Mirbeau Klassiker der Erotik 14: Der Garten der Qualen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-943809-39-8
Verlag: Passion Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 14, 118 Seiten
Reihe: Klassiker der Erotik
ISBN: 978-3-943809-39-8
Verlag: Passion Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Spielhöllen, Bordelle und die Börse sind die bevorzugten Aufenthaltsorte des Erzählers. Mit seinem Schulfreund, der es zu einem Ministerposten im Kabinett von Gambetta gebracht hat, ist er in dunkle Machenschaften, in politische Intrigen und Korruption verstrickt. Um die eigene Karriere nicht aufs Spiel zu setzen, beseitigt der Minister den lästigen Mitwisser, indem er ihm einen Forschungsauftrag im Fernen Osten vermittelt.
So schifft sich der Erzähler nach Ceylon ein, voller Hoffnung, mit der neuen Identität auch ein neues Leben beginnen zu können. Auf dem Schiff lernt er die junge, geheimnisvolle Engländerin Miß Clara kennen und folgt ihr nach China. Seine zunächst eher zurückhaltende Geliebte entpuppt sich bald als grausamkeitslüsterne Megäre, die ihn in die tiefsten Abgründe des Menschlichen einweiht - und Asien erscheint ihm schon bald nur noch als pandämonische Folterkammer.
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ERSTER TEIL
1
Die Zufälligkeiten des Lebens — und was für ein Leben war das meine! — haben mich unter den vielen Frauen, die ich kennenlernte, auch der Frau gegenübergestellt. Ich habe sie gesehen, frei von allem Kunstwerk, von all den Heucheleien, mit denen die Zivilisation ihre wahre Seele wie mit einem Lügenschmuck verhüllt. Ich habe sie gesehen, ihrer Laune allein überlassen, unter der alleinigen Herrschaft ihrer Instinkte, in einer Umgebung, wo allerdings nichts sie zügeln konnte, wo sich im Gegenteil alles verschwor, um sie anzuregen. Nichts verbarg mir sie, weder Gesetze, noch Moral, noch religiöse Vorurteile, noch soziale Konvenienz. Ich habe sie in ihrer ganzen Wirklichkeit, in ihrer ursprünglichen Nacktheit, zwischen Gärten und Qualen, zwischen Blut und Blumen gesehen. Als sie mir erschien, war ich zur niedrigsten Stufe menschlicher Herabgekommenheit gesunken — wenigstens glaubte ich es. Da schrie ich vor ihren Augen voll Liebe, vor ihrem Mund voll Mitleid hoffend auf und glaubte, ja ich glaubte, dass ich durch sie gerettet werden würde. Oh, wie trog diese Liebe, wie verschwand dieses Mitleid, wie wurde mein Glaube getäuscht! Die ganze Geschichte der Frau und nicht allein ihre Geschichte, sondern auch ihre Rolle in der Natur und im Leben strafen all' unsere Romantik und Sehnsucht, mit denen wir die Frauen umgeben und von ihnen träumen, Lügen. Denn weshalb drängen sich sonst die Frauen zu blutigen Schauspielen mit der gleichen Verzückung wie beim Wollustrausch? Weshalb strecken sie, wie man sich stets überzeugen kann, auf der Straße, im Theater, in den Gerichtssälen und vor der Guillotine den Hals nach Folterszenen aus, reißen gierig die Augen auf und empfinden bis zum Ohnmächtigwerden die schändliche Freude am Tod? Weshalb lässt sie schon der Name eines großen Mörders bis in die tiefsten Tiefen ihres Leibes in einer Art von köstlichem Entsetzen erschauern? Weshalb? Ob es nun große Damen oder Bürgerfrauen sind — es kommt ganz auf das gleiche heraus. In Bezug auf Frauen gibt es keine moralischen Kategorien, es gibt nur soziale Kategorien, es sind eben Frauen. Die Frauen aus dem Volk, aus dem Bürgerstand, ja aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft stürzen sich lüstern auf die scheußlichen Totenkammern und absurden Verbrechermuseen. Weshalb? Das kommt daher, weil die großen Mörder auch stets schreckliche Liebhaber