Naber Die Debütantin
2014
ISBN: 978-3-7349-9226-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 406 Seiten
Reihe: Kommissarin Maria Kouba
ISBN: 978-3-7349-9226-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Fasching in Wien. Die sexy Enthüllungsjournalistin Karin Bäumler wird im Playboy-Bunny Kostüm professionell zu Tode gefoltert in der Alten Donau gefunden. Kommissarin Maria Kouba kann daher die Zeit nicht mit ihrem neuen dunkelhäutigen Lover verbringen sondern muss in einem Geflecht aus rechtsextremen Hass, Diskriminierung und Intoleranz ermitteln. Die Spuren verdichten sich schließlich zu einem furiosen Showdown am Wiener Opernball.
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Eins
Der rote Fleck leuchtete inmitten der ineinander fließenden Grautöne des toten Wassers wie das Kleid des kleinen Mädchens in »Schindlers Liste«. Welch unpassender Vergleich! Der Film erzählte eine unerzählbare Geschichte, dieses Szenario hier einen prosaischen Todesfall. Unfall. Nullachtfünfzehn. Wahrscheinlich. Ziemlich sicher sogar. Oder auch nur einen banalen Mord aufgrund von Streit. Oder was auch immer. Jedenfalls nicht Weltgeschichte. Kommissarin Maria Kouba zwang sich in die Realität zurück. Trübes, viel zu warmes Februarwetter, das unwirtliche Nass der Alten Donau, eine Wasserleiche in einem roten Mantel. Aus. Punkt. Das war es. Maria fröstelte, auch wenn das Thermometer laut Radio an die fünf Grad plus anzeigte. Seit Tagen schon hatte sie das Gefühl, dass die drohende Verkühlung mit jedem Nebeltropfen durch die Kleidung in ihren Körper kroch. Was gäbe sie jetzt für einen Glühwein! Aber nein, sie hatte sich ja Abstinenz verordnen müssen. So eine Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Wortes, ausgerechnet in der Faschingszeit Fastenwochen einzulegen. Auf die Idee konnte wirklich nur sie kommen. In ihrer spontanen Emotionalität. Die musste sie in den Griff bekommen, nicht ihren Alkoholkonsum. Der war ja nur die Folge ihrer Unbeherrschtheit. Sechs Wochen Kamillentee, heißes Wasser und viel zu viel Kaffee. Sogar Suppe hatte sie als Lebensmittel bereits wieder entdeckt. Und sie konnte nicht aus, konnte nicht schummeln, konnte nicht leger die Grenzen ausdehnen, denn sie hatte ihren Vorsatz, bis zum Aschermittwoch keinen Schluck Alkohol zu trinken, vor allen Kollegen im Sicherheitsbüro hinausposaunt, worauf sofort Wetten abgeschlossen worden waren. Und Phillip hatte auf ihr Durchhalten gewettet. Unter der Beobachtung ihres Partners konnte sie es sich einfach nicht erlauben zu versagen. Aber da gab es unzählige Feste, ein Gschnas ums andere, Lokale mit special offers um jede Ecke. Eine von Exzessen miefende Feuchtfröhlichkeit über der Stadt. Und alle schwelgten in ihr. Nur sie nicht. Denn sie regenerierte sich brav von ihrem letzten Dreivierteljahr, in dem sie – ja, einfach nur ein paar Beruhigungsschlucke gebraucht hatte. Andererseits – es war schon gut, dass sie sich jetzt in Abstinenz übte. Mit ihrer überschüssigen Energie hatte sie zwei liegen gebliebene Fälle lösen können, und auch diese Leiche da, die hämisch wie ein grundlos aufgestelltes Stoppschild leuchtete, würde in Windeseile von ihrem Tisch sein. Und ihren Urlaub nicht gefährden. Obwohl – heute war ihr Geburtstag. Vielleicht lieber doch so ein kleiner Umtrunk mit Phillip, Elsa und ein paar anderen Kollegen? Schließlich konnte man ja auch ohne Alkohol lustig sein – nein, sie kannte sich. Es