E-Book, Deutsch, 159 Seiten
Murray Ein gefährliches Werkzeug
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3244-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 159 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3244-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Kriminalroman aus der Werkstatt des bekannten Autoren.
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Die eine Seite des Weges entlang lief eine niedere Steinmauer und auf diese stützte sich Wyncott, als er die Neuigkeit erfuhr. Einen Augenblick starrte er ganz verwirrt seinen Vetter und den Detectiv an; dann schob er seinen Hut in den Nacken, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und faßte sich nach und nach.
"Das ist eine sehr vermessene That," sagte er. "Nicht wahr, Prickett? Sie haben natürlich mehr Erfahrung als ich, aber ich habe noch nie etwas derartiges gehört. Jedenfalls haben Sie keine Zeit verloren."
"Nein," erwiderte Prickett mild, "ich lasse das Gras nicht oft unter meinen Füßen wachsen."
"Verfügen Sie in jeder Beziehung über mich, Prickett," sagte der Advokat.
"Danke, Herr Esden, Ihr Beistand ist mir von großem Wert."
In kurzen Worten teilte er mit, was er bereits erfahren hatte, und Wyncott hörte ihm aufmerksam zu. Dann sagte er: "Jetzt müssen wir unsere Kräfte teilen. Sie gehen und befragen Dadge, und ich gehe nach der Station zurück und ziehe dort Erkundigungen ein – oder noch besser, gehst du, Arnold, nach der hiesigen Station und ich gehe nach Hemsleigh hinüber, um dort Nachforschungen anzustellen. Es ist ein Jammer, daß dies alles nicht längst geschehen ist, denn unterdessen kann der Dieb bis Birmingham oder Dover gelangt sein. Sie haben das Kästchen ja nie gesehen, in dem die Steine aufbewahrt wurden – es hat die Größe eines großen Quartblattes und etwa fünf Zoll Tiefe. Ein Mann kann es unter seinem Ueberzieher tragen, ohne aufzufallen; er kann es aber auch als gewöhnliches Paket in Zeitungspapier und auf fünfzigerlei andre Weise unbemerkt in Sicherheit bringen. Wir haben also nach einem Unbekannten mit einem Paket zu fragen, der mit dem ersten Zug, den er nach fünf Uhr erreichen konnte, fortfuhr. Du kannst den Stationsvorsteher heißen, bei den nächsten zwei oder drei Stationen in jeder Richtung anzufragen. Ich werde dasselbe in Hemsleigh thun. Wo wollen wir uns wieder treffen?"
"Ich habe meine Reisetasche im Vorbeigehen in der ›Fischerruhe‹ abgegeben," sagte Prickett. "Ein angenehm aussehendes kleines Haus – vielleicht wollen die Herren dort mit mir zusammentreffen, wenn sie ihre Erkundigungen eingezogen haben. Wenn Sie gestatten, Herr Esden, will ich Ihre Tasche auch dort abgeben."
"Gut," erwiderte Esden, ihm dieselbe übergebend, "in einer Stunde werde ich dort sein."
Mit leichtem, festem Schritt entfernte er sich und Prickett sah ihm einen Augenblick nach.
"Genau das, was, wie ich Ihnen sagte, hätte geschehen müssen," bemerkte er dann.
Ziemlich niedergeschlagen über diese Versäumnis begab sich der junge Geistliche zum Stationsvorstand. Weder er noch Prickett erfuhren irgend etwas von Belang, und als sich Wyncott bei ihnen einfand, hatte er ebensowenig eine Spur gefunden.
Die drei Herren aßen gemeinschaftlich und unterhielten sich über andre Gegenstände, bis Wyncott plötzlich seinen Teller zurückschob und im Zimmer auf und ab zu gehen begann.
"Prickett," sagte er, "ich habe einen Gedanken. Ich denke, wir können die geraubte Sammlung wieder bekommen."
"Das ist sehr zu wünschen," erwiderte Prickett.
"Fräulein Pharrs eigener Schmuck," fuhr Esden fort, "könnte vielleicht für ein paar hundert Pfund verpfändet werden. Ich verstehe zwar nicht viel von solchen Dingen, aber ich habe ihn gesehen und glaube nicht, daß er mehr als sechshundert Pfund gekostet hat, als er gekauft wurde. In dem Kasten befinden sich Münzen, die für Kenner beinahe unschätzbar sind, aber die ganze Sammlung enthält für keine fünfzig Pfund Metall. Jede einzelne Münze ist mehr oder weniger berühmt, aber für den Dieb haben sie alle nur den Wert von altem Gold. Die Edelsteine sind alle ungeschliffen, und es wäre ebenso gefährlich als kostspielig, sie einem Steinschneider zu übergeben, um sie nachher auf den Markt bringen zu können. Der Steinschneider würde einen Anteil verlangen, und Sie wissen ja, was Edelsteine wert sind, wenn sie beim Verkauf durch unehrliche Hände gehen."
"Von diesem Standpunkt aus betrachte ich den Diebstahl überhaupt," ließ sich Prickett vernehmen, der sich zurücklehnte und mit seinem Federmesser in den Zähnen stocherte. "Seine notwendige Folge ist die Herabsetzung des Wertes des gestohlenen Gegenstandes. Wenn ich ein Dieb wäre, würde ich nur Goldstücke stehlen. Alles andre ist für den Bestohlenen ein großer Verlust und für den Dieb ein möglichst geringer Verdienst. Ich bin der Ansicht, daß ein Mann schon nicht mehr recht im Kopf ist, der sich darauf einläßt."
