E-Book, Deutsch, 338 Seiten
Mehran Der Duft von Zimt und Rosenwasser
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98690-934-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman: Ein Café in Irland 2 | Drei Schwestern, ein kleines Dorf und der Zauber der persischen Küche
E-Book, Deutsch, 338 Seiten
ISBN: 978-3-98690-934-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marsha Mehran (1977-2014) wurde in Teheran geboren. Um dem Krieg im Iran zu entkommen, flüchtete sie mit ihrer Familie erst nach Argentinien, dann in die USA, nach Irland und Australien. 2005 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Das persische Café« (»Die Farben von Safran und Minze«), eine kulinarische Liebeserklärung an ihre Heimat, welches in über 20 Sprachen übersetzt wurde. Die Website der Autorin: marshamehran.com/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane »Die Farben von Safran und Minze« und »Der Duft von Zimt und Rosenwasser«.
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Godot muss warten
»Das war’s dann also? Du wirst es nicht tun? Du wirst mir nicht den Gefallen tun, an Gloria zu schreiben?«
Laylas Frage ging Marjan nicht aus dem Kopf, als sie später am Abend vor das Café trat. Eigentlich hatte sie nicht viel Zeit gehabt, an etwas anderes zu denken. Das Entsetzen, ihre Schwester so freimütig über derart erwachsene Themen reden zu hören, war durch ihre eigenen gemischten Gefühle noch verschlimmert worden, die Verwirrung, die Laylas ungezwungenes Vertrauen ausgelöst hatte. Es war keine leichte Entscheidung – jedenfalls keine, auf die sie vorbereitet war.
Du musst Geduld haben, hatte sie der schmollenden Layla erklärt. Ich verspreche dir, du bekommst eine faire Antwort.
Wenigstens hoffte sie, dass sie fair wäre. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, wie sie auf die Bitte ihrer jüngsten Schwester reagieren sollte; sie fühlte sich nicht kompetent, in dieser Frage eine Entscheidung zu fällen. Ihre eigenen Romanzen halfen jedenfalls nicht weiter, denn die Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit Verabredungen gesammelt hatte, waren sehr begrenzt, ein Umstand, den zuzugeben und sich selbst einzugestehen sie sich manchmal schämte.
Was nicht heißen soll, dass es keine Gelegenheiten gegeben hätte. An reizenden Jungs hatte es wahrlich nicht gemangelt, die ins Aioli gekommen waren, das Restaurant, wo sie in London an der Seite von Gloria Delmonico gearbeitet hatte. Mit ihrem Akzent und ihrem italienischem Aussehen ging sie als Glorias Kusine durch, ein Trick, der ihnen oft ein oder zwei kostenlose Biere in ihrer Stammkneipe beschert hatte. Aber wo der Wagemut ihrer Freundin diese befähigt hatte, mit vielen Engländern zu flirten und ausgelassen zu sein, hatte Marjan sich immer vor jedem ernsthaften Engagement gescheut. Diese Zurückhaltung beruhte nicht auf Prüderie, sondern auf zu viel Erfahrung, zu vielen Erinnerungen.
Während sie die beiden Tabletts mit den Kichererbsenkeksen auf ihren Armen in der Balance zu halten versuchte, legte Marjan ihren Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Rasch sank die Sonne hinter dem Croagh Patrick und verlieh der Herbstluft einen rosa Anstrich. Die Bonfire Night sollte mit der Dämmerung in genau dreiundzwanzig Minuten beginnen.
Sonnenuntergänge, ob üppig und pulsierend oder zart im Flüstern des Winterregens, hatten einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Es war unter einem anderen Himmel gewesen, im Osten vor über einem Jahrzehnt, dass Ali, ihr geliebter Ali, ihr seine Liebe gestanden hatte. An diesem Abend hatte er ihr auch eine wunderschöne Schmuckdose aus Messing, ein schlichtes Kästchen besetzt mit Wüstenrosen geschenkt, mit dem Versprechen, es sei das erste von vielen Andenken. Ein Versprechen, das er nicht gehalten hatte, das er nicht hatte halten können, wie sie jetzt im Rückblick wusste.
