E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Meredith Das Geheimnis der Grays
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-608-11502-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: British Library Crime Classics
ISBN: 978-3-608-11502-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anne Meredith, ist das Pseudonym von Lucy Beatrice Malleson (1899 - 1973). Sie war eine hochangesehene britische Krimiautorin und Mitglied des berühmten und exklusiven Detection Club, dem unter anderem Agatha Christie und Dorothy L. Sayers angehörten.
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I
Am Morgen des vierundzwanzigsten Dezembers 1931, der so tragisch enden sollte, fuhren Richard Gray und seine Frau Laura erster Klasse nach King’s Poplars. Nach langem Schweigen ließ Richard die Times sinken, hob sein hochmütiges, melancholisches Gesicht und sagte in einem Ton so kalt und glatt wie ein Messingtürgriff: »Laura, vergiss um Gottes willen nicht, wie dein Vater über die Zölle denkt. Es ist von größter Wichtigkeit, dass er sich nicht aufregt, bevor ich Gelegenheit habe, die Lage mit ihm zu erörtern. Du weißt ja, wie er sich bei diesen politischen Meinungsverschiedenheiten ereifert.«
Richard sprach stets so, als hätte er einen Reporter in der Westentasche.
Laura, eine hochgewachsene, hübsche und sehr gut gekleidete Frau, sagte leichthin: »Du kannst dich auf meine Diskretion verlassen. Ich weiß selbst, wie wichtig es ist, dass er sich nicht aufregt. Schließlich liegt mir genauso viel an einem Titel wie dir daran, mir einen zu kaufen.«
Richard runzelte die Stirn und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Er fand die Äußerung seiner Frau geschmacklos. Laura war eine seiner weniger profitablen Investitionen. Als junger Mann, noch vor Abschluss seines Studiums, hatte er beschlossen, sein Leben zu einem Erfolg zu machen. Er hatte hart gearbeitet und sich einen großen Bekanntenkreis zugelegt, er war gereist und hatte sehr viel gelesen, hatte sich beigebracht, Golf zu mögen, und nasse Nachmittage lang einem Ball nachgeschaut, der unentwegt über glitschigen Rasen geschlagen wurde; in gewissen Kreisen hatte er sogar Geld bei Pferdewetten verloren. Mit dem Ergebnis, dass er sich innerhalb von zehn Jahren einen Ruf erworben hatte. Er hatte eine politische Karriere in Angriff genommen und wurde schon bald mit Ehrungen überhäuft. Stolzgeschwellt und voller Ehrgeiz erweiterte er seinen Bekanntenkreis, und mit dreißig lernte er Laura Arkwright kennen. Sie war drei Jahre jünger als er, hübsch, eine gute Partie, sie hatte eine einflussreiche Verwandtschaft, war gebildet, weltläufig und eine bekannte Amateurpianistin. Mit einem Wort: Sie war in jeder Hinsicht die passende Ehefrau für einen aufstrebenden Parlamentarier.
Richard, hochzufrieden mit seinem Weitblick, erwartete sich von diesem neuen Fühler, den er ausgestreckt hatte, eine Bereicherung seines Lebens. Doch er wurde in fast jeder Hinsicht bitter enttäuscht. Das Vermögen seiner Frau schmolz durch unkluge Spekulation weitgehend dahin. Schon recht bald nach der Heirat gab sie ihr Klavierspiel auf, aus dem erstaunlichen Grund, dass sie etwas gegen kommerzielle Kunst habe. Darüber sann Richard einige Zeit nach – er war schon genau wie sein Vater –, dann trieben ihn Kränkung und Neugier dazu, sie zu fragen, was sie damit meine. Sie meine, antwortete Laura obenhin, dass sie seinen Freunden nicht mehr vorspielen wolle und dass ihr schon immer die schönen Hunde leidgetan hätten, die bei Wettbewerben zur Schau gestellt würden – auch dies eine kryptische, absurde Äußerung, die Richard nicht verstand. Doch er hatte genug davon, um Erklärungen zu bitten, und griff zu anderen Mitteln, um sein Missfallen kundzutun.
Seine größte Enttäuschung aber war, dass keine Kinder kamen. Er hatte Söhne gewollt, später vielleicht eine Tochter oder zwei, denn Töchter, obwohl an sich nichts Besonderes, konnten ihrem Vater durch Heirat vorteilhafte Verbindungen verschaffen. Doch Richard und Laura hatten nie die Ängste und Hoffnungen junger Paare erlebt. Richard gab natürlich seiner Frau die Schuld; manchmal, in vertrauter männlicher Runde, wenn er sich hinreichend verletzt fühlte, bekannte er, dass sie frigide sei. Es überraschte ihn immer wieder, wie viele wichtige Leute Wert darauf legten, mit ihr in Kontakt zu bleiben, auch noch, nachdem sie ihr Vermögen verloren hatte; er vermutete jedoch, sie seien sich darüber im Klaren, dass Laura mit einem Mann verheiratet war, der ihnen eines Tages sehr nützlich werden konnte.
Laura meinte verächtlich, es sei kein Wunder, dass sie keine Kinder hätten, ein Mann wie Richard könne das auch nicht erwarten; so geizig, wie er sei, würde er ihnen schon ihr bloßes Leben missgönnen.
