an meinem Bier verschluckte und es in die Nase bekam. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass er mich ansehen würde. Ich war nicht vorbereitet und hatte kein schüchternes Lächeln parat. Erstaunt sah ich ihn an, in der Hoffnung, dass er vielleicht etwas sagen würde, das uns irgendwo hinführen könnte, und ich auch endlich mal bei diesem seltsamen Paarungsspiel mitmachen durfte, das anscheinend so toll war. »Glaubst du, die Sache zwischen Tyler und Jessica ist was Ernstes oder nur ’ne Fickgeschichte? Oder meinst du, ich könnte vielleicht …?« Ich ließ mich zurück in den weinroten Sessel sinken. Es war wohl doch nicht mein Tag. Wie hatte ich nur auf die Idee kommen können, dass es jemals so weit sein würde? »Nein«, sagte ich schließlich. »Es ist auf jeden Fall was Ernstes.« Obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte, weil Jessica überhaupt nichts ernst nahm. Aber mir war gerade danach, gemein zu sein. Mir war auf einmal schlecht, und ich fühlte mich auf unschöne Weise betrunken. Ich wurde selten...