Michelbach | Auf der Suche nach Marktwirtschaft | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Michelbach Auf der Suche nach Marktwirtschaft

Als Unternehmer in der Politik

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-451-82597-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Hans Michelbach hat als Politiker und erfolgreicher Unternehmer die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik über Jahrzehnte mitgestaltet – in Berlin und in seiner fränkischen Heimat gleichermaßen. Davon erzählt er in seinen Erinnerungen lebensnah und unterhaltsam. Sein Buch ist ein Plädoyer für eine realistische, wirtschaftsfreundliche Politik nah an den Menschen und eine Kritik an aktuell wiederkehrenden Träumen von einer Staatswirtschaft.
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Erhard statt Elvis
Meine Familie versammelt sich am 16. Oktober 1963 in unserer Wohnküche. Den ganzen Tag über hatte ich schon gespannt die Arbeit des Fernsehtechnikers verfolgt, der auf unserem Dach eine große Fernsehantenne montierte. Endlich sollte bei uns mit einem eigenen Fernseher „die Zukunft“ in die Familie kommen. Oftmals war ich zu Besuch bei Freunden gewesen, die selbstverständlich schon einen Fernseher hatten. Meine Eltern dagegen hatten dies bisher immer abgelehnt, weil dies nur zur Ablenkung führe und ich mich auf meine schulischen Leistungen konzentrieren sollte. Außerdem war ich Fahrschüler, der täglich schon sehr zeitig mit dem Zug zum Gymnasium nach Lohr fahren musste. Ab 20 Uhr war eigentlich Bettruhe angesagt. Ich hielt meine Eltern deshalb für streng und rückständig, was sie aber nicht wirklich waren. Sie waren strebsame und sehr fleißige Kaufleute. Zumeist verließen sie am Abend nicht vor 21 Uhr das Geschäft. Es gab nur sehr kurze Abende. Geschäft und Wohnung lagen unter einem Dach eng beieinander. Schon deshalb gab es keinen wirklichen Feierabend. Nach der großen Zerstörung der Gemündener Innenstadt im Zweiten Weltkrieg hatten meine Eltern den Wiederaufbau mit einem großen Kaufhausgebäude sehr zukunftsgewandt gestaltet. Kurz vor Kriegsende hatten amerikanische Soldaten bei der Einnahme der Stadt das alte Kaufhausgebäude mit Leuchtmunition in Brand gesetzt. Es brannte bis auf die Grundmauern nieder. Mit großer Energie und vielen Entbehrungen errichteten meine Eltern bis 1948 das neue, viel größere Gebäude. Um die Verkaufsfläche im Kaufhaus nicht zu verringern, gab es für die Familie eine bescheidene Wohnung im Obergeschoss. Alles Leben in der Familie spielte sich in der Wohnküche ab. Das Wohnzimmer wurde nur zu großen Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern benutzt. Somit war auch klar, dass der Fernseher nur in der Wohnküche aufgestellt werden konnte. Weil meine Eltern noch im Geschäft zu tun hatten, „beaufsichtigte“ ich interessiert die Aufstellung des Fernsehers in der Wohnküche. Der Fernsehtechniker machte es spannend. „Bevor ich euch das Wunderding auspacke, bekomme ich von meinen Kunden zunächst stets einen Cognac“, ließ er mich wissen. Gesagt getan. Ich wollte, dass der Fernseher endlich läuft. Der Techniker packte einen Fernseher von Loewe Opta mit kleinem Bildschirm in einem großen Holzkasten aus. Über das Format war ich etwas enttäuscht. Meine Eltern hatten wieder einmal ihre Sparsamkeit bewiesen. Warum nur standen bei meinen Freunden größere Fernseher mit größeren Bildschirmen? Aber meine Freude über den neuen Fernseher war schließlich größer als der Frust. Kurz vor 20 Uhr war das Gerät angeschlossen und betriebsbereit. Ich sollte meine Eltern aus dem Geschäft holen, damit der Techniker den neuen Fernseher vorzeigen und übergeben könnte. Und so gab es pünktlich zur