Miegel | Hybris | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Miegel Hybris

Die überforderte Gesellschaft
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0767-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die überforderte Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0767-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Größenwahn und Selbstüberschätzung sind Teil der menschlichen Natur. Doch erst heute werden sie als Erfolgsfaktoren kultiviert. Die Folgen sind krankhaft wuchernde Wirtschaftsaktivitäten, entfesselte Finanzmärkte, dysfunktionale Bildungs- und Infrastrukturen, aus dem Ruder laufende Großprojekte, unkontrollierbare Datenmengen und globales Allmachtstreben. Meinhard Miegel, einer der profiliertesten Vordenker Deutschlands, sieht in dieser allgegenwärtigen Hybris die wesentliche Ursache für die tiefgreifende Krise von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die exzessive Entwicklung unserer Lebenswelt, die Miegel eindringlich schildert, überfordert alle: Einzelne und Gruppen, Unternehmen, Schulen und Universitäten, Parteien, Regierungen und internationale Organisationen. Ihre Kosten sind enorm, keine Volkswirtschaft kann sie stemmen. Die Lösung des Problems ist erprobt und zuverlässig: Es ist die Kunst der Beschränkung - die Rückkehr zu einem menschlichen Maß, das unsere individuellen und gesellschaftlichen Ressourcen schont und in ein neues Gleichgewicht bringt. Worin diese Kunst besteht, macht Miegel an vielfältigen Beispielen eindrucksvoll deutlich.

Meinhard Miegel, geboren 1939 in Wien. 1977 bis 2008 Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn (IWG). Seit 2007 Vorstandsvorsitzender des »Denkwerk Zukunft. Stiftung kulturelle Erneuerung« in Bonn. Beiratsmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Einrichtungen, ständiger Berater von Politik und Wirtschaft. Autor der Bestseller Die deformierte Gesellschaft (2002), Epochenwende (2005) und Exit (2010). Wenn Sie Herrn Prof. Miegel als Redner buchen möchten, kontaktieren Sie bitte die Econ Referenten-Agentur.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Türme von Babylon

»Auf! Lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht: Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir nicht in alle Winde zerstreut werden.«

Genesis 11,4

Bauten

Flughäfen, Kongresshallen, Bahnhöfe

Wäre es nicht zum Weinen, es wäre zum Lachen.

Da wollen die Deutschen nach Krieg, Zerstörung und Jahrzehnten der Spaltung ihre frühere Hauptstadt neu erstehen lassen und sind bereit, dafür beträchtliche Lasten zu schultern. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Binnen kurzem werden repräsentative Parlamentsbauten, Ministerien, Landesvertretungen und zahlreiche andere öffentliche Gebäude aus dem Boden gestampft, und auch der private Büro- und Wohnungsbau boomt. Das Glanzstück soll jedoch ein neuer Flughafen sein, der alles Bisherige in den Schatten stellt. Groß soll er sein und technisch vollkommen, beeindruckend und ästhetisch ansprechend. Dabei ist allen bewusst, dass sich solche Wünsche nicht mit kleiner Münze verwirklichen lassen. Aber sie sind ja bereit zu zahlen. Immerhin 1,7 Milliarden Euro. Das ist kein Pappenstiel.

So wird geplant und verworfen und weitergeplant und wieder verworfen, und jedes Mal entsteht in den Köpfen der Beteiligten noch Größeres, Prächtigeres und technisch Vollkommeneres. Derweil vergehen die Jahre, und die Kosten steigen und steigen. Sind es 2004 1,7 Milliarden Euro, so sind es 2008 bereits 2,4 Milliarden und 2012 4,3 Milliarden. Und inzwischen wird sogar mit fünf Milliarden gerechnet.6 Die Schlussrechnung ist das allerdings noch nicht. Auf sie warten alle mit Spannung: Architekten und Planer, Bauleiter und Politiker und nicht zuletzt die Steuerzahler.

Doch bis sie kommt, wird noch einige Zeit vergehen. Zunächst ist nämlich eine Fülle schwerwiegender Planungs- und Baumängel zu beseitigen, und so mancher hätte das ganze Unterfangen am liebsten abgeblasen. Dafür ist es jedoch zu spät. Der Flughafen muss und wird vollendet werden, und sei es als Mahnmal überforderter Bauleute, vor allem aber überforderter Bauherren, oder richtiger deren drei: der Bundesrepublik Deutschland sowie den Ländern Berlin und Brandenburg. Alle haben ihr Können und ihre Fähigkeiten beträchtlich überschätzt. Hybris allerorten.