Damals, mit siebzehn, mitten in der Zeit der freien Liebe der siebziger Jahre, hatte es so ausgesehen, als bliebe ihnen eine Ewigkeit, um zu planen und ihre Träume zu verwirklichen. Komisch, überlegte Marjan, dass sie und Ali nur Händchen gehalten hatten, als sie miteinander gingen, sich ihre Leidenschaft einzig und allein in langen, schmelzenden Küssen manifestierte.
Während ihre Schulfreunde sich Teherans berauschenden Modernismus zunutze machten – ein Moment der Amnesie in dieser traditionell eher seriösen Hauptstadt –, hatten sie und Ali sich dafür entschieden, ihre Verbindung keusch zu halten. Es bedurfte einer Trennung und der nahenden Revolution, um sie in einer tieferen Vereinigung zusammenzubringen.
Wenn sie sich gestattete, an jene Tage zurückzudenken, in Momenten, da keine ihrer Schwestern zugegen war, wunderte Marjan sich immer wieder über die Umstände ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Ganz anders als die Romantik einer Nacht in weißem Satin, wie sie das auf ihrem Schulausflug nach Istanbul geplant hatten, wo er ihr das Messingkästchen gekauft hatte, war ihr erstes Zusammensein eine sehr verschwiegene Angelegenheit, die voller Unsicherheit auf einer federnden Matratze in den abgedunkelten Büros von The Voice stattfand, der Revolutionszeitung, die sie und Ali im Untergrund drucken halfen. Für das Wort paradox gab es in Farsi keine Entsprechung, aber Marjan hatte sich längst angewöhnt, diese Nacht als paradox zu betrachten.
Schließlich war es paradox, dass sie und Ali erst zusammengekommen waren, nachdem sie sich seiner Sache verschrieben und begonnen hatte, ein roosarie, das traditionelle Kopftuch zu tragen. Paradox auch, dass sie durch ihre vom Bruch und der Revolte geprägten Worte, jener konstruierten Planlosigkeit die über eine alte Druckerpresse Verbreitung fand, zusammenfanden und ihre Körper für jene kurzen Augenblicke der Wonne vereinten. Augenblicke des reinen, unkomplizierten Glücks.
Es war, als hätte ihnen das Geheime ihres revolutionären Tuns einen abgeschotteten Raum ganz für sie allein ermöglicht, einen Raum mit Wänden, durch die nur sie eintreten konnten. War den Menschen womöglich nur innerhalb gewisser Grenzen die Freiheit gewährt, sie selbst zu sein, absolut nackt an Seele und Körper gleichermaßen, fragte Marjan sich manchmal. Schließlich war es der vom Iran beschrittene Weg, die Trennung von öffentlichen und privaten Welten, die keinen Fremden durch die geschlossene Tür einließ. All diese ummauerten Gärten und Schleier, diese in Gefangenschaft singenden Nachtigallen.
War es besser, alles von sich preiszugeben und die eigenen Wunden, die dunkleren Seiten vor einer anderen Person zu öffnen? Oder war man reicher, wenn man vorsichtig blieb und seine Gefühle für sich behielt? Vielleicht brauchte der Mensch ja ein wenig Geheimnis im Leben, sagte Marjan sich, und musste Dinge vor den anderen verborgen halten. Vielleicht gab es Geheimnisse, die man nur mit sich selbst teilen konnte. Oder war dies ein Argument zur Rechtfertigung des goldenen Käfigs, der Republik, für die Ali gekämpft hatte und für die er vielleicht sogar gestorben war? Sie wusste es nicht. Dieses Rätsel würde wahrscheinlich nie gelöst werden. Es war eine der Fragen, die das Menschenherz immer wieder aufs Neue verwirrten.
Vielleicht sollte sie sich lieber auf ihre Kichererbsenkekse konzentrieren, die sie zum Freudenfeuer schleppte, sagte sich Marjan und lief die Main Mall hinunter.
