E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Melcher Du, ich hab nachgedacht
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-492-60190-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Ein humorvoller Roman zum Thema Beziehung und Partnerschaft
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-492-60190-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lea Melcher ist eine Mainzer Illustratorin und Autorin. Nach einem Frühstudium der Literaturwissenschaft studierte sie Film und Fernsehjournalismus und absolviert momentan ihren Master in Mediendramaturgie. Sie ist großer Katzenfan und lebt mit ihren eigenen flauschigen Begleitern in Mainz. Auf Instagram teilt sie unter @leamelcher illustrierte Einblicke in ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle - und in den Kampf gegen eine Angststörung.
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Immer wenn ich jemanden Neues kennenlerne, überlege ich, wie ich mit ihm Schluss machen könnte. Schließlich ist es wichtig, über die verschiedenen Beziehungen in meinem Leben einen Überblick zu behalten und sie nicht wie zu lang im Kühlschrank stehende Milch versauern zu lassen. Beim Schlussmachen kommt es auf verschiedene Aspekte an: das perfekte Timing, ein gewisses Fingerspitzengefühl, das Vermeiden von Floskeln – aber vor allem darauf, dass man es richtig durchzieht. Ein halbes Schlussmachen, ein Zurückrudern, ein Türchen-Offenlassen ist schlimmer, als überhaupt nicht Schluss zu machen. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, denn ich war ja nicht immer dermaßen gut im Schlussmachen. Außerdem betrifft das ja nicht nur romantische Beziehungen, sondern zum Beispiel auch eine Freundin, die sich nur meldet, wenn sie mir das Ohr abkauen will, oder meine Yogalehrerin, die immer mehr verschwörungstheoretische Floskeln in ihre Routinen einfließen lässt. Für jeden Menschen gibt es das perfekte Schlussmachen, aber eigentlich geht es vor allem darum, dass man mit sich selbst im Reinen ist und der anderen Person gar nicht genug Raum lässt, um etwas zu erwidern. Ich vertrete außerdem die Ansicht, dass es nicht unbedingt nötig ist, persönlich Schluss zu machen, man muss der anderen Person nur genug stichhaltige Gründe nennen, um nicht allzu lange damit zu hadern. Ich liebe dich nicht mehr oder Ich möchte mein Geld zurück sind sehr viel stärkere Ansagen als Es funktioniert einfach nicht oder eine lang ausgedehnte Diskussion über die Glaubwürdigkeit von Presse und Politik und wie man sich da einig sein müsse. Es gibt nur einen einzigen Menschen in meinem Leben, bei dem ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich mit ihm Schluss machen würde.
Adrian blinzelt gegen die untergehende Sonne und grinst zu mir herüber. »Was denkst du?«, fragt er mit seiner warmen Stimme. Das Lenkrad gleitet durch seine Hände, als wir um eine Kurve biegen und zum ersten Mal das Meer sehen. Die scharfkantigen Felsen, die von der Straße aus bis zum Wasser hinabfallen, leuchten rötlich orange in der Abendsonne. Der Wind pustet meine roten Locken durch das geöffnete Beifahrerfenster nach draußen. Ich versuche gar nicht erst, sie zu zähmen, sondern lasse sie um meinen Kopf wirbeln und den Stress meines Alltags hinaus in die Dämmerung blasen.
»Was denkst du?«, wiederholt Adrian noch einmal, und ich fürchte, dass er seinen Blick nicht wieder auf die Straße richten wird, bis ich ihm antworte.
Ich lege den Kopf schräg und mustere ihn; von den dunklen Locken über die buschigen Augenbrauen und die sonnengebräunten Unterarme, als hätte er den ganzen Sommer draußen verbracht und nicht in der Küche seines Restaurants.
»Ich denke darüber nach, wie ich mit dir Schluss machen würde«, sage ich wahrheitsgemäß und beobachte jede seiner Regungen. Aber Adrian lässt sich keine Irritation anmerken, die Haut um seine Augen wirft Falten, er legt den Kopf zurück und gluckst.
»Und wie würdest du mit mir Schluss machen?«
Ich knabbere an der Haut um meinen Daumennagel und ziehe die Beine auf den Sitz. »Ich weiß nicht, das ist es ja, was mich so beschäftigt.«
Wieder gluckst Adrian, diesmal wächst dieser Laut aber zu einem richtigen Lachen heran. Auch dieses Geräusch wirbelt der Wind durch den Innenraum des Autos, bis es mich komplett umhüllt und ich nicht anders kann, als mit ihm zu lachen.
»Wie weit ist es noch?«, frage ich.
