E-Book, Deutsch, 374 Seiten
Müller-Brauers / Bräuning / Schomaker Bilderbücher im Grundschulunterricht
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7720-0178-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fachübergreifende Lernfelder und inklusive Potentiale
E-Book, Deutsch, 374 Seiten
ISBN: 978-3-7720-0178-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bilderbücher regen Kinder auf vielfältige Weise zum Lernen an. Allerdings fehlt es bislang an einer fachübergreifenden Perspektive auf die Arbeit mit Bilderbüchern in didaktischen und unterrichtlichen Zusammenhängen. Die interdisziplinären Beiträge dieses Bandes untersuchen, welches Potential Bilderbücher für die Förderung der kindlichen Lernentwicklung haben. Durch die Verbindung didaktischer Zugänge aus Sprach- und Mathematikdidaktik, Sachunterricht und Sonderpädagogik bietet der Band konkrete praktische Anregungen zum Einsatz von Bilderbüchern im inklusiven und fächerübergreifenden Unterricht an der Grundschule. Er wendet sich an Vertreter:innen unterschiedlicher Fachdidaktiken, Studierende des Grundschullehramts und der Sonderpädagogik sowie Praktiker:innen in Kitas und Grundschulen oder in der Weiterbildung.
Dr. Claudia Müller-Brauers ist Professorin für 'Didaktik der Symbolsysteme - Schwerpunkt Deutsch' am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bilderbuchforschung, digitale Medien, Spracherwerb, Early Literacy und inklusiver Unterricht.
Dr. Kerstin Bräuning ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik, Mathematik- und Mediendidaktik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bilderbuchforschung, epistemologische Analysen mathematischer Kommunikations- und Interaktionsprozesse, Diagnose & Förderung sowie Inklusion.
Dr. Claudia Schomaker ist Professorin für Sachunterricht und Inklusive Didaktik am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bilderbuchforschung, Sachlernen im Übergang vom Elementar- in den Primarbereich und inklusiver Sachunterricht.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Zu den Potentialen und zur Wirksamkeit von Bilderbüchern im fachübergreifenden Grundschulunterricht
Während Bilderbücher in der deutschsprachigen Forschung v.a. in der frühen Bildungsarbeit fest verankert sind und als Gegenstand des Grundschulunterrichts bislang vor allem deutschdidaktisch bearbeitet wurden (siehe z.B. Gressnich 2014; Hering 2016; Knopf/Abraham 2014; Thiele 2003), liegen deutschsprachige Studien und Forschungsarbeiten zum Einsatz von Bilderbüchern in fachübergreifenden Zusammenhängen des Grundschulunterrichts bislang noch nicht im umfänglichen Maße vor; obschon im internationalen Vergleich in der Sachunterrichts- und Mathematikdidaktik vielfältige Forschungsperspektiven vorhanden sind. Bilderbücher als Lerngelegenheit werden im englischen Sprachraum bereits lange genutzt und deren Potential im Rahmen von unterrichtsbezogenen Projekten dargestellt sowie deren Wirksamkeit in Studien untersucht. So zeigen verschiedene Studien für den Bereich des naturwissenschaftlichen Lernens (,science‘), dass mit Hilfe von Bilderbüchern naturwissenschaftliche Konzepte veranschaulicht und von Kindern besser verstanden werden (siehe u.a. Hsiao/Shih 2015; Yuliana et al. 2021) oder aber geschlechterbezogene Stereotype in Bezug auf den Umgang mit Technik in Frage gestellt werden können (siehe Axell/Boström 2019). Bereits mit Kindern im Elementarbereich können mit Hilfe von Sachbilderbüchern zentrale Aspekte von nature of science (siehe Hansson et al. 2020) oder nature of engineering (siehe Deniz et al. 2017) thematisiert werden. Darüber hinaus wird in unterschiedlichsten Studien das Potential von Bilderbüchern für die Sensibilisierung von Themen wie den Umgang und die Thematisierung sexueller Vielfalt, Diskriminierung, Krankheit, Behinderung, Ökologie, Sterben und Tod, Familie etc. analysiert (siehe exemplarisch Martin