Auch in Bonn. Um nach dem Wegzug von Bundestag und Bundesregierung den Verlust von Funktion und Glanz einer Hauptstadt zu mindern, erhält diese Stadt nicht nur großzügige Ausgleichszahlungen. Zugleich werden gezielt wichtige Einrichtungen der Vereinten Nationen angesiedelt. Bonn ist damit nicht nur »Bundesstadt«, sondern auch »Stadt der Vereinten Nationen«.

Das bringt ein wenig vom früheren Glanz zurück. Es verpflichtet aber auch. So zum Bau einer Kongresshalle, die den illustren Gästen aus aller Welt angemessen ist. Schon ihr Name soll dies zum Ausdruck bringen: World Conference Center Bonn, WCCB. Dass so ein WCCB seinen Preis hat, versteht sich von selbst. Aber schließlich geht es um die Vereinten Nationen.

Zu Beginn läuft alles bemerkenswert glatt. Entwürfe werden präsentiert und ein Sieger gekürt. Es kann losgehen. Dem Verhängnis steht nichts mehr im Weg. Es erscheint in Gestalt eines kleinen koreanischen Ganoven, der von seiner Liebe zu Beethoven schwadroniert und Visitenkarten verteilt, auf denen der in Korea nicht gerade seltene Name Hyundai zu lesen ist. Beethoven und Hyundai – die Verantwortlichen sind entzückt und bezeichnen das Auftauchen des Koreaners als Glücksfall für die Stadt. Er soll, obgleich – wie sich später herausstellt – weitgehend mittellos, als Investor fungieren.

Das Ganze ist eine Art Köpenickiade oder eine Neuauflage jener Geschichte von Gottfried Kellers Kleidern, die Leute machen. Geblendet von Namen, Auftreten und Versprechungen, lassen die Bonner den »Investor« samt seinen Helfern gewähren, bis diese sich die Taschen gefüllt und das stolze Projekt in Grund und Boden gewirtschaftet haben. Dafür sitzen jetzt einige im Gefängnis und die Bonner auf einem riesigen Schuldenberg. Das WCCB ist, was die Pro-Kopf-Belastung angeht, der bundesweit bisher teuerste Bauskandal.7

Diese Last müssen die Bürger tragen, weil Entscheider, Kontrolleure und Politiker ihre Fähigkeiten maßlos überschätzt haben und wie ihre Pendants in Berlin glaubten, Aufgaben meistern zu können, denen sie nicht gewachsen waren. Selbstüberschätzung, Verblendung und ein Schuss Schlendrian reichen aus, um immense Schäden zu verursachen.

Und so geht es weiter. Die Hamburger haben ihre Elbphilharmonie, die sie bis zum Jahre 2010 zum Preis von 186 Millionen Euro vollenden wollten und die nunmehr – mit Glück – vielleicht 2016 für 789 Millionen Euro fertiggestellt sein wird.8 Allein das Architektenhonorar ist mittlerweile höher als der Betrag, den die Hamburger Bürgerschaft ursprünglich für das Gesamtprojekt bewilligt hatte.9

Oder die U-Bahn der Kölner. Abgesehen davon, dass im Zuge der Baumaßnahmen unersetzliche Kulturgüter für immer verlorengingen, beziffern Experten die nicht eingeplanten baulichen Kollateralschäden schon jetzt auf viele Hundert Millionen Euro.10

Oder die Rheinland-Pfälzer und ihr Projekt »Nürburgring 2009«. Zwar scheint das Ganze baulich in Ordnung zu sein. Doch ist das Konzept so verfehlt, dass es ebenfalls zu einem Millionengrab geworden ist.11

Oder Stuttgart 21. Wann dieser Bahnhof seinen Betrieb aufnehmen wird, steht in den Sternen. Dass er jedoch wie all die anderen Projekte seinen Kostenrahmen sprengen wird, ist gewiss.12

Keine Region und kaum eine größere Stadt, in denen sich nicht bauliche Manifestationen menschlicher Unzulänglichkeit, gepaart mit Überheblichkeit, fänden. Das ist in Deutschland nicht anders als in seinen Nachbarländern, in Europa nicht anders als in Asien oder Amerika. Überall entsteht Monumentales, dessen Bau- und Folgekosten niemand wirklich beherrscht.13 In der Erwartung, im Falle des Scheiterns werde sich schon jemand finden, der die Brocken aufsammelt, wird immer weiter drauflosgeplant, -gebaut und -gewirtschaftet. Das Wichtigste ist, die babylonischen Turmbauten gehen weiter.

