E-Book, Deutsch, 228 Seiten, E-Book
McDavid All inclusive
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-68951-040-4
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie wir Job und Alltag barrierefrei machen. Vorurteile abbauen, Inklusion und Integration fördern, Menschen mit Behinderung eine berufliche Teilhabe im öffentlichen Raum ermöglichen
E-Book, Deutsch, 228 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-68951-040-4
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Janis McDavid, geboren 1991, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er ist Vortrags- und Motivationsredner mit weltweit über 500 Vorträgen sowie Autor mehrerer Bücher. Seit Jahren reist er dafür zu Konzernen, Unternehmen und Betrieben. 2018 gewann er den Internationalen Speaker Slam in Hamburg. Janis McDavid wurde als Experte für Inklusion in den deutschen Bundestag geladen und engagiert sich als UNICEF-Mutmacher für Kinder und Jugendliche in aller Welt. Seine Projekte sorgen regelmäßig für große mediale Aufmerksamkeit.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Personalwesen, Human Resource Management
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Office Management, Büroorganisation
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Organisationstheorie, Organisationssoziologie, Organisationspsychologie
Weitere Infos & Material
REDEFINE TRAUMJOB
Wie jedes Kind hatte auch ich einen Traumjob und wie bei jedem Kind war es ein Job, der so konkret und besonders war, dass man ihn sich nur aussuchen kann, wenn man Arbeit ausschließlich aus Bilderbüchern kennt. Es war zwar nicht Fußballstar oder Astronaut, aber fast. Ich wollte Motorradpolizist werden. Und als Kind hatte ich nie das Gefühl, dass die Tatsache mich davon abhalten könnte, dass ich ohne Arme und Beine geboren wurde. Der Gedanke, dass ich sozusagen zu behindert für meinen Traumjob wäre, kam mir damals schlichtweg nicht.
Natürlich schlummerte da der vage Eindruck, dass ich anders bin. Aber das waren viele Kinder in meinem Umfeld. Anders als ich hatten manche schwarze Haare oder rote. Anders als ich waren manche außergewöhnlich groß oder klein, dick oder dünn. Alle Kinder hatten etwas, das auffiel. Ich hatte Sommersprossen.
Manchmal sprach mich jemand auf die fehlenden Arme oder Beine an. Aber ich dachte: Das wäre ein Merkmal wie die Sommersprossen, die Haare anderer Kinder oder ihre Körperform, die anders war als meine.
Ich brachte meinen Rollstuhl nie in Zusammenhang damit, dass er mich einmal von meinem Traumjob abhalten könnte.
Ja, ich hatte schon früh meinen Rollstuhl. Aber anders als es viele Kinder bei Zahnspangen empfinden, empfand ich meinen Rollstuhl nicht als Einschränkung. Ich fand ihn sogar ziemlich cool. Knallrot war er. Ich brachte ihn nicht damit in Zusammenhang, dass er mich eventuell von Streifenfahrten oder der Verbrecherjagd auf dem Motorrad abhalten könnte.
Ich musste meinen Rollstuhl pflegen und hüten. Aber ich dachte, das ist so wie bei meinen Sommersprossen. Wenn man wie ich helle Haut hat, muss man sich halt öfter eincremen. Muss auf die Bedürfnisse des eigenen Körpers eingehen. Müssen die anderen ja auch. Und die hielten ihre kleinen, großen, dicken oder dünnen Körper ja auch nicht davon ab, von einem Trip ins All zu träumen oder davon, ihren liebsten Fußballverein zur Meisterschaft zu schießen.
Ich dachte sogar, ein Rollstuhl ist gar nicht viel anders als ein Motorrad. Er machte ja so ungefähr das Gleiche. Man bewegte sich damit fort. So erklärte ich mir das. Und so deutete ich als Kind auch um, dass meine Eltern mich zwangen, im Winter grässliche Sturmhauben aus Wolle zu tragen. Die juckten schrecklich, das war schlecht. Gut war: Sie sahen eigentlich ganz cool aus. So eine Sturmhauben-Optik macht in Kinderaugen schon was her. Ich redete mir ein, die Haube wäre ein Helm. Und mit meinem Rollstuhl, den ich mir als Motorrad vorstellte, fuhr ich in den Kindergarten. Ich glaube, das ist so, wie wenn Kinder Funksprüche an die Bodenstation der NASA einüben oder den Torjubel auf dem Bolzplatz, bei dem sie so tun, als schauten ihnen 50.000 Menschen zu. Wir stellten uns vor, wir wären eigentlich schon ganz nah dran.
Ich hoffte so darauf, dass es mal einen Polizeieinsatz vor unserem Kindergarten geben würde. Einen Großeinsatz, wenigstens eine allgemeine Verkehrskontrolle. Ich wollte unbedingt mal eines meiner Idole aus der Nähe sehen. Und eines Tages war es so weit. Mein Vater brachte mich an diesem Morgen zum Kindergarten, davor parkte ein richtig echter Motorradpolizist.
Mein Vater und ich sprachen den Polizisten an, natürlich erzählte ich ihm sofort, dass ich mal den gleichen Job machen möchte wie er und wie cool er ist und überhaupt! Herrgott, war ich aufgeregt! Ich fragte den Polizisten, was ich dafür denn tun müsste. Und er sagte: »Zuerst musst du mal einen guten Schulabschluss machen.«
Heute ist mir klar, dass der Polizist sicherlich etwas überrumpelt war. Ich hatte ihn mit meiner forschen Art in die Bredouille gebracht, auf meinen Wunsch zu reagieren, so zu sein wie er. Ich hatte gedacht, ich wäre doch ein ganz normales Kind, mit Rollstuhlmotorrad und Wintermützenhelm – nur noch einen Schulabschluss davon entfernt, seinen Traumjob beginnen zu können.
