E-Book, Deutsch, 702 Seiten
Meyer Fever
4. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8412-1381-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 702 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1381-5
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte einer Stadt - und eines Mordes.
Nicolaas Storm erzählt eine große Geschichte - darüber, wie er gemeinsam mit seinem Vater einen Platz zum Leben sucht. Ein Fieber hat die Welt verändert: Gangs ziehen umher, es gibt keinen Strom mehr, wilde Tiere bedrohen die Dörfer. Wie die ersten Siedler müssen die Menschen alles neu lernen. Den vielen Widrigkeiten zum Trotz glaubt Nico an einen Neuanfang, und er verliebt sich in Sofia, das wildeste Mädchen, dem er jemals begegnet ist. Dann aber passiert ein Mord, der alles verändert ...
»Großartig.« Stephen King.
Deon Meyer wurde 1958 in Paarl, Südafrika, geboren. Seine Romane wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau Marianne in Stellenbosch, in der Nähe von Kapstadt.
Im Aufbau Taschenbuch Verlag liegen seine Thriller »Tod vor Morgengrauen«, »Der traurige Polizist«, »Das Herz des Jägers«, »Der Atem des Jägers«, »Weißer Schatten«, »Dreizehn Stunden«, »Rote Spur«, »Sieben Tage«, »Cobra«, »Icarus«, »Fever«, »Die Amerikanerin«, »Beute«, »Todsünde« und »Die Stunde des Löwen« sowie der Storyband »Schwarz. Weiß. Tot« vor.
Mehr zum Autor unter deonmeyer.com
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2
20. März
Am deutlichsten erinnern wir uns an die Augenblicke der Angst, des Verlustes und der Erniedrigung.
Ich war dreizehn Jahre alt, am 20. März im Jahr des Hundes.
Der Tag verlief wie der gestrige und der davor. Wir wurden eingehüllt vom tiefen Dröhnen des Dieselmotors in unserer großen Volvo FH12-Zugmaschine und dem sonoren Rollen der sechzehn Räder unter dem langen, geschlossenen Anhänger dahinter. Draußen zog eine vorhersehbare, nicht erinnernswerte Landschaft vorbei. Ich spüre noch die künstliche Kühle der Klimaanlage im Führerhaus, das innen noch ganz neu und sauber roch. Ich hielt ein Schulbuch auf dem Schoß, doch meine Gedanken schweiften ab.
Mein Vater ging vom Gas. Ich blickte auf, zum Fenster hinaus und sah die weißen Buchstaben auf dem schwarzen Untergrund des Schildes am Wegesrand: WILLKOMMEN IN KOFFIEFONTEIN!
»Koffiefontein«, sagte ich vor mich hin, bezaubert von dem Namen und dem dazugehörigen Bild in meiner jugendlichen Phantasie – eine warme, aromatische Quelle von blubberndem, dunklem Gebräu.
Langsam fuhren wir in das Dorf hinein. Im schwindenden Licht des Spätnachmittags lag es geisterhaft und leblos da, wie all die anderen Orte auch. Unkraut auf den Bürgersteigen, der Rasen hinter den Zäunen hoch aufgeschossen und verwildert. Am Horizont, weit hinter den flachen Gebäuden entlang der breiten Hauptstraße zuckten kreuz und quer Blitze dramatisch über phantastische Wolkenformationen. Im Westen färbte sich der Himmel in einem tiefen Blutrot, seltsam und beunruhigend.
Mein Vater deutete mit dem Finger darauf. »Cu-mu-lo-nim-bus«, sagte er, jede Silbe einzeln betonend. »So nennt man diese Wolken. Das kommt aus dem Lateinischen. ›Cumulus‹ bedeutet ›Anhäufung‹, und ›Nimbus‹ heißt ›Regenwolken‹. Bei uns verheißen solche Wolken ein Gewitter.«
»Cu-mu-lo-nim-bus«, wiederholte ich zögernd.
Mein Vater nickte, lenkte den großen Truck geschickt an eine Tankstelle, hielt an und schaltete die Scheinwerfer an der Seitenwand des langen Auflegers ein. Der Mechanismus war selbst installiert. Die Zapfsäulen warfen nun lange Schatten, die menschlichen Gestalten glichen. Der Motor schwieg. Wir stiegen aus.
