Merz Alpengold - Folge 167
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5644-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die sündige Bäuerin
E-Book, Deutsch, Band 167, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
ISBN: 978-3-8387-5644-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In ihrer Ehe mit dem sehr viel älteren Huber-Bauern geht die schöne Christel durch die Hölle, und erst nach seinem Tod findet die Bäuerin wieder einen stillen Frieden. Aber das böse Gerede im Tal will einfach nicht verstummen: Steckt Christel hinter Sepp Hubers rätselhaftem Unfall? Und wer ist der Vater der kleinen Pia, des Madels vom 'Sündenhof'? Christel schweigt. Doch Jahre später erhalten die üblen Gerüchte wieder neue Nahrung - und drohen das Leben von Mutter und Tochter endgültig zu zerstören ...
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Die Sonne war eben im Osten über die Spitze des Silbergs gestiegen, und ihr goldenes Licht erfüllte das Tal der kleinen Gemeinde Schlehbusch im Berchtesgadener Land.
Es war Juni, der Himmel wolkenlos und auch zu dieser frühen Stunde herrschten bereits angenehme Temperaturen. Noch lag der Tau auf den Blättern und in den Senken der Dunst, doch es würde nicht lange dauern, bis dieser sich hob. Mit dem Ansteigen der Temperaturen hatte sich in dem sanften Tal jenseits von Königssee und Zauberwald eine Symphonie fruchtbarer Grüntöne entfaltet.
Im Norden konnte man den Nationalpark Berchtesgadener Land erahnen mit seinen hohen Gipfeln und malerischen Naturdenkmälern. Am grünen Wasser des Königssees fand sich die berühmte Wallfahrtskapelle St. Bartholomä, das jedes Jahr von vielen Touristen aus aller Welt besucht wurde.
Südlich von Schlehbusch erhob sich der Untersberg auf knapp zweitausend Meter. Er schützte das Dorf vor plötzlichen Wetterumschwüngen und sorgte zugleich für regelmäßigen Niederschlag, denn die Wolken aus dem Salzburger Land mussten an dieser natürlichen Barriere steigen und abregnen.
Folgte man der schmalen und kurvenreichen Landstraße in östlicher Richtung, gelangte man nach Ramsau, vorbei an den schönsten Aussichtspunkten. Da lag der Hintersee, eingerahmt von den himmelhohen Föhren des Zauberwalds.
Es gab mehrere Wanderparkplätze, die sich als Ausgangspunkt für Tageswanderungen und längere Touren in die majestätische Bergwelt bestens eigneten.
Schließlich fanden sich im Westen noch Oberau und Unterau, die Zwillingsgemeinden am Fuße des imposanten Tennengebirges.
Es war eine liebliche Landschaft, seit Jahrhunderten von Menschenhand geformt und gepflegt, aber trotzdem noch in ihrer Ursprünglichkeit erhalten.
Die Bewohner des Berchtesgadener Landes hielten viel auf den Fremdenverkehr. Auch in dem kleinen Flecken Schlehbusch gab es eine Pension und mehrere Höfe, auf denen Fremdenzimmer zu vermieten waren. Keiner verzichtete freiwillig auf eine solch lukrative Einnahmequelle. Doch man hatte auch Respekt vor der Gewaltigkeit der Natur, die im Winter mit starken Schneefällen und Lawinen immer wieder ihre Opfer forderte. Und man war zudem traditionsbewusst, fest verwurzelt mit seiner Heimat. Da kam es fast von selbst, dass die Leute hier auch etwas auf den Naturschutz gaben.
Keiner wäre auf die Idee gekommen, seine Heimat schonungslos auszubeuten, nur um des eigenen Vorteils willen. Und schlug doch mal ein Geschäftemacher über die Stränge, wurde er von Freunden, Nachbarn und vor allem dem Gemeinderat in seine Schranken verwiesen.
Es war ein angenehmes und friedliches Leben im Tal von Schlehbusch. Das galt jedenfalls für die meisten Bewohner dieser idyllischen Gegend. Nicht aber für alle.