Wahrscheinlich war seine Antwort die für diese Situation bestmögliche. Tatsächlich hat mich der Gedanke lange getragen, dass ich werden kann, wovon ich träume.
Ich hatte gedacht, ich wäre doch ein ganz normales Kind, mit Rollstuhlmotorrad und Wintermützenhelm.
So lief meine Kindheit ab. Man würde sie rückblickend wahrscheinlich als wohlbehütet und schön bezeichnen. Vor allem diese Zeit, in der mir weder innerlich klar war noch von außen gespiegelt wurde, dass ich ein Mensch mit einer Behinderung bin und wir eine Gesellschaft sind, in der das heißt: Man kann überhaupt nicht alles werden, wovon man träumt.
Es hatte viele Gründe, warum ich nicht Polizist wurde, sondern Speaker und Autor – aber ein Gedanke aus dieser Anekdote hängt mir immer nach, wenn ich über Erwerbsarbeit nachdenke. Woran liegt es eigentlich, dass wir es verlernt haben, Menschen erst einmal zuzutrauen, was sie sich wünschen? So wie der Polizist aus der Geschichte, der mich wie einen normalen Jungen mit einem normalen Jungentraum behandelte. Seine erste Reaktion war nicht, mir diesen Traum auszureden. Seine erste Reaktion war ein sanftes Ermutigen.
Vielleicht war der Polizist überrumpelt. Womöglich war er zu feige, mir die Wahrheit zu sagen. Aber eigentlich ist das egal. Ein großer Teil von mir hält die Antwort des Polizisten noch immer für die in dieser Situation bestmögliche. Ich glaube, sie ist mir deshalb so in Erinnerung geblieben, weil sie eine große Ausnahme in meinem Leben war. Unzählige Male habe ich stattdessen erlebt, wie nichtbehinderte Menschen mir erklärt haben, dass sie leider eine Mehrheitsgesellschaft konstruiert haben, in der Menschen wie ich behindert werden. Mein Pech.
Wann, frage ich mich, sind wir als Gesellschaft falsch abgebogen? Wann haben wir damit begonnen, bestimmte Menschen zu behindern und ihnen wenig bis absolut gar nichts zuzutrauen, wenn es um Job und Alltag geht? Oder waren wir noch nie auf der richtigen Spur? Diese Fragen haben mich seither nie ganz losgelassen. Nicht, als ich, wie vom Polizisten geraten, mein Abitur machte. Nicht, als ich mich an der Universität einschrieb, und auch nicht, als ich mein Studium wieder abbrach. Ich vergaß diese Fragen nicht, als ich mich selbstständig machte, um mich als Speaker und Autor für Inklusion einzusetzen. Und hörte nicht auf, darüber nachzudenken, als diese Karriere sich als erstaunlich erfolgreich herausstellte.
Wann haben wir damit begonnen, bestimmte Menschen zu behindern und ihnen in Alltag und Job wenig bis gar nichts zuzutrauen?
Ich habe als Speaker mittlerweile so viele Unternehmen von innen gesehen. Für jede einzelne Einladung bin ich dankbar, über jede glücklich. Aber es ist auch oft so, als sei ich ein Raumschiff, das dort landet. Ich sorge für offene Münder. Wenn ich gehe, ist es, als sei eine Erscheinung vorüber. Man reibt sich die gerade noch großen Augen und denkt sich: Ist das wirklich passiert? Welche Impulse setzen meine Vorträge – und wie nachhaltig sind sie? Wie hoch ist der Anteil meiner Geschichten, Tipps und Warnungen, der verpufft? Ich weiß es nicht. Aber ich befürchte: Vieles wird an der Umsetzung scheitern. Sicherlich ist das auch ein Antrieb gewesen, dieses Buch zu schreiben. Ich hatte das Bedürfnis, einmal all meine vagen und wolkigen Eindrücke der letzten Jahre systematisch mit Expertinnen und Experten ihres Faches abzuklopfen. Deshalb habe ich für dieses Buch eine Reise durch Deutschland unternommen, um sie zu treffen.
Ich will nicht aus Gefühlen heraus argumentieren. Oder aus Kränkungen. Ich kann die Erfahrungen, die mich geprägt haben, nicht ungeschehen machen. Zwar ist mir Wut darüber bis heute fremd. Hass sowieso. Aber dieses Buch ist, wie wahrscheinlich so gut wie jedes Buch, für mich eine Form von Therapie. Es ist Teil meines Findungsprozesses: Wer will ich sein – und in welcher Gesellschaft will ich leben?
Das sind zwei der schwierigsten Fragen überhaupt, denn so richtig weiß ich beides noch nicht. Leichter fällt es mir, sie andersherum zu stellen: Wer möchte ich nicht sein? Ich weiß, ich möchte nicht einfach nur als sympathischer, netter Rolli-Fahrer von nebenan wahrgenommen werden. Der denkt, er müsse dankbar sein für das Wenige, was ihm eine Mehrheitsgesellschaft an Barrierefreiheit hinwirft oder an Inklusion ermöglicht. Ich weiß, dass ich nicht mehr denken will, dass ich eine Last bin. Zu Hause will ich nicht mehr daran denken, ob mein im Flur abgestellter Rollstuhl andere Hausbewohner nerven könnte. Auf der Arbeit will ich nicht mehr denken, ich müsse dankbar sein, wenn der Zugang zur Kantine so umgebaut wird, dass sie nicht nur einer Gruppe von Menschen zugänglich ist, sondern allen.
Alles, was ich verlange, ist eine Frage der Würde.
Bevor ich von Business rede, will ich von Würde sprechen. Denn alles, was ich verlange, ist eine Frage der Würde. Es geht um Menschenrechte, auf die...