So sehr daran gewöhnt, dass keine Gefahr drohte.
Vom Asphalt stieg die Spätsommerhitze des Tages auf, und die Zikaden zirpten schrill, begleitet von anderen, tieferen Lauten.
»Was ist das, Pa?«
»Das sind Frösche. Dahinten fließt der Rietrivier.«
Wir gingen am Anhänger entlang. Er war weiß, beschriftet mit drei großen, grünen Kursivbuchstaben: RFA. Die Bedeutung der Abkürzung fand sich auf der hinteren Bordwand – Road Freight Africa. Wir hatten den Volvo auf einem Lkw-Parkplatz kurz hinter Potchefstroom gefunden – starke Zugmaschine, so gut wie neu, der Tank voll. Jetzt gingen wir, Vater und Sohn, nebeneinanderher. Die Haare meines Vaters waren lang, ungekämmt und blond, meine ebenso wild, aber braun. Ich war dreizehn, im Niemandsland zwischen Kind und Teenager, und fühlte mich wohl dort.
Eine Fledermaus strich tief über meinen Kopf.
»Wie fängt eine Fledermaus ihre Beute?«, fragte mein Vater.
»Durch Echoortung.«
»Und zu welcher Gruppe von Tieren gehört die Fledermaus?«
»Zu den Säugetieren, nicht zu den Vögeln.«
Er zerstrubbelte meine Haare noch mehr. »Prima.«
Ich mochte das.
Wir begannen mit dem vertrauten Ritual, das wir seit Wochen mindestens einmal täglich durchführten: Mein Vater trug das kleine Honda-Stromaggregat und die Elektropumpe zu den Nachfüllstutzen der Tankstelle, die in einer Reihe angeordnet und mit verschiedenfarbigen Deckeln gekennzeichnet waren. Dann holte er den großen Engländer, um den schwarzen Dieseldeckel zu öffnen. Meine Aufgabe war es, den langen Gartenschlauch auszurollen. Dieser war mit der elektrischen Pumpe gekoppelt, und das andere Ende musste ich in die Tanköffnung des Volvos schieben und dort festhalten.
Tanken in einer Welt ohne Tankstellenwärter und Elektrizität.
Ich erledigte meinen Teil der Arbeit, stand gelangweilt herum und las die Beschriftung auf der weißen Mauer des länglichen Tankstellengebäudes. Myburgh Elektries. Myburgh Bande. Ich nahm mir vor, meinen Vater nach der Bedeutung zu fragen, denn ich wusste, dass »Burgh« »Burg« bedeutete – das hatte er mir erklärt, als wir durch Orte wie Trompsburg und Reddersburg gefahren waren –, doch dies war eine seltsame Schreibweise und nicht der Name dieses Dorfes.
Urplötzlich schwiegen die Grillen.
Irgendetwas weckte meine Aufmerksamkeit, jenseits von meinem Vater, hinten auf der Straße. Ich rief ihn, erstaunt über dieses plötzliche Zeichen von Leben und etwas besorgt über die schleichende Art der Fortbewegung. Mein Vater saß in der Hocke und war dabei, den Pumpenstutzen in die Tanköffnung zu schieben. Er schaute zu mir auf, folgte der Richtung meines Blickes und sah die Schatten in der Dämmerung.
»Einsteigen!«, rief er. Er sprang auf, den Engländer in den Händen, und rannte zum Führerhaus des Lastwagens.
Ich blieb stehen wie angewurzelt. Die Scham über mein unerklärliches, unbesonnenes Verhalten sollte anschließend noch monatelang an mir nagen. Reglos stand ich da, die Augen auf die heranschleichenden Schatten geheftet. Sie nahmen allmählich Gestalt an.
Es waren Hunde. Geschmeidig, schnell.
»Nico!«, schrie mein Vater entsetzt und drängend. Er blieb stehen, um sein Kind vor den angreifenden Tieren zu schützen.
