E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Mischke Der Muttertagsmörder
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98296-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalgeschichten
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98296-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Der Muttertagsmörder
»Streife fahren bringt überhaupt nichts«, sagte Ferdi missgelaunt. »Er hat sich noch nie eine von der Straße geschnappt. Immer in ihren Wohnungen. Wenn sie mal eben zur Mülltonne gehen, oder zum Briefkasten, oder ein Fläschchen Wein aus dem Keller holen und nur ganz kurz die Tür auflassen…«
»Möglich«, antwortete Siggi. »Aber man kann nicht in jedes Haus, in dem so eine Alte wohnt, einen Polizisten stellen. Auf Streife sehen uns die Leute und haben das Gefühl, dass was für ihre Sicherheit getan wird.«
»Es war klar, dass es wieder uns Ledige trifft«, maulte Ferdi. »Sonntagsschicht bei so einem Wetter!«
»Dienst ist Dienst. Denk an den Zuschlag.«
»Ich hab Durst«, knurrte Ferdi. »Fahr zum Kiosk. Scheiß Muttertagsmörder.«
Er holte noch einmal tief Atem und schaute hinauf zum samtblauen Maihimmel, so sehnsüchtig, wie einer schaut, der eine lange Haftstrafe anzutreten hat. Wenn ich ein Vöglein wär…, dachte er und drückte resigniert auf den vergoldeten Klingelknopf. Es dingdongte. Er hörte, wie sich die Absätze ihrer Gesundheitsschuhe in den Kokosläufer bohrten, der Schlüssel schabte im Schloss, die Tür öffnete sich gerade so weit, wie es die massive Kette zuließ.
Kein Wunder, dass sie ängstlich war. Er selbst hatte schließlich, auf Geheiß des Chefredakteurs, diesen Artikel Wird der Muttertagsmörder wieder zuschlagen? geschrieben. Seit Tagen versetzt der sogenannte Muttertagsmörder die Stadt in Angst… Im Grunde war es nicht der Mörder, sondern die Presse, die die Leute seit Tagen in Angst versetzte. Der Mörder verhielt sich ganz passiv. Bis jetzt. Wird er auch dieses Jahr wieder eine alte Dame in ihren eigenen vier Wänden überfallen und brutal ermorden… und so weiter. Täglich druckten sie die Ratschläge und Warnungen der Polizei an allein lebende ältere Damen, nur ja keinem Fremden die Tür zu öffnen.
»Ich bin’s, Mutti. Mach auf.«
Durch den Türspalt konnte er riechen, was es zum Essen geben würde. Sein Magen krampfte sich zusammen.
Da stand sie, die Lippen ungeschickt angemalt, die Einheitsdauerwelle mit Haarspray zementiert. Sie trug eine karierte Schürze über einem billigen, hellblauen Häkelpulli und dazu den obligaten Faltenrock.
»Ach, du bist es.« Der leidende Tonfall einer vom Leben Enttäuschten.
»Hallo, Mutti.«
»Du kommst spät. Alles wird verkocht sein, aber das ist dann nicht meine Schuld.«
»Alles Gute zum Muttertag.« Er hielt ihr den Dreißig-Euro-Frühlingsblumenstrauß vor das Gesicht und küsste sie widerstrebend und so flüchtig wie möglich auf die bleiche Wange. Sie roch nach Maiglöckchen und Sauerbraten. Er wusste nicht, welchen der beiden Gerüche er mehr verabscheute.
»Der ist doch viel zu schön für mich.« Sie nahm ihm den Blumenstrauß ab und stopfte ihn in eine Vase.
Er schleuste sich durch den engen Flur an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Der Tisch war für drei gedeckt. In der Schrankwand lauerten, zwischen Spitzendeckchen und Kitschporzellan, die Bilder. Er mit einer Schultüte, sein Vater in Uniform, beide in Schwarz-Weiß. Die restlichen Fotos waren farbig: Torsten und seine blonde Gattin, die zwei niedlichen Kinder, das große Haus, der große Hund, Torsten im weißen Kittel, das Stethoskop um den Hals.
