E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Mehnert Das Flimmern kleiner Lichter
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-89741-905-6
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-89741-905-6
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephanie Mehnert, 1979 in Hamburg geboren, lebt mit ihrer Familie in Nürnberg, wo sie als Gestalttherapeutin niedergelassen ist. Das Schreiben ist wichtiger Teil ihrer therapeutischen Arbeit, der Literatur selbst fühlt sie sich seit jeher verpflichtet. Ihre Texte erschienen u.a. in Literaturzeitschriften, in Anthologien und auf verschiedenen Literaturportalen. »Das Flimmern kleiner Lichter« ist ihr Romandebüt. Mehnert ist Mitglied im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Mitbegründerin der unabhängigen Lesereihe »Übermut & Zärtlichkeit«. In ihren Texten erforscht sie die Lebensrealitäten randständiger Figuren, und die Natur als mögliche Ressource, in der Hoffnung, damit einen Beitrag für mehr Mitgefühl und Toleranz leisten zu können.
Autoren/Hrsg.
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1
Wir alle sind wie Kinder, wenn wir schlafen. Wir unterwerfen uns – weil wir es müssen – den Aktivitäten der Zirbeldrüse, dem Melatonin.
Der Atem wird ruhiger.
Wir, die wir sonst kaum wissen, wie man das macht, entspannen uns, bis wir schließlich das Bewusstsein verlieren. In unseren Träumen erschaffen wir fantastische Welten oder tragen jene alten Kämpfe wieder und wieder aus, die noch nie zu gewinnen waren. Im Schlaf sind wir gelähmte Heldinnen, ohne Wissen um die eigene Macht.
Ronja hatte nicht geschlafen, sondern bloß dagesessen und die Schlafenden betrachtet, hatte ihren Geräuschen gelauscht und sich einsam gefühlt.
Das erste Licht des Tages kroch grau und kalt durchs Fenster. Es leckte über nackte Körper, die ineinander verschlungen auf dem Matratzenlager ruhten, das Ronja am Abend auf dem Boden eingerichtet hatte. Ronja schob sich unter dem Arm eines Mannes hervor, dessen Namen sie irgendwo zwischen Club und Gartentor verloren hatte, stand leise auf und streifte sich ihre Kleider über. Den schweren Parka nahm sie vom Haken, dann zog sie die Tür vorsichtig hinter sich ins Schloss und ging hinunter zum Strand. Eine alte Frau war mit ihrem Hund unterwegs. Unermüdlich warf sie einen Stock in die Elbe. Sie beachtete Ronja nicht, sondern war ganz eins mit dem Tier, das sich hechelnd ins eisige Wasser warf, brav apportierte und schwanzwedelnd im Sand vor ihr liegen blieb. Die Lichter im Hafen brannten noch und ließen die schweren Ladekräne im milchigen Morgenlicht wie metallene Drachen aussehen. Ihr heiseres Fauchen teilte sich die Stille mit den Möwen.
»Da hast du wohl ein kleines Paradies geerbt, hm?«
Ronja hatte ihn nicht kommen hören, aber Zorans Stimme gehörte zu dem Wenigen, das sie derzeit mit dem Wort Familie assoziieren konnte, also tat es gut, ihn hier zu wissen.
»Guten Morgen«, sagte Ronja leise. »Die Datsche, ja. Hätte nie geglaubt, dass ich einmal irgendetwas erben würde.«
Zoran nickte und strich Ronja die Haarsträhne hinter das Ohr, die der Wind ihr unablässig zwischen die Lippen blies.
»Und ich hätte nicht gedacht, dass du jemals ausziehen würdest. Ich meine, wer würde schon ein Zimmer in der Trommelstraße aufgeben. Und mich. Dass du mir morgens nicht mehr den Kaffee wegtrinkst und das Bad blockierst, ist natürlich kein echter Trost, aber ich freue mich für dich.«
»Danke. Das bedeutet mir viel.«
»Dein Zimmer werde ich trotzdem nicht untervermieten. Nur tageweise an Touris.«
Ronja schüttelte den Kopf.
»Das kannst du dir doch gar nicht leisten, Zoran. Du hast jetzt schon das dritte Zimmer nicht immer ausgebucht.«
»Ich weiß«, sagte Zoran, »vielleicht gebe ich irgendwann das her. Aber gerade kann ich mir nicht mehr vorstellen, jemand Fremden da für länger wohnen zu haben. Außerdem kommt noch der Winter. Ich glaube nicht, dass du es in der Hütte aushältst, wenn wir Minusgrade haben.«
»Ich schon.«
Gegenüber, auf der anderen Seite des Wassers, baumelte ein Container von einem der Kräne herunter. Der Wind nahm zu und mit ihm die Düsternis, die sich in Ronja aufzublähen schien.
Zoran hockte sich in den Sand, kramte einen mageren Tabakbeutel hervor und drehte sich eine...