An diesem frühen Morgen, noch vor dem Frühstück, war Christel Huber bereits mit dem Traktor unterwegs.
Die Erbhofbäuerin war fünfundvierzig Jahre alt und noch immer eine schöne Frau. Das blonde Haar, das sie stets zu einem lockeren Knoten steckte, glänzte wie reifes Getreide im Sonnenlicht. In ihrem ebenmäßigen Gesicht zeigten sich kaum Falten, die klaren, rehbraunen Augen aber blickten ernst und manchmal auch streng in die Welt.
Christel war eine Frau, die mitten im Leben stand. Eine Frau, die bereits vieles mitgemacht hatte. Und der es keiner, auch heute noch nicht, wirklich leicht machte.
Die schöne Bäuerin vom Huber-Hof war schon so zeitig unterwegs, um den Reifegrad des Getreides auf ihren Feldern zu prüfen. Sie hatte einen untrüglichen Blick dafür, wann der richtige Erntezeitpunkt gekommen war. Da machte ihr keiner etwas vor, deshalb überließ sie das auch keinem anderen.
Christels Vater hatte ihr das beigebracht, wie so manches andere auch. Er hatte eine Menge praktischer Fähigkeiten gehabt, die für einen erfolgreichen Bauern wichtig waren. Nur leider war er arm wie die sprichwörtliche Kirchenmaus gewesen und hatte nie einen Hektar Land besessen.
Christel stammte nämlich aus einer der ärmsten Familien von Schlehbusch. Für sie und ihre fünf Geschwister war der Weg eigentlich vorgezeichnet gewesen. Ihre vier Brüder und ihre jüngere Schwester waren diesen Weg auch gegangen; sie arbeiteten in der Landwirtschaft beziehungsweise im Haushalt und hatten es ebenso wenig zu etwas gebracht wie die Eltern selig.
Bei Christel war das anders. Sie besaß einen der größten und schönsten Höfe im Tal. Doch sie hatte einen bitteren Preis für diesen Wohlstand bezahlt.
Die Bäuerin hatte sich davon überzeugt, dass sowohl Gerste wie auch Hafer noch nicht hoch genug im Halm standen. Der rechte Zeitpunkt für die Ernte war noch nicht gekommen. Christel machte sich nun auf den Heimweg.
Sie lenkte den Traktor, der klein und wendig war und ihr deshalb der Liebste, über einen geteerten Weg, der nur für Wanderer und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge freigegeben war.
Trotz der frühen Stunde kam ihr nun der protzige Land Rover des Bürgermeisters entgegen. Bertl Zinsner kümmerte das Durchfahrt-Verboten-Schild am Ende des Weges herzlich wenig. Er bretterte mit seinem PS-Protz überall durch. Als er Christel gewahrte, hupte er durchdringend und zwang sie, zur Seite zu fahren.
Die Bäuerin lenkte ihren Traktor an den Wegrand und blieb stehen, um den Zinsner vorbeizulassen. Offenbar betrachtete er dies als Aufforderung, denn er bremste ebenfalls, ließ das Seitenfenster herunterfahren und lehnte seinen Arm heraus. Sein breitflächiges, leicht gerötetes Gesicht mit dem kecken, eisgrauen Schnäuzer blickte Christel mit einer Mischung aus Begehrlichkeit und Verachtung an. Sein Blick glitt versonnen über ihre schlanke, gut gewachsene Figur, die auch in Jeans und einer karierten Bluse sehr vorteilhaft zur Geltung kam.
»Da schau her, wen haben wir denn da?«, merkte er süffisant an. »Wenn das net die Herrin vom Sündenhof ist. Allerweil bist fleißig, gelt? Ja, mei, was man sich erworben hat, das muss man erhalten. Ganz egal, auf welche Art und Weise man drangekommen ist. Stimmt’s oder hab ich recht?«
Christel verspürte wenig Neigung, ihm zu antworten. Seit fast fünfundzwanzig Jahren hörte sie sich diese Art von Beschimpfungen an, die stets in harmlosem Plauderton vorgetragen wurden.
