E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Mutis Ilona kommt mit dem Regen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-293-31065-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-293-31065-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als das Schiff des Gaviero Maqroll wegen finanzieller Schwierigkeiten beschlagnahmt wird, strandet er beinahe mittellos in Panama. Notdürftig kommt er über die Runden, zieht von einer miserablen Unterkunft zur nächsten – bis er die abenteuerlustige Ilona trifft. Schon bald wird sie zur Freundin und Geliebten, und kommt schließlich auf die rettende Idee: Gemeinsam eröffnen sie ein Bordell in der Bucht von Panama, die Villa Rosa.
Es beginnt eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die durch die Ankunft der geheimnisvollen Larissa eine unwiderrufliche Wende erfährt.
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Cristóbal
Als ich das graue Boot der Hafenzollbehörde mit der stolz im Winde flatternden Fahne Panamas näherkommen sah, wusste ich auf einmal, dass unsere bewegte Schiffsreise hier zu Ende ging. Ehrlich gesagt, hatten wir in den letzten Wochen jedes Mal, wenn wir in einem Hafen anlegten, einen Besuch wie diesen hier erwartet. Allein die Laxheit, mit der in der Karibik solche bürokratischen Angelegenheiten gehandhabt werden, hatte uns bisher davor bewahrt. Das Schiff bahnte sich den Weg durch eine graue Sumpflache, auf der undefinierbare Müllreste und tote Vögel schwammen, die allmählich schon zerfielen. Der Schiffskeil durchfurchte die ölige Oberfläche des Wassers, wobei eine langsame Welle aufkam, die in kurzer Entfernung träge wieder versank. Wir waren weit weg von den immer wechselnden Launen des Meeres. Drei Beamte in kakifarbener Bekleidung, mit großen Schweißflecken unter den Achselhöhlen und auf dem Rücken, stiegen mit feierlicher Langsamkeit das Fallreep hinauf. Der, der wie ihr Chef aussah, einer von diesen Schwarzen, die man dort Jamaikaner nennt, weil sie von denen abstammen, die die Yankees von der Insel importierten, um sie als Arbeitskräfte für den Bau des Panamakanals einzusetzen, fragte uns in einem Spanisch, das von Anglizismen wimmelte, wo der Kapitän sei. Ich führte sie zur zweiten Kommandobrücke und klopfte mehrmals an die Tür des Kapitäns. Endlich antwortete eine klanglose und müde Stimme: »Sie sollen hereinkommen.« Ich ließ sie eintreten und kehrte, nachdem ich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, an das Fallreep zurück, wo ich mich mit dem Bootsmann unterhalten hatte. Der Motor des Bootes ratterte mit plötzlichen Rhythmusschwankungen, während eine unerbittliche Hitze vom wolkenlosen Himmel herunterstrahlte und den Geruch der fauligen Pflanzen und der sumpfigen Mangrovenwälder verstärkte, die in der Sonne trockneten und auf die nächste Flut warteten. »Hier endet es also. Jetzt wird jeder seiner Wege gehen, und mal abwarten, was passiert«, meinte der Bootsmann und schaute indessen in Richtung der Mole von Cristóbal, als erwarte er von dort eine beruhigende Antwort. Cornelius war ein Holländer von untersetzter Gestalt, der pausenlos an einer Pfeife zog, die mit der übelsten Sorte Tabak gefüllt war. Er sprach ein tadelloses Spanisch, das er mit den verschiedensten exotischen Flüchen bereicherte. Er schien sich vorgenommen zu haben, diese im Laufe seiner Fahrten von Insel zu Insel zu sammeln, denn sie bildeten einen regelrechten Musterkatalog karibischer Fäkalsprache. Zu Beginn unserer Reise schien er mir ein gewisses Misstrauen