E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Müller / (Hg.) Miguel de Cervantes - Die Novelle von Zweifel und Vorwitz
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-82465-2
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
herausgegeben, zusammengestellt und kommentiert von Manfred Müller
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-347-82465-2
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Novelle von Zweifel und Vorwitz stammt aus Cervantes' berühmtesten Roman 'Don Quixote von la Mancha'.
Innerhalb der Schilderung von Don Quixotes Abenteuer wird die hier vorgestellte Novelle vorgelesen. Es handelt sich um eine wunderbare Erzählung, die leider denjenigen verborgen bleibt, die sich nicht an den mehrere hundert Seiten starken Roman 'herantrauen'.
Das ist schade und nicht einzusehen!
Daher präsentiert die vorliegende Ausgabe die Novelle als eigenständigen Text (in zwei Übersetzungen) und stellt sie auf eine Stufe mit den weiteren Novellen von Cervantes.
Manfred Müller, Jahrgang 1967, studierte Literaturwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und verfasste seine Abschlussarbeit über Robert Musil. In Düsseldorf arbeitete er ebenfalls als wissenschaftliche Hilfskraft an der Philosophischen Fakultät. Darüber hinaus gab er als Mentor Seminare für Deutsche Literatur an der Fernuniversität Hagen. Neben seinem Beruf als Projektleiter ist Manfred Müller als freier Autor und Herausgeber tätig.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Novelle vom törichten Vorwitz übersetzt von Dietrich Wilhelm Soltau (1800) [In einer Schenke in Puerto Lapice, südlich von Madrid, herrschte eine ausgelassene Stimmung. Eine illustre Gesellschaft, unter der sich ein Pfarrer befand, hatte auf ihrer Tagestour, die sie zum Teil getrennt voneinander, zum Teil gemeinsam verbracht haben, lustige, skurrile und abenteuerliche Dinge erlebt. Bei dem ein oder anderen Gläschen Wein ließen sie den Tag Revue passieren und kamen auch auf Rittergeschichten zu sprechen. Der Wirt holte daraufhin einen Sack mit einigen Büchern heraus, die schnell die Runde durch viele Hände in der Kneipe machten und Anlass zu viel Diskussion gaben und ein heiteres Durcheinander brachten. Nun sollte es aber genug sein und der Besitzer der Schenke begann aufzuräumen.] Der Wirt war im Begriff, den Mantelsack und die Bücher fortzunehmen; da sagte ihm jedoch der Pfarrer: »Wartet noch, ich will sehen, was das für Papiere sind, die eine so gute Handschrift zeigen.« Der Wirt holte sie hervor und gab sie dem Pfarrer zu lesen. Dieser sah, dass es ungefähr acht Bogen in Handschrift waren, welche obenan in großen Buchstaben einen Titel trugen, der da lautete: Novelle vom törichten Vorwitz. Der Pfarrer las drei oder vier Zeilen still für sich und sprach: »In der Tat, der Titel dieser Novelle gefällt mir nicht übel, und ich habe Lust, sie ganz zu lesen.« Darauf antwortete der Wirt: »Gewiss darf Euer Ehrwürden sie lesen; denn ich sage Euch, sie hat etliche Gäste, die sie hier gelesen haben, sehr befriedigt, und sie haben mich sehr darum gebeten; aber ich wollte sie ihnen nicht geben, da ich sie dem Herrn wiederzuerstatten gedenke, der den Mantelsack mit diesen Büchern und Papieren hier vergessen hat. Es kann ja sein, dass er einmal wiederkommt. Und obschon ich weiß, dass die Bücher mir sehr fehlen werden, so will ich, auf mein Wort, sie ihm doch wiedergeben. Denn wiewohl ein Wirt, bin ich doch ein guter Christ.