Er ließ sich am Tischende nieder, wo er die Fotos nicht ansehen musste. Am anderen Ende des langen, polierten Nussbaumtisches protzte ein voluminöser Blumenstrauß. Das Kunstwerk der Floristik war mindestens doppelt so groß und teuer wie seiner, die Fleurop-Gebühren nicht mitgerechnet.
»Von Torsten. Wunderschön, nicht wahr?« Wieder dieser Wimmertonfall, als läge sie im Sterben. Dabei war sie organisch gesund. Bei »organisch« musste er an den Sauerbraten denken und heimlich aufstoßen.
»Ja, schön.«
Er half ihr beim Entkorken einer Weinflasche. Honigfarben rann die Spätlese in die Kristallgläser. Er hätte viel lieber ein Bier getrunken, aber Bier war proletenhaft.
Sie schleppte ein Tablett mit Schüsseln und Platten heran, die sie drohend vor ihm aufbaute.
»Sauerbraten. Euer Leibgericht.« Mit einem großen Vorlegelöffel schaufelte sie kleine, eitergelbe Teigbatzen auf seinen Teller. »Die Spätzle sind matschig. Weil du nie pünktlich sein kannst.«
»Ich war pünktlich. Auf die Minute.«
»Wenn man zum Essen eingeladen ist, kommt man nicht in letzter Minute, sondern etwas früher.« Sie klatschte noch einen letzten Batzen auf den Spätzleberg.
»Danke. Genug!«
»Lang nur ordentlich zu. Wieso mache ich mir sonst die Mühe und steh mir den ganzen Vormittag die Beine in den Bauch?«
Ihre Beine. Gab es diese Stützstrumpfhosen denn tatsächlich nur in der Farbe angegammelter Fleischwurst?
»Du hättest nicht kochen müssen. Du weißt doch, Sonntags frühstücke ich immer spät.«
»Weil du dich am Samstag die ganze Nacht mit Schlampen herumtreibst.«
Ihre Stimme klang nun gar nicht mehr leidend, sondern scharf wie das Messer, mit dem sie gerade den Braten in Scheiben schnitt. Er lag auf einer weißen Platte mit Goldrand.
»Du sitzt auf Torstens Platz. Setz dich bitte dahin.« Sie wies auf den Stuhl an der Längsseite.
»Wieso? Kommt er noch?« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. Sie hatte einen Schönheitsfehler, die Musterfamilie: Sie lebte in Baltimore.
»Sie haben ihn zum Leiter der urologischen Abteilung befördert, habe ich das schon erzählt?« Sie hatte.
»Jedem das Seine. Mahlzeit.«
»Setz dich jetzt da rüber!«
Er gehorchte und nahm seinen Teller mit.
»Wann wirst du mal befördert?«
»Ich habe ein eigenes Ressort innerhalb der Lokalredaktion. Bei einer kleinen Zeitung gibt es nicht so viele Aufstiegsmöglichkeiten.«
Wozu erzählte er ihr das überhaupt? Für sie würde er immer ein kleiner Schmierenjournalist bleiben. Ein Versager.
Sie legte ihre Schürze ab, fädelte zwei Scheiben Braten auf die Fleischgabel und ließ sie auf seinen Teller glitschen. Aus einer Sauciere goss sie eine wässrigbraune Flüssigkeit über das Arrangement.
»Heutzutage muss man dankbar sein, wenn man mit vierzig noch einen Job hat«, fügte er trotzig hinzu.