entgegenzubringen, das in jener Reizbarkeit wurzelt, die Seefahrer befällt, wenn sie in eine führende Position gelangen. Sie hegen Argwohn gegen jeden Fremden, der in das von ihnen beherrschte Revier eindringen könnte. Es gelang mir sehr bald, diese ersten Bedenken zu zerstreuen, und wir knüpften am Ende eine zwar distanzierte, aber durchaus herzliche und feste Beziehung, die wir dank der Erinnerungen an Anekdoten und gemeinsame Erfahrungen aufrechterhielten, die entweder mit einem lauten Gelächter endeten oder sich in träumerische und resignierte Sehnsucht auflösten. »Wito hat keine Chance, der Beschlagnahmung des Schiffes zu entgehen. Es ist, als habe er das schon seit Langem gewollt. Wenn er das Schiff aufgibt und damit auch seine bisherige Lebensweise, wird sich für ihn alles wie von selbst regeln. Als würde er nur Gewohnheiten ablegen, in denen er schon lange keinen Sinn mehr sieht. Seit geraumer Zeit langweilt ihn das alles hoffnungslos. Zumindest schließe ich das aus seinem Verhalten während dieser Fahrt. Was denken Sie, Cornelius? Sie kennen ihn doch besser. Seit wann arbeiten Sie zusammen?« Ich gab mir Mühe, das Gespräch, an dem ich kein großes Interesse hatte, in Gang zu halten, während sich dort oben die düstere juristische Zeremonie vollzog, die uns schon seit so vielen Wochen drohte. »Elf Jahre arbeiten wir schon zusammen«, antwortete der Bootsmann. »Was dem armen Wito das Leben verpfuschte, war die Flucht seiner einzigen Tochter mit einem protestantischen Pfarrer aus Barbados, der verheiratet war und sechs Kinder hatte. Er verließ Gemeinde, Kirche und Familie und nahm das Mädchen mit nach Alaska. Die Arme, sie ist nicht nur hässlich, sondern auch halb taub. Daraufhin stürzte sich Wito in seine haarsträubenden Unternehmungen. Er ließ sich auf Hypotheken ein, die das Schiff und, wie ich glaube, auch ein Haus in Willemstad belasten. Sie wissen ja, wie das ist. Ein Loch aufreißen, um das andere zu stopfen. Es ist gar nicht abwegig zu behaupten, dass diese Scheißkerle gerade im richtigen Augenblick kommen, um ihm die Angelegenheit in Ordnung zu bringen.« Er zuckte mit den Schultern, und während er gierig an seiner Pfeife zog, schaute er in Richtung Kajüte, wo ein Gespräch seinen Lauf nahm, dessen Ergebnis nur allzu genau vorauszusehen war. Kurz darauf kamen die Uniformierten heraus. Sie steckten einige Papiere in ihre Aktentaschen, legten zum Gruß die Hand nachlässig an den Schirm ihrer Mützen, stiegen das Fallreep hinab und betraten das Boot. Es nahm Kurs auf Cristóbal und durchfurchte leicht das Wasser der Bucht. Der Kapitän erschien in der Tür der Kajüte und rief mir zu: »Maqroll, könnten Sie einen Augenblick heraufkommen?« Diesmal klang seine Stimme fest und ruhig. Wir gingen hinein, und er bat mich, vor dem Tisch Platz zu nehmen, der ihm als Schreibtisch diente. Es war derselbe, den wir auch zum Essen benutzten. Er schien sich einer schweren Last entledigt zu haben. Wito war von durchschnittlicher Statur, schlank, besaß feine, fuchsartige Gesichtszüge, und seine Augen wurden von den dichten, leicht ergrauten und zottigen Augenbrauen fast verdeckt. Das Erste, was einem an ihm auffiel, war, dass er keinerlei Merkmale eines Seemanns besaß. Keine seiner Gesten erinnerte an einen Matrosen. Es fiel leichter, sich ihn als Schuldiener in einem Internat vorzustellen oder als Professor für Naturwissenschaften. Er sprach langsam, korrekt und fast ein wenig feierlich; er betonte jedes Wort und machte am Ende jedes Satzes eine kurze