et al. o. J.). Erzählungen über Phänomene der belebten und unbelebten Natur sowie Ereignisse menschlichen Zusammenlebens aus Vergangenheit und Gegenwart verweisen auf eine lange Tradition von Unterrichtsmethoden im Sachunterricht, die darauf abzielen, Sachverhalte für Schüler:innen anschaulich zu gestalten, um so Verstehensprozesse zu unterstützen. Für Fritz Gansberg und Heinrich Scharrelmann, führende Vertreter der Unterrichtserzählungen zu Zeiten der Reformpädagogik, war dies der Weg schlechthin, um Kindern ihre Welt mit ihren jeweiligen Problemstellungen und Phänomenen zu erschließen (siehe Kaiser 2004: 111): „Die Erzählungen zeigen, wie soziale Probleme, Normen oder Konflikte, aber auch vielfältige Sachinformationen implizit in derartigen spannenden Geschichten vermittelt wurden“ (ebd.). Diese methodische Herangehensweise verlor in den 1970er Jahren an Bedeutung, da sie in der Kritik stand, das aktive Handeln der Schüler:innen im Unterrichtsgeschehen zu vernachlässigen (siehe Schekatz-Schopmeier 2010: 21f.) bzw. Inhalte nicht sachgemäß, sondern primitiv und ,kindertümelnd‘ darzustellen (siehe Kahlert 2005: 213). Kontrovers diskutiert wird dabei bis heute die Rolle von Analogien und Animismen als u.a. Bestandteil von Sachunterrichtserzählungen. So verweisen Kahlert und Lück auf zahlreiche Darstellungen aus Sachunterrichtslehrwerken, in denen beispielsweise Wassertröpfchen als kleine Männchen mit Armen, Beinen sowie einem Gesicht dargestellt von Zwergen transportiert werden, um den Wasserkreislauf darzustellen (ebd.: 213) bzw. die Verbindung zwischen Molekülen durch kleine Kugeln mit Gesicht und Gliedmaßen veranschaulicht wird, die sich die Hände reichen (Lück 2006: 19). Eine aktuelle Studie zur fachlich korrekten Darstellung naturwissenschaftlicher Konzepte in Sachbilderbüchern zeigt auf, dass im Verhältnis zum Text die jeweiligen bildlichen Darstellungen häufiger Fehlkonzepte aufweisen (siehe Yilmaz et al. 2020). Gelingt es, eine Erzählung für den Sachunterricht so zu gestalten, dass Sachverhalte fachlich korrekt und dennoch anschaulich, auch durch den kritischen Einsatz von Animismen bzw. Anthropomorphisierungen, dargestellt werden, dann ist sie eine „methodische Form, die ästhetische Zugangsweisen mit differenzierter kognitiver Sachdurchdringung verbindet“ (Kaiser 2004: 114). An die Tradition der Unterrichtserzählungen u.a. der Reformpädagogik knüpft das aus dem angelsächsischen Raum stammende Konzept des Storytelling an. Dieses verfolgt das Ziel, zu vermittelnde Sachinhalte in Erzählkontexte einzubetten, die es den Schüler:innen ermöglichen, einen Bezug zwischen eigenen Vorstellungen und dem jeweiligen Unterrichtsinhalt herzustellen (siehe Martensen et al. 2007). Die Protagonist:innen dieser von der Lehrkraft erzählten Geschichte geraten oftmals in einen Konflikt bzw. stoßen auf ein Problem, in deren Verlauf die Schüler:innen aufgefordert werden, „Vorstellungen und Ideen zur Lösung der aufgeworfenen Fragestellungen“ (ebd.: 411) zu entwickeln, eigenständig zu erproben und miteinander zu diskutieren (siehe Schomaker 2018; Schomaker/Friege 2020). Der narrative Charakter der Erzählung ermöglicht es, einen Sachverhalt nicht nur auf kognitiver Ebene zu durchdringen, sondern regt auch eine Auseinandersetzung auf einer sozial-emotionalen Ebene an. So soll es den Schüler:innen ermöglicht werden, Interesse am dargestellten Sachverhalt zu entwickeln, indem sie sich mit den Handlungsträgern der Geschichte identifizieren und durch den Bezug zu ihren individuellen Erfahrungen und Kenntnissen, ein Phänomen bzw. eine Fragestellung gedanklich und/oder handelnd durchdringen (siehe Schekatz-Schopmeier 2010). Studien aus dem naturwissenschaftlichen Lernbereich verweisen auf das Potential eines solch erzählenden Zugangs zu Phänomenen. Diese ermöglichten einen effektiveren Lernprozess, erzielten eine bessere Lernleistung und