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E-Book, Deutsch, 390 Seiten

Monteverde Handbuch Pflegeethik

Ethisch denken und handeln in den Praxisfeldern der Pflege

E-Book, Deutsch, 390 Seiten

ISBN: 978-3-17-035926-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Health care involves ethical complexities that also affect nursing care: How can an ethically correct approach be recognized in borderline moral situations? When are resources being fairly distributed, and what is the relationship between ethics and economic considerations in nursing practice? What is the ethical significance of concepts such as vulnerability and advanced nursing practice? How can nurses in an interprofessional team help shape ethical decision-making? How can ethics be taught, and what are the characteristics of ethically considered nursing research? How should robotics be regarded ethically in everyday nursing care, and what does migration-sensitive nursing ethics look like? This handbook brings together the views of international experts on these and other topics. In three sections on ?Foundations=, ?Clinical and Social Fields of Action= and ?Aspects of Ethics Transfer=, they highlight current debates on the ethics of care. The book=s consistent structure, with goals and transfer questions, makes it possible to go into the topics more deeply in a systematic way. With forewords by Christel Bienstein and Ann Gallagher.
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1             Grundlagen der Pflegeethik
Settimio Monteverde
      Professionelle Pflege ist eine Form moralischer Praxis. Sie verwirklicht in ihrem Handeln Vorstellungen des Guten und Richtigen. Diese sind wandelbar und zeigen sich in Ethikkodizes, Leitlinien, Pflegeleitbildern oder in moralischen Intuitionen, die den pflegerischen Umgang mit Menschen, die gesundheitliche Bedürfnisse haben, prägen. Die Gesamtheit dieser Vorstellungen konstituiert die »Moral von Pflege« resp. das Pflegeethos. Als Bereichsethik pflegerischen Handelns untersucht Pflegeethik diese Vorstellungen. Ihre Entwicklung ist eng an die Professionalisierung von Pflege gebunden. Das Kapitel beleuchtet den Mehrwert ethischen Denkens in Grenzsituationen der Moral, die den Pflegealltag prägen. Es erörtert grundlegende Begriffe und ausgewählte Traditions- und Denklinien der philosophischen Ethik, die für das Verständnis von Pflegeethik wichtig sind. Gedanken zum Verhältnis von Pflegeethik, der Ethik der ärztlichen Profession und der Medizinethik schließen das Kapitel ab. Ziele: Nach dem Lesen des Kapitels sind Sie in der Lage, grundlegende Begriffe wie Moral, Ethik, moralisches Problem, ethisches Dilemma, Pflegeethik, Ethik der ärztlichen Profession, Medizinethik sowie Bereichsethik zu erklären und zueinander in Beziehung zu setzen. Sie beschreiben die wichtigsten Konturierungen der Pflegeethik und ihren Beitrag zum professionsübergreifenden ethischen Diskurs. 1.1       Pflege als moralische Praxis und Pflegeethik als kritische Reflexion derselben
Formen familiärer oder nachbarschaftlicher Pflege sind für jede menschliche Gemeinschaft von existentieller Bedeutung und sinnstiftend, sowohl im Umgang mit »natürlicher« Pflegebedürftigkeit (z. B. im Säuglingsalter) als auch mit den Folgen von Behinderung oder Krankheit. Spätestes im Mittelalter wurden sie in Europa ergänzt durch Strukturen klösterlicher oder kommunaler Pflege. Diese hatten den Zweck, Menschen vor den sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Auswirkungen von Krankheit, Krieg oder weiterem Schicksal zu schützen (Seidler & Leven 2003). Die Ausdifferenzierung der Pflege zur Profession aber erfolgte – verglichen mit der Ärzt*innenschaft oder den Hebammen – erst relativ spät, nämlich im Gefolge der Etablierung der Krankenhausmedizin in der Mitte des 19. Jhdt. (Schweikardt 2008). Professionen verfügen aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Dienstleistung über ein soziales Mandat und damit verbundene Privilegien (Geissler 2013, Krampe 2013): Sie definieren Adressat*innen, Gegenstand und Umfang ihrer Dienstleistung autonom, aber auch die Zulassung, Ausbildung und Regulierung der Tätigkeit ihrer Mitglieder. Ferner legen sie grundlegende Werte ihres Handelns verbindlich in einem Ethikkodex fest, der als sichtbares Zeichen der Vertrauenswürdigkeit der Professionsangehörigen fungiert ( Kap. 2). Die Professionalisierung von Pflege wurde in exemplarischer Weise durch das Wirken von Florence Nightingale (1820–1910) vollzogen. Pflege sollte – so Nightingale – auf ihre Wirksamkeit und bestmögliche Evidenz geprüft werden, aber auch mit der richtigen Haltung erbracht werden (Nightingale 2016). Die Professionalisierung von Pflege legte dadurch den Grundstein für die Pflegeforschung, die Pflegewissenschaft und die Akademisierung von Pflege (Lademann 2018, Büker 2018). Ferner führte sie zur Explikation (d. h. zur Artikulation und Sichtbarmachung) des Pflegeethos, d. h. jenes