E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Neeb Und wer rettet mich?
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7336-4986-9
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7336-4986-9
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1974 in Bielefeld geboren, in Minden aufgewachsen, dort die Abifeier überlebt und mit dem Schulfreund losgezogen. Deutsch, Musik und Sport studiert und in Trier, Barcelona und München als Lehrerin gearbeitet. Gelandet jetzt in Frankfurt am Main: mit einem Mann, zwei Kindern und drei Haustieren.
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»Kim, bist du wach?«
Ich höre die Stimme, ich schlafe nicht wirklich. Sie klingt dumpf zu mir rüber, wie aus dem Lautsprecher meiner Anlage, nur auf ganz leise gestellt. Aber ich will mich nicht bewegen, nie wieder, und höre einfach weg.
»Kim, bist du wach?« Die Anlage scheint auf repeat gestellt zu sein. Jemand setzt sich zu mir, die Matratze gibt nach, und ich spüre eine Hand, die über meine Stirn streicht. Ich würde sie gerne wegwischen, aber dann müsste ich mich bewegen. Also lasse ich sie da.
»Kim, du musst aufwachen.«
»Ist er tot?« Die Augen lasse ich zu. Sagt man das nicht auch? Die Augen vor der Welt verschließen? Ist aber ein Scheißspruch, das funktioniert nämlich nicht. Selbst im Dunklen lebt man weiter, die Bilder von gestern Abend lassen mich nicht los. Ich sehe das Feuer. Ich kann es hören. Hätte vorher nie geglaubt, dass Feuer so laut sein kann. Alle rennen weg, nur ich bleibe stehen und suche. Ich suche nach dir, nach dunklen Haaren, deinem Hemd, deinen Schuhen – nach irgendwas von dir – und starre in das Chaos. Aber ich sehe dich nicht. Blaulichter zerreißen hinter mir den schwarzen Himmel, Sirenen heulen. Es wimmelt von Feuerwehrleuten. Polizei und Sanitäter kommen, und plötzlich höre ich diese Stimme rufen: »Da ist noch jemand drin!« Sie klingt panisch.
Dann tragen sie dich heraus, und ich höre einen Schrei. Er ist schrill, furchtbar schrill, als würde man jemanden abschlachten. Ich halte mir die Ohren zu, doch er hört erst auf, als alles um mich herum schwarz wird.
»Ist er tot?« Auch ich bin auf repeat.
»Nein, er lebt. Jasper hat großes Glück gehabt.«
In diesem Moment lasse ich los, mein Körper verliert an Spannung und sinkt immer tiefer. Ich spüre, wie sich die Schlinge um meinen Hals löst und ich wieder Luft bekomme. Mein Blut beginnt wieder zu fließen, es wärmt mich: meine Beine, meine Arme, meine Hände. Er lebt! Alles andere ist erst einmal egal.
»Wir haben Besuch, Kim.«
Ich drehe mich zur Seite, von ihr weg. »Vergiss es!«
»Die Polizei ist da.«
Mit diesem Satz lässt sie mich endlich allein, und ich öffne die Augen.
Hier bei uns hatte ich nicht mit denen gerechnet, und schon gar nicht so schnell. Die Polizei, dein Freund und Helfer – das ist der größte Mist, den man Kindern erzählen kann. Dein Feind und Heuchler trifft es wohl besser. Und damit meine ich alle Arschlöcher, die sich hinter Uniformen verstecken. Als ob das was nützt. Wenn man Scheiße in Geschenkpapier wickelt, bleibt es immer noch Scheiße.
Von mir erfahren die gar nichts! Nicht, bevor ich mit Jasper geredet habe.
Ich rolle mich aus dem Bett und versuche, aufzustehen. War wohl ziemlich lange ausgeknockt, durch die Vorhänge knallt die Sonne, und ich fühle mich ganz steif. Zum Kleiderschrank ist es nicht weit, aber schon auf dem ersten Meter komme ich ins Stolpern. Ich kann mich zwar an der Kommode abfangen, aber meinen Ellbogen erwischt es hart.
