Nestmeyer | Die Toten vom Mont Ventoux | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Sehnsuchtsorte

Nestmeyer Die Toten vom Mont Ventoux

Provence Krimi
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96041-344-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Provence Krimi

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Sehnsuchtsorte

ISBN: 978-3-96041-344-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein rasanter und hintergründiger Provence Krimi.
Unter Radsportlern hat der Mont Ventoux schon viele Opfer gefordert. Dieses Mal wurde der "Berg der Winde" zum Schauplatz eines brutalen Vierfachmordes. War es eine Abrechnung aus dem Drogenmilieu oder ein Konflikt unter Waffenhändlern – oder war doch ein ehemaliger Radsportheld das eigentliche Ziel des Mörders? Capitaine Malbec ermittelt in der frühsommerlichen Provence zwischen Gier, Eifersucht und Erpressung und stößt dabei auf einen alten Dopingfall, der seine Schatten bis in die Gegenwart wirft.

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ZWEI Obwohl Olivier Malbec mittlerweile schon seit eineinhalb Jahrzehnten in der Provence lebte, fiel es ihm manchmal noch immer nicht leicht, den eigenartigen Singsang der Einheimischen zu verstehen. Der breite, vollmundige Akzent des Midi faszinierte ihn, doch er selbst bestellte Brot und Wein mit einem nasal modulierten pain und vin statt mit einem satten päng und väng und drückte seine Zustimmung mit einem dezenten oui statt mit einem kräftigen uä aus. Es kam zwar nur selten vor, aber manchmal ließ man ihn spüren, dass er ein »Fremder« war, dass er nicht dazugehörte. Er kannte diese Ablehnung, die vor allem den Parisern in der Provence entgegenschlug, da man sie gern für den Anstieg der Immobilienpreise verantwortlich machte. Dabei wären viele Dörfer aus Mangel an Arbeitsplätzen und Infrastruktur vom Aussterben bedroht, hätten nicht vermögende Ausländer – und darunter selbstverständlich auch zahlreiche Pariser – einen Zweit- oder Alterswohnsitz in der Region erworben. Doch allein aufgrund seines überschaubaren Gehalts fühlte sich Malbec diesem Feindbild nicht zugehörig. Schon durch die »zweisprachigen« Ortsschilder wurde er daran erinnert, dass es noch eine andere Provence gegeben haben musste. Unter dem französischen Ortsnamen fand sich stets eine gleich große Metalltafel mit der provenzalischen Schreibweise. Cavaillon stand auf den rot umrandeten Schildern gleichbedeutend neben Cavalhon, und am Ortseingang von Gordes wurde man dezent darauf hingewiesen, dass die D 15 hier durch Gòrda führte. In seinen ersten Dienstjahren hatte Malbec mit einem älteren Kollegen namens Claudel zusammengearbeitet, dessen Hobby die regionale Sprachkultur gewesen war. So wie andere ihre Freizeit beim Angeln oder Golfen verbrachten, so hatte sich Claudel seit Jahrzehnten mit der Geschichte und den verschiedenen Ausprägungen des Provenzalischen beschäftigt. Und Malbec hatte in den zwei Jahren, in denen er sich ein Büro mit Claudel teilte, gewissermaßen einen diesbezüglichen Crashkurs belegt. Claudel hatte ihm damals ausführlich erklärt, dass das Provenzalische einer der Hauptdialekte des Okzitanischen sei. Das Okzitanische hatte sich aus dem spätantiken Vulgärlatein entwickelt und im Zeitalter der Troubadours seine größte Blüte erlebt. Es war nicht nur die Sprache des Volkes, es wurde gleichberechtigt mit dem Latein auch als Amtssprache gepflegt. Wie Claudel ausgeführt hatte, ging das Wort oc auf das lateinische hoc zurück, während sich aus dem im Norden Frankreichs verbreiteten oil das heutige oui herausgebildet hatte. Lange Zeit standen beide Sprachgemeinschaften gleichberechtigt nebeneinander; erst die Vernichtung der Katharerkultur leitete den Niedergang des Okzitanischen ein. Zahlreiche Adelige und Mönche strömten damals aus dem Norden Frankreichs herbei, um sich Ländereien und Pfründe zu sichern, und brachten dabei ihre Sprache mit. