Naber | Eine Melange für den Schah | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Naber Eine Melange für den Schah

Kriminalroman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-452-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-96041-452-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wien, Februar 1965. Die Stadt fiebert der Ankunft des persischen Schahs entgegen, doch Chefermittler Wilhelm Fodor beschäftigt eine Mordserie an Mitgliedern einer linken Studentengruppierung. Eskaliert hier ein Streit mit nationalsozialistischen Kommilitonen? Als Fodor in einem Drohbrief nahegelegt wird, die Nachforschungen einzustellen, greift er zu unkonventionellen Ermittlungsmethoden – und gerät dabei selbst zwischen die Räder der internationalen Politik.

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MITTWOCH
1
Lukaschek spitzte die Lippen und saugte das obere Drittel der Schlagobershaube ein. Wie jeden Mittwoch. Und er sagte: »Wahnsinn! So gut!« Wie jeden Mittwoch. Und Wilhelm fragte sich, ob ihm seine Anneliese nie Schlagobers kredenzte. Wie jeden Mittwoch. Er empfand dieses Ritual als unfassbar langweilig. Plötzlich. Er wandte seinen Blick vom schlürfenden Lukaschek ab, um nichts Unbedachtes zu sagen. Der Lueger-Platz war weiß. Tonnen von Schnee ergossen sich über die Stadt. Genau das brauchten sie jetzt noch nach der hundselendiglichen Kälte. Schlürfen. Das Umblättern von Zeitungsseiten. Viel zu laut. Die insgesamt drei von Sagmeister spendierten Runden Obstler und die fünf Bier waren eindeutig ein bissel zu viel gewesen. Außerdem beherrschte eine Grundkälte seine Knochen, weil er in seinem Suff gestern vergessen hatte, Kohle nachzulegen, und heute Morgen in einem Eiskasten munter geworden war. Eine Perle als Angestellte reichte einfach nicht, er sollte sich ein Dienstmädchen zulegen, das Kabinett diente bislang ohnehin nur als Rumpelkammer. Wenigstens begann das Aspirin langsam seine Kopfschmerzen abzustumpfen. Nein, er durfte sich nicht beschweren. Rituale waren gut. Jeder Mensch brauchte Rituale. Das gestrige mit Alois hatte ihm eine Liste mit Namen und einen Lachkrampf bei der zweiten Runde Schnaps gebracht. Einfach einen schönen Abend. Und das seiner Truppe war eben, auf seine Einladung im Prückl die Mitte der Woche mit gutem Kaffee zum Frühstück zu feiern – Lukaschek mit einem Einspänner, Fischer mit einem Franziskaner und er selbst mit einem Kapuziner. Alle drei mit diversen Tageszeitungen. Natürlich prangte auf allen Titelseiten ein Foto des Schahs bei seiner Ankunft in Schwechat. Dem Artikel entnahm Wilhelm, dass Reza Pahlavi noch am selben Tag im Salonwagen von Bundespräsident Schärf nach Bad Gastein weitergereist war, um sich beim berühmten Professor Fellinger einer Kur zu unterziehen und Ski zu laufen. Salonwagen des Staatsoberhauptes bei einem Privatbesuch … nun ja. Wilhelm musterte die Fotos, sah persische Studenten mit Willkommensbanner, aber nirgends auch nur eine Spur von Demonstranten. Auch Elisabeth oder den Vater konnte er nicht entdecken. Und es fehlte der Mord an Porony auf der Titelseite. Wilhelm blätterte zur Chronik. Die Meldung war ein Einspalter, nicht länger als fünfzehn Zeilen und ohne jegliche Andeutung, dass es sich um den Spross einer Größe der Gesellschaft handelte. Da schien jemand seine Ruhe haben zu wollen und folglich seine Beziehungen spielen gelassen zu haben. Der Clan war offensichtlich mächtiger, als er gedacht hatte. »Die Bloßhapperten sollt ma gleich alle rausschmeißen. Machen nur Ärger«, knurrte Fischer. »Da, schauts, die Bank, die in Linz gmacht worden is, des waren Araber. Haben die Kollegen jetzt in Salzburg einkassiert.