Erinnerungsfähigkeit sowie ein nachhaltigeres Interesse an der Sache (siehe Kasper/Mikelskis 2008; Kubli 2002, 2005; Martensen et al. 2007). In der Mathematikdidaktik liegen ebenfalls international mehrere forschungsbezogene Publikationen zu Bilderbüchern im Elementarbereich vor, die das Lernpotential von Bilderbüchern hervorheben, indem sie zeigen, dass deren Einsatz sich positiv auf das Mathematiklernen auswirken kann (Elia et al. 2010; Heuvel-Panhuizen et al. 2009; Vogtländer 2020). In Bilderbüchern können z.B. mathematische Inhalte in einen fiktiven oder realen lebensweltlichen Kontext eingebettet sein. Somit können Kinder Erfahrungen sammeln, dass Mathematik auch außerhalb der Schule eine Rolle spielt, und außerdem können Bezüge zu subjektiven Erfahrungsbereichen (Bauersfeld 1983: 2) der Kinder entstehen. Dies kann dazu beitragen, dass das Fach Mathematik eine höhere Sinnhaftigkeit für die Kinder erfährt. Die Vermischung von fiktiven und realen Elementen in einem Bilderbuch können auf mathematischer Ebene zudem neue Lernanlässe schaffen, da die Kinder bewusst entscheiden müssen, ob sie sich auf fiktive oder reale Annahmen stützen (Bräuning et al. 2023 i.V.). Wie im Sachunterricht oder beim Lernen generell unterstützen auch im mathematischen Bereich narrative Zusammenhänge das erfolgreiche Lernen, wenn der Lerngegenstand für die Kinder in einem bedeutsamen Kontext eingebettet ist, wie dies bei vielen Bilderbüchern für Kinder der Fall ist. Dabei geht es nicht um eine Verkindlichung oder ein konstruiertes „didaktisches Mäntelchen” (Bönig et al. 2017: 102). Drei theoretische Perspektiven rechtfertigen den Einsatz von Bilderbüchern zum Mathematiklernen (Heuvel-Panhuizen et al. 2008: 343f.; auch Elia et al. 2010: 127): 1. die konstruktivistische Auffassung vom Lernen, 2. die Bedeutung kontextualisierten Lernens und 3. die Rolle des Lernens durch Interaktion. Heuvel-Panhuizen et al. (2009) arbeiten heraus, dass Bilderbücher „provide an informal basis of experience with mathematical ideas that can be a springboard for more formal levels of understanding.“ (ebd.: 37). Für den Primarbereich bzw. inklusive Schule liegen in der mathematikdidaktischen Forschung bisher wenige Publikationen vor. Erste Beispiele finden sich im vorliegenden Band. Dabei werden folgende Thematiken betrachtet, welche durch den Einsatz eines Bilderbuchs im Mathematikunterricht Besonderheiten aufwerfen, die mit Hilfe der Forschung beleuchtet werden: Interaktionsmuster beim Aushandeln mathematischer Inhalte mit Bilderbüchern (siehe Zirnstein/ Bräuning in diesem Band), zum Bilderbuch konzipierte Lernumgebung für eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung (siehe Poser-Kempe/Feskorn in diesem Band), veränderte Modellierungsprozesse durch Verbindung von naturwissenschaftlichen und mathematischen Inhalten im Bilderbuch (siehe Brandt in diesem Band) sowie auf Grundlage des Bilderbuchs generierte neue Aufgabenstellungen zur Verknüpfung verschiedener fachlicher Inhalte (siehe Bräuning/Feskorn in diesem Band). Unterrichtspraktische Arbeiten zum Einsatz von Bilderbüchern für das mathematische Lernen nutzen das Bilderbuch als Lernmedium auf unterschiedliche Weise (z.B. Bräuning/Ritter 2016; Feskorn/Grohmann 2021; Roos 2021). Zum Teil wird das Bilderbuch als Lernanlass verwendet, manchmal werden einzelne Seiten aus dem Bilderbuch genutzt oder das gesamte Bilderbuch mit seiner Narration, welche Mathematik oder sozial- bzw. naturwissenschaftliche Konzepte beinhaltet, als Lernmedium angesehen. In neueren Publikationen wird dieses Lernmedium in einer Lernumgebung (siehe Bräuning et al. 2023 i.V.) aufbereitet, wobei immer der Bezug zum Bilderbuch als auch der mathematisch-fachliche Fokus erhalten bleibt und vertieft wird. Als wichtige sprachliche Lerngelegenheiten werden in der internationalen Forschung zudem digitale Bilderbücher gesehen. So zeigen Studien das...