»Nicht mehr weit.«
»Wenn du mir sagen würdest, wo wir hinfahren, würde ich nicht ständig fragen.«
Wieder blinzelt Adrian mich an, bis ich den Sonnenschutz vor seiner Stirn herunterklappe. »Keine Chance, Romy. Das hier ist immer noch eine Überraschung.«
»Ich hasse Überraschungen«, brumme ich, kann mir aber ein kleines Grinsen nicht verkneifen. »Aber du hast schon recht, es gibt schlimmere Überraschungen, als mit dir nach der Arbeit an die Côte d’Azur zu fahren.«
Adrian beugt sich zu mir herüber und gibt mir einen Kuss. »Na, siehst du.«
»Auch wenn ich es verrückt finde, für ein Wochenende so eine ewig lange Fahrt auf sich zu nehmen.«
»Ich dachte, du magst verrückte Dinge?«
Ich knabbere weiter an meinem Daumen. »Ja, aber du nicht.«
Ich warte gespannt auf seine Reaktion, aber Adrian sieht nicht wieder zu mir herüber. Ich rutsche auf meinem Sitz herum und lehne den Kopf gegen den Rahmen des geöffneten Fensters. Die Sonne bewegt sich mit uns, kriecht immer weiter an den Horizont heran und zieht alles in unserer Umgebung lang wie Kaugummi. Ich habe das Gefühl, dass diese lang gestreckten Schatten, diese verzerrten Momente, eine Art Übergang in eine andere Welt darstellen, ich bin mir nur nicht sicher, in was für eine.
Straßenschilder rasen an uns vorüber. Fünfzig Kilometer bis Cannes, dreißig Kilometer bis Saint-Tropez. In der Ferne schiebt sich ein weißer Leuchtturm zwischen den Felsen hervor. Er sieht aus wie eine Rakete, die drauf und dran ist, ins All zu starten. Ich blinzele, und auf einmal liegt alles in unserem Auto im Schatten, und Adrian biegt von der Küstenstraße ab. Kurz höre ich Kies und Sand zwischen den Rädern. Die Nachtluft ist hier auf einmal kühl, surrend lässt Adrian alle Fenster wieder hinauf, als wollte er die letzten Sonnenstrahlen noch ein bisschen im Wageninneren festhalten. Ich lege meine Hand auf seine, die den Steuerknüppel umfasst hält. Von ihm geht eine Wärme aus, die mich immer beruhigt. Zedernbäume ragen weit in die Fahrbahn hinein und streifen unser Fenster. Ich fühle mich an eine Waschstraße erinnert und denke daran, wie ich früher zusammen mit meinem Bruder auf der Rückbank kauerte, hin- und hergerissen zwischen Angst und Begeisterung. Ich zwinge mich, nicht noch einmal nachzufragen. Bist du sicher, dass wir hier richtig sind? Wo bringst du mich hin? Was ist das für ein seltsamer Wochenendtrip? Ich muss mich daran erinnern, dass ich Adrian vertraue, meinem Adrian. Schließlich vertraut er mir auch, das weiß ich ganz sicher. Also ist es vielleicht an der Zeit, ein bisschen Vertrauen an ihn zurückzugeben.
Ich atme zischend ein, als Adrian scharf abbiegt und durch eine holprige Senke fährt. Für einen Moment schieben sich die Zweige und Büsche und Bäume vor den Mond, und es ist komplett dunkel im Auto, nur die Lichter der Armaturen leuchten rötlich auf. Gebannt verfolge ich die Zweige, wie sie erst gegen die Frontscheibe und dann an mir vorbeistreifen, und verspüre auf einmal das Verlangen, einfach die Scheibe runterzulassen und mein Gesicht nach draußen zu strecken. Das hatte ich mir als Kind in der Waschstraße auch immer gewünscht – und es einmal sogar getan. Das war das letzte Mal, dass mein Vater mich mit in die Waschstraße genommen hatte.
Der Motor seufzt, als Adrian den Wagen wieder aus der Senke lenkt, einen kleinen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich frage mich, ob wir jetzt direkt auf das Meer zufahren, da entdecke ich die schmale blaue Linie weit unter mir, höre das Rauschen der Wellen in den Ohren. Ich kann meine Augen nicht von diesem Anblick lösen, wenn ich sie zukneife, dann sieht es aus, als würden Himmel und Wasser einfach ineinander übergehen, als wäre ich in einer Blase gefangen, die uns komplett umhüllt. Ich bekomme kaum mit, dass der Wagen langsamer wird und schließlich zum Stehen kommt, das Anziehen der Handbremse dringt nur gedämpft zu mir durch.
Adrian berührt sanft meine Schulter. »Schatz, wir sind da.«
Erst das Bellen eines Hundes reißt mich aus meiner Trance. Unser Auto steht vor einem alten französischen Steinhaus mit weißen Sprossenfenstern und blauen Fensterläden, von denen der Lack schon ein bisschen abblättert. Weinreben wachsen an dem Gebäude empor. An einer Seite des Hauses trennt nur eine unregelmäßige Mauer das Grundstück von den Klippen, jedenfalls sieht es von hier so aus. Auf der anderen Seite wachsen knorrige Bäume, die wirken, als hätten sie sich zu oft nach den Bewohnern des Hauses umgedreht und sich dadurch selbst verknotet.
Der Hund schießt hinter dem Haus hervor und springt an meiner Autotür empor. »Kasper? Was machst du denn hier?«, flüstere ich und öffne die Tür. Sofort drückt das Tier seine feuchte Schnauze zwischen meine Knie. Ich kraule seine Ohren, die sich an den Spitzen grau gefärbt haben,...