Kanons an Haltungen und Werten, welche professionelle Pflege als im ethischen Sinne »gute« Pflege qualifizieren (Fry 2004b). Spuren dieses Pflegeethos reichen bis in die »vorprofessionelle Zeit« der Pflege zurück und sind in allen Kulturen sichtbar. Sie zeigen sich z. B. im frühchristlichen Begriff der Caritas, der tätigen Nächstenliebe, im jüdischen und islamischen Begriff der Barmherzigkeit und im buddhistischen Begriff des Mitgefühls. Erst die wissenschaftliche Aufbereitung des Pflegeethos mit Methoden und Instrumenten der Moralphilosophie und der Sozialwissenschaften ist es, die den Begriff der Pflegeethik – verstanden als wissenschaftliche Reflexion des Pflegeethos – in Erscheinung treten lässt (Monteverde 2016). Auch Pflegeethik ist im deutschsprachigen Raum ein relativ junger Begriff, dessen Legitimität noch bis vor wenigen Jahren umstritten war: Pflege, so die Argumente, könne keine eigene Ethik haben, weil sie keine eigene Moraltheorie besitze, weil es im klinischen Alltag immer um »die Patient*in« gehe, die von unterschiedlichen Professionen betreut werde und Tendenzen der »Abschottung« durch Sonderethiken entgegenzuwirken sei (zur Debatte vgl. Rehbock 2000, Pfabigan 2007, Monteverde 2015). Begriffe wie Ethik in der Pflege oder Ethik im Pflegealltag wurden deshalb favorisiert, um die Dimension resp. den »Ort« der Anwendung hervorzuheben. Die Anliegen der Kritik, »sezessionistischen« Tendenzen innerhalb der Ethik im Gesundheitswesen entgegenzuwirken, sind ernstzunehmen. Ebenso ist der Fokus auf die gemeinsamen philosophischen Grundlagen und die Patient*innenorientierung vielversprechend für die Ausarbeitung einer Ethik der interprofessionellen Zusammenarbeit. Doch zeigt die Ethikforschung der letzten 20 Jahre auf, dass sich Professionen und ihre Mitglieder aufgrund ihres Wissens-, Zuständigkeits- und Erfahrungsspektrums immer auch an spezifischen Werten orientieren. Die daraus entstehende Vielfalt an moralischen Wahrnehmungen und Intuitionen muss entdeckt, begriffen und gewürdigt werden, wenn dort, wo sich im klinischen Alltag Wertedifferenzen oder -divergenzen zeigen, eine ethische Verständigung gelingen soll. Wie das professionelle Handeln von Ärzt*innen, Physiotherapeut*innen oder Hebammen ist auch dasjenige einer Pflegefachperson hinreichend klar bestimmbar. Es beruht auf normativen Grundannahmen, die Pflege als Form moralischer Praxis ausweisen, was Bishop und Daly mit Bezug auf Florence Nightingale mit dem Begriff der self-defining moral practice wiedergeben (Bishop & Daly 2004, S. 1908). Weil sich Pflege als moralische Praxis versteht, macht es Sinn, von Pflegeethik als kritischer Reflexion dieser Praxis und der ihr zugrunde gelegten Werte zu sprechen, was sich am Fallbeispiel mit Herrn Schmitt ( Kap. 1.2) besonders gut aufzeigen lässt. Aufgrund der reichen Theoriebildung pflegerischen Handelns durch die Pflegewissenschaft (vgl. Masters 2015) erscheint eine Konzeption der Pflegeethik (sowie anderer Ethiken der Gesundheitsprofessionen) als Bereichsethik angemessener als diejenige der (weitgehend synonym gebrauchten) »angewandten Ethik« (Düwell 2008). Der Begriff der Bereichsethik vermag die theoretische resp. wissenschaftliche Fundierung des jeweiligen Bereichs und seiner moralischen Grundannahmen besser aufzuzeigen als der Begriff der »angewandten Ethik« (vgl. Schweidler 2018 sowie Nida-Rümelin 2005). Denn die Dimension der Praxis ist mehr als eine unidirektionale »Anwendung« von Theorie. In der Praxis wird Theorie auch getestet und weiterentwickelt. Besonders erhellend für das Verständnis dieser Interaktion von Theorie und Praxis für die Bereichsethiken im Gesundheitswesen ist der klinische Pragmatismus ( Kap. 1.2.1,  Kap. 1.4.5). 1.2       Der Bezugsrahmen
Fallbeispiel
Herr Schmitt, ein 82-jähriger Bewohner, der an Demenz leidet, lebt schon seit fünf Jahren im Alters- und Pflegeheim »Landfrieden«. Die Pflegefachfrau Susanne Fröhlich arbeitet seit kurzem in der Einrichtung und ist heute Bezugspflegende von Herrn Schmitt. Als sie am Morgen zu ihm gehen möchte, kommt ihr Herr Schmitt, noch im Schlafanzug und mit einer Aktentasche in der Hand, im Flur entgegen. Er wirkt ganz aufgewühlt und äußert, er müsse »sofort ins Büro gehen, um die Bestellungen aufzugeben«. Das beruhigende Zureden von Frau Fröhlich zeigt keine Wirkung auf den Bewohner. Vor vier Jahren wurde im Garten des Heims, der sich im Innenhof befindet, eine »Phantom-Bushaltestelle« gebaut. Susanne Fröhlich fragt sich: »Was soll ich tun? Darf ich auf die Äußerungen von Herrn Schmitt eingehen, ihm beim Anziehen helfen, ihn an die Bushaltestelle begleiten und hoffen, dass er zur Ruhe...


Prof. Settimio Monteverde is a lecturer at the Department of Health in Bern University of Applied Sciences and Co-Director of Clinical Ethics at Zurich University Hospital/Institute of Biomedical Ethics and History of Medicine, University of Zurich.


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