E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Meisner Medienkritik ist links
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-360-50195-0
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum wir eine medienkritische Linke brauchen
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-360-50195-0
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lukas Meisner, geboren 1993, studierte Philosophie, Soziologie und Komparatistik in Tübingen, Berlin und London. Anschließend promovierte er zur kritischen Theorie u.a. am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien. Zur Zeit lehrt er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Neben Büchern publizierte er in Literatur- und Fachzeitschriften sowie Anthologien.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II. Vom Linken und Allzulinken – Zur Substantialisierung eines Begriffs
Linke Medienkritik braucht es bezeichnenderweise bereits, um die geläufigen, doch gleichbleibend irreführenden Darstellungen dessen, was links sei und was nicht, korrigieren zu können. So gilt heute vielen bereits als links, wer den Klimawandel nicht leugnet oder wer die Entrechtung der Frau nicht noch im Grundgesetz verankert wissen will. Als reichten etwas gesunder Menschenverstand gepaart mit Minimalstandards der Menschlichkeit zum Linkssein bereits vollumfänglich hin. Anderen wiederum, die sich selbst als Linke missverstehen, gelten beispielsweise Anti-Imperialismus und Pazifismus oder aber die Verteidigung des Erbes der Aufklärung und der Vernunft als rechte Umtriebe. Politische Orientierungslosigkeit auch seitens der Linken scheint eines der Hauptmerkmale unserer Zeit zu sein. So wenig nun alles, was als rechts verschrien ist, wirklich rechts ist (z. B.: fundierte Medienkritik, Skepsis gegenüber Eliten, antimilitaristische Haltung), so wenig ist automatisch links, was sich so betitelt (z. B.: haltlose Staats- oder Marktaffirmation, grenzenlose Waffenlieferungen oder die Überidentifikation des Humanismus mit der »weißen männlichen Moderne«).
Die folgenden Kapitel wollen darum einen Kompass anbieten durch das nur schwer überschaubare Gelände der Frage, was links zu sein im 21. Jahrhundert eigentlich bedeuten kann. Kurz, sie wollen das Linksseins jenseits subjektivistischer Selbst- und Fremdzuordnungen begrifflich substantialisieren, denn auch politische Begriffe haben etwas Objektives an sich. Zunächst ist dafür zu dekonstruieren, was sich fälschlicherweise als links konstruiert, um dann konstruktive Vorschläge dafür zu unterbreiten, was Linke heute zusammenhalten sollte. Ohne eine gewisse Arbeit am Begriff wird es also nicht gehen, so anstrengend diese mitunter auch sei.
Links ist nicht alles, was sich so nennt: Interventionen
Seit einigen Jahren versucht eine streckenweise hegemonial gewordene linksliberale Bildungsbürgerlichkeit, sich als progressive Avantgarde und einzige Zukunft der Linken zu präsentieren. Dagegen ist entschieden Einspruch zu erheben, will man die rechte Barbarei nicht als falsche Notwendigkeit in besagter Zukunft programmieren. Solange sich die Linke nämlich selbst verwechselt mit dem metropolitanen Lifestyle der politischen Mitte unserer Tage, wird sie außerhalb dieses bestimmten Milieus niemanden mehr ansprechen. Das hieße aber, dass den durch die Umstände Radikalisierten mehr und mehr die Rechte als einzige Kraft bliebe, um Unmut, Zorn und Ablehnung – in entsprechend verzerrter und gefährlicher Form – zu äußern. So weit darf es eine Linke nicht kommen lassen. Hier muss sie intervenieren, indem sie stets daran erinnert, wofür sie im Eigentlichen steht – was ex negativo miteinschließt, sich von denen zu verabschieden, die ihre Sache längst preisgegeben haben.
Für eine mutige Linke
Immer häufiger trifft man auf Menschen, die unter Linkssein nichts anderes mehr verstehen als dessen liberale oder postmoderne Verkürzung. Manche Linke selbst beginnen in diesem Klima, an der eigenen politischen Orientierung zu zweifeln. Wenn etwa die Kritik am Kapitalismus, die Problematisierung totaler Verfügbarkeit oder gleich das emanzipatorische Gesinnen als solches der Unterstellung begegnen können, sie seien antisemitisch, reaktionär oder eurozentrisch, dann stellt sich vielen die Frage: Bin ich denn noch links?
Was heißt Linkssein überhaupt, wenn beispielsweise Islamophob-Imperialismusfreundliches (vermeintliche Antideutsche), Desolidarisierend-Partikularistisches (liberale Identitätspolitik), Technokratisch-Szientistisches (Posthumanismus) oder Gegenaufklärerisch-Antihumanistisches (sogenannte Postcolonial Theory) die Deutungshoheit über das zu haben meint, was wahrhaftig links sei? Ist etwa die dekoloniale Annahme, dass man Rationalität als per se totalitär begreifen, den kapitalistischen Verblendungszusammenhang aber als inkommensurabel pluralistisch verstehen solle, wirklich links zu nennen? Ist es die identitätspolitischessentialisierende Haltung, das Leid von Marginalisierten zu fetischisieren zum epistemologischen Privileg, bis die sozialen Positionen als ontologische Differenzen fixiert sind?
Ist die antideutsche Vorstellung davon, das Handeln einer bestimmten, derzeit rechtsextrem und immer weniger rechtsstaatlich regierten Nation bedingungslos in jeder Auseinandersetzung zu verteidigen, links, oder die transhumanistische Idee, die enthemmte Produktivkraftentfesselung der Naturausbeutung für den neuesten Schrei des Öko-Feminismus zu halten?