« »Ihr habt sehr recht, guter Freund«, versetzte der Pfarrer. »Aber trotzdem, wenn die Novelle mir gefällt, müsst Ihr mich sie abschreiben lassen.« »Sehr gern«, erwiderte der Wirt. Während die beiden so miteinander redeten, hatte [ein weiterer der Gruppe] die Novelle genommen und darin zu lesen angefangen; und da er ebenso über sie urteilte wie der Pfarrer, bat er diesen, sie laut vorzulesen, damit alle sie hören könnten. »Gewiss würde ich sie vorlesen«, sagte der Pfarrer, »wenn es nicht besser wäre, die Zeit jetzt aufs Schlafen statt aufs Lesen zu verwenden.« »Für mich«, sprach [eine der Frauen], »wäre eine Erzählung schon genügsame Erholung. Denn noch ist mein Geist nicht so weit beruhigt, dass er mir zu schlafen gestattete, wenn es vernünftig wäre, es zu tun.« »Demnach also«, sprach der Pfarrer, »will ich sie vorlesen, sei es auch nur, um etwas Neues zu hören; vielleicht wird sie bei dem Neuen auch einiges Ergötzliche bieten.« Auch [weitere] bat[en] darum, […]. Als der Pfarrer dies sah, und da er voraussetzen durfte, ihnen allen ein Vergnügen zu bereiten und es selbst mitzugenießen, so sagte er: »Da dem so ist, so hört mir alle aufmerksam zu. In Florenz, einer reichen und berühmten Stadt Italiens, im Großherzogtum Toskana, lebten Anselmo und Lotario, zwei reiche, vornehme Edelleute, die so miteinander befreundet waren, dass sie von allen ihren Bekannten statt mit ihren Eigennamen vorzugsweise »die beiden Freunde« genannt wurden. Sie waren unverheiratet, jung, von gleichem Alter und gleichen Lebensgewohnheiten, und dies alles war Grund genug, sie in gegenseitiger Freundschaft zu verbinden. Freilich war Anselmo mehr als Lotario geneigt, sich mit Liebschaften die Zeit zu vertreiben, während den letzteren die Freuden der Jagd anzogen; doch wenn die Gelegenheit sich bot, ließ Anselmo seine Neigungen beiseite, um denen Lotarios zu folgen, und ließ Lotario die seinigen beruhen, um denjenigen Anselmos nachzugehen. Und in dieser Weise stimmte beider Wille stets so überein, dass es keine wohl geregelte Uhr geben konnte, die so regelmäßig ging. Anselmo war sterblich verliebt in ein vornehmes, schönes Fräulein aus derselben Stadt. Sie war die Tochter tugendsamer Eltern und selbst so tugendsam, dass er mit Zustimmung seines Freundes Lotario – ohne den er nie etwas tat – sich entschloss, bei ihren Eltern um ihre Hand anzuhalten. Er machte sein Vorhaben zur Tat, und Lotario war sein Brautwerber; der führte den Auftrag so zur Zufriedenheit seines Freundes aus, dass dieser sich in kurzer Zeit im Besitze der Geliebten sah, während auch Camila sich so glücklich fühlte, Anselmo zum Gemahl gewonnen zu haben, dass sie nicht müde ward, dem Himmel und Lotario zu danken, durch dessen Vermittlung ihr ein so hohes Gut geworden. Die ersten Tage nach der Hochzeit, die ja immer freudevoll sind, fuhr Lotario fort, das Haus seines Freundes Anselmo zu besuchen, wobei er alles mögliche aufbot, ihn mit Ehren, Festlichkeiten und heitern Genüssen zu erfreuen. Als aber die hochzeitlichen Tage vorüber waren und der Andrang der Besuche und der Glückwünsche abnahm, begann Lotario seine Gänge ins Haus Anselmos absichtlich einzuschränken; denn er fand, wie dies jeder Einsichtsvolle tun muss, dass man in dem Hause eines verheirateten Freundes nicht in der nämlichen Weise aus und ein gehen und ständig verkehren dürfe wie zur Zeit, da er Junggeselle war. Wenn auch allerdings die