E-Book, Deutsch, 166 Seiten
Müller / Puschner Der Zweite Weltkrieg
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-534-73971-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 166 Seiten
ISBN: 978-3-534-73971-4
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In nur sieben Jahren hatte Hitler Deutschland rücksichtslos auf Gleichschaltung und Kriegswirtschaft getrimmt. Am 1. September 1939 begann er mit dem Überfall auf Polen seinen Plan der Eroberung Europas. Der 'größte militärische Konflikt' in der Geschichte der Menschheit (Jörg Echternkamp) forderte zwischen 60 und 70 Millionen Menschenleben. Der profilierte Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller, langjähriger wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, schreibt einen systematischen Gesamtüberblick, der das Ungeheuerliche des Geschehens mit den zentralen Themenfeldern verständlich macht: Von den Voraussetzungen, dem Ausbruch und den Anfängen des Krieges über die Kriegswirtschaft, die Kriegserfahrungen der verschiedenen Waffengattungen, die Heimatfront, die Kriegsschauplätze bis hin zum Zusammenbruch an den verschiedenen Fronten und bis zur Kriegserinnerung. Eine große Synthese und ein wichtiger Beitrag zum 70. Jahrestag des Kriegsendes.
Rolf-Dieter Müller, geb. 1948, ist Militärhistoriker und war von 199 bis 2014 wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Potsdam. Zuletzt erschien von ihm ?Der Feind steht im Osten. Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion? (2011)? und ?Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen? (2010)?.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II. Der „Krieg der Fabriken“
Veränderungen des Kriegsbildes Der Erste Weltkrieg hatte gezeigt, dass es im „Krieg der Fabriken“ in besonderer Weise darauf ankam, die industriellen, technischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten einer Nation zu mobilisieren. Sie konnten in begrenztem Maße personelle oder materielle Unterlegenheit ausgleichen und das Glück der Feldherren wenden helfen. Im Großen und Ganzen bestimmten im Zweiten Weltkrieg jene Waffen das Bild, die bereits im Ersten Weltkrieg vorhanden waren. Doch die Materialschlacht wurde nun hauptsächlich durch den Motor bestimmt. Panzer und Flugzeuge hatten zwischen 1914 und 1918 vereinzelt die angreifende Infanterie lediglich unterstützt, jetzt kämpfte die Masse der Soldaten in beweglichen Fronten dort, wo ihr Panzerverbände und Flugzeuggeschwader den Weg bahnten. Die Motorisierung löste die Kriegführung von den Eisenbahnlinien und sorgte für eine enorme Beschleunigung der militärischen Entscheidungsprozesse. In Deutschland hatten die Verantwortlichen darauf vertraut, dass die überlegene Industriemacht des Kontinents über ausreichende Fähigkeiten verfügen werde, den Rüstungswettlauf sowohl quantitativ als auch qualitativ durchzuhalten. Andere europäische Armeen traten in den Zweiten Weltkrieg mit einer Masse veralteten Geräts ein, während die Wehrmacht über den Vorteil verfügte, neue Waffen einsetzen zu können, die in der kurzen Aufrüstungsphase produziert worden waren. Aber gerade beim Panzer- und Flugzeugbau hatte man sich entschlossen, die Ende der dreißiger Jahre einsatzfähigen Modelle in größeren Zahlen zu produzieren, die bis 1940/41 zwar die Anforderungen erfüllten, dann aber durch neuere technische Entwicklungen und Erfahrungen überholt wurden. 1. Die deutsche Kriegswirtschaft
Hitlers wirtschaftliches Potential In vier Jahren solle die Wirtschaft kriegsbereit sein – diese Forderung hatte Hitler in seiner geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan 1936 erhoben. Als er den Zweiten Weltkrieg schon drei Jahre später begann, zeigte er sich zuversichtlich, dass Deutschland – anders als 1914 – mit einer wohlvorbereiteten Wirtschaft den Kampf um die Weltherrschaft aufnehmen konnte. Im europäischen Maßstab betrachtet hatte das Reich als eine moderne Industriemacht eine weit überlegene Position erreicht, wenn auch nicht die angestrebte Autarkie und Blockadefestigkeit. Im globalen Rahmen lagen aber die USA an der Spitze, deren Eingreifen bereits den Ersten Weltkrieg entschieden hatte. Auch die anderen Großmächte wie das Britische Empire und die Sowjetunion übertrafen in manchen Bereichen die deutsche Produktionskraft. Dafür hatte Deutschland einen entscheidenden Vorsprung bei der Aufrüstung und der Vorbereitung der wirtschaftlichen Mobilmachung erreicht. E
Der Vierjahresplan
Bei seiner Regierungserklärung am 2. Januar 1933 zur Machtübernahme proklamierte Hitler das Ziel, die Arbeitslosigkeit innerhalb von vier Jahren zu beseitigen. Die Arbeitsbeschaffung zielte bald immer stärker auf die Rüstung sowie auf Maßnahmen zur Selbstversorgung mit wichtigen Rohstoffen und Nahrungsmitteln, der Autarkie, um im Kriegsfalle einer alliierten Blockade gegenüber standhalten zu können. Das erforderte eine zunehmende staatliche Wirtschaftslenkung, die seit Anfang 1936 in der Behörde des Vierjahresplans institutionalisiert wurde. Göring wurde Beauftragter für den Vierjahresplan. Durch die Herstellung von Ersatzstoffen und die Förderung heimischer Rohstoffe konnte die Abhängigkeit von Importen, für die es bald an Devisen fehlte, nicht völlig beseitigt werden. Im August 1936 