Naumann | Scherben des Glücks | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 766 Seiten

Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag

Naumann Scherben des Glücks

Das Leben der Wilhelmine von Bayreuth
2019
ISBN: 978-3-8392-6152-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Das Leben der Wilhelmine von Bayreuth

E-Book, Deutsch, 766 Seiten

Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-8392-6152-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Das riesige Berliner Stadtschloss, Inbegriff des luxuriösen Hoflebens, wird der preußischen Prinzessin Wilhelmine zum Gefängnis, deren Vater »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm seine Tochter gegen ihren Willen verheiraten will. Um den Bruder, der nach einem Fluchtversuch eingekerkert wurde, aus der Festungshaft zu befreien, gibt die Prinzessin schließlich nach und heiratet den Prinzen von Bayreuth-Brandenburg. Was die trotz aller Entbehrungen verwöhnte Königstochter hier vorfindet, verschlägt ihr die Sprache. Aber da ist ja der charmante Gatte, und vor allem die Musik ...

Cornelia Naumann wurde in Marburg an der Lahn geboren, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Köln und arbeitete viele Jahre an deutschen Theatern als Dramaturgin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Schon in ihrer Magisterarbeit beschäftigte sich Naumann mit den Frauen in Schillers Dramen und schrieb Schauspiele über vergessene Frauen. Im Gmeiner-Verlag erschienen von ihr die Romane »Die Portraitmalerin« (2014) über die Berliner Malerin Anna Dorothea Therbusch, »Königlicher Verrat« (2016) über die verkannte Wittelsbacherin Isabeau de Baviére und zuletzt »Der Abend kommt so schnell« (2018) über die vergessene Revolutionärin Sonja Lerch.
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1


Am 23. Oktober 1721 wurde Dorothea Freiin von Wittenhorst-Sonsfeld zur Hofmeisterin der kleinen Prinzessin von Preußen ernannt, und heute, zehn Jahre später, am 11. Mai 1731, sollte sie öffentlich an allen Straßenecken Berlins ausgepeitscht werden.

Dorothea von Sonsfeld hatte den Tisch im Vorraum des Gemaches der Prinzessin Wilhelmine im Berliner Stadtschloss vorbereitet. Nach einem kritischen Blick auf die Damasttischdecke und das schwere Silberbesteck setzte sie sich auf einen der zierlichen Hocker und wartete auf das Frühstück. Ihr Blick fiel auf das türhohe Fenster, das in sechzehn große Quadrate gegliedert war, aber dennoch nur die schwarzen Fensterlöcher der gegenüberliegenden Schlossseite zeigte. Kein Stück Himmel war zu sehen.

Das zweite Fensterquadrat von oben hatte einen Sprung. Es war ein alter Sprung. Seit Jahren hätte sie ihn sehen können, doch erst seit die Gemächer zu ihrem Gefängnis geworden waren, hatte sie jeden Tag Zeit, ihn zu betrachten. Ein alter Sprung in einem alten Fenster in einem alten hässlichen Schloss, dachte sie. Die Dienstmägde hatten das Fensterquadrat mit dem Sprung nie richtig geputzt, vielleicht aus Angst, sich zu schneiden, wahrscheinlich aber, weil sie fürchteten, das Fenster zu zerbrechen oder auch nur den Putzlumpen an der scharfen Kante zu zerreißen – selbst Letzteres wäre von dem geizigen Hausherrn unerbittlich bestraft worden. Geizig ist er, dachte sie. Geizig und hartherzig. Ein altes, düsteres Haus, das einem alten, bösen Mann gehört. Wie konnte ein Vater sein Kind monatelang einsperren. Die ungerechte Behandlung ihrer Prinzessin versetzte das Fräulein in Zorn. Sie wusste: Der König spaßte nicht. Niemals.

Es klopfte. Der königliche Kammerdiener Eversmann steckte sein abscheuliches Gesicht durch die Tür. Das charakterlose Faktotum des alten, bösen Mannes, dachte die Hofmeisterin. Was wollte er am Morgen schon vor dem Frühstück?

»Ich wünsche untertänigst einen guten Morgen. Oh, Hochwohlgeboren haben sich umsonst für das Frühstück der Prinzessin bemüht«, sagte Eversmann, während die Blicke aus seinen unangenehmen kleinen Augen den Raum förmlich durchsuchten. Wie ein Wiesel, dachte die Hofmeisterin, nein, schlimmer: wie eine Ratte, die aus ihrem Loch gekrochen ist.

