Neilson | Das Walmesser | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Neilson Das Walmesser

Ein Färöer-Krimi
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18374-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Färöer-Krimi

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-641-18374-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fremd auf den Färöern. Blut an den Händen.
Eine kleine Inselgruppe im Nordatlantik. Dreihundert Tage im Jahr Regen. Die Menschen leben von Fischfang, Schafzucht und der Jagd auf Grindwale. Wer freiwillig hierherkommt, ist anderswo vor etwas geflohen. Dass er seine Vergangenheit nicht einfach hinter sich lassen kann, erkennt John Callum erst, als er eines Morgens auf einem Steinklotz im Hafen erwacht - ohne Erinnerung an den letzten Abend, aber mit einem blutigen Messer in seiner Tasche. Und in der färöischen Hauptstadt Tórshavn gibt es an diesem Tag nur ein Gesprächsthema: den Mord.

C. R. Neilson arbeitete zwanzig Jahre als Journalist, ehe er sich auf das Schreiben von Krimis und Thrillern verlegte. Er lebt in Schottland.

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Kapitel 1 Im Ringen ums Leben gelangt man an einen Punkt, an dem die Grenze zwischen den Widersachern bis zur Unkenntlichkeit verschwimmt. Bin ich es, der diesen Kampf angezettelt hat, ist er es? Liege ich auf ihm, oder werde ich bereits wieder nach unten gedrückt? Gewinne oder verliere ich? Habe ich schon gewonnen, schon verloren? Mein Blut oder sein Blut? Ich sehe das Blut, schmecke es, rieche es. Ich spüre, wie meine Haut feucht wird von Blut, höre es in meinen Ohren rauschen. Blut steht einerseits für das Leben, andererseits für den Tod. Meine Sinne ersticken, ertrinken in Rottönen, und ich kann nur noch kämpfen. Baldiger Mörder und baldiges Opfer wälzen sich ineinander verkeilt über den Grund. Leben kämpft gegen Tod kämpft gegen Leben. Stirbt er nicht, kann ich nicht leben. Sterbe ich, hat er gewonnen. Jetzt kriecht das Blut in meine Nasenlöcher, nicht nur der Geruch des Bluts, nein, das echte, klebrige Nass. Meine Knochen schmerzen, meine Lunge brennt. Das Leben, das Überleben steht auf dem Spiel. Müdigkeit überkommt mich, eine Müdigkeit, die ich mir nicht leisten kann. Er prügelt auf mich ein, schickt Wellen von Schmerz durch meinen Körper. Schmerz hallt durch Handgelenke und Brustkorb und Knie. Dann drei brutale, rasch aufeinanderfolgende Schläge auf meine Fußknöchel, ein Orchester der Qual, und all meine Gelenke stimmen in den peinigenden Choral ein. Ich verliere. Ich bin verloren. Als meine Augen aufklappten, erblickten sie die Welt durch einen blutunterlaufenen Schleier. Langsam fielen sie wieder zu, wollten nicht sehen, was auch immer das Zwielicht zu bieten hatte. In meinem Hinterkopf, aber außer Reichweite, klimperten noch die letzten wohlvertrauten Akkorde eines Lieds. Ich schob eine Hand unter meinen Körper und tastete blind nach Anhaltspunkten. Feucht. Glatt, feucht und kalt. Der Untergrund, auf dem ich lag, war hart, ebenmäßig und unnachgiebig wie Marmor – eine plausible Erklärung für den heftigen Schmerz in meinen Gliedern und das Pulsieren in meinem Rücken. Doch beides war nichts gegen die Qualen, die durch meinen Schädel dröhnten. Vorsichtig bewegte ich erst ein Bein, dann das andere, um mich so aus der Embryonalstellung zu lösen, in der ich erstarrt war, unter lautstarkem Protest meiner Muskeln, die keinesfalls schon zum Dienst beordert werden wollten. Als ich behutsam das rechte Auge öffnete, sah ich, dass es nur einen Zentimeter über einem Kopfkissen