verfasste Hitler eine Denkschrift mit der Feststellung, dass der Krieg gegen die UdSSR unvermeidbar sei und deshalb in einem zweiten Vierjahresplan die Anstrengungen zur Selbstversorgung erheblich verstärkt werden müssten. Er forderte, die Wehrmacht müsse in vier Jahren einsatzfähig, die Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig sein. Die Vierjahresplan-Behörde dirigierte schließlich einen der größten Industrie- und Wirtschaftskomplexe des „Dritten Reichs“. Die Erzeugung von Buna als Ersatz von Gummi und die Kohlehydrierung zur Erzeugung von Mineralöl gehörten zu den aufwendigsten Projekten. Im Rückblick lässt sich natürlich leicht errechnen, dass die Ressourcen der späteren Anti-Hitler-Koalition von Anfang an weit überlegen gewesen sind. Insoweit hatte Hitler nie eine reale Chance, den „Krieg der Fabriken“ zu gewinnen. Doch in den ersten zwei Kriegsjahren existierte diese Koalition noch gar nicht. Sie fand sich erst durch Hitlers fehlgeschlagenen Blitzkrieg gegen die UdSSR zusammen. Bis Ende 1941 konnte er sein Potential beständig erweitern, zuerst mit Unterstützung Stalins, dann durch den Angriff gegen ihn. Nach Hitlers fester Überzeugung würde die deutsche „Großraumwirtschaft“ erst durch die Eroberung der russischen Ressourcen den Durchbruch zur Weltmacht erreichen. Die Stahlerzeugung der Großmächte 1938–1944 (in Millionen Tonnen)
Aus: Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/2, S. 421. Der Rüstungsvorsprung geht verloren In der Phase der Blitzfeldzüge nutzte Hitler den Rüstungsvorsprung. Aber es gelang ihm nicht, diesen weiter auszubauen oder zumindest zu halten. Auch die inneren Spannungen und Engpässe in der deutschen Kriegswirtschaft konnten nicht gelöst werden, trotz der Beute, die der Raubzug durch Europa einbrachte. Im Gegenteil, schon vor der Kriegswende im Dezember 1941 befand sich Deutschland in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Ihre ersten Anzeichen waren in der Erwartung eines raschen Sieges im Osten weitgehend verdrängt worden. Wesentliche Ursachen lagen in der zögerlichen Umstellung der Wirtschaft auf die Kriegsbedürfnisse sowie in dem festgefahrenen Streit um die Führung der Kriegswirtschaft. Den Ausgangspunkt hatte im Oktober 1939 die Entscheidung Hitlers gebildet, die angelaufene wirtschaftliche Mobilmachung abzubremsen und die vorbereiteten drastischen Maßnahmen zur Stilllegung bzw. Umstellung von Betrieben, der Zwangsverpflichtung für Arbeitskräfte, zur Rationierung, zur Kriegsfinanzierung usw. abzuschwächen. Die NS-Führung befürchtete zu Unrecht das Entstehen einer Massenarbeitslosigkeit wie im Herbst 1914 und negative Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung. Es entstand eine friedensähnliche Kriegswirtschaft zu Lasten der militärischen Bedürfnisse. Immer wieder gab Hitler der Neigung nach, den mühsam gedrosselten zivilen Verbrauch freizugeben und die Bevölkerung an den Früchten der Siege teilhaben zu lassen. Große Teile der Wirtschaft hielten ihre zivile Fertigung aufrecht, um nach dem erwarteten baldigen Kriegsende wieder Kunden und Märkte bedienen zu können. Da die Gauleiter nur für die positive Stimmung der Bevölkerung in ihren Regionen zuständig waren, verhinderten sie nach Kräften wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen und Veränderungen. Wiederholte Bemühungen der kriegswirtschaftlichen Lenkungsorgane, die Umstellung auf die Kriegsbedürfnisse zu forcieren, blieben im Dickicht einer unübersichtlichen Bürokratie, im Wirrwarr der Kompetenzen und politischer Direktiven stecken. Q
General Georg Thomas, Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht, vor Vertretern der Reichsgruppe Industrie am 29. November 1939 Aus: MGFA (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/1, S. 415f. Die bisherige „Übergangswirtschaft“ sei vorbei. Die Unternehmer sollten ihre ganze Tatkraft dafür einsetzen, „um Deutschland zu einer einzigen großen und machtvollen Rüstungsstätte zu machen, die auch einer englisch-französischen und im Notfalle auch einer amerikanischen Rüstungsleistung gewachsen“ sei. Durch die Stilllegung einzelner ziviler Bereiche müssten Kapazitäten für die Kriegsproduktion freigemacht werden. „Denn mit Radioapparaten, Staubsaugern und Küchengeräten werden wir England niemals besiegen können.“ Im Ergebnis führte das zu einer Blockade der etwa 4000 Rüstungsbetriebe, die trotz höchster Dringlichkeit nicht die notwendigen Arbeitskräfte, Maschinen, Rohstoffe und Zulieferer erhielten, um die Rüstungsprogramme der Wehrmacht voll erfüllen zu können. Sie richteten auch deshalb keinen Mehrschichten-Betrieb ein, weil sie mit einem baldigen Abflauen der militärischen Nachfrage rechneten. Da die Beschaffungsämter der Wehrmacht jeden nachgewiesenen Aufwand bezahlten, wurden Waffen und Geräte weder in der rationellsten und billigsten Weise noch in großen Stückzahlen produziert. Militärs und Rüstungspolitik Das System der militärischen Kommandowirtschaft bildete bis Ende 1941 das zweite wichtige Hindernis für die Erhaltung des Rüstungsvorsprungs. Seit 1924 hatte sich eine kleine Gruppe von Offizieren darauf vorbereitet, die Rüstungsproduktion zu steuern und im Kriegsfall das Kommando über die Kriegswirtschaft zu übernehmen, um so den Vorrang...