»Gibt es heute nicht mal Frühstück?«, fragte die Hofmeisterin sarkastisch. Nach all den Widerwärtigkeiten, die man der Prinzessin und ihr in den letzten Monaten vorgesetzt hatte, hätte es sie nicht weiter erstaunt. Gestern hatte es zum Mittagessen verdorbenen Hering gegeben. Ungenießbar, und erst der Gestank!

»Aber ganz im Gegenteil, Durchlauchtigste Hofmeisterin! Ich habe Order vom König, Sie nach vorn in die königlichen Gemächer zu führen …«

Noch im Morgengewand, kam Wilhelmine aus ihrem Schlafzimmer. Offenbar hatte sie sich eilig allein frisiert und Puder aufgelegt. Die Hofmeisterin betrachtete ihren Schützling mit einer Mischung aus Stolz und Besorgnis und lächelte nachsichtig. In Gegenwart des königlichen Kammerdieners hätte sie ihr Morgenhabillée anlegen müssen. Aber sie konnte verstehen, dass die Prinzessin sich dem umständlichen und schmerzhaften Korsett verweigerte. Seit Beginn ihrer Gefangenschaft hatte es auch keinen offiziellen Anlass mehr gegeben, der offizielle Kleidung erfordert hätte. Außerdem sah sie in ihrem cremefarbenen seidenen Morgengewand mit den weit geschnittenen Ärmeln sehr vornehm aus. Das Gewand mit Schleifen an der langgezogenen, spitz zulaufenden Taille erweckte den Eindruck, die Prinzessin sei tatsächlich geschnürt.

Unter dem Gewand aber war sie abgemagert, und unter dem reichlich aufgetragenen Rouge war ihre Haut blass und für ihr Alter zu welk. Es war nicht Wilhelmines Schuld, mit einundzwanzig Jahren noch immer nicht verheiratet zu sein. Zu lange zieht sich das Procedere schon hin, und schuld allein ist das Gezänk der königlichen Eltern, dachte das Fräulein. Die Prinzessin drohte zwischen den Befehlen eines bösen Haustyrannen und einer Mutter, die für ihre angstvollen Intrigen ihre Tochter gegen den Vater ausspielte, zerrissen zu werden.

Eversmann verbeugte sich – nicht tief genug, wie das Fräulein missbilligend feststellte. Vermutlich war er der Meinung, eine gefangene, nicht in der Gunst des Königs stehende Prinzessin habe nur eine halbe Verbeugung verdient.

»Guten Morgen, Königliche Hoheit, wünschen wohl geruht zu haben.«

»Danke, Eversmann. Was gibt es?«, fragte Wilhelmine kurz.

Ihre Haltung ist königlich, frohlockte die Hofmeisterin, schon hat sie ihn für die mangelhafte Verbeugung abgestraft, indem sie ihm keinen guten Morgen wünscht. Wenn sie nur korrekt gekleidet wäre!

»Der König wünscht, dass Sie Ihr Frühstück heute in den königlichen Gemächern an der Vorderseite einnehmen. In Begleitung von Fräulein von Sonsfeld selbstverständlich.«

Die Prinzessin und ihre langjährige Hofmeisterin tauschten einen langen Blick. Was hatte das zu bedeuten? War das Ende der Gefangenschaft zu erhoffen?

»Der König hat Brioches und Schokolade befohlen. Sie möchten die vordere Aussicht zur Allee unter den Linden genießen. Ich bitte untertänigst, mir bitte folgen zu wollen …«

Nein, wollte das Fräulein rufen, die Prinzessin muss für einen solchen Anlass erst angekleidet werden!

Aber Wilhelmine dachte nur: Schokolade! Brioches! Dass es das noch gibt! Der König hat mir verziehen. Mein Vater liebt mich wieder!

In ihrer freudigen Überraschung schenkte sie sogar dem verhassten Eversmann ein Lächeln. Dieser öffnete weit die Tür und prallte auf die Mermann, Wilhelmines Amme, die ihren Säugling nie verlassen hatte und inzwischen an die sechzig Jahre zählte. Anna Mermann, Nachfahrin einer im Dreißigjährigen Krieg von marodierenden Soldaten vergewaltigten Mecklenburger Bauerntochter, die bei ausgeplünderten Brandenburger Bauern eine neue Heimat gefunden und dort nach den ausgestandenen Schrecken ihre Kinder zu Stärke und Selbstbewusstsein großgezogen hatte, stemmte ihre Hände in die füllige Leibesmitte und fragte in unverkennbarem Berlinerisch: »Und wie isse, die Schokolade für meen Prinzesschen?«

Ratlos starrte der Kammerdiener die Amme an, die heimlich gelauscht hatte und daraus keinen Hehl machte. Wilhelmine konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Die Hofmeisterin übersetzte süffisant: »Sie müssen die Frage einer besorgten Amme verstehen, Herr Eversmann. Sie möchte wissen, wie die Schokolade zubereitet ist.«

