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E-Book

E-Book, Deutsch, 249 Seiten

Mensching Hausers Ausflug

Roman

E-Book, Deutsch, 249 Seiten

ISBN: 978-3-8353-4980-3
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



David Hauser, Geschäftsführer der Firma AIRDROP, findet sich plötzlich in einer wüstenähnlichen, kargen Gegend wieder. Wer will ihn loswerden?

Geschäftsführer David Hauser erinnert sich nicht, wie er in die Box geraten ist. Was er weiß: Jemand will ihn loswerden. Seine Firma AIRDROP stellt sogenannte Rückführungsboxen her, in denen Asylbewerber, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt worden ist, mittels eigens hierfür entwickelter Flugzeuge in ihre Herkunftsregionen zurückbefördert werden.
Kurz vor dem Abwurf kommt Hauser zu Bewusstsein und findet sich wenig später in einer kargen, wüstenähnlichen und doch bergigen Landschaft wieder, in fremder Kleidung und mit gefälschten Papieren. Wo ist er? Syrien? Afghanistan? Wie konnte er, ohne es bemerkt zu haben, in die Box gesteckt worden sein? Er weiß ja, dass nicht alle hinter seinen Unternehmungen stehen – ganz vorn dabei sein sich linken Idealen verschriebener Vater –, aber wer würde so weit gehen, ihn auf diese Weise auslöschen zu wollen?
Schnell wird Hauser bewusst: Der in seiner Box mitgeführte Proviant wird nicht lange vorhalten. Doch bevor er Hitze und Hunger zum Trotz einen Überlebensplan schmieden kann, wird er angegriffen und überwältigt…
Ein spannungsgeladener, politischer und sprachmächtiger Roman voller meisterhafter Monologe – und unterhaltsamer Dialoge.
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Autoren/Hrsg.