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde die langue d’oil auch in Südfrankreich zur gebräuchlichen Verwaltungssprache. Das Provenzalische wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zurückgedrängt. Als nach der Revolution von 1789 die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde, war das Französische als einzige Unterrichtssprache zugelassen. Da sich im Gebrauch des Französischen der soziale Aufstieg manifestierte, wurde das Provenzalische nur noch im bäuerlichen Milieu gesprochen. Doch die Provenzalen rebellierten sanft. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand der Félibrige, eine sprachlich-kulturelle Erneuerungsbewegung, die vom Aufkommen eines provenzalischen Nationalismus beeinflusst wurde. Ihr bekanntester Vertreter war Frédéric Mistral, der im Jahre 1904 für sein Bauernepos »Mirèio« sogar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden war. Ein paar Jahre später hatte Malbec einmal in einem Antiquariat in einer älteren Ausgabe dieses Buches geblättert, es aber als langweilig und sehr sperrig empfunden. Zuletzt war es dann der nationalistische Front National von Le Pen, der mit dem Slogan »La Prouvènço ais Prouvençaus« Stimmung gegen Immigranten machte und die Provence für die Provenzalen reklamierte. Eigentlich hatte sich Malbec nicht vorstellen können, Paris jemals zu verlassen. Er hatte im Hôpital Saint-Joseph das Licht der Welt erblickt und kannte jeden Straßenzug innerhalb des Boulevard périphérique. Er liebte das Nachtleben im Bastille-Viertel, die trägen Sonntage auf der Terrasse eines Straßencafés und die Spaziergänge am Canal Saint-Martin. Frankreich war für ihn Paris; für den provinziellen Rest hatte er sich nie wirklich interessiert, sah man von den diversen Urlaubsreisen ab. Zur Polizei war Malbec nach einem abgebrochenen Politikstudium eher durch Zufall gekommen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass man ihn zum Bewerbungsgespräch einladen würde. Und als dann die Zusage kam, hatte er noch bis zum letzten Tag gezögert, da er sich nicht sicher gewesen war, ob dies tatsächlich der richtige Beruf für ihn war. Die Ausbildung war hart gewesen, doch hatte sie ihm mehr Spaß gemacht, als er erwartet hatte. Ein Jahr unterstützte er den Sicherheitsdienst der französischen Botschaft in Kairo, anschließend landete er bei der Drogenfahndung und verdiente sich dort seine ersten Sporen. Schon bald wusste er, wo sich nachts am Seineufer oder im Bois de Vincennes die Dealer trafen; er war mit der Drogenszene von Barbès, diesem finsteren arabischen Souk im Schatten von Sacré-Cœur, vertraut und kannte ihre Gestik und ihren Jargon, mit dem sie ihre Vorbilder aus den Rap-Videos imitierten, um in den Straßen der Goutte d’Or besser zu bestehen. Malbec hatte ein lokales Kontaktnetz aufgebaut, so dass er frühzeitig informiert worden war, wenn wieder einmal schlecht gestrecktes Heroin im Umlauf gewesen war. Stolz war er immer noch auf seinen größten Coup, bei dem es ihm gelungen war, eine Lieferung von einer halben Tonne Kokain kurz vor der Übergabe zu beschlagnahmen. Doch dann hatte er Valérie kennengelernt, als er seinen Sommerurlaub im Ferienhaus von Freunden in Bandol an der Côte d’Azur verbrachte. Schon nach wenigen Minuten war er ihrem Lachen verfallen, mit