E-Book, Deutsch, 303 Seiten
Murauer Eine harmonische Ehe
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-3218-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 303 Seiten
ISBN: 978-3-7504-3218-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Helga Murauer wurde in Innsbruck geboren, studierte in Mailand moderne Sprachen und Literaturwissenschaften und absolvierte eine Dolmetscherausbildung. Sie lebte viele Jahre in Italien, mehrere Jahre in Libyen, England und der italienischen und französischen Schweiz. Neben ihrer Dolmetschertätigkeit für die Europäischen Institutionen und zahlreiche internationale Organisationen übersetzte sie eine Reihe von Sachbüchern und Romanen. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in der Nähe von Innsbruck und arbeitet als freiberufliche Autorin. Nach dem Politthriller »Hauch der Hydra« erschien von ihr das E-Book »Der Revolutionär«, eine Sammlung von Kurzkrimis. Der spannende Beziehungsroman »Eine harmonische Ehe« ist ihre dritte Veröffentlichung.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Ich konnte an nichts anderes denken, als an das dumpfe Aufklatschen des Körpers. Als hätte jemand einen schweren Stein in das pechschwarze Meer geworfen, in das die müden Lichter der Marina ein paar zittrige Streifen zeichneten.
Ein verhaltener Schrei. Dann die Stille. Kein Gurgeln, kein Hilferuf. Nicht ein leises Glucksen.
Daran konnte ich mich erinnern, alles andere war ausgelöscht.
Ich wusste nicht, wie ich ins Hotel zurückgekommen war. So sehr ich meinen Kopf zermarterte, mein Gedächtnis war leer.
War ich ihr hinterher gesprungen? Kaum, denn meine Kleider, in denen ich hier auf dem Bett lag, waren trocken.
Oder hatte ich alles nur geträumt?
Nach dem Abendessen der Spaziergang hinunter zur Marina, wo dieser türkische Dreckskerl sein Boot liegen hatte, auf dem er meine Frau vögelte. Gevögelt hatte besser gesagt. Das Boot lag im Dunkeln, weder er noch Anna waren zu sehen gewesen. Ich hatte nach ihr gerufen, mehrere Male. Auch nach ihm. Von einem anderen Boot hatte jemand »Silence!«, herübergebellt.
Ich habe sie dann an Bord gesucht – an Details konnte ich mich nicht mehr erinnern. Der Schnüffler, der meine Frau im Auge hätte behalten sollen, hatte mich schließlich weggezogen. Ich schrie weiter »Anna! Anna!« Das war mein gutes Recht, ich war doch ihr rechtmäßiger – wenn auch gehörnter – Ehemann.
Während des Abendessens hatte ich Pichler, der sich großspurig Privatdetektiv schimpfte, überredet, mich zum Boot zu begleiten. Er hatte zuerst Ausflüchte gesucht, faule Ausreden, das hatte ich ihm gleich ausgetrieben. Ich bezahlte ihn ja für seine Schnüffelarbeit und nicht, damit er hier Gesellschaftsdame spielte.
Der Kellner hatte uns zum Essen eine Flasche von diesem lokalen Anisgesöff auf den Tisch gestellt – ich konnte mir den Namen nie merken, Raki, Raka, egal. Ich hatte die Flasche praktisch alleine geleert, weil Pichler allerhöchstens ab und zu ein Bier trank. Der Fusel stieg einem ganz schön zu Kopf, wer weiß, was da drin war!
Nach unserem Abstecher hinunter zum Hafen hatte der Schnüffler mich ins Hotel zurückbegleitet. Da ich etwas unsicher auf den Beinen war, befürchtete er vielleicht, dass ich ins Wasser fallen könnte und seine Kröten mit mir!
Ich hatte mir noch ein Gläschen von diesem Anistrunk genehmigt, mich dann gleich hingelegt und war eingeschlafen. Ein paar nächtliche Gröler hatten mich gegen halb zwei wieder geweckt.
Ich war in Schweiß gebadet. Selbst in der Nacht herrschte diese Affenhitze. Ich schaltete grundsätzlich Klimaanlagen nie ein und hatte das Gefühl, im Zimmer zu ersticken. Und wie konnte ich mich in meinem Bett hin- und herwälzen, während sie sich mit ihrem Lover vergnügte? Ich musste Anna finden. Wo sonst sollte sie sein, wenn nicht auf ihrem »Loveboat«?