« Er schnaufte. »Sollt ma alle einfach heimschicken.« »Ja, Siggi. Is schon gut.« Lukaschek klang genervt. Fischer sah seinen Kollegen an, grinste und legte die Zeitung zusammen. Jetzt kam mit Sicherheit gleich sein drittliebstes Gesprächsthema nach Frauen und lammfressenden Ausländern. »Na, Lukki, d’ Frühjahrsmeisterschaft fangt bald an.« Fischer zuckte mit den Augenbrauen. »Seids brav am Trainieren?« Richtig vermutet. Es war Wilhelm absolut unverständlich, wie man Sport dermaßen wichtig nehmen konnte. Noch dazu Fußball. Seit drei Jahren riss die Nationalmannschaft nichts mehr. Und der innerösterreichische Wettstreit präsentierte sich überschaubar spannend. Zumindest sah er persönlich keinen Unterschied zwischen dem SK Rapid, dem Lukaschek anhing, und der Austria von Fischer. Skifahren war da doch viel eleganter, und hier spielte Österreich wirklich in der obersten Liga. Von einer Christl Haas sollten die beiden Deppen schwärmen, hatte sie doch letztes Jahr in Innsbruck olympisches Gold geholt. Oder auch von Schranz oder Hinterseer. Das waren Sportler! Einzelkämpfer. Kämpfer. So wie er gestern gegen Elisabeths Charme, was ihm heute nur noch übertrieben, unsinnig und lächerlich vorkam. Nur gut, dass er sich nicht mit irgendeiner zweideutigen Bemerkung bei seiner Schwester blamiert hatte. »Geh, Fischer, mach dich net wichtig. Weil i hab so das starke Gfühl, dass ihr gleich einmal gegen die Gscherten aus Graz abescheibn werdets.« »Pah, wer hat sich im Herbst von Wacker Innsbruck panieren lassen, dem Aufsteiger aus der Regionalliga West«, er lutschte an dem Wort wie an einem Zuckerl, »wo s’ die Ski erst in der Kabine abschnallen?« Wilhelm linste zum Telefon beim Durchgang zur Küche. Berner musste inzwischen doch alles recherchiert haben. Er wollte nicht umsonst bereits um sieben Uhr im Amt erschienen sein. Es musste etwas weitergehen. Wenigstens hatte er schon einen Punkt zufriedenstellend abhaken können, nämlich den Rapport bei Wiesinger, und das auch noch halbwegs erträglich. Denn natürlich hatte sein Chef Sensibilität eingefordert, weil ja der Vater des Opfers ach so prominent war, doch ansonsten hatte sich Wiesinger angenehm zurückhaltend präsentiert. Vielleicht war er so zeitig in der Früh noch nicht auf Betriebstemperatur gewesen. »Spätestens beim Derby wissma, wer besser is«, frohlockte Fischer. »Wer hat bis jetzt mehr Meistertitel gwonnen?«, ätzte Lukaschek. »Deutscher Meister gilt net«, keifte Fischer zum sicherlich hundertsten Mal. Und zum hundertundeinten Mal fragte sich Wilhelm, welcher Kasperl den polternden, rassistischen Fischer zum Anhänger des einst bürgerlich-jüdischen Vereins Austria hatte werden lassen und den zumindest nicht offensichtlich deutschnationalen Lukaschek zu einem von Rapid, der eben auch unter den Nazis erfolgreich gewesen war. Wie jeder wusste. Sogar er mit seinem Nichtinteresse. Die einzige Erklärung war, dass Fischer in der Nähe des Praterstadions, einer Immer-wieder-Heimstätte der Austria, aufgewachsen war und Lukaschek sein Junggesellenzimmer in Hütteldorf gehabt hatte. »Wenn’s nur des warat.« Lukaschek lächelte. »Es steht dreiundzwanzig zu acht. Und aktuell sind wir der Titelträger, und zwar ganz deutlich vor euch.« »Ja, nachdem es schon fad war, weil vorher wir dreimal hintereinander Erste waren. Ihr könnts euch eingrabn heuer.