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Hauser hatte seine Lage im Augenblick des Erwachens durchschaut. Er steckte in einer Box. Die Arme waren in Höhe der Handgelenke an die Lehne gefesselt, Klettbänder oder Riemen fixierten die Schienbeine an die Streben des Sitzes. In undeutlicher Entfernung surrte ein Oberton. Die Triebwerke. Das Kinn konnte er einige Zentimeter neigen, den Kopf, wegen der Ohrstützen, minimal drehen. Eine ausgeklügelte Konstruktion. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte David Hauser diese Erkenntnis gefreut. Während seine Augen in die schwarze Leere starrten, hob und senkte er die Finger. Thrombosegefahr bestand nicht. Dafür sorgte die Infusion. Hauser glaubte zu schwitzen, eine physiologische Reaktion, die unmöglich war. Wenn er sich dort befand, wo er zu sein meinte, wurde sein Blutdruck automatisch geregelt. Das Letzte, was er erinnerte, war der Stau auf der Stadtautobahn, ein Sturzregen, der ihn überrascht hatte, er sah die Scheibenwischer, auf höchster Stufe, zack, zack, vor den Bremslichtern der auf drei Spuren vor ihm rollenden Autos, dann die Ankunft in der Residenz des Staatssekretärs, Isabel wartete mit einem Regenschirm, nahm ihm in der Lobby den Mantel ab, scannte den Code, der ihnen Eintritt in den internen Bereich gewährte, mit der Kamera ihres Mobiltelefons, der Termin verzögere sich, eine Tasse grüner Tee sei in Arbeit, sie sollten im Wintergarten Platz nehmen. Die Villa, klassizistisch angehaucht, von zeitloser Eleganz, lag auf einer Anhöhe. Der See glänzte durch die Lücken zwischen den Baumstämmen. An den Buchen hingen wenige Blätter. Isabel, seine, wie er sie nannte, rechte Hand, war seit fünf Jahren bei ihm. Im ersten Jahr ihrer Beschäftigung hatten sie ein paar Mal miteinander geschlafen, sich dann aber ohne Zerwürfnis getrennt. Er glaubte einen Ruck zu spüren. Allerdings wusste er, dass die Maschine unter keinen Umständen riskante Manöver fliegen würde. Der Körper verlagerte seinen Schwerpunkt auf die linke Seite. Das Pfeifgeräusch wurde lauter. Man hatte bei der Schallisolierung Abstriche gemacht, um die Kosten zu drücken. Der Temperaturabfall war ein Indiz dafür, dass sich das Karussell drehte. Kaltluft strömte durch die Heckklappe in den Laderaum. Je kühler es wurde, desto näher kam man der Luke. Die Anregung für die technische Lösung war dem Chefingenieur Brixel beim Besuch einer Sushi-Bar am Potsdamer Platz gekommen. Stoppte die Box vor der Öffnung, wurde es ernst. Die Maschine bot Platz für vierzig Kandidaten. Auf einem Routineflug. Hauser wusste nicht, ob diese Bezeichnung für seine Reise passte. Genau genommen wusste er gar nichts. Oder zu wenig. Ihm war klar, dass die Bewegung der Transportkapseln, so der technische Terminus, höchstens eine Minute dauern würde. Das Karussell drehte sich im Uhrzeigersinn. Hatte sich der zum Ausstieg vorgesehene Passagier links von ihm befunden, würde er eine ganze Runde durchlaufen müssen, bis er wieder zur Luke gelangte. Jetzt bereute er, vor knapp zwei Jahren das Angebot der Herstellerfirma abgelehnt zu haben, Dr. Neumann, der Geschäftsführer der badischen Flugzeugwerft IMPETUS, die bei der Ausschreibung den Zuschlag erhielt, legte ihm einen Selbstversuch nahe. David Hauser, dessen Namen die Öffentlichkeit mit dem Projekt verband, würde allen Kritikern, die auf Restrisiken verwiesen, den Wind aus den Segeln nehmen. Er hatte es als Scherz abgetan und den Österreicher Brixel als Ersatzmann vorgeschlagen, der verantworte als Konstrukteur die Umsetzung seiner Idee, solle er also mit seinem Körper als Testperson in die Bresche springen. Tatsächlich widersetzte sich der Ingenieur dem Angebot nicht und bestieg die Maschine, Hauser wiederum war es später unangenehm, den Angestellten nach seinen Erfahrungen zu befragen. Sollte ihn Brixel in diese völlig absurde Situation gebracht haben? Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann aus Linz einer solchen Ungeheuerlichkeit fähig wäre. Leider fiel ihm überhaupt niemand in seinem Bekanntenkreis ein, dem er ein solches Verbrechen, um nichts anderes handelte es sich, zutraute. Es gab Neider, es gab, wer wollte es leugnen, nicht wenige Menschen, die ihn verachteten. Aber Feinde? Der Zugang zum Flugfeld war nur durch ein Tor möglich, das streng kontrolliert wurde, er selbst hatte vom Innenminister gefordert, die Überwachung des Geländes und das Boarding durch Beamte der Bundespolizei durchführen zu lassen. Wiederum bemerkte Hauser einen Abfall der Temperatur. Er schloss die Augen, das machte keinen Unterschied, er sah das gleiche Schwarz wie vorher, seine Finger umklammerten die Sitzlehne, er spannte alle Sinne an, als könnte er durch angestrengte Konzentration spüren, ob die Kapsel stillstand oder sich bewegte. Ihm war, als hörte er Metall gegen Metall schlagen, ein Klicken. Ohne Fachmann zu sein, wusste Hauser genug über die technischen Abläufe. Der Schlitten polterte, wenn er über die Bordwand in den freien Fall kippte, die Stahlseile, die den Beförderungseinheiten Halt gaben, klingelten, wenn sie auf die Spindeln gewickelt wurden. Auch das Verriegeln der Klappe ging nicht ohne Geräusch ab. Einige Lösungen hatte er selbst ins Team eingebracht, zum Beispiel das Balancesystem, das den Sinkflug der Kapseln harmonisierte, oder die zur Ruhigstellung der Fluggäste angewandte Kapillarinfusion. Lange hatte man darüber diskutiert, wie verhindert werden könnte, dass die Passagiere in der lichtlosen Kabine Schocks erlitten. Wie sie in den Laderaum kämen. Ob die Platzierung auf dem Karussell erfolgen sollte oder vorher, am Terminal oder sogar noch in der Verwahrung. War es ratsam, die Kandidaten über die Transportmethode aufzuklären, oder klüger, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen? Verhaltensforscher rieten zu Tests, um die Reaktionen abzuschätzen. Die Ergebnisse waren entmutigend. Die Befragten gerieten nach weitschweifigen, diverse Ablehnungsaspekte berührenden Erklärungen in Panik, schlugen um sich, hyperventilierten, traten mit den Füßen nach den Psychologen, versuchten zu fliehen. Unter den dreißig in einer Reihenuntersuchung geprüften Kandidaten gab es im Nachgang der Testreihe fünf Selbstmordversuche, von denen zwei erfolgreich verliefen. Hauser fand die Hysterie der Probanden übertrieben. Allerdings war ihm klar, dass das Projekt zu scheitern drohte, wenn man für den Absetzvorgang keine überzeugende Lösung fand. Als kritisch erwies sich vor allem die Phase, in der die Box die Heckklappe passierte und ins Trudeln geriet. Ein erfahrener Fallschirmspringer war in der Lage, den Körper durch das Ausbreiten von Armen und Beinen in eine günstige Flugbahn zu lenken, in der Atmosphäre zu schweben, bevor sich der Schirm öffnete. Solche Adaptionsfähigkeit fehlte dem fünfundneunzig Kilogramm schweren Aluminiumkasten, der auf einen Block aus Presspappe, Honigwaben genannt, geschnallt war, trotz der installierten Mikrokameras und computergesteuerten Gewichte. Die Turbulenzen, die auf die Kapseln beim Absetzvorgang einwirkten, waren so stark, dass der Passagier genauso straff an den Sitz fixiert sein musste wie ein Astronaut beim Raketenstart. Die Schleuderbewegung währte vier bis fünf Sekunden, dann öffnete sich der Schirm, und die Landephase begann, die noch immer durch Windböen beeinflusst werden konnte, aber als berechenbar galt. Im Falle von Unwettern wurde der Absetzvorgang ohnehin abgebrochen oder an einen Ort mit besseren Bedingungen verlagert. Der heikelste Teil der Mission bestand in der Erdberührung. Anfangs hatte Hauser nicht glauben wollen, dass eine Operation, die ein Mensch mit gewisser körperlicher Tüchtigkeit ohne Schwierigkeiten absolvierte, für einen robusten Gegenstand so viel riskanter sein sollte. Berater aus dem Verteidigungsministerium hatten ihn aufgeklärt über die Rolle des Frachtgewichts, die Absetzgeschwindigkeit, die Form und Spannweite des Schirms, über die Landungsrichtung sowie die herrschenden Strömungsverhältnisse. Es machte einen Unterschied, ob man mit zwei gelenkigen Beinen Bodenkontakt suchte oder als Insasse einer Kiste platt auf den Grund schlug. Hauser hörte von Versuchen, die Fallgeschwindigkeit zu bremsen, indem unter der Palette, auf der die Fracht befestigt war, Düsen gezündet wurden, die dem Objekt Auftrieb gaben und die Heftigkeit des Aufschlags milderten. Russische Luftlandetruppen hatten mit der Technik experimentiert, allerdings transportierten sie unbemannte Panzer, stählerne Kolosse, deren Unterböden die Hitze der Zündungen wenig anhaben konnte. Für Leichtmetallboxen kam die Bremsmethode nicht in Frage. Auch hätte eine Abfederung durch Raketentriebwerke die Kosten pro Person erheblich gesteigert. Die Kalkulation lag bereits bei zehntausend Euro. Keinen geringen Anteil daran hatten die Kameras, die den Sinkflug der Behälter kontrollierten und navigierten. Auf diese Weise wurde verhindert, dass die Fracht auf Felsen, Autobahnen oder in Hochspannungsleitungen niederging. Um eine möglichst sanfte Landung zu garantieren, griff man auf traditionelle Materialien zurück. Sperrholz bildete die Bodenplatte, dann kam eine neunzig Zentimeter starke Schicht Bienenwaben, das luftig verklebte Pappmaterial drückte sich beim Aufschlag zusammen und schluckte kinetische Energie. Die Gleitrichtung des Fallschirms wurde so berechnet, dass die Ladung möglichst schräg auf den Boden aufsetzte. Im Idealfall würde der Schlitten abgeschliffen, die Kapsel also in Schräglage zum Stillstand kommen. Über ein Jahr lang hatte man Hunderte Abwürfe mit Attrappen durchgeführt und, nachdem die Tierschützer mit ihrer Klage vor dem Verfassungsgericht gescheitert waren, ein weiteres Dutzend mit Schimpansen....