würde ein Absacker werden, sie würde sich im ganzen Präsidium wegen der verlorenen Wette hänseln lassen müssen, und dann der schwere Kopf am nächsten Tag – nein. Es waren ohnehin nur mehr acht Tage. Und die bewiesene Selbstdisziplin mit einem Cocktail auf einem schwarzen Sandstrand zu feiern, war auch viel stilvoller. Maria sah sich um. Gewohnte Betriebsamkeit. Geölte Maschine. Uniformierte arbeiteten im Einsatzwagen eine Schlange an bezeugenden Anrainern ab, die ihnen andere Uniformierte zutrieben. Eine junge Polizistin kümmerte sich um die Jugendliche, die die Leiche beim Gassigehen mit ihrem Hund gefunden hatte. Ihre anfängliche Lässigkeit war bald einem veritablen Schock gewichen. Die violetten Stirnfransen klebten schweißnass auf den Augen. Zum Glück hatte sie noch kein Frühstück intus, sonst würde sie jetzt permanent kotzen. Von allem unbeeindruckt die Tatortgruppe. Sie fotografierte und untersuchte und zeichnete auf. Und Phillip dirigierte den Apparat. Wie hatte er sich doch verändert in den sieben Monaten ihrer Zusammenarbeit. Der ewig attackierende Hektiker war jetzt völlig unaufgeregt und beinahe so etwas wie teamfähig. Und wenn die Menschen nicht mit seiner scharfen Zunge umgehen konnten, nun ja, dann war das ihr Problem. Maria liebte seinen schnellen Geist, er war ja auch der Arbeit zuträglich und – Maria spürte, wie sich das Grau ein wenig aufhellte. Nur weil sie die Gedanken um ihren Partner kreisen ließ. Sie zwang den Blick auf den Matsch zu ihren Füßen. Sie schloss die Augen und schob das Brennen weg vom Brustbereich hinauf ins Hirn. Maria! Freundschaftliche Gefühle sind gut, das hast du im letzten halben Jahr gemerkt. Das war eine weise Entscheidung, mit Monsieur Knackarsch Phillip genau diese Art von Verhältnis aufzubauen. Die sechs Monate waren, ja, sie waren sogar die schönsten der letzten Jahre, also zerstöre sie bitte nicht. – Eben, die schönsten, warum kann da nicht mehr drinnen sein? – Komm, reiß dich zusammen, du bist nur so weinerlich, weil du müde bist. Tagwache in der winterlichen Farblosigkeit geht einfach aufs Gemüt. Da will man eben kuscheln – eben! – Eben. – Feigling! – Zicke! – Maria atmete die angehaltene Luft konzentriert aus, so wie es ihr Sonja von der Pressestelle gezeigt hatte. Ihr einziger Weg, der Journaille manches Mal nicht durch das Telefon an die Gurgel zu springen, hatte Sonja gemeint. Ja, und der einzige Weg für Maria, ihre Gefühle für Phillip unter Kontrolle zu bekommen. Sie sah auf, und das Grau war wieder abstoßend fahl. Ein Testblick zu Phillip – ja, sie hatte alles wieder im Griff. Ihr Partner allerdings anscheinend nicht. Da war es wieder, dieses sinnierende Starren ins Leere. Irgendetwas beschäftigte ihn in letzter Zeit, auch wenn er bei Marias Fragen hundertmal lässig mit der Hand abwinkte. Eine andere Frau gab es da, sein entrücktes Lächeln bei so manchem Telefonat war ein eindeutiges Indiz. Nur, warum prahlte er nicht damit? Und warum versank er so oft in Melancholie? War Phillip dieser Fremden schmerzhaft verfallen? Das hieß, dass ihre eigenen Chancen, die sie ohnehin nicht hatte … Maria spürte wie jedes Mal bei diesem Gedanken Übelkeit. Es war wirklich an der Zeit, ein wenig Abstand zu bekommen. Zehn Tage noch bis zum Abflug, also volle Kraft voraus. Diese Leiche hier war sicher ein Unfallopfer. Die Frau hatte auf einem der vielen Faschingsfeste zu viel gesoffen, die Orientierung verloren, war ins Wasser