waren. Ihre geschlechtliche Kraft entspringt ihrer verbrecherischen Kraft. Sie lieben wie sie töten! Der Mord wird aus der Liebe geboren — und die Liebe erhält ihre höchste Spannkraft durch den Mord. Es ist dies die gleiche physiologische Erregtheit, es sind die gleichen erstickenden Gebärden, die gleichen Bisse. Und häufig fallen dabei auch, in derselben Verzückung, die gleichen Worte. Die schändlichsten Verbrechen sind fast immer das Werk des Weibes. Das Weib denkt sie aus, entwickelt sie, bereitet sie vor und leitet sie. Wenn die Frau diese Taten nicht mit eigener, oft zu schwächlicher Hand ausführt, kann man doch in all diesen Verbrechen ihren Charakter voll reißender Wildheit, ihre Unerbittlichkeit, ihre Geistesgegenwart, ihren Gedanken, ihr Geschlecht wiederfinden. »Cherchez la femme!« sagt der weise Kriminalist. Nun also, die Ereignisse, von denen ich sprechen will und die meine Behauptungen erhärten werden, nahmen einen fürchterlichen Verlauf. Die Frau hat mich Verbrechen kennen gelehrt, von denen ich keine Ahnung hatte. Schatten, Schatten, in die ich noch nicht herabgestiegen war. Meine Augen sind erstorben, mein Mund weiß nichts mehr zu sprechen, meine Hände zittern. Weil ich sie gesehen und in ihr das ganze Geschlecht erkannt habe. Aber ich kann ihr nicht fluchen, ebenso wenig wie ich dem Feuer fluche, das Städte und Wälder verheert, dem Wasser, das Schiffe scheitern lässt, dem Tiger, der die blutige Beute in seinem Rachen nach der Tiefe des Dschungels schleppt. Die Frau hat die weltumspannende Kraft der Elemente in sich, einen unüberwindlichen Zerstörungsdrang, gleich der Natur. Sie ist ganz allein an sich schon die ganze Natur! Da sie die Gebärmutter des Lebens ist, ist sie auch gleichfalls die Gebärmutter des Todes. Da durch den Tod das Leben unablässig wiedergeboren wird. Und den Tod abschaffen, hieße auch des Lebens einzige Fruchtbarkeitsquelle töten. Ich will damit nicht Logik treiben oder Beweise erbringen. Muss man denn Dinge, die dem Leide oder der Freude angehören, beweisen? Sie müssen gefühlt werden. Ehe ich eine der furchtbarsten Episoden meiner Reise nach dem äußersten Orient berichte, ist es vielleicht von Interesse, wenn ich kurz auseinandersetze, durch welche Verhältnisse ich zu diesem Unternehmen veranlasst wurde ; und vielleicht ist es nicht gleichgültig für meine Leser, wenn ich ihnen sage, wer ich bin und woher ich stamme. Ich bin in der Provinz, in einer Familie des kleinen Bürgertums geboren worden, dieses braven, haushälterischen und tugendhaften Kleinbürgertums, von dem in offiziellen Reden behauptet wird, dass es die Seele Frankreichs sei. Na, wahrhaftig! Ich bin trotzdem nicht gerade stolz darauf. Mein Vater war Kornhändler. Er war ein rauer, grober Mensch, der sich aber ausgezeichnet auf das Geschäft verstand. Er stand im Ruf, darin sehr geschickt zu sein, und seine große Geschicklichkeit bestand darin, »die Leute hereinzulegen«, wie er sich ausdrückte. Jemanden über die Qualität der Ware und das Gewicht zu täuschen, sich zwei Francs für einen Gegenstand, der nur zwei Sous kostete, und wenn es ohne zu großen Skandal anging, sich zweimal zahlen lassen, das waren seine geschäftlichen Prinzipien. Er lieferte zum Beispiel niemals Hafer, ohne ihn vorher ganz gehörig ins Wasser getaucht zu haben. Auf diese Weise ergaben die aufgeschwemmten Körner das Doppelte im Litermaß und auch an Gewicht; besonders wenn feiner Sand hinzugetan worden war, ein Vorgang, den mein Vater stets nach bestem Wissen und Gewissen ausführte. Er verstand es auch richtig und gerecht, Kornbrand und andere giftige Samen in die Säcke zu mischen, die beim Schwingen des Getreides