E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Morgan City of Burning Wings. Die Aschekriegerin
21001. Auflage 2021
ISBN: 978-3-646-60759-8
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rivals to Lovers Fantasy Romance mit starker Heldin | SPIEGEL-Bestseller
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-646-60759-8
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lily S. Morgan wurde 1990 in Heidenheim geboren und entdeckte früh ihre Liebe zum geschriebenen Wort. Wenn sie nicht mit Romanfiguren diskutiert, durch fiktive Welten wandert oder auf ihrem bekannten Instagram-Account »lilys.wortwelt« über Bücher bloggt, dann streift sie mit ihrer Hündin Maja durch den Wald. Ihr Fantasy-Debüt »City of Burning Wings« erklomm auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste.
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1. Kapitel
MAY
Mit kräftigen Flügelschlägen jagte May über die Dächer des Palastes. Vorbei an hohen Kuppeln, in denen sich das Mondlicht spiegelte, an spitzen Türmen und steilen Giebeln, deren dunkle Umrisse in den Himmel aufragten.
Wind peitschte ihr ins Gesicht, zerrte lange Strähnen aus dem geflochtenen Zopf und zerzauste die Rabenfedern auf ihrem Rücken.
Sie verlagerte das Gewicht nach rechts, legte sich in die Kurve und steuerte auf das Gebäude schräg gegenüber zu. Hoch konzentriert fegte May im Slalom um mehrere Wasserspeier, die wie Soldaten auf der Brüstung eines Balkons standen. Schon bei der kleinsten Unachtsamkeit bestand die Gefahr, versehentlich die Mauer oder einen der Steinkolosse zu streifen. Obwohl ihr das Risiko bewusst war, zog sie der Parcours aus Bauwerken beinahe magisch an und forderte sie Nacht für Nacht heraus ihr Geschick unter Beweis zu stellen.
Die Arme und Flügel nah am Körper haltend schoss sie zwischen zwei Fahnenstangen hindurch und wich einer dritten aus, bevor sie sich aufwärtsschraubte. Ihr Herz raste und sie ließ sich vom Aufwind getragen über Elydor treiben, bis ihr Atem zur Ruhe kam.
Die Sterne funkelten über der schlafenden Stadt am blauschwarzen Firmament und May genoss die Stille, fernab von jeglichen Verpflichtungen.
Als Kind hatte sie es geliebt, mit ihrem Vater um die Wette zu fliegen, die grenzenlose Freiheit des Himmels zu erkunden und riskante Manöver auszutesten.
Auch wenn er als Kommandant der Aschekrieger ununterbrochen beschäftigt gewesen war, hatten die ersten Minuten der Morgenstunde nur ihnen gehört.
Mays Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Es verging kein Tag, an dem sie ihn nicht vermisste, sich wünschte, er könnte weiterhin mit ihr durch die Wolken streifen.
Blinzelnd verdrängte sie das Brennen in den Augen, legte die Flügel an und ließ sich in die Tiefe fallen. Klirrende Kälte schlug ihr entgegen und sie brauste mit dem Kopf voran Richtung Boden. Schneller. Immer schneller kam der Palasthof näher.
Adrenalin schoss durch ihre Adern und beinahe konnte sie das Rauschen mächtiger Schwingen hören. Ihr Vater war ihr stets dicht auf den Fersen gewesen, um einzugreifen, falls sie die Kontrolle verlor.
Der Zauber der Erinnerung nahm sie gefangen, vertrieb die Furcht vor dem Aufschlag, die an Mays Vernunft appellierte und sie dazu drängte, den Sturzflug zu unterbrechen, bevor es zu spät war. Sie wollte den Augenblick hinauszögern und am trügerischen Gefühl der Zweisamkeit festhalten, ehe dieses verblasste.
