E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Michels Glücklich trotz Depression
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-432-11980-9
Verlag: Enke
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
100 Anregungen zur Selbsthilfe bei seelischen Krisen und emotionalen Konflikten
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-432-11980-9
Verlag: Enke
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Depressionen überwinden und Lebensfreude zurückgewinnen
Wer eine depressive Phase durchlebt, weiß, wie schwer es ist, sich zurückzukämpfen und neuen Lebensmut zu spüren. Ulrike Michels ist selbst betroffen, hat viele Therapieansätze ausprobiert und weiß, wovon sie spricht. Sie hat sich ihr persönliches Glück in täglichem Training zurück erarbeitet.
In diesem Buch bietet sie 100 Anregungen für Betroffene, um sich aus ihrer Depression zu befreien, praktische Hilfe im Alltag und Unterstützung für Notfälle. Ihre persönliche Erfahrung kombiniert sie mit Fakten aus Medizin und Therapie. Das Spektrum ist sehr vielfältig und reicht von vermeintlich einfachen Dingen wie viel Bewegung über die Bedeutung guter sozialer Kontakte bis zur Frage, wie eine Psychotherapie abläuft. Sie zeigt, wie man gut an sich arbeiten, schlechte Gewohnheiten überwinden und wichtige Skills aufbauen kann.
Ein echter Mutmacher für Menschen mit Depressionen!
Zielgruppe
Gesundheitsinteressierte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Meine Geschichte
Ich dachte, ich bräuchte einfach einmal drei Wochen Urlaub, um mich von der monatelangen Überlastung im Job und im Privaten zu erholen. Ich fühlte mich völlig ausgelaugt, mein Akku lud sich nicht mehr auf. Das war im Dezember 2014. Was ich nicht wusste: Das war erst der Anfang. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Wie alles begann
Es hatte schon früher begonnen. Schon über etwa ein Jahr hinweg hatte ich bemerkt, dass ich angreifbarer geworden war, dass mich Menschen mit ihren Worten kränkten, die vorher an mir abgeperlt wären. Ich war plötzlich nah am Wasser gebaut, brach selbst bei der Arbeit in Tränen aus – peinlich. Ich war immerzu erschöpft, Erholungsphasen wie ein Wochenende verpufften einfach. Meine Geduld war begrenzt, meine Zündschnur kurz. Ich war vergesslich, unaufmerksam. Ich war weniger emphatisch, auch in meinen vierjährigen Sohn konnte ich mich weniger gut einfühlen. Wenn ich von der Arbeit kam und mit ihm auf der Spieldecke saß, hatte ich das Gefühl, ich müsste das Tempo von 230 km/h auf Spielstraßentempo drosseln, was mir zunehmend schlechter gelang. Mein Kopf war weiter im hohen Tempo unterwegs. Das Smartphone immer im Anschlag, schnell noch eine Antwort an den Chef oder die Kollegen schreiben. Nur noch kurz die Welt retten.
Eine neue Kollegin, mit der ich eng zusammenarbeiten sollte und wollte, hatte über einige Wochen verteilt rund ein Dutzend Terminvorschläge von mir abgelehnt. Sie verweigerte die Zusammenarbeit, ließ mich auflaufen, enthielt mir Informationen vor, verbreitete Gerüchte über mich. Plötzlich fehlte Geld aus unserem gemeinsamen Budget, das meiner Abteilung zugestanden hätte – sie hatte es für ihre Projekte eingesetzt, ohne Rücksprache. Ich probierte mehrfach, die Lage zu klären – vergeblich. Mein Chef, der Firmenchef, war zu der Zeit zu sehr in eigenen Herausforderungen gefangen, um ein Machtwort zu sprechen. Das Geld fehlte weiterhin, die Projekte meiner Abteilung stockten, mein Team rebellierte und ich schaffte es nicht mehr, es einzufangen. Es lief nicht gut.
Ich merkte auch, dass ich im Sport weniger belastbar war – zu der Zeit lief ich Halbmarathon und es fühlte sich immer mehr an, als ob ich ständig Gegenwind und Gewichte auf den Schultern hätte bei meinen Läufen. Irgendetwas stimmte nicht.