ausgeschieden worden waren. Kein Mensch wusste auch besser als er, verdorbenes Mehl frischem zuzuteilen, denn beim Geschäft darf nichts verloren gehen und alles wiegt schwer. Meine Mutter, die noch wütender hinter schlechten Gewinnen her war, unterstützte ihn in seinen genialen Betrügereien und hielt steif und misstrauisch die Kasse, etwa wie man einen Wachposten vor dem Feinde bezieht. Die Moral und das Leitmotiv meiner Erziehung waren: Jemandem etwas fortnehmen und es behalten, ist Diebstahl. Jemandem etwas fortnehmen und es einem anderen weitergeben, indem man dafür möglichst viel Geld eintauscht, das ist Handel. Der Diebstahl ist umso dümmer, als er sich mit dem einfachen, häufig gefährlichen Nutzen begnügt, während der Handel zweifellos doppelte Früchte trägt. Die Schule entschied über die bizarre und gewundene Richtung, die ich in meinem Dasein haben sollte; denn dort lernte ich denjenigen kennen, der später mein Freund und der berühmte Minister Eugene Mortain wurde. Als Sohn eines Schankwirts war er auf Politik dressiert worden, wie ich auf den Handel, durch seinen Vater, der der Hauptwahlagent der Gegend, der Vizepräsident der gambettatreuen Vereine, der Gründer verschiedener Ligen, Widerstandsgruppen und Handwerksgenossenschaften war. Eugene bildete in sich, von der zartesten Kindheit an, die Seele eines »wirklichen Staatsmannes«. Schlechte Instinkte, die uns gemeinsam waren, sowie eine ähnliche Gewinnsucht näherten uns beide rasch. Aus unserem engen Einvernehmen ergab sich eine wüste, beständige Ausbeutung unserer Kameraden; ich wurde mir klar darüber, dass nicht ich der Bedeutendere in diesem Verhältnis war, aber gerade auf Grund dieser Erkenntnis klammerte ich mich nur noch fester an den Glücksstern dieses ehrgeizigen Genossen. Wenn wir auch nicht redlich teilten, so war ich doch stets sicher, einige Brocken zu erhaschen. Damals genügten mir diese vollständig. Leider habe ich aber nur immer Brocken von den Kuchen, die mein Freund verschlang, erhalten. Ich traf Eugene später während einer schwierigen und schmerzlichen Periode meines Lebens wieder. Infolge des ewigen »Reinlegens der Leute« hatte sich mein Vater schließlich selbst hereingelegt und nicht nur im bildlichen Sinn, wie er es in Bezug auf seine Kunden meinte. Eine unglückselige Lieferung, die, wenn ich mich genau erinnere, eine ganze Kaserne vergiftete, war der Anlass dieses bedauerlichen Vorfalles, den der vollständige Zusammenbruch unseres im Jahre 1794 gegründeten Geschäftes krönte. Mein Vater hätte vielleicht die Entehrung überlebt, denn er kannte wohl die unendliche Nachsicht seiner Zeitgenossen; er konnte aber den Ruin nicht überleben. Ein Schlaganfall raffte ihn eines schönen Abends dahin. Da ich nun auf keine Unterstützung mehr rechnen konnte, sah ich mich gezwungen, mich allein durchzuschlagen, entriss mich dem mütterlichen Jammer und eilte nach Paris, wo mich Eugene Mortain so liebenswürdig wie nur möglich aufnahm. Derselbe war in Paris nach und nach zu immer höheren Stellen gelangt; dank geschickt benützten parlamentarischen Protektionen, dank der Biegsamkeit seiner Natur, seiner vollkommenen Skrupellosigkeit begann er von sich in günstiger Weise in der Presse, in der Politik und der Finanz weit reden zu machen. Von allem Anfang an benützte er mich zu schmutzigen Geschäften und wurde auch ich, da ich ihm ständig wie sein Schatten folgte, gleich ihm ein wenig berühmt, woraus ich aber nicht, wie ich es hätte tun sollen, Nutzen zu ziehen verstand. Aber die Konsequenz in schlechten Dingen fehlt mir leider am allermeisten. Nicht dass ich vielleicht verspätete Gewissensbisse, Skrupel oder vorübergehende...