Ich wusste nicht mehr, warum ich aus dem Fenster gestiegen war und nicht die Tür genommen hatte. Im Nachhinein konnte ich von Glück reden, dass ich in meinem Alkoholdusel nicht am Portier vorbeigewankt war.
Passenderweise lag das Hotel nicht weit vom Sporthafen entfernt. Ich kletterte im miesen Schummerlicht der Marina vorsichtig auf das Boot. Auf Deck stolperte ich über irgendwelches Gerät und fiel der Länge nach hin. Als ich vor mich hin fluchend versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, stand plötzlich Anna neben mir. Ihr Bumser war nicht zu sehen, er war wohl ausgegangen. Vielleicht um sich noch so ein Flittchen zu angeln!
Jedenfalls war Anna alleine an Deck gekommen. Sie war wütend – ich wusste nicht mehr, was sie gesagt, oder gezischt hatte, irgendetwas wie, ich sollte verschwinden, sie in Ruhe lassen, es sei aus zwischen uns, aus, begreifst du nicht? Aus! Sie liebte diesen Cem oder wie er heißen mochte. Wieder hatte sie diese arrogante Art, als wäre sie etwas Besseres. Ich ging einen Schritt auf sie zu und sie wich zur Reling zurück. »Ich bin schwanger! Begreifst du jetzt?«
Ich hatte mit aller Macht zugeschlagen. Ihre Arroganz war wie weggeblasen. Aus ihrer Nase schoss Blut. Angst und Schrecken waren in ihren Augen, als sie nach hinten taumelte, das Gleichgewicht verlor, ihre Hände ins Leere griffen. Der verhaltene Schrei, als wäre ihr die Luft weggeblieben und dann dieses schreckliche Aufklatschen.
Ich musste weggelaufen sein. Ein Wunder, dass ich nicht selbst ins Wasser gefallen war.
Was hatte ich getan?
Warum war ich zum Boot zurückgekehrt?
Um ihr zu zeigen, dass sie mit mir nicht so umspringen konnte? Um sie zurückzuholen? Oder hatte ich sie umbringen wollen?
Nein, natürlich nicht. Es war ein Unfall, ein unglückseliger Unfall!
Hatte mich jemand gesehen?
Und jetzt? Was tun?
Zur Polizei gehen? Ich brauchte nicht viel Phantasie, um mir die Zustände in einem türkischen Gefängnis vorzustellen. Und dann die Schlagzeilen in allen gängigen Blättern »Eifersuchtsdrama in der Türkei: Universitätsprofessor ermordet untreue Ehefrau« – mit Fotos und zahllosen pikanten Details!
Wie hatte ich mich nur in diese Lage bringen können? Natürlich war es ein Unfall. Nie hätte ich Anna etwas zuleide tun können. Nicht einmal jetzt, wo sie so anders geworden war, vollkommen verwandelt, als hätte eine andere Person ihren Platz eingenommen.
Ob es stimmte, dass sie von diesem Türken schwanger war? Sicher hatte sie es erfunden, um mich zu demütigen oder um mich loszuwerden.
Mein Gehirn arbeitete, als wäre es aus flüssigem Teer. Es war etwas Entsetzliches, etwas Ungeheuerliches geschehen. Alles war so unwirklich. Meine Frau war tot. Wie war es möglich, dass ich keinen Schmerz verspürte? Nach neun glücklichen – so hatte ich Einfaltspinsel immer gedacht – Jahren. War es ihr gelungen, in diesen wenigen Wochen meine Gefühle für sie vollkommen zu ersticken? War nur mehr Hass in mir? Oder machte mich der Schock fühllos?
Warum war ich nicht hinter ihr hergesprungen? Ich war leider kein guter Schwimmer, und außerdem hatte ich keine Ahnung, wie tief das Wasser hier war. Vielleicht gerade die eineinhalb Meter, die die Boote für ihren Tiefgang brauchten. Und darunter wahrscheinlich Fels, da die ganze Küste hier ja fast nur Fels war. Anna war nach hinten getaumelt und war wahrscheinlich mit dem Hinterkopf auf einem der Felsen aufgeschlagen, daher die plötzliche Stille, kein Glucksen, kein Hilferuf. Sie war einfach untergegangen, verschwunden.
