Neill Chicagoland Vampires - Sehnsuchtsbisse
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8025-9477-9
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 08, 400 Seiten
Reihe: Chicagoland-Vampires-Reihe
ISBN: 978-3-8025-9477-9
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Überall in Chicago kommt es zu Protesten gegen die Vampire. Eine mit Molotow-Cocktails bewaffnete Splittergruppe richtet große Verwüstungen an. Die Vampirin Merit und ihre Verbündeten müssen herausfinden, wer hinter den Angriffen steht, um die endgültige Zerstörung der Stadt zu verhindern.
Weitere Infos & Material
Die Winter-Hüterin
Ich starrte auf das elegante Stahlschwert, dessen rasiermesserscharfe Klinge nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war, und versuchte nicht zusammenzuzucken. Ich war bis aufs Äußerste angespannt, meine schweißnassen Finger schlossen sich um den Griff meines uralten Katana. Mein Blick huschte zwischen der Waffe, die drohend auf mich gerichtet war, und dem Mann, der sie führte, hin und her.
»Nervös, Hüterin?«, fragte der blonde Vampir, der nicht nur eine, sondern zwei der alten Samuraiklingen in den Händen hielt.
Ich befeuchtete die Lippen, packte das Schwert fester und versuchte mich von meinem äußerst gut aussehenden Gegenüber – nackter, schweißnasser Oberkörper, atemberaubend grüne Augen, goldene, schulterlange Haare – nicht ablenken zu lassen.
Versuchte. Ihn. Fertigzumachen.
»Überhaupt nicht, Sullivan.« Ich zwinkerte ihm zu. Als er verblüfft die Augen aufriss, nutzte ich die Gelegenheit und griff an. Ich ging in die Knie und setzte meinen Schwertgriff ein, um Ethans rechte Hand wegzuschlagen, was ihn eine seiner beiden Klingen kostete.
Nun ja, leider nur eine.
Mein Gegenüber war Ethan Sullivan, ein vierhundert Jahre alter Vampir und Meister des Hauses Cadogan, eines der drei Vampirhäuser in Chicago. Er war der Vampir, der mich nach einem brutalen Angriff in einer Frühlingsnacht gerettet hatte, indem er mich wandelte.
Und nun war er der Vampir, der mich zu dem machte, was ich war.
Ich war die achtundzwanzigjährige, ehemalige Doktorandin, die er zu einer unsterblichen Kriegerin ausgebildet hatte … und ich liebte es, ihm zu zeigen, was er sich damit eingebrockt hatte.
Heute sollte ich lernen, nicht nur mit einem Katana, sondern gleich mit zwei dieser sanft geschwungenen Klingen zu kämpfen. Vampire liebten Katanas, sie zogen sie Handfeuerwaffen jederzeit vor. Das lag vor allem daran, dass Vampire als Spezies nicht nur uralt, sondern vor allem recht überheblich waren. Sie glaubten fest an die Überlegenheit der Katanas, nachdem ein Samurai, der einst Europa bereist hatte, ihnen den Kampf mit diesen Klingen beigebracht hatte.
Geschichte hin oder her – zwei Klingen gleichzeitig zu schwingen war auf jeden Fall eine komplizierte Angelegenheit. Das Katana war eine elegante Waffe, was bedeutete, damit auch elegant zu kämpfen – sowohl tänzerische Bewegungen als auch Stärke und Geschicklichkeit in den Kampf einzubringen. Das war mit zwei Schwertern gar nicht so einfach, denn ich musste mein Gleichgewicht wiederherstellen … um nicht über meine eigene Waffe zu stolpern.
Zu meiner großen Freude hatte selbst Ethan damit seine Schwierigkeiten. Missmutig nahm er das Schwert wieder auf, das er auf die Tatamimatten des Sparringsraums fallen gelassen hatte.
Die Vampire, die von der Galerie aus unseren Übungskampf mit großer Begeisterung verfolgten, bejubelten ihren Helden und Meister des Hauses, der sich auf den nächsten Durchgang vorbereitete.
Und sie waren nicht die Einzigen, die uns zusahen.
Da mein früherer Schwertkampflehrer und guter Freund Catcher Bell an den heutigen Feierlichkeiten nicht teilnehmen konnte, weil er als Hexenmeister anderweitig beschäftigt war, hatten wir einen Ersatz finden müssen. Der jedoch schien von unseren ersten Versuchen überhaupt nicht beeindruckt zu sein.
»Das war verdammt plump«, sagte der Vampir vor uns.
Unser Lehrer war der Hauptmann der Wachen des Hauses Grey, einem von insgesamt drei Vampirhäusern in Chicago. Jonah war groß gewachsen, gut aussehend und hatte rotbraune Haare. Außerdem war er mein Partner in der Roten Garde, einer Geheimorganisation, die gegründet worden war, um die Häuser und das Greenwich Presidium im Auge zu behalten. Das Greenwich Presidium war das Gremium, dem die nordamerikanischen und westeuropäischen Häuser unterstellt waren. Streng genommen gehörten wir dem GP gar nicht mehr an. Wir waren aus diesem Zusammenschluss der Häuser ausgetreten, weil sich unsere Anführer in Tyrannen verwandelt hatten – aber es bestand kein Zweifel daran, dass sie uns das Leben immer noch schwer machen konnten. Die Wächter zu bewachen war in meinen Augen immer eine gute Idee.