»Scheiß Tasche«, zische ich und versuche, den Griff wegzustrampeln, der sich wie eine Schlinge um meinen Knöchel gelegt hat. Die gehört da gar nicht hin – die gehört gar nicht mir. Jasper wollte nach der Party bei mir pennen und hatte seine Fußballklamotten schon vorher hier geparkt.
Aber der Griff ist hartnäckig, und ich muss mich bücken, um ihn abzukriegen. Alles dreht sich. Scheiß aufs Umziehen, die kriegen mich pur!
Die Treppe nach unten ist auch gegen mich. Die Stufen verschwinden und tauchen da wieder auf, wo meine Füße sie nicht erwarten. Aber das Zeug, das mein Vater mir gestern noch eingeflößt hat, scheint mir Flügel zu verleihen. Ich lande erstaunlicherweise sicher unten im Flur. Vitamine waren das bestimmt nicht.
Im Wohnzimmer schaue ich in die erwartungsvollen Gesichter unserer Gäste. Zwar in Zivil, aber ich kann es riechen: Polizeiweibchen und Polizeimännchen – Good Cop, Bad Cop, wer ist wohl wer?
Meine Mutter hockt ihnen gegenüber am Tisch, und aus der offenen Küche höre ich das Dampfen von Papas Schätzchen, der scheißteuren, vollautomatischen Kaffeemaschine. Espresso für alle, wie nett von ihm.
»Hallo, Kim«, begrüßt mich die Polizeitussi, die kaum älter als ich sein kann. Sie mustert mich unverhohlen neugierig. Was sie da sieht, ist nicht wirklich Topmodel-like: kurze, schwarze Haare, graue Jogginghose, weißes Top, verstrubbelt, zerknautscht, barfuß. Ich muss ein Lachen unterdrücken, als ich mir vorstelle, wie sie gleich mit Heidis Piepsstimme sagt: »Sorry, mein Liebes, aber ich habe heute leider kein Foto für dich.«
Ruhig bleiben, Kim, ermahne ich mich, sei vorsichtig!
»Kennen wir uns?« Meine Stimme kratzt, klingt aber genauso unfreundlich, wie ich es meine. Hinter mir höre ich, wie mein Vater scharf die Luft einsaugt.
hasst er mindestens genauso sehr wie Patienten, die alles besser wissen. Ist mir aber gerade mal so was von scheißegal!
Miss Polizei zeigt keine Regung, aber das Interesse ihres Partners konnte ich wecken, er schaut zu mir rüber, sein Blick ist kalt.
»Das ist mein Kollege Schwindt, und mein Name ist Petra Heitmeier. Kim, wir sind hier, um dir ein paar Fragen zum gestrigen Abend zu stellen.« Ihre Stimme klingt sanft, aber bestimmt. Hat sie sicher lange für üben müssen.
»Echt? Da bin ich aber erleichtert. Ich dacht schon, ich hätt mal wieder falsch geparkt.«
»Das reicht, Kim!« Der Ton meines Vaters ist auch bestimmt, allerdings alles andere als sanft, und ich spüre seinen brennenden Blick im Rücken. Aber ich halte ihn aus. Die Zeit, in der ich Angst vor seinen Augen hatte, in denen ich gezittert habe vor dem, was danach kommt, ist lange vorbei.
Das Brennen lässt nach, und seine Stimme hat wieder diesen butterweichen Unterton, ganz der charmante Gastgeber, als er das Tablett mit den edlen Espressotassen auf den Tisch stellt. »Es tut mir leid, Kim ist von den Ereignissen noch sehr mitgenommen. Sie ist gestern zusammengebrochen und hätte eigentlich in die Klinik gehört. Wir haben sie aber lieber hier versorgt. Zucker?«
Beide verneinen und greifen zu ihrem Espresso.