Die Menschen in Schlehbusch hatten vor langer Zeit ein Urteil über Christel Huber gefällt. Dass es auf Hass und Missgunst beruhte, scherte längst keinen mehr. Und niemand kam auf den Gedanken, diese pauschale Aburteilung infrage zu stellen. Christel hatte sich damit abgefunden und stellte meist die Ohren auf Durchzug, wenn wieder einer meinte, sein Mütchen an ihr kühlen zu müssen.
Bertl Zinsner aber gehörte zu der hartnäckigen Sorte. Er gab nicht so schnell auf.
»Denkst wirklich, dass ein anständiger Bursch wie der Moser-Markus dein Nachtschattengewächserl ehelichen wird?«, stichelte er munter weiter. »Ein jeder hier im Tal weiß, dass der Esel die Pia im Galopp verloren hat. Dein seliger Mann hatte zwar ein Geweih wie ein Zwölfender, aber ganz dumm war er net. Er hat’s schließlich einem jeden gesagt, der’s hören wollte. Dass seine Frau eine Sünderin ist, eine, die net widerstehen kann. Da brauchst dich jetzt net zu verstellen. Man sieht es dir auch heut noch an, dass du ein heißes Herzerl hast. Und der Rest kann sich ebenfalls noch sehen lassen.«
Er lachte dreckig. »Wie wär’s, wenn ich dich heut auf d’ Nacht mal besuchen komm? Zum fensterln bin ich zwar nimmer zu gebrauchen, aber sonst wirst schon auf deine Kosten kommen.« Er grinste schmierig. »Sag halt Ja! Ich kümmere mich gern um einsame Frauen, bin schließlich sozial eingestellt.«
Christel musterte den Bürgermeister kühl. »Wie wär’s, wenn ich deiner Frau mal ein Lichterl aufstecke, Zinsner? Was das Geweih angeht, kann die arme Minna sich freilich mit meinem seligen Sepp durchaus messen, meinst net?«
Der Bürgermeister verlor etwas an Farbe, in seinen kleinen, hellblauen Augen aber blitzte es böse auf, als er zischte: »Halt doch deine Goschen, du Stück! Dir wird der Hochmut noch vergehen!« Damit gab er Vollgas. Der schwere Land Rover machte einen Bocksprung, der Motor heulte gequält auf, und feiner Kies spritzte vom Weg auf, als der Wagen davon schoss.
Christel ließ ihren Traktor wieder an und knatterte heimwärts. Sie seufzte leise und wünschte sich nicht zum ersten Mal, niemals Sepp Hubers Frau geworden zu sein.
Damals war sie sehr jung gewesen, gerade mal zwanzig. Sie hatte nichts vom Leben gekannt außer Sparsamkeit und Entbehrungen. Der gut doppelt so alte Bauer war in das bescheidene Hüttel der Eltern gekommen, hatte in aller Form um ihre Hand angehalten und versprochen, sie auf Händen zu tragen.
Für die Eltern war das wie ein Sechser im Lotto gewesen. Und obwohl Sepp Huber mit dem gelichteten Haar und der untersetzten Figur alles andere als Christels Traummann gewesen war, hatte sie Ja gesagt. Nicht nur, weil die Eltern sie gedrängt hatten, sondern auch aus dem verzweifelten Wunsch heraus, endlich nicht mehr arm sein zu müssen.
Sie hatte darauf gehofft, dass der Huber sein Versprechen hielt. Und sie hatte sich am Hochzeitstag vorgenommen, ihm eine gute Frau zu sein.
Doch der Tag, an dem sie auf dem Huber-Hof Einzug gehalten hatte, war der schwärzeste Tage im Leben der Christel Huber gewesen.
***
»Geh, Zenzi, mach halt hin! Die Leut warten auf ihr Frühstück!« Pia Huber bedachte die Küchenmagd, die nicht unbedingt die Schnellste war, mit einem strengen Blick.
Das Madel hatte bereits im Stall nach dem...