Tagesschau unseren Start ins Fernsehzeitalter. Der Aufmacher an diesem Abend war die Wahl Ludwig Erhards zum neuen Bundeskanzler. Mit 279 zu 180 Stimmen hatte ihn der Deutsche Bundestag zum zweiten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Meine Eltern schienen mit dieser Wahl sehr zufrieden zu sein. Erhard sei der Vater des deutschen Wirtschaftswunders und der Sozialen Marktwirtschaft, erklärte mein Vater. Er habe mit der Durchsetzung der Währungsreform die Grundlage für einen Neubeginn und auch für unseren geschäftlichen Erfolg geleistet. Erhard habe 1948 mit der Währungsreform ohne Zustimmung der Westalliierten die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg gelegt. Für meine Eltern war dies eine mutige und richtige Entscheidung gewesen. Ihr Geschäft lief wieder an. Es entstand trotz der zerstörten Stadt neue Zuversicht. Pünktlich nach Tagesschau und Wetterkarte wurde der Fernseher ausgeschaltet. Es folgte ein gemeinsames Abendbrot, an dem auch der Fernsehtechniker wie selbstverständlich teilnahm. Am Küchentisch entbrannte sofort eine heiße Diskussion über das gerade im Fernsehen Gezeigte. Mein Vater verdeutlichte, dass er mit der Abwahl von Konrad Adenauer sehr zufrieden sei, weil Ludwig Erhard eine neue Politik der Mitte und der Verständigung mit einem neuen politischen Stil machen werde. Ihm hätten wir zu verdanken, dass es in der Bundesrepublik eine neue Wirtschaftsordnung mit Sozialer Marktwirtschaft als Verbindung von freier Wirtschaft und sozialem Ausgleich gäbe. Seit 1949 habe er als Bundeswirtschaftsminister den Weg freigemacht für sein Konzept einer Marktwirtschaft mit sozial verpflichtetem Kapital. Der erfolgreiche Neubeginn auch unseres Kaufhauses sei eng mit dem unerwarteten Wirtschaftswachstum und der sinkenden Arbeitslosigkeit verbunden. Erhard habe das Wirtschaftswunder gegen starken Widerstand aus SPD und Gewerkschaften, aber auch gegen weite Teile der CDU durchgesetzt. Außerdem, so mein Vater, kenne er die Familie Erhard gut. Der Vater von Ludwig Erhard sei wie wir Händler in Fürth gewesen und stamme aus Unterfranken. Mein Vater erzählte, dass das Geschäft in der Fürther Innenstadt wirtschaftliche Probleme bekommen hatte und Wilhelm Erhard, der Vater von Ludwig Erhard, im Alter von 66 Jahren für sein Geschäft Konkurs anmelden musste. Ludwig Erhard habe zwar als Geschäftsführer von 1925 bis 1928 versucht, seine Eltern zu unterstützen, aber das Ende des elterlichen Geschäfts, das seit der Inflation nicht mehr florierte, habe auch er nicht mehr aufhalten können. Aber mit seiner dreijährigen Kaufmannslehre in einem Nürnberger Textilgeschäft habe sich Erhard eine gute Grundlage für seinen weiteren Lebensweg geschaffen, die ihn als Kaufmann mit erfolgter Weiterbildung in die verantwortliche Position für unseren Staat gebracht hat. Aus den Worten meines Vaters war Begeisterung, aber auch Stolz auf seine Kaufmannsehre zu hören. Damit war meine Neugier für Kaufmannstradition und Politik entbrannt. In der Folgezeit habe ich meinem Vater und meiner sehr belesenen Mutter Löcher in den Bauch gefragt, um über die wirtschaftlichen und politischen Werdegänge mehr zu erfahren. Sie haben mich für den Beruf des Kaufmanns begeistert. Fortan kannte ich nur ein Ziel: möglichst bald Unternehmer zu werden. Meine Eltern unterstützten diese Begeisterung. Mein Vater kaufte mir die Erstausgabe aus dem Jahr 1957 von Ludwig Erhards Buch „Wohlstand für Alle“. Während meine gleichaltrigen Freunde für Elvis Presley schwärmten, verschlang ich dieses Grundsatzbuch über die Soziale Marktwirtschaft. Die Geburt der Marktwirtschaft, die Weichenstellung für die Steuerpolitik, die Marktwirtschaft als Gegenpol