echte und wahre Freundschaft in keiner Beziehung verdächtig sein kann und darf, so ist trotzdem die Ehre des Ehemanns so empfindlich, dass man fast behaupten muss, sie könne an den eignen Brüdern Anstoß nehmen, wieviel mehr an Freunden. Anselmo bemerkte, dass Lotario in seinen Besuchen nachließ, und beklagte sich sehr darüber. Wenn er gewusst hätte, sagte er zu Lotario, dass seine Heirat dem Freunde Anlass geben würde, nicht mehr wie gewohnt mit ihm umzugehen, so würde er diesen Schritt nie getan haben; und wenn sie durch das innige Verhältnis, das zwischen ihnen bestand, solange er unverehelicht war, einen so lieben Namen erworben hätten wie den der »beiden Freunde«, so möchte er nicht zugeben, dass ohne eine andere Veranlassung, als weil Lotario den Vorsichtigen spielen wolle, ein so rühmlicher und erfreulicher Name verlorengehe. Und so bitte er ihn flehentlich, wenn es sich überhaupt zieme, einen solchen Ausdruck unter ihnen beiden zu gebrauchen, der Freund möge doch wieder in seinem Hause der Herr sein und darin wie vormals aus und ein gehen. Dabei versicherte er ihm, seine Gemahlin Camila habe kein andres Begehren noch andern Willen, als den er bei ihr wünsche, und da sie wisse, wie ernst und wahr sie beide einander liebten, so sei es ihr unerklärlich, dass Lotario ihr Haus so meide. Auf all dieses und auf viel andres, das Anselmo beifügte, um seinen Freund zu überreden, dass er wieder wie gewohnt sein Haus besuche, antwortete Lotario so einsichtig, verständig und überlegt, dass Anselmo sich von der guten Absicht seines Freundes überzeugte, und so kamen sie überein, dass Lotario zweimal in der Woche und an den Festtagen kommen und mit ihnen speisen solle. Aber obschon dies nun zwischen ihnen ausgemacht war, nahm sich Lotario dennoch vor, hierin nicht mehr zu tun, als nach seinem Urteil für die Ehre seines Freundes sich am besten ziemen würde, da er dessen guten Ruf höher schätzte als seinen eignen. Er sagte, und sagte mit Recht, der Ehemann, dem der Himmel ein schönes Weib gewährt habe, müsse ebenso sorgsam darauf achten, welche Freunde er in sein Haus führe, als darauf, mit welchen Freundinnen seine Frau umgehe. Denn was nicht auf den Plätzen der Stadt oder in den Kirchen oder bei öffentlichen Feierlichkeiten oder Betfahrten besprochen und verabredet wird – und die Teilnahme an all diesem kann doch der Mann seiner Frau nicht immer versagen –, das wird im Hause der Freundin oder der Verwandten verabredet und gefördert, der man gerade am meisten traut. Lotario fügte bei, es sei eine Notwendigkeit für jeden Ehemann, einen Freund zu haben, der ihn auf jede etwaige Unvorsichtigkeit in ihrem Benehmen aufmerksam mache. Denn es komme häufig vor, dass bei der großen Liebe, die der Mann zu seinem Weibe hat, er sie nicht warnen will oder ihr, nur um sie nicht zu kränken, nicht sagt, dass sie dies und jenes tun oder unterlassen solle, weil solches Tun oder Unterlassen ihm zur Ehre oder zum Vorwurf gereichen müsse. Würde er aber vom Freunde darauf aufmerksam gemacht, so könne er allem leicht abhelfen. Aber wo findet sich ein so verständiger, ein so treuer, ein so wahrer Freund, wie ihn Lotario hier verlangt? Ich weiß es wahrlich nicht. Nur Lotario war ein solcher. Mit äußerster Aufmerksamkeit und Umsicht hatte er die Ehre seines Freundes stets im Auge und mühte sich, die Zahl der verabredeten Tage, wo er Anselmos Haus besuchen sollte, zu vermindern, zu kürzen, davon...