Eine Schulfreundin war in der Stadt und kam uns über Nacht besuchen. Ich hatte mich so sehr gefreut, doch es war mir viel zu viel. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, konnte ihr die erste Stunde nicht einmal mehr Hallo sagen. Sie betrachtete mich liebevoll und sagte: „Ich sehe, wie schlecht es Dir geht, Du musst dringend etwas verändern!“ „Aber was? Ich weiß doch nicht was!“ flüsterte ich nur.
In der Ehe hatten wir zwei Jahre Krise hinter uns und steckten noch mittendrin. Nach dem Abendessen, wenn unser Sohn im Bett war, begannen unsere lautstarken Streitigkeiten hinter Türen. Ich hatte immer weniger Kraft, saß während der Streits irgendwann nur noch auf dem Boden. Es gipfelte in einer Situation, in der Worte etwas in mir zerbrochen haben. Etwas, das bis heute nicht geflickt werden konnte. Heute, mit viel Abstand, weiß ich, dass mein Mann und ich damals beide Angst hatten, wir beide haben hässliche Dinge gesagt, haben den anderen absichtlich und unabsichtlich verletzt, haben uns gewehrt, verbal gekämpft, wollten den Schmerz in uns beenden. Der Bruch in mir war der Auslöser, aber nicht der Grund für alles, was folgte. Das aber sollte ich erst viel später verstehen.
Ich konnte plötzlich nicht mehr weinen. Ich funktionierte nur noch.
Es war, als ob alle Gefühle weg gewesen wären. Alles war grau, schwer, unerträglich. Aber ich machte weiter. Mit meinem Sohn, im Job, zu Hause. Zum ersten Mal entstand der Gedanke, dass ich alledem ein Ende setzen wollte. Meinem Leben ein Ende setzen wollte. Es sollte einfach nur aufhören, dieses Gefühl. Ich ging in Gedanken alle möglichen Formen von Suizid durch, entschied mich für eine, die mir rücksichtsvoll anderen gegenüber und zugleich sicher und schnell erschien. Die Gedanken kreisten immer mehr darum. Bitte. Endlich. Frieden. Im. Kopf.
Heute weiß ich, dass unser Gehirn Suizidgedanken deshalb entwickelt, weil es immer nach Lösungen sucht. Und wo keine andere Lösung in Sicht ist, schlägt es diese Variante vor, nur damit es den Schmerz nicht mehr aushalten muss. Es ist verführerisch, diesen Gedanken nachzugehen, denn es ist eine gedankliche Vortäuschung von Erleichterung. Aber es ist auch gefährlich, denn was ein erster Gedanke im Hirn ist, ist ein neurologischer Trampelpfad. Was aber ein sich ständig wiederholender Gedanke ist, wird irgendwann zur fest betonierten Autobahn zwischen Nervenzellen. Der letzte Ausweg wird vom Gehirn immer häufiger vorgeschlagen und es stellt sich das Gefühl ein, dass sich die Suizidgedanken aufdrängen würden. Ich wollte nie sterben, wollte niemals meinen Sohn im Stich lassen. Ich wollte nur, dass die Unerträglichkeit der grausamen Gefühle und Gedanken aufhört.
Das war der Punkt, an dem ich merkte: Ich bin in Gefahr. Nach einigen Wochen ging ich zu einer Psychologin in einer kirchlichen sozialen Beratungsstelle. Hinter doppelter Schallschutztür traute ich mich das erste Mal, offen zu reden. Ich erzählte all das, was ich bisher keinem gesagt hatte: die unerträgliche Situation bei der Arbeit, die Kämpfe und die Angst zu Hause, dass ich keinen Rückzugsraum mehr hatte, weder im Leben noch im Kopf, keinen Frieden, überall herrschte aggressive Auseinandersetzung, dass ich den Wunsch hatte, dem allen ein Ende zu setzen. Ich redete und redete, weinte und weinte. Es war, als wäre ein Staudamm gebrochen. Aber danach fühlte ich mich nicht besser. Im Gegenteil. Als ob ich in einen Spiegel geblickt und erkannt hätte, wie schlimm es eigentlich in mir drin aussieht. Ich machte weiter.