Ethan hatte meine Mitgliedschaft in der Roten Garde zwar akzeptiert, aber meine Partnerschaft mit Jonah bereitete ihm dennoch Kopfzerbrechen. Seiner Ansicht nach hatte meine Loyalität nur einem männlichen Vampir zu gelten – ihm. Jedenfalls hatten sie, was mich anging, eine Übereinkunft erzielt, nachdem sie sich bei einem Sparringskampf grün und blau geschlagen hatten. Enge Freunde waren sie allerdings immer noch nicht. Ethan blickte nach Jonahs Kommentar finster drein.
»Es war nicht plump«, sagte er. »Es war ungeschickt.«
»Nein, es handelte sich lediglich um das Ergebnis strategischer Überlegungen meiner Wenigkeit«, zog ich ihn auf.
»Du hattest Glück«, widersprach mir Jonah. »Und es sah nicht besonders elegant aus. Ihr müsst euch beide eure Katanas als eine Verlängerung eures Körpers vorstellen. Ich weiß, es fühlt sich zuerst unbeholfen an, aber ihr gewöhnt euch schon daran. Noch mal.«
Ich lockerte mein mittlerweile schmerzendes linkes Handgelenk. Vampire verfügten über übermenschliche Kräfte, aber wir trainierten bereits seit einer Stunde, und Jonah hatte uns nicht gerade viele Pausen zugestanden.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Jonah.
»Meine Hand schmerzt, ist aber nicht schlimm.«
»Das wird schon wieder. Noch mal von vorn.«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Ich war ja nicht davon ausgegangen, dass mein Partner in der Roten Garde solche Trainingsstunden auf die leichte Schulter nehmen würde. Schließlich musste er dafür sorgen, dass die Wachen des Hauses Grey jederzeit einsatzbereit waren. Aber ich war auch nicht davon ausgegangen, dass er den knallharten Mistkerl raushängen lassen würde.
»Noch mal von vorne«, wiederholte Jonah nachdrücklicher.
»Soll ich ihn vielleicht daran erinnern, dass ich ein Meister bin?«, fragte Ethan leise neben mir, während er die Schwerter langsam kreisen ließ und sich leicht hüpfend auf die nächste Runde vorbereitete.
Jonah musste wirklich verdammt gute Ohren haben. »Du bist Meister des Hauses Cadogan«, sagte er, »aber die doppelten Schwerter hast du noch nicht gemeistert. «
Die Zuschauer grölten gut gelaunt und forderten uns wie Jonah zum Kampf auf.
»Zwei Katanas sind schwieriger zu führen als eins«, murmelte Ethan.
Das gilt auch für Vampire, dachte ich nur. Vor allem für männliche Vampire.
Eine Stunde und einen Duschgang später kehrten wir in unsere Räume im zweiten Stock des Hauses zurück – in die Wohnung, die nun unser gemeinsames Zuhause war.
Mein Arbeitspensum hatte ich zwar für heute erfüllt, aber dennoch würde ich in wenigen Minuten in die kalte Februarnacht aufbrechen. Und da ich hoffte, besser aussehen zu können als eine verschwitzte Vampirin, stand ich in Ethans begehbarem Kleiderschrank zwischen seinen Anzügen und zerbrach mir den Kopf, was ich anziehen sollte.
»Knöchel- oder kniehoch?«, fragte ich.
Ethan lehnte lässig an der Wand, einen Fuß vor den anderen gesetzt, und sah mich amüsiert an. »Ist es wirklich so wichtig, was du anziehst?«
Ich warf ihm einen strengen Blick zu.
»Hüterin, du bist eine intelligente Frau, hast ein vernünftiges Ehrgefühl, eine hervorragende Herkunft und einen Master –«
»Fast schon einen Doktor.«
»Fast schon einen Doktor«, räumte er ein, »und dennoch machst du dir Gedanken über deine Schuhe. Du gehst ja nicht zu einem Date.«
Womit er recht hatte, denn Ethan und ich lebten immerhin schon seit fast zwei Monaten zusammen. Ich hatte den Schlüssel, um das zu beweisen, auch wenn ich mich immer noch an den Gedanken gewöhnen musste, dass ich im Penthouse von Cadogan genauso zu Hause war wie er.
Aber ob es sich nun um ein Date handelte oder nicht – den Wunsch einer Chicagoerin nach guten Winterschuhen abzutun war nicht besonders klug. Niemand hier mochte Erfrierungen.
»Ich weiß, dass ich nicht zu einem Date gehe. Es fühlt sich einfach … wichtig an.«
Ich setzte mich zum fünften oder sechsten Mal auf den Polsterhocker, um meine knöchelhohen Stiefel – hübsch, aber nicht warm – gegen kniehohe Lederstiefel einzutauschen. Ich zog sie über die Jeans, die ich mit einem Shirt und Pullover kombiniert hatte. Die Stiefel waren aus dunkelbraunem Leder und passten wie angegossen. Für lange, dunkle Winternächte waren sie genau das Richtige.
Als ich sie angezogen hatte, stand ich auf und drehte mich vor dem Standspiegel in Ethans begehbarem Kleiderschrank.
»Es ist wichtig«, pflichtete mir Ethan bei und betrachtete mein Spiegelbild. »Sie war dir sehr lange eine sehr gute Freundin. Ihr versucht herauszufinden, ob eure Freundschaft nach allem, was passiert ist, noch eine Zukunft hat.«
»Ich weiß. Es fühlt sich immer noch seltsam an. Und es macht mich immer noch nervös.«
Die Frau, über die wir sprachen, war Mallory Carmichael. Früher war sie meine beste Freundin und Mitbewohnerin gewesen. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir herausgefunden, dass sie über magische Kräfte verfügt, die sie in eine echte böse Hexe verwandelt hatten. Jetzt versuchte sie all das, was sie verbockt hatte, wiedergutzumachen. Im Augenblick büßte sie für ihre Sünden, indem sie ohne...