« Der Piccolo eilte zum Kältevorhang, an dem von außen herumgewurstelt wurde, und hielt ihn auf. Die Fußstützen eines Rollstuhls wurden sichtbar. Auf nämlichem saß, aufrecht und schmallippig, die Frau Hofrat Matelka. Und hinter ihr blies sich Brigitta Pointner eine blonde Strähne aus dem Gesicht, die unter der Pelzmütze hervorgerutscht war. Die alte Dame blinzelte ein paarmal, wohl um die Augen an den Rauch zu gewöhnen. Dann blieb ihr Blick an Wilhelm haften. Sie flüsterte ihrer Gesellschafterin etwas zu, woraufhin diese sie zu den Polizisten schob. »Herr Chefinspektor!« Sie hielt ihm die Hand entgegen, ignorierte seine Assistenten, die brav aufgesprungen waren. Er küsste die Dargebotene. »Frau Hofrat.« »Wir finden es sehr angenehm, Sie hier zu treffen, denn wir wollten Sie nach unserem petit déjeuner aufsuchen. Drüben, an Ihrer Wirkungsstätte.« »Tatsächlich, gnädige Frau? Was ist der Anlass?« »Uns sind noch zwei Details zu der unglücklichen Sache gestern eingefallen.« Sprach sie im Pluralis Majestatis, oder bezog sie Brigitta Pointner mit ein? »Und die da wären?« »Nun, zum einen hatte dieser Mann einen etwas auffälligen Gang. Das könnte für Sie von Interesse sein.« Lukaschek holte Luft, Wilhelm wedelte ihm zu. Sein zweiter Assistent setzte sich wortlos, wie auch sein erster. »Und wie war der?« Sie beschrieb genau dieselbe Art von Passgang wie Ehrenhoff. Und das zweite Detail war der grüne Schal. Die drei Zeugen hatten also denselben Mann gesehen. Und daraus ließ sich folgern, dass der Vorderasiate, der sich von Porony hatte anschreien lassen, zurückgekehrt war und das Problem final erledigt hatte. Die Frage war nur, warum ihr diese Signifikanten erst so viel später eingefallen waren. Alterslangsamkeit? Dagegen sprach der jugendliche Scharfblick ihrer Gesellschafterin. »Vielen Dank, gnädige Frau, das hilft uns wirklich weiter. Aber darf ich fragen, warum Ihnen diese doch sehr auffälligen Details erst jetzt …?« »Die Aufregung, junger Mann, die Aufregung. Und ich war wohl durch die Erinnerung an meine Kindheit – Sie wissen ja, die Ähnlichkeit des Mannes mit dem Gatten meines Kindermädchens – etwas abgelenkt.« »Verstehe ich vollkommen. Und Sie, Fräulein Brigitta?« »Ich«, sie seufzte, »war damit beschäftigt, uns aus der Gefahrenzone zu bringen. Wie ich Ihnen gesagt habe, wir wollen keine unangenehmen Begegnungen mit Fremden.« Sie lächelte. »Da war ich nicht so aufmerksam.« »So, so, natürlich. Wir werden uns wegen der Niederschrift nochmals an Sie wenden, wenn es Ihnen recht ist.« Er vollzog zwei Diener, beugte sich über Matelkas Hand. »Gnädige Frau!« Die Frau Hofrat nickte, wedelte mit der Hand und ward von Brigitta Pointner zu jenem Tisch geschoben, der am nächsten zum Kuchenbuffet stand und wo sie ein Endfünfziger in dreiteiligem Anzug per Handkuss und mit gleichzeitigem Zusammenschlagen der Hacken begrüßte. Die Gewandung und die Aktentasche neben seinem Platz legten die Vermutung nahe, dass es sich um einen höheren Beamten handelte. Ihr Neffe? Jüngerer Bruder? Die Frau Hofrat gebot ihm mit einem Nicken, sich zu setzen. Nun verhinderte der Mann den Blick auf sie. Fischer seufzte. »Wenn das alles wirklich stimmt, haben wir bis jetzt keinen Kandidaten.« Lukaschek nickte. »Wir haben bis jetzt ja auch nur einen, den...


Sabina Naber arbeitete nach ihrem Studium in Wien u.a. als Regisseurin, Journalistin und Drehbuchautorin. 2002 startete sie ihre schriftstellerische Laufbahn, mittlerweile sind elf Romane und unzählige Kurzgeschichten erschienen (Friedrich-Glauser-Preis 2007 und Nominierung für den Leo-Perutz-Preis 2013). Seit Kurzem ist sie auch als Fotokünstlerin tätig.



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