E-Book, Deutsch, Band 4, 416 Seiten
Reihe: Regency Romantik
Miller Die wundervolle Miss Winthrop
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7751-7558-6
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 4, 416 Seiten
Reihe: Regency Romantik
ISBN: 978-3-7751-7558-6
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carolyn Miller lebt in New South Wales in Australien. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und liebt es, zu lesen und Bücher zu schreiben. Ihre Romane handeln von Vergebung, Liebe und anderen Herausforderungen. Millers Lieblingsautorin ist natürlich Jane Austen. www.carolynmillerauthor.com
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Kapitel 2
Winthrop Manor, Gloucestershire
»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.«
Die Worte gingen Catherine nicht aus dem Kopf. Sie saß in ihrem Lieblingssessel in ihrem Lieblingszimmer auf Winthrop. Holte tief Luft. Atmete wieder aus. Sog hungrig die Stille in sich auf. Atmete abermals ein und wieder aus, als vermochte diese einfache Aktivität die Wirklichkeit dieses Tages erträglich zu machen. Den Pfarrer. Das Begräbnis. Die Trauernden. Die Gerüchte und die neugierigen Blicke, die sich hastig abwandten, wenn sie sie erwiderte. Vor allem aber die dumpfe Schwere, das Gewicht auf ihrer Seele, das keine Worte des Pfarrers oder ihrer Freundin Lavinia erleichtern konnte. Ihre Welt hatte sich verändert. Von jetzt an würde alles anders sein. Alles würde … schlimmer sein.
Sie ließ sich in den hochlehnigen Ohrensessel sinken, stellte ihre Füße fest auf den in herrlichen Farben leuchtenden Axminster-Teppich und umklammerte mit aller Kraft die mit rot gestreiftem Stoff bezogenen Armlehnen. Sie war kein in Ohnmacht sinkendes Dämchen, ganz gleich, welches Vorbild ihre Mutter, die kaum noch ihr Bett verließ, ihr in den letzten Wochen gegeben hatte. Irgendjemand musste die arme Serena trösten, die Besucher empfangen, der bedrückten Dienerschaft Mut zusprechen, Richtlinien für die Ansprache auf dem Begräbnis vorgeben und entscheiden, was danach zu essen gereicht würde. Irgendjemand musste da sein und Verantwortung für das Leben übernehmen, das ihnen so urplötzlich auferlegt worden war, nachdem der feste, ruhige Halt, der ihr Vater ihnen allen immer gewesen war, für immer fort war.
Ihre Kehle brannte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie blinzelte. Noch einmal.
»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.«
Sie hob den Kopf und betrachtete die cremefarbene Tapete mit den blassrosa Rosen. Wie wunderhübsch, wie tröstlich dieses Zimmer mit seinem lieblichen Ausblick auf den Rosengarten und die blauen Hügel dahinter immer gewesen war. Wieder atmete sie gegen den aufflackernden Schmerz an, ein und aus, ein und aus. Bald würde Cousin Peter hier leben. Er würde heiraten und seine Frau würde das Haus neu einrichten und Winthrop Manor ihren Stempel aufdrücken. Sie und Mama mussten dann ins Dower House, das Witwenhaus, umziehen – eine ziemlich hochtrabende Bezeichnung für das alles andere als luxuriöse Cottage am äußersten Rand des großen Anwesens.
Unwillkürlich zog sie eine höhnische Grimasse. Dower House – vermutlich ein weiteres Projekt, das ihr Vater in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Die Entdeckung vieler solcher Projekte – wie etwa der Stapel ungeöffneter Rechnungen auf seinem Schreibtisch, auf denen sich der Staub gesammelt hatte – hatte die letzte Zeit noch unerfreulicher gemacht. Wieder schnürte es ihr die Brust zusammen. Einatmen. Ausatmen. Immerhin waren sie in Dower House näher bei Hampton Hall und Lavinia, falls sie und ihr Mann, der Graf von Hawkesbury, sich zu Hause aufhielten. Das war doch schon etwas. Andererseits war es weit weg von den Ställen und ihrem Gig und den Gärten und …
Ihre Augen brannten schon wieder.
