E-Book, Deutsch, 420 Seiten
Meier / Blum Logiken der Macht
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8288-7045-1
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Politik und wie man sie beherrscht
E-Book, Deutsch, 420 Seiten
ISBN: 978-3-8288-7045-1
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Politik ist Macht und Entscheidung. Wer sie verstehen und beherrschen will, muss die Logiken der Macht kennen. Dieses Buch wirft einen ehrlichen und durch zwanzig Jahre politischer Beratungserfahrung geschärften Blick darauf, wie politische Macht funktioniert: von den begrifflichen Grundlagen bis zu den konkreten Werkzeugen unseres eigenen, bewährten Power-Leadership-Ansatzes. Das Handbuch "Logiken der Macht" ist ein unentbehrlicher Begleiter und Leitfaden für Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, für angehende und erfahrene Politikberater – und für jeden, der schon immer wissen wollte, wie Macht gemacht wird.
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1 Das Wesen der Macht 1.1 Definitorische Annäherung Macht ist vielgestaltig. Sie tritt uns allgemein und in der politischen Praxis in den unterschiedlichsten Formen entgegen. Macht äußert sich im martialischen Pomp einer Militärparade, in der Entscheidung eines Staatschefs über Krieg und Frieden, in einem parlamentarischen Beschluss oder in der Polizeikontrolle am Straßenrand. Machtstrukturen durchdringen soziale Beziehungen – bewusst wahrgenommen oder unbewusst. Von der Erziehung der Eltern bis zum Totenbett sind Menschen von diesen Strukturen umgeben. Macht ist subtil und brachial, stillschweigend und beredt. Die augenfällige Heterogenität dieser sozialen Phänomene hat Max Weber in seinem Standardwerk Wirtschaft und Gesellschaft dazu veranlasst, den Machtbegriff als »soziologisch amorph«, also als schillernd und schwer fassbar einzustufen.1 Es scheinen also erhebliche Zweifel angebracht zu sein, ob sich überhaupt eine singuläre Machtdefinition beschreiben lässt bzw. ob ein Gattungsbegriff identifiziert werden kann, unter den alle Machtphänomene überzeugend zu subsumieren sind.2 Dieser Herausforderung bewusst, gilt es dennoch eine definitorische Annäherung zu wagen, freilich nicht im Sinne einer unumstößlichen Begriffsbestimmung. Stattdessen geht es uns um eine pragmatische Arbeitsdefinition, die unserem konkreten Erkenntnisinteresse sowohl als Handelnde in politischen Prozessen als auch als Beobachter dieser Prozesse gleichermaßen angemessen ist. Hierbei fangen wir nicht bei null an. Staatstheoretiker, Philosophen, Soziologen und Historiker haben seit Jahrtausenden das Konzept der Macht untersucht und unterschiedlichste, oft konträr entgegengesetzte Definitionen und Beschreibungen vorgelegt. Das Feld lässt sich am besten kurz anhand zweier Kontroversen ordnen, die zugleich den Orientierungspunkt unserer eigenen definitorischen Annäherung bilden.3 Der erste Streitpunkt betrifft die Frage, ob Macht primär als Fähigkeit zum zielgerichteten Handeln, also als Macht zu, oder als Vermögen zur Kontrolle anderer Personen, also als Macht über, aufzufassen ist. Der zweite Streitpunkt ist, ob es sich bei Macht um eine Ressource handelt, die von individuellen und kollektiven Akteuren besessen werden kann, oder ob sie eine soziale Struktur ist, die das Handeln von Akteuren lenkt oder sogar völlig determiniert. Entscheidend für uns ist, dass beide Kontroversen inhaltlich voneinander unabhängig sind. Eine Festlegung in Bezug auf einen Streitpunkt lässt keine Schlussfolgerungen für eine Festlegung hinsichtlich des anderen Streitpunkts zu. Um uns einer Arbeitsdefinition zu nähern, skizzieren wir im Folgenden beide Kontroversen und positionieren uns in diesem Kontext. Das Begriffsverständnis von Macht als Macht zu ist historisch früh verankert. Bereits in der Metaphysik entwickelt Aristoteles sein Kernkonzept der dynamis, das sich je nach Kontext als Möglichkeit, Fähigkeit oder Handlungsmacht übersetzen lässt.4 Aristoteles begreift dynamis ganz grundsätzlich als Vermögen eines Organismus – sei es nun ein Mensch oder ein Tier –, sich selbst oder andere Dinge zielgerichtet zu verändern. Dynamische Lebewesen sind demnach solche, die das Potenzial haben, aktiv und bis zu einem gewissen Grade planvoll auf ihre Umgebung einzuwirken. Diese Begriffsbestimmung finden wir, konsequent durch die Antike weitergetragen, bei den Scholastikern wieder, die das griechische dynamis ins lateinische potentia übersetzen. Spannenderweise setzt sich dieser »potentia«-Begriff des Vermögens nahezu ohne Bedeutungsänderung durch das gesamte Mittelalter durch.5 Thomas Hobbes nimmt diese wirkmächtige Machtdefinition in der frühen Neuzeit wieder auf, verengt die Machtkonzeption jedoch entscheidend. In seinem Leviathan legt er nämlich folgende neue Definition vor: »The power of a man […] is his present means to obtain some future