Nach drei Jahren hasste sie ihn. Nachdem er eingesehen hatte, dass sie höchstwahrscheinlich nie Kinder bekommen würden, hatte er zunächst demonstrativ den Beleidigten gespielt. Später jedoch nahm sein Groll subtilere Formen an. Er fuhr fort, seine Frau mit Schmuck, schönen Kleidern und Pelzen zu überhäufen, und Laura sagte bitter: »Er versieht mich mit seinem Markenzeichen, damit ich ihm nicht abhandenkommen kann.« Andere Frauen meinten neidvoll: »Herrlich muss das sein, einen Mann wie Richard Gray zu haben! Seine Frau rührt keinen Finger für ihn, und trotzdem ist er der großzügigste Ehemann der Welt. Ein Glück haben manche Frauen!« Das hatte Richard schlauerweise auch beabsichtigt, wie Laura wusste – es war eine neue Methode, sie zu demütigen. Zu allem Übel hatten auch ihre Verwandten seine Erwartungen nicht erfüllt und sich eher als peinlich denn als nützlich entpuppt. Sie hatten sich einem fortschrittlichen Radikalismus verschrieben, der Richard abstieß und entsetzte; er vertrat den Standpunkt, dass eine Klasse, die seit Jahrhunderten Macht und Land in Händen hielt, eben damit ihre Regierungsfähigkeit bewies.
Laura gab sich nach außen hin heiter und lebhaft, war in Wirklichkeit aber todunglücklich. Das lag zum Teil an der demütigenden Erkenntnis, dass sie nicht einmal mit ihrem Küchenmädchen mithalten konnte, das vor kurzem mit erstaunlicher Gelassenheit und ohne Trauschein Zwillinge zur Welt gebracht hatte. Noch mehr aber war ihr Unglück dem tristen, sinnlosen Leben geschuldet, das sie mit ihrem Mann führte. Von Natur aus eher leichtsinnig und impulsiv, hatte sie sich einen kühlen, geschliffenen Habitus zugelegt, der einer gleichgültigen Welt mit offenem Zynismus begegnete. Im Grunde ihres Herzens verabscheute sie die zahllosen politischen Ränkespiele, die ihr Mann ins Werk setzte und deren Lohn sie verachtete. Zudem war sie unsterblich in einen Mann verliebt, der sich wie Richard hauptsächlich für seine beruflichen Erfolge interessierte und sie seinerseits demütigte, indem er sie höchst feige immer wieder beschwor, vorsichtig zu sein, damit nur ja nicht die wahre Natur ihrer Beziehung ans Licht kam. Manchmal hatte sie mit dem Gedanken gespielt, Richard um die Scheidung zu bitten, aber im Grunde kannte sie beide Männer zu gut, um darauf hoffen zu können, dass sie ihr zuliebe auch nur ein Jota von ihren Zielen abrücken würden.
Sie wusste um Richards missliche Lage. Seit einiger Zeit strebte er mit verzehrender Leidenschaft nach der Peerswürde, was sie zutiefst anwiderte. Das Ausmaß an Emotionen, das er an das Erreichen dieses lächerlichen Ziels verschwendete, stieß sie mehr ab als die damit verbundenen Kosten. Er hatte diesen Schritt ursprünglich gar nicht in Betracht gezogen, aber dann hatte er jemanden aus seinem Club, der nicht ganz so versnobt war wie er, zu einem Nachbarn sagen hören: »Was in aller Welt nützt ein Titel einem Burschen wie Gray? Er hat ja niemanden, dem er ihn vererben könnte«, und seitdem hatte er sich vollends darauf versteift. Ein Titel würde ihm auf jeden Fall Ansehen und Beachtung verschaffen, wenn schon nicht bei der Nachwelt, so doch zumindest bei den Zeitgenossen. Inzwischen war das zur fixen Idee geworden und verleitete ihn sogar zu unverantwortlichem Handeln. Nicht nur die Peerswürde begehrte er, sondern auch ein bestimmtes Amt, für das, so glaubte er, die Peerswürde Voraussetzung war. Es gab noch einen Mitbewerber, einen Mann, der in vieler Hinsicht besser dastand als er, und dem verbissenen Kopf-an-Kopf-Rennen mit ihm widmete sich Richard ohne Rücksicht auf Verluste. Das war mit Ausgaben verbunden, die seine Möglichkeiten weit überstiegen, und er war bereits Verpflichtungen eingegangen, denen er nicht nachzukommen vermochte. Der Mann, den er von sich überzeugen musste, ein gewisser F., war ein strenger Nonkonformist, der es mit Sicherheit missbilligen würde, wenn sein Kandidat sich kopfüber in Schulden stürzte. Kamen ihm Richards finanzielle Nöte zu Ohren, war womöglich alle Hoffnung auf Titel und politischen Aufstieg dahin.
Das Geld, so glaubte er, war gut angelegt. Einen Teil hatte er für wohltätige Zwecke ausgegeben: Er hatte ein Bett für ein etwas obskures Krankenhaus in F.s Wahlkreis gestiftet, eine hübsche Summe hatte er in einen Arbeitslosenfonds eingezahlt, der gerade ins Leben gerufen wurde, und er hatte mehreren Stiftungen für Bedürftige Spenden zukommen lassen. So weit, so gut, selbst aus F.s Sicht. Weitaus höher waren jedoch die Summen, die er für Bewirtung, teure Weine und...