zur Planwirtschaft, die Kartelle als Feinde der Verbraucher, das Verhältnis zwischen Freiheit und Eigenverantwortung, die Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wettbewerbschancen für den Mittelstand waren für mich schon im jugendlichen Alter von höchstem Interesse. Ich erkannte aber auch, dass Erhard bei der Erarbeitung seiner wirtschaftspolitischen Konzeption zwar immer ein eigenständiger Denker war, aber er die Soziale Marktwirtschaft nicht allein erfunden hatte. Vielmehr hatte er zu einem geschlossenen Konzept zusammengefügt, was Walter Eucken und Wilhelm Röpke in der sogenannten Freiburger Schule schon sehr früh entwickelt hatten. Schon damals vermutete ich, dass die Soziale Marktwirtschaft, die auf den Grundsätzen der Freiheit und der Ordnung beruht, eine große Chance für meine eigene Zukunft im Geschäft meiner Eltern sein könnte. Die Basis der Sozialen Marktwirtschaft mit der Bildung von Privateigentum war für mich überzeugend. Dagegen könnte Kollektiveigentum kollektive Verantwortungslosigkeit zur Folge haben, während Privateigentum einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Eigentum sichert. Ich war überzeugt, dass offene Märkte, Vertrags- und Niederlassungsfreiheit dafür sorgen können, dass die Einbindung der heimischen Wirtschaft in die internationale Arbeitsteilung den besten Erfolg erzielt. Als Sohn einer unabhängigen Kaufmannsfamilie war mir eine aktive Wettbewerbspolitik zur Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen in Form von Kartellen, Monopolen und marktbeherrschenden Unternehmen ein wichtiges Anliegen. Meine Eltern – wie konnte es anders sein – freuten sich, dass ich früh an die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Unternehmung dachte, die ich mir durch das Lesen der einschlägigen Literatur aneignete und in vielen Gesprächen mit meinen Eltern vertiefte. Mein Wissensdurst war sehr groß. Ich stillte ihn auch durch das tägliche Lesen von zwei Tageszeitungen, die meine Eltern abonniert hatten. Das stärkte auch mein Interesse an tagespolitischen Fragen. Ich erfuhr, dass Konrad Adenauer eine starke Abneigung gegen Erhard hatte und der betagte Altkanzler öffentlich und hinter dem Rücken von Ludwig Erhard in Parteikreisen intervenierte. Erhard hatte sich in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen verschafft. Mit seinem Einzug ins Kanzleramt hat er einen neuen Stil in die Politik gebracht. Er suchte im Bundeskabinett den Dialog, er wollte als Bundeskanzler über Parteien und Gruppeninteressen hinweg Gemeinsinn fördern. Sinnbild dieses Wandels war der 1964 eingeweihte Kanzlerbungalow, der für eine zeitgemäße staatliche Repräsentation sorgen sollte. Die Bundestagswahl 1965 wurde zu einem ersten Erfolg für Ludwig Erhard. Der populäre Bundeskanzler kam bei den Wählern gut an: CDU und CSU...


Hans Michelbach, Jahrgang 1949, Unternehmer und Politiker. 1972 Eintritt in die elterlichen Betriebe; Entwicklung der Michelbach KG, Groß- und Einzelhandel; 1982 bis 1994 1. Bürgermeister der Stadt Gemünden am Main; Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1994; 1998 bis 2019 Mitglied im Parteivorstand der CSU, seit 2002 Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Fraktion, 2000 bis 2018 Vorsitzender der CSU-Mittelstands-Union, seit 2013 Stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, seit 2001 Stellvertretender Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand; Mitglied und Obmann im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages; 2001 bis 2003 Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Präsidiumsmitglied des Handelsverbandes Deutschland.


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