Pause, als warte er darauf, dass jemand das notiere, was er sagte. Dennoch konnte man hinter diesem Dozentengehabe ohne weiteres ein leichtes Durcheinander von Gefühlen erkennen, das ängstliche Bemühen, eine Art geheime und schmerzende Wunde zu verbergen. Das veranlasste uns, die wir ihn schon länger kannten, zu einem milden, nachsichtigen Umgang mit ihm, der im Übrigen nie eine tiefere und dauerhaftere Beziehung zur Folge hatte. Irgendwo in seinem Wesen lag das Stigma der Verlierer, das sie am Ende unweigerlich von ihren Mitmenschen isoliert. »Nun gut, Maqroll«, begann er langsamer denn je zu sprechen. »Es handelt sich, wie Sie sicher schon vermuten, um das Schiff. Eine Reihe von Banken mit Filialen in Panama haben es beschlagnahmt.« Er schien sich im Voraus entschuldigen zu wollen. Damit versetzte er mich in die peinliche Lage dessen, der eine Vertraulichkeit anhören soll, von der er lieber nichts wüsste. Ein kleiner Ventilator, der an der gegenüberliegenden Wand hing, summte, er drehte sich langsam, ohne jedoch die drückende Luft zu erfrischen, in der noch der Geruch von den verschwitzten Kleidern und Zigarettenkippen der vorigen Nacht hing. »Nun ist geschehen«, fuhr er fort, »was ich schon seit Monaten befürchtete. Ich habe das Schiff und ein Haus, das ich in Willemstad besaß, verloren. Eine vom Gerichtsvollzieher eigens angeheuerte Mannschaft wird das Schiff nach Panama bringen. Sie und der Bootsmann können mit ihnen zusammen den Kanal durchfahren, wenn Sie möchten, und in Panama von Bord gehen. Dort wird man Sie gemäß der Vereinbarungen des Arbeitsvertrages auszahlen, den Sie mit mir geschlossen haben. Wenn Sie aber lieber hierbleiben möchten, können Sie auch hier schon entlohnt werden. Sie müssen es denen nur mitteilen. Wie Sie wollen.« »Und Sie, Kapitän, was werden Sie tun?«, fragte ich ihn besorgt angesichts der Tatsache, dass er alles so gelassen und kühl hinnahm. »Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Maqroll. Sie sind sehr freundlich. Ich habe schon alles vorbereitet, um …« Und hier zögerte er kurz, aber deutlich verschämt, »um weiterzukommen. Eines der erfreulichsten Dinge in meinem Leben war, mit Ihrer Freundschaft rechnen zu dürfen. Ich habe Ihnen viele Lehren zu verdanken, von denen Sie wahrscheinlich noch nicht einmal etwas ahnen. Mit Ihnen hielt ich mich mehr oder minder aufrecht, blieb aber doch immer empfänglich für ›die Geschenke, mit denen uns das Leben überrascht‹, wie Sie es nennen. Man könnte noch viel darüber sagen, aber ich glaube, es ist nicht der Augenblick für Vertraulichkeiten. Außerdem nehme ich an, dass Sie da besser Bescheid wissen als ich.« Er erhob sich fast ruckartig, reichte mir die Hand und drückte sie, wobei er die ganze Herzlichkeit hineinzulegen versuchte, die er in seinen Worten vermied. Als ich hinausging, bat er mich noch, Cornelius heraufzuschicken, er wolle mit ihm sprechen. Mit dem Bootsmann nahm sich Wito noch weniger Zeit als mit mir. Als der Holländer zurückkam, war ich in den Anblick des Hafens versunken, während in mir eine stumme Beklemmung wuchs, je länger die Stille dieses toten und sumpfigen Gewässers andauerte; eine Stille, die der Hitze des Nachmittags zu entspringen schien und in dem Maße zunahm, wie diese sich am Himmel ausbreitete und zarte, trügerische Dunstwolken bildete. Cornelius lehnte mit dem Rücken zum Meer an der Reling aus glänzendem Kupfer. Er äußerte sich mit keinem Wort über sein Gespräch mit dem Kapitän. Er wusste, dass es sinnlos war, da es sich kaum von...