Die Tür ging auf, ein Schwall kühler Luft drang herein und mit ihr die Unruhe, der sie für kurze Zeit entflohen war.
»Ah, da ist sie ja.« Tante Drusilla Villiers – groß, dünn, mit stechenden schwarzen Augen und der langen Nase der Ashtons, die sie wie eine hochmütige Hexe wirken ließen – kam auf Catherine zu. »Wir haben uns schon gefragt, wohin die Tochter des Hauses verschwunden ist.«
Catherine schluckte. Schluckte noch einmal. Wann würde sie die Fassade der Gastgeberin ablegen und sich stattdessen selbst trösten lassen können?
»Entschuldige, Tante, aber ich war nicht hungrig und ein bisschen müde …«
»Wie auch immer, du hast Verpflichtungen, jetzt, wo deine Mama darniederliegt. Dass Lady Milton beim Tee auftrat, als sei sie die Hausherrin! Ich bitte dich! Dieses endlose Geschwafel über ein junges Ding namens Sally, an dem keiner von uns auch nur das leiseste Interesse hat!«
Catherine lächelte schwach, als sie sich die Szene vorstellte. »Meinst du vielleicht Sophy, Tante?«
Sophia Thornton, eine ehemalige Spielgefährtin von Catherine, hatte einen sehr netten Brief geschrieben, in dem sie ihrem Kummer und großen Bedauern über ihr Wochenbett Ausdruck gab, das ihr jede Reise verbot. Er war nett gemeint, doch Catherine empfand auch diesmal denselben Stachel wie bei fast allen ihrer Briefe, die keinen Zweifel daran ließen, dass Sophias Leben immer schöner wurde, während Catherines seit Jahren stillzustehen schien.
Ihre Tante zuckte die Achseln. »Sophy, Sally, was interessiert es mich, wie ihre alberne Tochter heißt?« Tante Drusilla setzte sich auf das weiß-golden gestreifte Sofa neben dem Marmorkamin.
Wieder ging die Tür auf und Serena und ihre Cousins traten ein.
Catherine betrachtete ihre Schwester, versuchte sie völlig leidenschaftslos zu sehen. Sie konnte gut verstehen, dass die Leute der Jüngeren der Winthrop-Schwestern gelegentlich Kaltherzigkeit unterstellten.
Ihre Haltung, ihr ganzes Auftreten war so unbeschwert wie ihr Name. Nur Catherine wusste, wie sehr Serena litt. Ihre nächtelangen Selbstvorwürfe, dass sie auf der Schule in Bath gewesen war und nicht Abschied von ihrem Vater hatte nehmen können, hatten auch Catherine wach gehalten, während sie versuchte, ihre Schwester zu trösten. Doch all das sah man ihr nicht an. Mit ihren goldenen Locken, ihrer ganzen Erscheinung, die von ätherischer Schönheit war, wirkte Serena so sorglos, als sei sie auf dem Weg zu einem Picknick mit ihren Cousins und Cousinen und nicht in tiefer Trauer um einen Vater, der sie angebetet hatte.
Sie verzog den Mund. Vielleicht trug Serena ihre Trauer besser, als Catherine es je vermögen würde – oh, noch einmal unschuldige siebzehn zu sein! –, oder vielleicht hatten sie und ihre Schwester nicht nur Mamas Ashton-Nase, sondern auch die unglückselige Veranlagung ihres Vaters geerbt, jeden Kummer und jede Sorge für sich zu behalten. Sie seufzte. Wenigstens würde Serena bald in Miss Haverstocks Bildungsanstalt in Bath zurückkehren.