Unternehmen

Gebaut werden diese Türme allerdings nicht nur aus Stein und Mörtel, und ihre Bauherren kommen auch keineswegs vorwiegend aus dem öffentlichen Bereich. Auch die Wirtschaft sucht mit den Spitzen ihrer Bauten bis in den Himmel vorzustoßen. Die Bauten der Wirtschaft – das sind zumeist Unternehmen, deren Wachstum so lange vorangetrieben wird, bis sie wegen ihrer Größe und Komplexität zerbrechen. Und am leichtesten zerbrechen sie, wenn sie nicht mehr aus sich selbst heraus zu wachsen vermögen, sondern nur noch durch Zukäufe und Fusionen.

Von Letzteren scheitert nach Expertenmeinung mindestens die Hälfte,14 wobei die Vernichtung von Werten wiederum enorm ist. Dabei geht es nicht nur um Geld. Es geht ebenso um Wissen und Können, Kundenbeziehungen und vor allem Menschen. Aber auch die Vernichtung oft jahrzehntelang hart erarbeiteten Kapitals lässt den Atem stocken. Beim Zerbersten von AOL-Time Warner betrug die Kapitalvernichtung mehr als 300 Milliarden US-Dollar,15 bei Daimler-Chrysler schätzungsweise fünfzig Milliarden,16 bei MCI-WorldCom rund 42 Milliarden,17 bei HP-Compaq 25 Milliarden18 und so weiter und so weiter. Die Liste ist lang und wird jeden Tag länger.

Warum aber stürzen sich Vorstände, Aufsichtsräte und gelegentlich einzelne Unternehmer in derartige Abenteuer? Oberflächlich betrachtet erscheinen ihre Gründe zumeist vernünftig: Ergänzung der Produktpalette, Erschließung neuer Vertriebswege, Bündelung von Kräften, Synergien. Dicht unter dieser Oberfläche toben jedoch die Emotionen: die Nummer eins zu sein, den Wettbewerber auszuschalten, die eigene gesellschaftliche Stellung zu heben, das Einkommen noch höherzuschrauben, kurz: Es geht um Archaisches, beinahe schon Animalisches, ausgetragen mit den Mitteln der Moderne. Die Primitivität und Banalität derartiger Aktivitäten sind oft erstaunlich. So war für die Süddeutsche Zeitung die Ehe, die Daimler und Chrysler 1998 wähnten, »im Himmel geschlossen« zu haben, eine »Hochzeit des Grauens«.19

Mobilität

Schrittgeschwindigkeit

Eklatante Fehlplanungen, Selbstüberschätzung und Größenwahn sind dermaßen alltäglich, dass allenfalls unmittelbar Betroffene hieran ernsthaft Anstoß nehmen. Die anderen gehen über dergleichen, je nach Veranlagung, schulterzuckend oder schmunzelnd hinweg. Immerhin: Sie registrieren es noch. Normal ist es für sie nicht.

Anders verhält es sich mit den ungleich größeren Anomalien, die das individuelle und kollektive Leben so vollständig durchdrungen haben, dass sie – wenn überhaupt – nur noch von wenigen als solche erkannt werden. Die meisten nehmen sie überhaupt nicht mehr wahr, und...


Miegel, Meinhard
Meinhard Miegel, geboren 1939 in Wien. 1977 bis 2008 Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn (IWG). Seit 2007 Vorstandsvorsitzender des 'Denkwerk Zukunft. Stiftung kulturelle Erneuerung' in Bonn. Beiratsmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Einrichtungen, ständiger Berater von Politik und Wirtschaft. Autor der Bestseller Die deformierte Gesellschaft (2002), Epochenwende (2005) und Exit (2010).

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Meinhard Miegel, geboren 1939 in Wien. 1977 bis 2008 Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn (IWG). Seit 2007 Vorstandsvorsitzender des 'Denkwerk Zukunft. Stiftung kulturelle Erneuerung' in Bonn. Beiratsmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Einrichtungen, ständiger Berater von Politik und Wirtschaft. Autor der Bestseller 'Die deformierte Gesellschaft' (2002), 'Epochenwende' (2005) und 'Exit' (2010).



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