»Dein Vater ist mit vierzig aus der Gefangenschaft gekommen und hat ganz von vorn angefangen…«
»Und war mit fünfzig tot.«
Schicksalsergeben ließ sie sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen. Ihr Haupt mit den grauen Löckchen, die an einen Königspudel erinnerten, sank für einen Moment auf ihre volle Brust, ehe sie den Blick anklagend zum Himmel hob, die Hände faltete und sagte: »Bei Gott, es war nicht einfach für mich, euch beide alleine großzuziehen. Aber wenigstens ist aus deinem Bruder was geworden. Er wird übrigens im Dezember zum dritten Mal Vater.«
Er schwieg.
»Bei dir ist der Zug ja wohl abgefahren. Du hast ja noch nicht einmal eine Frau, geschweige denn…«
»Unser Vater war auch über vierzig, als ihr geheiratet habt«, unterbrach er gereizt.
»Das waren andere Zeiten.«
Er verzichtete auf einen Einwand.
»Willst du nicht mit deiner Mutter anstoßen?«
»Doch, natürlich, Mutti.« Er hob sein Glas. »Alles Gute zum Muttertag.«
»Danke«, sagte sie und hatte wieder ihren Leidenszug um den Mund.
Süß und warm rann der Affentaler die Kehle hinunter. Er musste husten.
»Lass es dir schmecken, Junge.«
Er schaute auf seinen Teller. Die Soße hatte eine dünne Haut bekommen. Die Spätzle waren aufgedunsene Maden, durch die Bratenscheiben zog sich eine breite, glibberige Sehne wie eine Krampfader.
Er schnitt ein Stück Braten ab. Das Fleisch war faserig und zäh.
»Iss«, sagte sie.
»Ich kann nicht.« Er legte das Silberbesteck hin.
Ihre Mundwinkel zuckten. »Willst du mich mit Absicht kränken?«
»Nein, Mutti. Aber ich kann nicht.«
»Dein Vater und dein Bruder haben meinen Sauerbraten geliebt. Nur du musst immer Zicken machen, dein ganzes Leben hast du nur Probleme gemacht. Iss, sage ich!«
Er nahm die Gabel wieder in die Hand und steckte das aufgespießte Stück Fleisch in den Mund. Er schluckte es ohne zu kauen hinunter. Auf halbem Weg durch die Speiseröhre überkam ihn Brechreiz und er spie den Batzen auf den cremeweißen Läufer.
»Also, das ist doch…!« Vor Empörung waberte ihre Brust unter dem hellblauen Häkelpulli wie Götterspeise.
»Es tut mir leid, Mutti!«
Sie erhob sich und sah ihn aus schmalen Augen an. »Du willst also nicht essen, was deine Mutter liebevoll gekocht hat?«
»Ja. Nein. Ich…« Er verstummte. Er wusste, was ihm bevorstand.
Sie verließ das Zimmer und kam mit einem kalten Gesichtsausdruck und einem Gürtel in der Hand zurück.
»Kennst du den?«
Er nickte. Seine Hände schwitzten.
»Antworte mir.«
»Vaters Gürtel«, hauchte er. Er hatte Schweißtropfen auf der Stirn. »Bitte, Mutti, ich werde essen, ich…«
»Zu spät. Runter mit dir!«
Heute war sie besonders wütend. Er zählte vierundzwanzig Schläge auf die nackte Haut, davon sechs mit der Gürtelschnalle.
Heulend kroch er auf den Stuhl zurück. Sitzen konnte er nicht, nur knien. Sein Gesicht hing über der Platte mit dem Fleisch, das wie Erbrochenes roch.
Sie beugte sich über den Tisch, das Kreuz an ihrer Halskette pendelte über dem Braten. Ihre Hand legte sich wie ein Schraubstock um sein Kinn. Perlmuttnägel gruben sich in seine Haut.
»Schau mich an!«
Stahlgraue Augen, graurosa Wangen, blutrote Lippen, graue Pudellöckchen, hellblaue Häkelbrüste, goldenes Kreuz über stahlgrau blitzendem Messer…
»Wirst du jetzt aufessen?«
»Fahr zur Hölle,...