apparent Good«.6 Macht, so Hobbes nun, ist eine spezifisch menschliche Kategorie, und zwar eine, die er jetzt an die Bedingung zur Verwirklichung subjektiver Interessen koppelt. Allerdings bleibt Hobbes insofern der aristotelischen Ursprungskonzeption treu, als auch er das Vermögen zu handeln ins Zentrum seiner Machtkonzeption rückt. Der Machtumfang einer Person oder Gruppe von Personen hängt somit in konstitutiver Weise ab vom Umfang ihrer Handlungsoptionen zur Erreichung ihrer verschiedenen Ziele. Hobbes’ Definition erweist sich für die Machttheoretiker und -praktiker in ihrem Herrschaftshandeln in der Folgezeit als so einflussreich, dass sie ihren Weg bis in die Gegenwart hineinfindet. Exemplarisch für die Nachwirkung dieses Konzepts ist etwa die Position der Philosophin Amy Allen, die Macht auffasst als »ability […] to attain an end or series of ends«.7 Diese Fähigkeit, so konkretisiert Allen das hobbessche Paradigma, muss nicht erfolgsgarantierend sein bzw. die Verwirklichung des gewünschten Zweckes erzwingen. Ein Akteur verfügt bereits dann über Macht, wenn die Durchführung einer Handlung das Eintreten des intendierten Effekts wahrscheinlich macht. Somit erweitert Allen Hobbes’ Konzeption um eine explizit probabilistische Komponente. Die Macht eines Akteurs bestimmt sich nicht allein durch den Umfang seiner Handlungsoptionen, sondern auch durch die Wahrscheinlichkeit, dass die entsprechenden Handlungen bei ihrer Durchführung erfolgreich sind. Das zweite, konkurrierende Begriffsverständnis von Macht als Macht über, demzufolge Macht wesentlich eine Beziehung der Dominanz zwischen Personen ist, lässt sich in seiner ideengeschichtlichen Genese weniger leicht zurückverfolgen. Für viele Gesellschaftstheoretiker beschreibt Niccolò Machiavelli diese Konzeption zum ersten Mal explizit in seinem Macht-Klassiker, dem Fürsten.8 Dafür ist unstrittig, wer die in der Gegenwart bekannteste Definition dieses Konzepts vorgelegt hat, nämlich Max Weber: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen«.9 Es lohnt sich, diese kompakte Begriffsbestimmung in ihre Komponenten zu zergliedern. Erstens impliziert das Macht-über-Konzept, wie es Weber darlegt, eine sich gegenseitig bedingende Beziehung zwischen einem Machthaber und einem Machtunterworfenen.10 Während die aristotelische Definition von Macht, die auf dem bloßen Vermögen zum erfolgreichen und zielgerichteten Handeln fußt, auch in einer Welt noch Anwendung fände, in der nur noch ein einziger Mensch am Leben wäre, ließe sich nach Webers Verständnis in einem solchen Szenario gar nicht mehr sinnvoll von Macht sprechen. Macht im weberschen Sinne ist irreduzibel sozial, und sie setzt mindestens zwei Personen voraus.11 Zweitens impliziert dieses Machtkonzept einen potenziellen Widerstand, der potenziell überwunden wird. Das heißt: Macht setzt konkret einen Willen voraus, der, wenn er dem Willen des Machthabers entgegensteht, von diesem überwunden werden kann, wenn der Machthaber dies will.12 Dies bedeutet, wie Byung-Chul Han treffend festhält, dass sich Macht nicht notwendigerweise in Zwang äußern muss.13 Diese Dominanztheorie fasst damit bedeutende Elemente vieler Machttheoretiker zusammen: Einerseits kann jeder Machtunterworfene aus freien Stücken den Wünschen des Machthabers folgen, ohne dass dieser von Zwangsmitteln Gebrauch machen müsste. Andererseits kann der Machthaber auf die Anwendung seiner Zwangsmittel verzichten und den Machtunterworfenen in seiner Unbotmäßigkeit gewähren lassen, ohne dabei seinen Status als Machthaber einzubüßen. Entscheidend ist aber, dass die Größe der Macht eines Akteurs konstitutiv davon abhängt, inwieweit er dazu befähigt ist, den Widerstand anderer bei der Realisierung seiner eigenen Interessen zu überwinden. Dabei ist es unerheblich, ob der Widerstand anderer sich jemals manifestiert oder ob der Akteur jemals von seiner Fähigkeit Gebrauch macht. Die dritte entscheidende Komponente ist schließlich, dass Macht stets nur mit einer Chance zur Durchsetzung von Interessen assoziiert ist. Dieser Aspekt, der uns schon bei der Diskussion des Macht-zu-Konzepts begegnet ist, besagt nichts anderes, als dass auch das Macht-über-Konzept eine probabilistische Komponente besitzt. Macht über andere zu haben, ist keine Garantie, dass der Machthaber seinen Willen durchsetzen kann. Es bedeutet nur, dass, wenn er von seinen Zwangsmitteln Gebrauch macht, eine signifikante Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Mittel bei der Überwindung des Widerstands erfolgreich sind. Dieser Dualismus zweier Machtkonzeptionen ist keinesfalls eine westliche Besonderheit. Er findet sich auch in anderen großen Kulturtraditionen. Das zeigt sich eindrucksvoll an den prägenden Strömungen der klassischen chinesischen Ethik – dem Daoismus und dem Konfuzianismus.14 Beide Denkschulen befassen sich explizit nicht mit...