May raste an den Zweigen uralter Bäume vorbei, direkt auf die Pflastersteine zu. Erst in letzter Sekunde breitete sie die Flügel aus und ein Ruck ging durch ihre Glieder, als sie abrupt abbremste. Ein protestierendes Stechen jagte May durch die Rückenmuskulatur, doch sie nahm den Schmerz nur als dumpfen Nachhall wahr.
Erneut schwang sie sich in die Höhe, während die ersten Sonnenstrahlen des Tages hinter der Silhouette der Stadt hervorkrochen und den Himmel lila färbten. Von einer Windböe begleitet segelte sie über den Palast und versprach sich im Stillen, den Parcours morgen zu wiederholen.
Ihr Blick glitt über die vier Stadtteile Elydors und wurde von den schimmernden Dächern des Goldenen Viertels eingefangen. Im Gegensatz zu den anderen wirkte es mit den Marmoranwesen und den unzähligen Mondblumen, die bald erlöschen würden, selbst im Dunkeln wie ein Schatz aus alten Geschichten. Ein Ort, an dem man nach Wundern suchte und nie die Hoffnung aufgab, eines zu entdecken.
Südlich davon lag das Bauernviertel, das bei Tag einer grünen Welle glich, denn alle Hauswände waren mit vertikalen Gärten versehen, in denen Obst, Gemüse und bunte Blüten wuchsen. Weiter westlich sah es zu jeder Tageszeit weniger einladend aus. Dort ragten schamhaft Fabrikschornsteine auf, die den Stadtteil meist in fahlen Nebel hüllten.
Im Norden hingen die Schatten der Nacht noch tief über den Gebäuden. Bisweilen hörte man von Adligen, die in den engen Gassen des Tarros verschwanden. Manche tauchten Tage später wieder auf, ausgeraubt und ohne Erinnerungen. Andere fand man zusammengeschlagen in dunklen Ecken oder mit durchgeschnittener Kehle.
May schob die Gedanken an das Elendsviertel, in dem die Ausgestoßenen und Ärmsten von Elydor lebten, beiseite. Bald würde der Trubel des neuen Tages beginnen und mit ihm ihre Aufgabe, sich um die Probleme und Streitereien der Bevölkerung zu kümmern.
Sie flog einen Bogen und machte sich auf den Weg zum Westflügel des Palastes, um vor dem morgendlichen Kampftraining zu frühstücken.
Unter ihr zogen Wasserspeier vorbei und die Gärten kamen näher. Aus der Entfernung erblickte May den fröhlich plätschernden Brunnen, um den sich die schönsten Sonnenrosen der Stadt rankten. Dahinter wuchsen kunstvoll gestutzte Büsche, und mehrere Himmelsstürmer schwebten über den Zierbäumen.
Verwundert hielt May inne und kniff die Augen zusammen. Normalerweise waren um diese Zeit höchstens patrouillierende Gardisten oder Kaninchen zu entdecken. Obwohl sie auf dem schnellsten Weg zum Speisesaal wollte, näherte sie sich der Gruppe, die laut johlte und einen Kreis um zwei Männer gebildet hatte, die miteinander rangen.
Waffengeklirr drang zu ihr herüber und kein Gardist war zu sehen, der sich in das Geschehen einmischte.
»Hundert Pinass auf Clyde!«
»Hundertdreißig auf Rees!«, überboten sich die umstehenden Himmelsstürmer und feuerten die Kämpfenden an.
Na toll. May verdrehte die Augen. Es gab am Morgen doch nichts Schöneres als einen Haufen Adlige, die seit dem Bankett am Vorabend nicht nach Hause gefunden hatten.
Clyde, ein stadtbekannter Unruhestifter, der zum Verdruss seiner Familie immer in Schwierigkeiten steckte, schwang eine Axt nach seinem Widersacher. Rees, ihr bester Freund aus Kindertagen, wich in der Luft aus, parierte mit einem Dolch und holte zum Gegenschlag aus.
Wenn die beiden aufeinandertrafen, war Ärger vorprogrammiert und May wäre nicht verwundert, wenn Clyde die Gardisten bestochen hätte, damit sie die Gärten nicht allzu genau in Augenschein nahmen.