"Nun also," fuhr Esden fort, der diese Unterbrechung hatte geduldig über sich ergehen lassen, "scheint es mir, daß wenn dieser Diebstahl auch nicht – wie es immerhin sein könnte – in Erwartung einer Belohnung begangen worden ist, doch eine solche Belohnung die beteiligten Leute zur Rückgabe des gestohlenen Gutes bestimmen könnte."
"Das hieße mit einem Schurken paktieren, Herr Esden," sagte Prickett.
"Nun ja – allerdings," gab Esden zu, "es ist etwas daran. Wie hoch sagten Sie, daß Doktor Elphinstone die Sammlung geschätzt habe?"
"Zwischen dreißig- und vierzigtausend Pfund."
"Sagen wir also dreißigtausend," sagte Esden. "Glauben Sie, daß, falls Sie an Fräulein Pharrs Stelle stünden, Ihr Gefühl für öffentliche Moral stark genug wäre, um Sie davon abzuhalten, neunundzwanzigtausend Pfund zu retten? Wie?"
Prickett lächelte.
"Schwerlich. Ich glaube nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, mein Gefühl für öffentliche Moral könnte leichtlich schon in die Brüche gehen, um den vierten Teil einer solchen Summe zu ersparen. Dies ist natürlich nicht der Standpunkt von Scotland Yard – ich spreche nur als armer Sterblicher."
"Genau so," erwiderte Esden. "Allein die Behörde könnte nichts dagegen einwenden, wenn eine Belohnung von tausend Pfund angeboten würde."
"Natürlich nicht," gab Prickett zur Antwort. "In einem Fall, wie der vorliegende, muß der Dieb eine Menge Menschen ins Vertrauen ziehen, und je größer die Belohnung ist, je wahrscheinlicher ist es auch, daß sich einer dadurch herumbringen läßt. Tausend ist indessen doch etwas zu hoch gegriffen. Fünfhundert thun's auch."
"Fünfhundert können einen Mitschuldigen zum Verrat veranlassen," wandte Esden ein, "aber tausend könnten den Dieb selbst verlocken. Fräulein Pharr wird in erster Linie die Juwelen zurückzuerhalten wünschen. Natürlich bleibt dies ganz unter uns, Prickett, wir besprechen die Sache als Männer von Welt und nicht als Diebesfänger von Profession. Ich habe Fräulein Pharr noch nicht gesprochen, aber ich glaube, daß dies ihr Wunsch ist, und wenn ich Sie wäre," fügte er mit seinem alten schlauen Lächeln hinzu, "so würde ich mich der Höhe der Belohnung nicht widersetzen – Sie können vielleicht den Mann fassen, ehe er sich schlüssig gemacht hat."
Prickett lächelte vor sich hin, als ob ihm diese Aussicht nicht übel gefiele.
"Wir müssen jetzt heimgehen, Wyncott," sagte Arnold. "Die Damen werden heute abend gewiß etwas ängstlich sein."
"Ich begleite Sie, meine Herren," erklärte Prickett; "Fräulein Pharr hat einige Papiere für mich, mit denen ich den letzten Zug noch erreichen möchte."
"Wollen Sie heute nacht noch nach London zurück?" fragte ihn Wyncott.
"Nein, Herr Esden," erwiderte Prickett. "Es ist eine wunderbar schöne Nacht, In einer halben Stunde geht der Vollmond auf und dann wird es fast taghell werden. Ich werde einen Rundgang machen und mir die Lage des Gutes betrachten. Daß ja keiner der Herren aus einem Hinterhalt auf mich schießt."
Als sie das Haus erreichten, hatte Fräulein Pharr die Beschreibung ihres Schmuckes viermal abgeschrieben. Nachdem Prickett die Papiere in Empfang genommen hatte, verabschiedete er sich für die Nacht und ging. Wyncott mußte eine Wiederholung der schon gehörten Erzählung über sich ergehen lassen und entwickelte seinen Plan mit dem Ausschreiben einer Belohnung. Alle waren mit ihm einverstanden und Arnold wollte sofort mit einer Anzeige für alle Londoner Tagesblätter nach der Stadt fahren, aber Wyncott sagte: "Laß Prickett einen oder zwei Tage Zeit; wir wollen sehen, ob er etwas machen kann. Es würde einen Mangel von Vertrauen in die Polizei vermuten lassen, wenn wir schon so schnell eine Belohnung ausschrieben. Wir wollen ein wenig zuwarten – ich halte viel von Prickett; man hätte uns kaum einen bessern Beamten schicken können."
Unterdessen hatte Prickett seine Schriftstücke fortbefördert und war, im Genuß einer Cigarre schwelgend, über den Berg nach dem Haus zurückgeschlendert. Die Nacht hielt, was sie versprochen hatte, und als der Mond über den Wipfeln der Bäume stand, übergoß er die Landschaft mit beinahe tropischer Helle. Gemächlich umging der Detectiv das Gut, indem er die äußere Mauer entlang schritt und die verschiedenen Eingänge besichtigte. Zwei oder drei Minuten lang verweilte er vor einem nur durch eine Klinke befestigten Pförtchen, durch das man nach dem vordern Rasenplatz gelangen konnte, und bemerkte, daß der Weg dorthin durch eine Reihe hoher...