Die Verzweiflung in der Stimme meines Vaters versetzte mir einen Ruck und durchbrach die Mauer der Furcht. Schlug den ersten Funken des Schuldbewusstseins. Ich schluchzte, rannte am langen Hänger entlang. Durch meine Tränen hindurch sah ich den ersten Hund in den Lichtkegel hineinhechten und meinem Vater an die Kehle springen, das Maul weit aufgesperrt, die langen, scharfen Zähne entblößt. Ich sah den Schwung des großen Schlüssels, den fließenden Schatten dieser Bewegung. Ich hörte einen dumpfen Schlag, als das Werkzeug den Kopf traf, ein kurzes Aufjaulen. An der Treppe zum Führerhaus angekommen, griff ich das Chromgeländer. Die Angst jagte mich die Stufen hinauf. Ein Hund sprang auf mich los, und ich schlug die Tür zu. Er sprang hoch, bis fast zum offenen Fenster. Krallen kratzten über das Metall, gelbe Zähne leuchteten im Scheinwerferlicht neben dem Lkw auf. Ich schrie. Der Hund fiel zurück. Mein Vater stand dort unten. Fünf, sechs Hunde umkreisten ihn geduckt, weitere kamen in den Lichtschein hineingaloppiert, federnd, erbarmungslos.
Danach geschah alles ganz schnell, und zugleich war es, als bliebe die Zeit stehen. Ich erinnere mich an alles bis ins kleinste Detail. Die Verzweiflung im Gesicht meines Vaters, als die Hunde ihn vom sicheren Lkw abschnitten, der nur einen Meter von ihm entfernt war. Das sausende Geräusch, als er den massiven Engländer wieder und wieder schwang. Die Elektrizität in der Luft, der Geruch von Ozon, der Gestank der Hunde. Sie wichen flink vor dem tödlichen Schwung des Schraubenschlüssels zurück, blieben aber hartnäckig zwischen dem Mann und der Tür des Trucks, knurrend, schnappend.
»Die Pistole, Nico! Schieß!« Es war kein Befehl, sondern ein ängstliches Flehen, als hätte mein Vater in diesem Augenblick dem Tod ins Auge geblickt und die Konsequenzen gesehen: sein Sohn, der hier allein überlebte, gestrandet, verdammt.
Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz; ein Hund sprang ihn von hinten an und schlug ihm die Zähne tief in die Schulter. Das riss mich aus meiner Angststarre, und ich griff nach der Beretta im Fach des breiten Armaturenbretts. Mühsam schob ich mit dem Daumen den Sicherheitshebel weg, wie es mein Vater mir wieder und wieder gezeigt hatte. Ein anderer Hund biss meinen Vater in den schützend erhobenen Unterarm und hängte sich daran. Ich umklammerte mit beiden Händen die Waffe. Legte zwei Finger auf den Abzug, um den ersten Widerstand der Double Action zu überwinden, und schoss zum Fenster hinaus in die Luft, wild, der Knall ohrenbetäubend laut im Innenraum, so dass mir die Ohren sausten und alle Geräusche verstummten. Scharfer Korditgestank stieg mir in die Nase. Die Tiere erstarrten für einen Augenblick. Mein Vater schlug mit dem Schraubenschlüssel zu, der Hund an seinem Arm fiel zu Boden, mein Vater näherte sich der Tür. Die Meute reagierte und sprang auf ihn los. Ich zielte auf die Flanke eines Hundes und schoss. Der Hund fiel um. Ich schoss wieder und wieder. Die Tiere stießen hohe, kaum hörbare Schmerzlaute aus, und die unverletzten zogen sich zurück, zum ersten Mal.
Mein Vater schaffte es bis zur Tür, riss sie auf, sprang in die Kabine, ein Hund hing an seinem Bein, er schlug nach ihm. Der Hund fiel hinunter. Arme und Rücken meines Vaters waren blutig, er stieß mich vom Fahrersitz, schlug die Tür zu. Auf seinem Gesicht zeigten sich Ekel, Verbissenheit, Angst, Abscheu und Wut. Ich fühlte, wie er mir die Pistole aus den Händen nahm. Ich sah, wie er das Magazin herausfallen ließ und ein neues hineinschob. Er hielt die Pistole zum Fenster hinaus. Er schoss und schoss und schoss. Die Schüsse hallten dumpf in meinen tauben Ohren wider, die Patronenhülsen sprangen geräuschlos gegen die Windschutzscheibe, auf Armaturenbrett, Lenkrad und den Boden neben mir, überallhin. Ich sah das zerrissene Hemd meines Vaters, die tiefe Rückenwunde, genauso blutrot wie die Wolken.
Die Pistole war leer, und immer noch drückte mein Vater den Abzug....