Der Kammerdiener wandte sich an die Amme. »Mit Milch, Frau Mermann, selbstverständlich mit Kuhmilch! Und die Brioches mit guter Butter, alles ganz frisch, wie immer.«

Mit einem letzten unwilligen Blick auf Eversmanns schlechte Haut gab die füllige Amme den Weg frei, ging zu Wilhelmine und tätschelte ihr die Wange. »Siehste, Kleene, nu wird et wieder, der Herr Papa zeigt Güte, wa?«

Die Hofmeisterin blieb skeptisch, aber Wilhelmine, die ihre Amme zärtlich liebte, nickte eifrig. Endlich durfte sie diese Gemächer verlassen, die seit fast einem Jahr ihr Gefängnis waren. Und gleich zum Dejeuner in die königlichen Gemächer, welche Auszeichnung! Ihre Wangen röteten sich, ihre Bewegungen wurden lebhaft, ja, sie verspürte sogar Appetit.

Mit schnellen Schritten ging Eversmann voran. Wilhelmine bemühte sich, ihm zu folgen, und erkundigte sich nach dem Befinden ihres Vaters. Damit brachte sie den Kammerdiener in eine schwierige Situation. Die Etikette erforderte, dass er die Hoheiten ansah, wenn er mit ihnen sprach. Wilhelmine hatte aber in seinen Rücken hinein gesprochen, und so musste er sich umdrehen und antwortete, krampfhaft bemüht, im Rückwärtsgehen seine steife Würde zu bewahren: »Nicht sehr gut, Euer Hoheit. Die Gicht plagte seine Majestät heute Nacht.«

Wilhelmine bat, dem König ihre Genesungswünsche zu bestellen: »Verbinden Sie dies mit der Bitte einer liebenden Tochter, mit meinem geliebten Papa am Samstag wieder gemeinsam das Abendmahl einnehmen zu dürfen, denn ich habe seit Monaten nicht kommuniziert.«

Eversmann, noch immer rückwärts den Weg suchend, versprach, sich für die Bitte zu verwenden, und drehte sich erleichtert wieder um. Wilhelmine grinste ihrer Hofmeisterin zu, ein kurzes schurkisches Lächeln. Für einen Augenblick sah sie ihrem Vater verblüffend ähnlich. Genau dieses Grinsen hatte der knapp vierzehnjährige Friedrich Wilhelm aufgesetzt, nachdem er seinen Pagen die Kellertreppe hinuntergestoßen hatte.

Wilhelmine tänzelte den Gang entlang wie ein Pferd, das nach einem langen Winter hinaus auf die Koppel darf. Gebe Gott, dass ihre Hoffnungen berechtigt sind und der König endlich ein Einsehen hat, dachte die Hofmeisterin, dass er seine Tochter wieder hinaus unter die Menschen lässt, wo sie hingehört.

Missbilligend bemerkte sie, dass Wilhelmine ihr Morgengewand nur mit einer Hand gerafft hatte und die Schleppe hinter ihr Wolken von Staub und Unrat aufwirbelte. Die empfindliche helle Seide war mit Sicherheit ruiniert. Das Fräulein hasste die endlosen Gänge dieses düsteren Stadtschlosses, das sich die Spreepiraten von Brandenburg erbaut hatten, nachdem sie die freie Hansestadt Berlin erobert hatten. »Klotzen, nicht kleckern« war seit Jahrhunderten die Devise, und so hatten die prunkliebenden Kurfürsten an ihren mittelalterlichen Turm, den »grünen Hut«, immer wieder etwas anbauen lassen, einen Damentrakt hier, einen Festsaal dort, einen Lustgartenflügel daneben.

Mit der Erlangung der Königswürde hatte Wilhelmines Großvater, Friedrich I., Prunkportale von gigantischen Ausmaßen vor die Einfahrten setzen lassen; sogar ein Münzturm war begonnen, aber vor...


Cornelia Naumann wurde in Marburg an der Lahn geboren, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Köln und arbeitete viele Jahre an deutschen Theatern als Dramaturgin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Schon in ihrer Magisterarbeit beschäftigte sich Naumann mit den Frauen in Schillers Dramen und schrieb Schauspiele über vergessene Frauen. Im Gmeiner-Verlag erschienen von ihr die Romane »Die Portraitmalerin« (2014) über die Berliner Malerin Anna Dorothea Therbusch, »Königlicher Verrat« (2016) über die verkannte Wittelsbacherin Isabeau de Baviére und zuletzt »Der Abend kommt so schnell« (2018) über die vergessene Revolutionärin Sonja Lerch.



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