aus dunkelgrauem Stein ruhte, meine Wange platt auf dessen regengesprenkelte Oberfläche gedrückt. So kalt. Kaum wurde ich mir der nagenden Kälte bewusst, schlich sich ein Frösteln durch meinen Körper und gab keine Ruhe, bis mir die Zähne klapperten. Meine Knochen waren ebenso ausgekühlt, wie meine Glieder steif waren. Die kleinsten Bewegungen zogen sich schmerzhaft in die Länge. Ich flüchtete mich wieder in die Embryonalstellung, schmiegte mich an mich selbst und hoffte auf Wärme und Erlösung. Auf beides hoffte ich vergebens. So lag ich dort auf meinem fremdartigen Steinbett, frierend und orientierungslos, und glitt allmählich wieder hinab in den Schlaf. Doch eine Stimme tief im Inneren sagte mir, dass ich mich bewegen musste. Wie schwer mein Kopf war. Kaum hob ich ihn an, drehte sich die Welt vor meinen Augen. Mein Gehirn wurde im Schädel hin und her geworfen wie ein Schiff, das sich bei Unwetter vom Ankerplatz losgerissen hat. Irgendwann gelang es mir, mich auf die Ellenbogen zu stemmen und mich umzublicken, die Umgebung ein einziger Schemen. Es war beinahe vollständig dunkel, oder was hierzulande eben als Dunkelheit durchging. War es bald Nacht oder bald Morgen? Schwer zu sagen. Ein nutzloses Licht fiel als bernsteinfarbener Schimmer aus der Höhe. Langsam schälten sich Ladenfronten und andeutungsweise vertraute Fassaden aus der Dämmerung, und vor allem ihre Farben ergaben einen gewissen Sinn: Rot, gefolgt von Senfgelb. Weiß, gefolgt von Blassblau. Ich befand mich im Westhafen von Tórshavn, in der Undir Bryggjubakka. Der Wind dieser Erkenntnis wehte die Aromen der See an mich heran, Salz und Algen und ein Anflug von Ölgeruch. Als ich mich langsam umdrehte, sah ich plätscherndes Schwarz hinter mir, darauf schaukelten weiße Boote, gleichgültig gegenüber meiner rätselhaften Notlage. Mein Blick richtete sich nach unten, und allmählich dämmerte mir etwas: Bei meinem dunklen Steinbett handelte es sich um einen der vier riesigen Klötze, auf denen die Fischer täglich im Hafen ihren Fang ausbreiteten. Schieferbetten für Fische und Schalentiere. Nicht für Säufer. Das Regendach über dem Steinblock hatte mich einigermaßen vor Nässe geschützt. Vielleicht hatte ich ihn deshalb für einen guten Schlafplatz gehalten, aber jetzt konnte ich nicht länger bleiben. Es war zu kalt, und bald könnten die ersten Fischer eintreffen. Ich musste weiter. Ich schob mich nach vorn, einen schmerzhaften Zentimeter nach dem anderen, bis meine Schuhe über den Rand des Steinblocks baumelten, wuchtete mich auf die Beine – und bereute es augenblicklich. Mein Körper japste nach Sauerstoff, mein Gleichgewicht war dahin. Halb setzte ich mich wieder, halb stürzte ich zurück auf den Stein. Ich fasste mir an den Kopf und massierte mir die Schläfen. Dann hievte ich mich wieder hoch, stolperte auf die leere Straße und schlingerte nach links, mehr wie ein Tier, das instinktiv wusste, in welcher Richtung sein Bau lag, als ein Mensch mit klarem Ziel, mit einem Sinn und Zweck vor Augen. Mit herabhängendem Kopf und ausgestreckten Armen kurvte ich die Tórsgøta entlang, den Blick abgewandt vom verächtlichen Starren der Domkirche, die hoch oben zu meiner Rechten thronte, und stieg hinauf in die Hügel. Aus dem Nichts hatte der Wind aufgefrischt. Er kitzelte meine Ohren, pfiff mir kalt um die Schläfen und trug so seinen Teil dazu bei, dass ich nicht wieder in den Schlaf abdriftete. Der Gehsteig unter meinen Füßen war schwarz von Feuchtigkeit, der Anstieg wirkte noch steiler als gewohnt, ein mühseliger Weg. Stolpernd bog ich nach links ab, und nur Minuten später rauschte die nächste eisige Bö von der See herüber, ließ mich erzittern und zwang mich, die Balance ohne Hilfe meiner Hände zu halten, die sich auf der Suche nach Wärme in den Jackentaschen verkrochen. »Scheiße!