Anna, Anna! Nein, den Tod hatte ich ihr nicht gewünscht.
Und jetzt stand ich als ihr Mörder da!
Ich musste von hier verschwinden. Wenn mich jemand gesehen hatte, würde er sicher sofort die Polizei alarmieren. So schnell würden sie mich hoffentlich nicht finden. Wenn ich heute noch einen Flug bekam, dann konnte ich mich vielleicht in Sicherheit bringen. Und wenn alles schiefgehen sollte, war es immer noch besser, zu Hause vor ein Gericht zu kommen als hier! Dort würde mein guter Ruf etwas zählen, mein tadelloser Lebenswandel, mein berufliches Ansehen.
Ich sprang auf. Draußen dämmerte es bereits und im Zimmer wurde es rasch hell. Höchste Zeit, den Koffer zu packen!
Die Reisebüros öffneten sicher nicht vor neun Uhr. Vielleicht konnte der Portier mir einen Flug buchen? Ich hatte das noch nie selbst gemacht, gewöhnlich kümmerte sich Anna um diese Dinge. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. Zu früh – auf keinen Fall durfte ich Verdacht wecken. Auch nicht den des Nachtportiers.
Was sollte ich Pichler sagen?
Nichts. Am besten gar nichts. Er bekam ja mein gutes Geld, ihm schuldete ich keinerlei Erklärung. Wenn wir vor meiner Abreise abrechneten, dann konnte ich wenigstens einen Teil dieses schrecklichen Abenteuers abschließen.
Ich rief sein Hotel an. Der Portier stellte mich durch. Pichler hob beim ersten Klingelzeichen ab, als hätte er meinen Anruf erwartet.
Ich sagte kurz, ich würde heute abreisen. Er möchte bitte seine Rechnung schreiben.
»Ja, Herr Professor, ich habe Ihren Anruf erwartet. Die Rechnung ist schon geschrieben. Ich habe eben den letzten Platz auf dem Mittagflug für Sie gebucht. Es war leider nicht möglich, Ihr Ticket umzubuchen, also habe ich ein neues Ticket gekauft. Ich hoffe, das war in Ihrem Sinn.«
Ich war sprachlos.
War er Hellseher? Oder wusste er etwas?
»So? Sie haben für mich gebucht?«, stammelte ich schließlich. Ich wagte es nicht, Fragen zu stellen. »Gut, ausgezeichnet! Also, ich erwarte Sie dann!«
Ich brauchte fast eine Stunde, um meine paar Sachen im Koffer zu verstauen. Die Koffer hatte bislang immer Anna gepackt, sie wusste, wie man die Kleider und die Wäsche richtig faltete.
Es war sieben. In einer halben Stunde würde ich zum Frühstück hinuntergehen. Ich setzte mich ans Fenster und sah in den Morgen hinaus. Der etwas verwilderte Garten, eine niedrige Mauer, dahinter eine schmale Gasse, andere verwilderte Gärten, dann ein Stück der weiten Bucht, in der zahllose Guletta-Yachten lagen und ein Streifen hellblaues Meer.
Ob man Annas Leiche schon gefunden hatte? Irgendwo da draußen, angeschwemmt? Oder noch neben dem Boot in der Marina?
Oder war sie hinaus getrieben auf das offene Meer? Und vielleicht in einem Fischernetz hängen geblieben?
Würde der Türke eine Vermisstenanzeige aufgeben?
Nein, er würde sicher vermuten, sie wäre wieder zu mir, zu ihrem Mann zurückgekehrt. Was konnte er ihr denn schon bieten? Ein Hungerleiderdasein! Das war nichts für Anna, die verwöhnte Tochter aus reichem Hause, die das Geld gerne mit vollen Händen ausgab oder besser gesagt ausgegeben hätte. Wenn ich da nicht einen Riegel vorgeschoben hätte, wären wir nie auf einen grünen...