»Catherine!« Ein Wirbel aus Fürsorge stürzte ins Zimmer und schloss Catherine in eine Umarmung, die sie fast erdrückte. »Oh, meine liebste Freundin, ich bin so froh, dich zu sehen!«
Lavinia Hawkesbury ließ sie los. Ihre geröteten Augen zeugten von ihrem tief mitempfundenen Kummer. »Ich konnte einfach nicht eher zu dir durchdringen, es waren einfach zu viele, die dir ihr Beileid aussprechen wollten.«
Catherine nickte. Das Gewühl hatte es ihr leicht gemacht, sich mitleidigen Kommentaren und Blicken zu entziehen, indem sie ihre Augen konsequent niedergeschlagen hielt. Ein schlichtes Nicken, ein paar Dankesworte waren alles gewesen, was sie zustande gebracht hatte, unentwegt bedrängt von den Angehörigen der vielköpfigen Familien sowohl ihres Vaters als auch ihrer Mutter, ein paar guten Nachbarn wie Lavinia und dem Grafen und anderen, die sie kaum oder gar nicht kannte. Einen Moment lang schlug ihr Herz schneller. Würde er es wagen zu kommen?
Lavinias Kleid aus kostbarer schwarzer Seide raschelte, als sie sich in den Sessel neben Catherine setzte. Inzwischen füllte sich das Zimmer mit weiteren Gästen, die auf die Verlesung des Testaments warteten. Lavinias Taille erschien Catherine ein wenig fülliger als sonst.
Sie räusperte sich. »Ich hoffe, es geht dir gut.«
Lavinia lächelte. »Besser als letzten Monat. Nicholas ist offenbar entschlossen, mich in Watte zu packen, aber als wir deine traurige Nachricht erhielten, wollte ich nur noch so schnell wie möglich zu dir.«
Catherine lächelte zurück – ihrem Gefühl nach zum ersten Mal seit Monaten. Lavinias leidenschaftliche Fürsorge für ihre Freunde, zusammen mit ihrer manchmal fast bestürzenden Offenheit, hatten sie angezogen, seit sie ihr als junges Mädchen zum ersten Mal begegnet war. Zweifellos hatte ihr unkonventionelles Benehmen ihr geholfen, das Herz des Kriegshelden zu gewinnen, der vor drei Jahren, als er den Titel übernommen hatte, nach St. Hampton Heath übergesiedelt war. Doch Catherine wusste, dass auch Lavinia nicht von Schicksalsschlägen verschont geblieben war. Der Herr hatte gegeben und sogar einem so guten Menschen wie Lavinia hatte der Herr auch wieder genommen.
Jetzt trat Lady Milton ein, die füllige Witwe des Gutsherrn. Sie sah sich suchend im Zimmer um, bis sie Catherine entdeckte. »Mein armer Liebling! Wie schaffst du es nur, dich so zu halten? Du bist so blass und – bestimmt hast du nichts dagegen, dass ich es so unverblümt ausspreche, schließlich kennen unsere Familien sich schon so lange – vielleicht auch ein wenig unpässlich? Aber das könnte auch an deinem Kleid liegen.« Blaue Augen musterten Catherine ungeniert von oben bis unten. »Nicht jede kann so gut Schwarz tragen wie meine Sophy. Aber sie gehört eben zu den Glücklichen, an denen einfach alles gut aussieht.« Ihr Blick fiel auf Lavinias Kleid und wurde hart, dann wandte sie sich wieder an Catherine. »Ich bin so froh, dass es dir gut zu gehen scheint, meine Liebe, zumal mir vorhin aufgefallen ist, dass deine arme Mama überhaupt nicht gut aussieht.«
Einatmen. Ausatmen. Vielleicht würde Gott Lady Milton ja schon bald aus ihrer Gegenwart entfernen …
Lavinia begegnete Catherines Blick, nickte leicht und wandte sich mit süßem Lächeln an Lady Milton. »Nun, das war wohl zu erwarten, nicht wahr? Mir scheint, dass es einer Frau, die nach dem Tod ihres Mannes gut aussieht, doch sehr an Empfindung mangelt.«
Lady Milton schniefte....