Rees wehrte einen weiteren Hieb ab, schlug kraftvoll mit seinen Schwanenflügeln und schnellte auf den Axtangreifer zu. Clyde tauchte nach unten ab und entging um Haaresbreite der Klinge.
»Aufhören«, befahl May laut, bevor jemand ernsthaft verletzt wurde, überwand die restliche Distanz und drängte sich in den Kreis, der sich um die Kämpfenden gebildet hatte. Die Rufe verstummten sofort und die Zuschauer machten ihr eilig Platz. Der Geruch von Beerenwein lag in der Luft und ließ Mays leeren Magen rebellieren. Sie unterdrückte ein Würgen und musterte die Runde streng.
Clyde erstarrte in der Bewegung, die Axt zum Schlag erhoben. Der Dolch in Rees’ Hand zuckte angriffslustig, aber auch er hielt sich zurück. Blut sickerte aus einem Schnitt oberhalb seiner linken Augenbraue und rann ihm über die Wange. Rote Flecken verunstalteten sein weißes Hemd, das gestern Abend noch blütenweiß gewesen war, als May das Bankett verlassen hatte.
Clyde sah nicht weniger mitgenommen aus. Seine Oberlippe war aufgeplatzt und ein Auge begann bereits zuzuschwellen.
»Was ist hier los?«, fragte sie und die anderen wichen respektvoll einige Flügelschläge zurück. Auch wenn sie nicht mit dem König verwandt war, stand sie in der Thronfolge an oberster Stelle und über allen Adligen.
»Er …«, brauste Clyde auf, doch Rees schnitt ihm kalt das Wort ab.
»Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.« Wut brodelte in seiner Stimme, die er mühsam zu beherrschen versuchte, und fixierte seinen Gegner, als könnte er ihn mit Blicken aufspießen.
May glaubte ihm kein Wort. Bestimmt ging es um die übliche Fehde, die seit Generationen zwischen den beiden Familien herrschte. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, zerriss ein ohrenbetäubendes Dröhnen den Morgen und versetzte jede Faser ihres Körpers in Alarmbereitschaft. Erschrocken sahen sich die Himmelsstürmer an. Wenn die Sturmglocke ertönte, war die Stadt in Gefahr und jeder Moment konnte über Leben und Tod entscheiden.
»Haltet euch an den Notfallplan«, wies sie die Himmelsstürmer an und deutete anschließend auf Rees und Clyde.
»Ihr kommt heute Nachmittag in den Audienzsaal.«
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wirbelte sie herum, ließ die Gärten unter sich zurück und eilte zum Palast.
Himmelsstürmer und Gardisten strömten heraus, schwangen sich über die Abflugstellen und folgten dem Alarmsignal.
May flog gegen den Strom und sah schon von Weitem die Aschekrieger über den Bäumen des Innenhofs schweben. Sie trugen schwarze Kampfanzüge aus feuerfester Seide, hohe Stiefel und blank polierte Schilde.
In Momenten wie diesem war sie froh, dass sie jeden Morgen ihre Schutzkleidung anzog, denn jetzt blieb keine Zeit, um sich umzuziehen. Zum Glück hatte sie gestern im Gegensatz zu den anderen Bankettbesuchern nicht zu tief ins Glas geschaut. Obwohl sie sich nach der langen Nacht nicht in Bestform befand, war sie einsatzbereit.
Einige der Krieger nickten May grüßend zu, als sie ihren Platz in der Formation einnahm. Der Kommandant schoss aus einem hohen Gebäude, bremste neben den Wipfeln alter Tannen und brüllte Anweisungen. Dabei sah sein vernarbtes Gesicht im schwachen Licht des Morgens wie eine Kraterlandschaft aus. May wandte schnell den Blick ab und konzentrierte sich auf ihre Position.
Binnen Sekunden schlossen sich die Lücken in den Reihen und flankiert von zwei...