Morgens Kind, tagsüber Job, nachmittags Kind, abends Ehekrise und nachts wach im Bett liegen, weil der Kopf zum ersten Mal am Tag Zeit hatte, zu denken und ein irrsinniges Gedankenkarussell losging. Gedankenkarussell ist wahrscheinlich nicht das richtige Wort, es war eher eine Art Technoparty-Geisterbahn-Schützenumzug-Horrorshow. Eine Nacht kurz vor Weihnachten konnte ich dann gar nicht mehr schlafen und ging am nächsten Morgen zum Arzt – ohne zu wissen, was ich ihm eigentlich sagen würde. „Ich kann nicht mehr“, ist ja keine Krankheit. Ich hatte mich gekleidet und geschminkt für die Arbeit, es war für mich klar, dass ich im Anschluss an den Arzttermin dort hingehen würde, es musste ja weitergehen. Ich kam zwei Jahre nicht zurück an meinen Arbeitsplatz.
In medizinischer Betreuung
Ich weiß nicht mehr genau, welche Worte ich bei meinem Hausarzt wählte. Denn ich wusste nicht, was mir fehlen könnte. Das klingt vielleicht naiv, aber es war wirklich so zu dem Zeitpunkt. Aber ich sagte sicher so etwas wie „ich kann nicht mehr“ und auch „ich will nicht mehr“ und ich weiß noch, dass ich wieder nicht aufhören konnte zu weinen. Er gab mir eine Überweisung zu einem Psychiater und eine Adressliste, die ich abtelefonieren sollte. Ich setzte mich ins Auto und googelte zunächst die Diagnose auf dem Überweisungsformular: „Schwere Depression.“ Dann weinte ich. Als ich wieder sehen konnte hinter meinen Tränen, fuhr ich los. Zu meiner Mutter.
Bei ihr angekommen, konnte sie mich hinterm Gartentor von der Haustür aus sehen und wusste selbst auf die Entfernung sofort, dass mit mir etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie kam auf mich zu, nahm mich in den Arm. „Ach Mäuschen!“ Ich blieb mehrere Stunden bei ihr. Ich schrieb eine Mail an die Arbeit, dass ich krankgeschrieben wäre, dass ich mich melden würde. Es kostete so viel Kraft. Dann konnte ich gar nichts mehr. War völlig erschöpft. Meine Mutter telefonierte die Liste der Ärzte ab, erfolglos. Dann rief sie eine Bekannte an, die Ärztin war – ob sie vielleicht Verbindungen zu einem Psychiater hätte. Dieser Weg gelang, bereits am Folgetag durfte ich in die Praxis kommen.
Am nächsten Tag fuhr sie mich zu meinem Termin. Der Arzt nahm sich Zeit, erklärte mir sehr viel, ich stellte viele Fragen. „Treffen Sie keine Entscheidungen, solange es Ihnen so schlecht geht“, riet er mir.
„Kündigen Sie nicht, trennen Sie sich nicht. Erst muss es Ihnen besser gehen. Dann können Sie wieder gesunde Entscheidungen treffen.“
Ich verstand es nicht, akzeptierte es aber.
Ich fragte: „Habe ich ein Burnout?“ Er lachte. Ich schämte mich, fühlte mich ausgelacht – ich war so verdammt verletzlich! Er erklärte es sofort: „Kennen Sie sich mit Fußball aus?“ „Nicht wirklich.“ „Also, ein Burnout ist so etwas wie die Kreisliga. Das, was Sie haben, ist eine schwere Depression, das ist so etwas wie die Champions League.“ Ich schaute wohl ungläubig. „Ganz vereinfacht: Man sagt, ein Burnout könne man mit einem Lottogewinn oder einer Weltreise heilen, eine Depression aber nicht. Die wird dadurch sogar eher schlimmer, weil so etwas nur eine weitere Überforderung bedeutet.“ Sein Vergleich mit der Champions League war noch immer völlig untertrieben, wie sich später herausstellen sollte. Denn eine reguläre schwere Depression lässt sich im Durchschnitt in vier Monaten behandeln, sie dauert etwa sechs bis acht ohne Behandlung. Zehn Jahre später ist die Depression weiter mein engster Begleiter. Wer hätte ahnen können, dass sie therapieresistent und chronisch sein würde, dass etwas aufgebrochen war, was noch viel tiefer in mir drin lag? Die Büchse der Pandora war geöffnet worden.
Er...