« Ein scharfer Schmerz jagte durch meine rechte Hand. Als hätte ich einen Stromschlag abbekommen, riss ich beide Hände aus den Taschen. Im Licht einer Straßenlaterne entdeckte ich einen blutigen Schnitt in meiner rechten Handfläche. Vorsichtig griff ich noch einmal in die Tasche und brachte ein kurzes Messer mit dickem Griff zum Vorschein. Selbst in meinem umnebelten Zustand erkannte ich, womit ich es zu tun hatte: Es war ein kleiner Dolch mit Holzgriff und kräftiger Klinge, wie jeder erwachsene Mann auf den Inseln einen besaß. Ein Grindaknívur. Das Messer, mit dem am Abendbrottisch das Walfleisch zerteilt wurde. Dieses Exemplar war zu einem anderen Zweck verwendet worden. An der Klinge haftete eine Blutschicht. Blut, das zu trocken war, um von der Wunde an meiner Hand zu stammen. In willkürlicher Reihenfolge tastete ich meinen Körper ab: Hände, Arme, Kopf, Bauch. Ich zog mein Hemd nach oben und begutachtete die entblößte Haut. Kein Blut, keine Schnittwunden abgesehen von der, die ich mir soeben selbst zugefügt hatte. An der Klinge klebte das Blut eines anderen. Ich starrte auf das Messer und wünschte, es würde einfach wieder verschwinden. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, woher ich es hatte. Wozu es gebraucht worden war. Auf dem Dalavegur – der Straße, die ich gerade entlangging – fühlte ich mich plötzlich viel zu exponiert. Das blutbesudelte Messer in der Hand, stand ich auf dem Gehsteig und konnte nur erahnen, an wie vielen Gardinen bereits gezupft wurde, da meine Schritte durch die Nacht hallten. Ich schob das Grindaknívur zurück in die Tasche, klappte meinen Kragen hoch und ging mit geneigtem Kopf weiter. Wie ein Geist, hoffte ich, der von niemandem gehört oder gesehen worden war. Das kleine Messer lag tonnenschwer in meiner Tasche, die Last des Zweifels zerrte mich nach unten. So angestrengt ich auch nachdachte, ich konnte mich an kaum etwas erinnern. Einige Drinks im Café Natúr. Dann das Erwachen im Regen, auf dem Fischklotz. Dazwischen praktisch nichts als Schwärze. Sie war auch dort gewesen, das wusste ich noch. Gelächter. Drinks. Vielleicht ein Streit. Gefolgt von Leere. Über die Kreuzung ging ich, dann einen schmalen Pfad hinauf. Hier vergrößerten sich die Abstände zwischen den Häusern, zerteilten die bunt gestrichenen Holzfassaden traditioneller Eigenheime das satte Grün des Hangs in großzügigere Stücke. Der Wind schmiss sich gegen meinen wankenden Körper, wirbelte mich herum und zwang mich, auf Tórshavn hinabzublicken, dessen Straßen sich unter mir ausbreiteten. Sonderbare Umrisse schoben sich aus dem Nebel, Dächer aus Grassoden über allen Farben des Regenbogens, die Spitze der Domkirche, dazwischen grüne Schneisen, alles hingeworfen zum Meer. Immer zum Meer. Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, ob Instinkt oder Schuldgefühle, doch ich verließ den Pfad und sank ein paar Schritte abseits auf die Knie. Das Blut strömte in meinen schweren Kopf, ich dachte schon, ich würde mich jeden Moment übergeben oder in Ohnmacht fallen. Ich griff mir den scharfkantigsten Stein in Reichweite und begann, auf den Boden einzuhacken, die Erde...


Neilson, C. R.
C. R. Neilson arbeitete zwanzig Jahre als Journalist, ehe er sich auf das Schreiben von Krimis und Thrillern verlegte. Er lebt in Schottland.



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