ihren anderen Reizen geizte sie noch beträchtlich länger. Da Valérie in Marseille beim Office de Tourisme arbeitete, führten sie zwangsweise eine Wochenend- und Fernbeziehung. Doch nach zwei Jahren waren sie es leid gewesen, ständig mit dem TGV hin- und herzupendeln, auch wenn der Schnellzug nur dreieinviertel Stunden benötigte. Hinzu kam, dass die Dienstpläne der Drogenfahndung mit ihren vielen unvorhersehbaren Abend- und Wochenendeinsätzen die Zweisamkeit nicht gerade förderten. Schweren Herzens hatte sich Malbec entschieden, einen Versetzungsantrag nach Marseille zu stellen, der überraschend schnell genehmigt wurde, nachdem ihn sein Dienststellenleiter stirnrunzelnd gefragt hatte, ob er das ernsthaft wolle. Valérie hatte ihm die Kriminalromane von Jean-Claude Izzo geschenkt, um ihm den Umzug zu erleichtern. Und obwohl er Krimis eigentlich nicht mochte, hatte er Izzos Marseille-Trilogie mit Vergnügen gelesen. Oberhalb des Vieux-Port hatten sie gemeinsam eine schöne Wohnung im Panier-Viertel bezogen, das damals gerade im Umbruch gewesen war und sich allmählich von seinem schlechten Ruf löste. Malbec hatte das mediterrane Lebensgefühl und die Nähe zum Meer schnell schätzen gelernt, doch wurde er im Großstadtmoloch von Marseille nie heimisch; ihm fehlten die Kontakte zur Drogenszene, die er sich in Paris über die Jahre hinweg erarbeitet hatte. In Marseille fühlte er sich oft als Fremdkörper, zudem erschreckte ihn immer wieder die ungewohnte Brutalität, mit der die verfeindeten Clans ihre Territorien absteckten. Einmal war ein Caïd, wie die führenden Drogenhändler genannt wurden, im berüchtigten Stadtteil Val-Plan vor den Augen seiner neunjährigen Tochter auf offener Straße mit einer Kalaschnikow-Salve buchstäblich hingerichtet worden. Nur durch Glück blieb das Mädchen nahezu unverletzt. Die Täter – sie flohen in einem gestohlenen Kleinwagen, der später in Marignane unweit des Étang de Berre ausgebrannt aufgefunden wurde – wurden nie gefasst. Die Drogenmafia hatte im Milieu eine Parallelwirtschaft etabliert, wobei auch immer wieder Polizisten vor diesem Krebsgeschwür kapitulierten und sich korrumpieren ließen. Eines Tages entging Malbec bei einer Wohnungsdurchsuchung in dem als »Cité interdite« berüchtigten La Castellane nur durch viel Glück einer Schießerei aus dem Hinterhalt. Einer der als Aufpasser arbeitenden Choufs musste die umgangssprachlich charbonneurs genannten Dealer gewarnt haben. Und die Gesetzlosen folgten nur ihren eigenen Regeln und Moralvorstellungen. Als Valérie die stellvertretende Leitung des »Comité départemental du tourisme« in Avignon angeboten worden war, hatte sie nicht lange gezögert und den interessanten Posten angenommen, der ihr neue Perspektiven eröffnete. Schon bald stand die Idee im Raum, Marseille zu verlassen und sich in der einstigen Papstmetropole oder irgendwo in einem der kleinen Städtchen in der Umgebung niederzulassen. Im Rückblick fiel es Malbec leicht, zu behaupten, dass die sich abzeichnenden Risse in ihrer Beziehung nicht zu überbrücken gewesen waren, die gemeinsamen Zukunftspläne erschienen da als letzter Rettungsanker. Zudem war ihm die aggressive Stimmung in den Drogenghettos von Marseille mit ihren klaren Frontlinien regelrecht verhasst gewesen und hatte seine Lebensfreude erheblich...


Ralf Nestmeyer ist Historiker und Reisejournalist sowie Autor von mehreren Reiseführern, vor allem über französische Regionen, zudem verfasste er ein Buch über französische Mythen. Ralf Nestmeyer ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.



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