Mühl | Totenwache. | Buch | 978-3-943940-53-4 | www.sack.de

Buch, Deutsch, 104 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm, Gewicht: 120 g

Mühl

Totenwache.

Abschiede
Erscheinungsjahr 2018
ISBN: 978-3-943940-53-4
Verlag: Nordpark

Abschiede

Buch, Deutsch, 104 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm, Gewicht: 120 g

ISBN: 978-3-943940-53-4
Verlag: Nordpark


Rätselhaftigkeit des Lebens und Sterbens

Karl Otto Mühl, der nach einem langen Leben zurückblickt auf Schicksale, fremde und eigene, blickt auf die Freunde, die ihn bereits verlassen haben. Sie sind ihm liebend gegenwärtig, und die Erinnerung an sie wird zur aktuellen Begegnung mit der Rätselhaftigkeit des Lebens und Sterbens.
Er hat sie sich nicht nach öffentlicher Bedeutung ausgesucht, diese Freunde, sondern nach der Intensität, mit der sie Teile seines Lebens geworden sind. Und dennoch ist jeder von ihnen ein Solitär, manchmal sogar im öffentlichen Wirken, aber für uns, die Leser, werden sie zu Marksteinen, die uns eindringlich anblicken.
Sie erinnern uns daran, dass wir zusammengehören in einer Welt, die uns alle voneinander zu trennen scheint.

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Leser von erzählerischen Texten-


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Die Anwesenheit der Toten

Ich lese im PC eine Nachricht aus München – der im Kriege beinamputierte Freund Erich sei plötzlich gestorben, sanft eingeschlafen. Erich war nach dem Kriege einer meiner engsten Freunde; viel scharfsinniger als ich, immer auf Präzision im Ausdruck bestehend, ein Adept von Volkmann-Schluck, Heidegger und Husserl. Gadamer, mit dem mich der Zufall einmal im selben Eisenbahnabteil zusammenführte, kannte ihn gut. Philosophen kennen einander.

Ich kann und will gar nicht aufschreiben, was wir alles zusammen erlebt haben und voneinander wussten. Wie er, der Anspruchsvolle und Unruhige, auf Umwegen genau die richtige Frau fand; wie niemand, der enger mit ihm zusammenlebte, ohne bleibende Spuren von dieser Begegnung blieb. Der Augenblick, wo ihm ein Granatsplitter ein Bein wegriss, steht deutlich vor meinen Augen – er, der blauäugige, blonde Mustergermane, plötzlich mit Krücken …

Und dann bin ich bei meinem Dauerthema, dem Sterben. Ich schriebe zu viel darüber, hat jemand gesagt, aber ich kenne seinen Maßstab nicht. Bei mir ist das so, dass ich mich an den Gedanken gewöhnen möchte, aber ich weiß nicht, ob das möglich ist. Ich mache mir klar, dass ich einfach an eine Grenze kommen werde, wo mein Bewusstsein schwindet, jedoch, den Augenblick des Grenzübergangs erlebe ich wahrscheinlich nicht, ebenso wenig, wie ich die Sekunde des Einschlafens erlebe. Ich fantasiere weiter, stelle mir vor, dass dies ein Augenblick des Absprungs ins Unendliche sein wird. Mehr liefert mir meine Fantasie nicht.

Eine hübsche Physiotherapeutin sagte vor etwa dreißig Jahren dazu: »Seien Sie doch einfach neugierig darauf. Vielleicht gefällt es Ihnen, was dann kommt«.

Sie hatte einfach ein munteres Wesen. Das verhalf ihr zu einer abenteuerlichen Laufbahn. Sie wurde eine Art Coach, wobei sie selbst Ärzte beriet und sie mit esoterischen Theorien vertraut machte, und es passierte wirklich: es fand sich eine alte Diplomarbeit aus der Sozialpädagogik von ihr, und heute ist sie eine leibhaftige Professorin. Mehr verrate ich nicht.

Aber nun drängt sich mir ein Gedanke auf: Begehe ich nicht einen Fehler, wenn ich die Toten, die Eltern, die Freunde, die Nahestehenden, versehen mit ehrendem Angedenken, einfach ins Archiv verbanne? Natürlich werde ich immer wieder an sie denken, aber reicht das? Haben sie nicht Anspruch auf mehr? Habe ich das Recht, sie in einer Deponie zu lagern? Ganz genau: Habe ich das Recht, sie einfach für tot zu erklären?

Die Bibel spricht von der Auferstehung der Toten. Nehmen wir sie beim Wort, dann setzt das einen Zeitraster voraus. In meiner Welt gibt es in diesem Augenblick keine solchen Raster, im Unendlichen geht alle Zeit gegen Null. Einstein wusste das. Darum treten meine Toten langsam und behutsam näher und blicken mich an. Sie sagen mir, dass Vergangenheit und Zukunft gefallene Baumblätter sind, die auf dem Strom des Unbeschreiblichen schaukeln.

Ob die Toten wirklich tot sind, können nur sie selber wissen. Zumindest wissen sie es besser als ich, denke ich. Gibt es nicht Völker genug, die ihre Toten anwesend sein lassen?


Mühl, Karl Otto
Karl Otto Mühl wird am 16.2.1923 in Nürnberg geboren. 1929 erfolgt der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht.
Mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch.Seither veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Ro-mane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den von-der-Heydt-Preis. 2006 erhielt er den Literaturpreis der Springmann Stiftung und 2015 den Rheinlandtaler.
Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) und im P.E.N.



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