»Willst du dich nicht setzen, Kim? Es wird einen Moment dauern.« Tussi sieht mich freundlich an, und Mama, die mal wieder vollends eingeschüchtert wirkt, klopft auffordernd auf den Stuhl neben sich. Sei brav, signalisiert ihr Blick, und ich könnte kotzen. Ich hasse ihre unterwürfige Art, außerdem lässt das Beruhigungsmittel meinen Magen Karussell fahren.
»Erzähl uns bitte, wo du warst, als das Feuer ausbrach«, fordert mich Bad Cop auf und lehnt sich auf seinem Stuhl vor.
»Müsste jetzt nicht ein Anwalt neben mir sitzen?«
Bevor mein Vater explodieren kann, geht Heitmeier dazwischen. Die rigorose Handbewegung in seine Richtung und ihr überlegener Gesichtsausdruck müssen für ihn die Hölle sein. Frauen mucken in seiner Gegenwart nur äußerst selten auf, und sie hier macht das echt cool.
»Wir befragen dich als Zeugin, Kim, da ist ein Anwalt überflüssig. Deinen Freund Jasper hat es ziemlich erwischt, und ich denke, es ist auch in deinem Interesse, dass wir das Ganze möglichst schnell aufklären, oder?«
Die Worte hallen in mir nach, und das Karussell setzt sich wieder in Bewegung. Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Diesmal geht es rückwärts, und mir kommt es hoch. Zur Gästetoilette schaffe ich es zum Glück noch, obwohl es eigentlich cool gewesen wäre, denen direkt vor die Füße zu kotzen.
Ich umarme das Klo und lege meine Stirn auf das kalte Porzellan. Bei uns könnte man sogar auf dem Boden Kekse ausstechen, hier ist alles klinisch rein.
Jasper! Ich kann immer noch nicht glauben, was gestern passiert ist. Bin ich das echt gewesen? So hart, so kalt und dann plötzlich so glücklich und so leicht? Ich bräuchte dich jetzt hier, Jasper, du würdest das für mich übernehmen, ich weiß nicht, wie lange ich durchhalten kann.
»Kim?« Es ist die Stimme von Tussi, und Jasper verschwindet. Echt hartnäckig die Frau, nur dass ich wohl kaum Antworten auf die Fragen habe, die sie mir stellen will.
»Alles bestens!«, flöte ich zurück. »Aber lieber Abstand halten, Magen-Darm ist ja ziemlich ansteckend.«
Ich höre ein leises Lachen jenseits der Tür. »Bin ziemlich immun gegen diese Ausprägung des Virus. Können wir sprechen, Kim? Allein!«
Wieso wiederholt sie ständig meinen Namen? Das nervt total. Hat Heitmeierchen sicher auf der höheren Polizeischule gelernt: Schaffe Vertrauen und Nähe zu deinem Gegenüber.
Ohne mich, dagegen bin immun.
Aber mit der allein zu quatschen ist allemal besser als in trauter Runde mit dem Typen und meinen Eltern, also komme ich raus und gehe mit ihr nach oben.
»Du machst Kampfsport?«, fragt sie und schaut sich interessiert meine Wände an. »Respekt!«
»Messerscharf kombiniert!«
Meine Wände hängen voll mit Bildern und meinen bisher erworbenen Kordeln. Jasper gehört zu der einen Seite von mir, für die andere brauche ich meinen Sport. Hier kann ich alles Dunkle rauslassen, und das ist viel.
»Bist du eigentlich immer so?«, fragt Heitmeier, schaut dabei aber weiter auf meine Fotowand. »Ich meine, so äußerst freundlich und zuvorkommend?«
»Kommt drauf an, wer was von mir will. Außerdem bist du doch auch nicht so ganz zuvorkommend, oder?« Das musste jetzt sein, und ich merke, wie sie ganz kurz zuckt, bevor sich ihr Rücken wieder strafft.
»Alles klar, du bist achtzehn.« Sie schaut mich ruhig an, doch ein leichtes Grinsen kann sie nicht...