Ich wage zu behaupten, dass die gerade angeschnittenen Annahmen, Haltungen, Vorstellungen und Ideen mehrheitlich aussehen, als seien sie eher einem rechten als einem linken Horizont entnommen. Offenbar also wurde in den Konditionen der Realsatire politischer Postmoderne der letzten Jahre neben vielen anderen Dualismen auch der von Links und Rechts liquidiert. Im Effekt verwirklichte sich ironischerweise das alte Märchen der politischen Mitte, dem zufolge sich Links und Rechts in ihren Extremen träfen. Während die steil abseitige These des impliziten Linken weiter behauptet wird, nach welcher CDU und Co. sozialdemokratisiert worden seien, scheint es jedoch vielmehr, als sei die gesellschaftliche Linke zwischen Liberalismus, Bildungsbürgertum und Postmoderne nach rechts gerückt.
Natürlich gibt es in den schlagwortartig benannten, intern hoch differenzierten linken Strömungen auch Aktivist*innen, die sich aus dem linken Paradigma nicht entfernt, sondern es vielmehr vertieft haben – wie etwa einige Vertreter*innen des materialistischen Intersektionalismus oder des interdependenztheoretischen Antikapitalismus. Aber gerade diese innere Differenziertheit wird von den medienwirksam lautesten Stimmen, um welche es im Folgenden gehen soll, hinfort-agitiert. Von diesen lautesten Stimmen an den Rand gedrängt geht es nun nicht wenigen so, dass sie Angst bekommen, das logisch Linke, also Emanzipationsinteressierte noch offen zu vertreten. Obwohl das ein unaushaltbarer Zustand ist, regt sich kaum offener Widerstand dagegen. Die Abwesenheit des linken Protests gegen jene innere Landnahme von rechts hat wohl damit zu tun, dass die Politik der Angst für gewöhnlich mittels der Politik der Schuld funktioniert. Insofern ist eine rechtsgerückte Pseudo-Linke ein urchristliches, ja abendländisches Phänomen, und schließt an die Bekenntnis-, Beicht- und Bußetradition des europäischen Mittelalters an. Deren Kehrseite ist die Hexenjagd der denunzierenden ad-hominem-Argumente, sodass sich ganze Kasten von Akademiker*innen, Künstler*innen und Journalist*innen mehr und mehr selbst zu ihren eigenen Themen nicht mehr äußern aus der Befürchtung, damit ihren Ruf oder Beruf bzw. ihre Karriere zu verlieren. Stattdessen halten sie sich bedeckt und hoffen, die Mode ginge vorüber, ohne zu tiefe Spuren zu hinterlassen.
Gegen solche Regressionen ist hervorzuheben, was emphatisches Linkssein immer schon wollte und auch weiterhin will: die Gleichheit aller Menschen, für die gilt, dass »jeder nach seinen Fähigkeiten« gibt und dass »jedem nach seinen Bedürfnissen« (Marx) gegeben wird, die »Freiheit der Andersdenkenden« (Luxemburg) und die Möglichkeit, »ohne Angst verschieden sein« zu können, womit der »Zweck der Revolution« zur »Abschaffung der Angst« wird (Adorno).
Jenes Noch-Nicht substanzieller Solidarität im Herzen des Linksseins ist zu verteidigen gegen die Umdeutung linker Inhalte zugunsten rechter Deklinationen. Gerade die internetgeführte Debatte ist meist hoffnungslos kurzgeschaltet auf die Zirkelschlüsse oberflächlicher Bekundungen, die politisches Urteilsvermögen auf die Eindimensionalitäten von Gut und Böse eindampfen. Der Grund und Hintergrund dieser Eindampfung ist aber nicht erst, dass man unter 40 politische Bildung kaum mehr anders denn über (un-)soziale Medien konsumiert, die Instant-Aufklärung als genudgte Konditionierung propagieren. Das Problem ist vielmehr schon die bildungsbürgerliche, liberale, postmoderne Verortetheit dieser »Linken« in habituellen Mittelstandsproblemen – welche man in Ablenkung von sich dann gerne allen anderen vorwirft. In der Folge wird ein ökonomievergessener Kulturalismus auf den Rest der Welt übertragen, sodass, wer zeitgemäß »links-grün« sei, tatsächlich weniger versifft ist – wie Okcupid-Profile und ze.tt-Artikel es nahelegen –, als der überprivilegierten unteren Oberschicht oder der bürgerlichen Mitte anzugehören. Diese aber gefielen sich immer schon am besten in der Rolle der moralisch überlegenen Naserümpfer*innen ob der Primitivität des arbeitenden Volks »da unten«, wie gleichsam als Repräsentanz des Fortschritts »von oben« höchstselbst. Trauen wir uns darum ungeniert, Beispiele anzuführen, und zwar der Exemplarität wegen aus einander entgegengesetzten bzw. miteinander verfeindeten Ecken dessen, was sich links(-radikal) dünkt, ohne es noch zu sein.
Beispiel 1: Die Schwundstufe der Antideutschen
Die Mehrzahl der Antideutschen, die man heute so treffen kann, ist längst nicht mehr das, was sie einst sein wollte. Insbesondere links ist sie nicht mehr, weshalb die Linke auch seit Jahrzehnten ihr Hauptfeind ist. Was sich mittlerweile antideutsch nennt, ist oft nur noch eine extreme Schwundstufe berechtigter Analysen, von den strukturellen Zusammenhängen zwischen Kapitalismus und Antisemitismus zur...