Das Kekstablett fest im Arm haltend, ging Marjan zu Fadden’s Field hinüber. Noch ehe sie den begrünten Hügel betrat, der neben Danny Faddens Mini-Mart lag, spürte sie die zu erwartende Aufregung am Beben des Bodens. Zum ersten Mal würde Ballinacroagh in diesem Jahr das Ende der Erntezeit in so großem Stil feiern. Schon im letzten Jahr hatte man den Versuch unternommen, eine Feier zu organisieren, die sich aber in den sprichwörtlichen Schall und Rauch aufgelöst hatte.
Die Bonfire Night 1986 war dank eines heftigen, vom Atlantik kommenden Sturms eine einzige Enttäuschung. Für immer würde man von diesem Abend als Faddens Strohfeuer sprechen, denn der Haufen Birkenholz war, kurz nachdem er entzündet worden war, schon wieder erloschen.
»Marjan! Schön, dass du da bist!« Um zu ihr zu gelangen, musste Fiona Athey einem Nonnentrio ausweichen, von denen Marjan zwei als Schwester Agatha und Schwester Bea erkannte. Die kräftige Friseurin trug ein orangefarbenes UCLA-T-Shirt und ihre liebste olivgrüne Fischerhose, die wegen all ihre Geheimtaschen und Falten so praktisch war. Normalerweise kein Fan von weiblichen Accessoires, schien Fiona sich mit den großen Plastikohrringen, die von ihren Ohrläppchen hingen, ein wenig unwohl zu fühlen. Als ihre Freundin näher kam, erkannte Marjan auch, was sie darstellten – gelbe Maiskolben.
»Du glaubst gar nicht, in was für einem Schlamassel ich stecke«, begann Fiona heftig schnaufend und nahm Marjan eins der Tabletts ab. »Wirf mal einen Blick da rüber, Marjan, und dann sag mir, was du siehst.«
Marjan folgte dem Blick ihrer Freundin an dem bereits überfüllten Zelt vorbei, in dem Erfrischungen gereicht wurden, zur Mitte von Fadden’s Field. Inmitten der dunklen Heide hatte man in zwei Halbkreisen, die sich dreimal wiederholten, die weißen Gartenstühle aufgestellt, die bei allen Versammlungen der Stadt zum Einsatz kamen. Die Sitze waren auf eine offene Fläche hin ausgerichtet, die von runden Feldsteinen markiert war. Besagte Fläche erinnerte an eine riesige Pastete oder ein Wagenrad, dessen Speichen zu einem Scheiterhaufen aus spindeldürrem Anmachholz führten.
Marjan blinzelte, unfähig zu glauben, was sie da sah.
Auf diesen Scheiterhaufen hatte man einen fast fünf Meter hohen Mann mit gespreizten Beinen gesteckt, der ganz und gar aus Stroh und getrockneten Nesseln bestand. Oder das, was von dem Menschen übrig war. Marjan konnte das riesige Loch sehen, das in seinem Grashalmbecken gähnte.
»Die Ziege von Cat«, bemerkte Fiona trocken. »Hat sich ein Maul voll rausgezogen, ehe ich sie erwischen konnte.« Das Tablett auf ihrer Handfläche balancierend, deutete sie auf die Ulmenallee am anderen Ende der Wiese.
Am kleinsten Baum hatte man einen langhaarigen Ziegenbock festgebunden. Ballinacroaghs ortsbekannter Schluckspecht und Philosoph, Inhaber von nicht weniger als neun Doktortiteln, dieser Cat also hatte kürzlich sein hundertjähriges Erdendasein, wie er behauptete, ganz auf seine Weise gefeiert, nämlich indem er sich mit einer Flasche Erdbeerschnaps besoff, während er sein neues Haustier, Godot, auf dem Stadtplatz striegelte.
Jetzt hockte Godots griesgrämiger Besitzer auf allen vieren neben ihm und flößte dem Tier eine amberfarbene Flüssigkeit ein, deren er sich selbst auch bediente.
Marjan fand keine Worte, so entsetzt war sie.
»Und das nach all der Arbeit, die wir hatten, diese Gliedmaßen anzufügen....