Mensching, Steffen
Steffen Mensching, geb. 1958 in Berlin, studierte an der Humboldt-Universität Berlin Kulturwissenschaft und arbeitete viele Jahre als freiberuflicher Autor, Schauspieler und Regisseur. Mit Hans-Eckhardt Wenzel tourte er mit Clownsprogrammen. Seit 2008 ist er Intendant am Theater Rudolstadt. Fu¨r seinen Roman »Schermanns Augen« (2018) – Christoph Hein nannte ihn einen »Jahrhundertroman« – erhielt er den Erich-Fried-Preis und den Preis der Uwe Johnson-Gesellschaft. 2022 wurde ihm der Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung verliehen.

Steffen Mensching, geb. 1958 in Berlin, studierte an der Humboldt-Universität Berlin Kulturwissenschaft und arbeitete viele Jahre als freiberuflicher Autor, Schauspieler und Regisseur. Mit Hans-Eckhardt Wenzel tourte er mit Clownsprogrammen. Seit 2008 ist er Intendant am Theater Rudolstadt. Für seinen Roman "Schermanns Augen" (2018) – Christoph Hein nannte ihn einen "Jahrhundertroman" – erhielt er den Erich-Fried-Preis und den Preis der Uwe Johnson-Gesellschaft. 2022 wurde ihm der Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung verliehen.


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