gefallen und ertrunken. Das hieß, Maria konnte sich die restlichen Arbeitstage in Ruhe dem Protokoll- und Aktenchaos im Büro widmen, wodurch sie mit Phillip nicht mehr als nötig kommunizieren musste. Eine erleichternde Aussicht. Oberspurensicherer Georg ruderte mit seinen überlangen Armen, sagte irgendetwas, Phillip erwachte aus seiner Erstarrung. Jetzt war es so weit, die Kollegen holten die Leiche ans Ufer. Maria presste geschwind die Augen zu und murmelte konzentriert wie damals als Schülerin, wenn sie wollte, dass der Lehrer sie nicht zur Prüfung aufrief. ›Unfall. Unfall. Unfall.‹ »He, Chefe, munter werden, jetzt geht die Chose los.« Maria blinzelte und sah Phillip winken. Es funktionierte sicher nicht. Es hatte auch in der Schule nie funktioniert. Sie holte tief Luft und ging zu den Männern. Der reglose Körper wirkte wie Müll. Und er schwabbelte noch immer mit dem Gesicht im Wasser. Eine seltsame Stille begleitete das Geschehen. Obwohl am Rande der Absperrung eine Menge Leute starrten, wurde kaum ein Wort gesprochen. Lag es an der frühen Stunde? Am depressiven Wetter, das mehr zu einem klassischen Novembertag wie Allerheiligen gepasst hätte? Oder lag es daran, dass alle ein unwilliges Gefühl beschlich, weil nun mal eine Woche vor dem finalen Decrescendo des Faschings jeder neue Fall unerwünschte Mehrarbeit bedeutete? Auch Polizisten waren nur Menschen und wollten in Ruhe ihre Kasperliaden abziehen. Phillip stapfte mit seinen Gummistiefeln – wo hatte sie nur ihre eigenen verschlampt? – in den sandigen Uferbereich zu diesem roten Fetzen, der zwischen den Trauerweiden wie eine riesige Blutlache waberte. Josef machte es ihm nach. Sein Urteil als Gerichtsmediziner war nun gefragt. Der einzige Unbekümmerte war wie immer Gerry, der Fotograf. »Also den Pulitzer gewinn ich damit nicht. So ein Schaß. Die Uno-City verschwind’ ja förmlich im Nebel. Was haben wir jetzt – fast Ende Februar, da sollt der Schnee glitzern und blauer Himmel knallen. Na, echt.« Maria war ihm dankbar für seine Meckerei. Da gab es nichts zu philosophieren. Da war nur eine Leiche in Transdanubien. In dem Teil von Wien jenseits der Donau, der durch Gemeindewohnbauten geprägt war, die sich rund um die Ausfallstraßen ins Weinviertel kuschelten. Von Dörfern, die diese Bezeichnung noch verdienten, weil rund um sie herum nur Felder waren. Und natürlich von der weltstädtischen Skyline rund um die Uno-City. Transdanubien. Ärgerten sich die Bewohner des zweiundzwanzigsten Bezirks eigentlich über diesen Ausdruck der Innenstädter? Gerrys nicht vorhandener Hintern in den viel zu weiten Jeans drängte sich in ihr Blickfeld, als er eine besonders künstlerische Perspektive ausprobierte. »Gerry, mein Schatz, den Pulitzer brauchst du auch nicht zu gewinnen, du bist bei der Polizei. Schon vergessen?« »He, Mary, net so. Du weißt, dass ich der King bin. A bissel an Nebenverdienst werd ich mir doch no erlauben dürfen. Und des ist a Wahnsinn da. Der rote Fetzen, in dem Grau da. A Wahnsinn. Aber ein bissel zu viel Grau. Die Kontraste, die kommen net wirklich.« Ja, dieser rote Mantel. Er war irritierend. Wer trug so etwas? Im Winter trugen Menschen kaum knallige Farben, höchstens bei Skibekleidung, kaum bei Mänteln. Josef drehte die Leiche um. Und Maria fühlte sich bemüßigt, trotz ihrer zwar dicken, dennoch ungenügenden Schuhe auch in das wadenhohe Wasser zu steigen, denn der nächste Aberwitz präsentierte sich. Phillip...