Neubauer / Ulrich | Noch haben wir die Wahl | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Neubauer / Ulrich Noch haben wir die Wahl

Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-608-11716-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Deine Normalität ist meine Krise - Wir müssen reden!

2021 ist ein Jahr der Zäsuren. Mit der Bundestagswahl endet nach 16 Jahren die Ära Merkel, und in einer historischen Entscheidung stärkt das Bundesverfassungsgericht die Freiheitsrechte der jüngeren Generation. Die Ökologie steht nun endlich im Zentrum aller Zukunftsfragen: Wirtschaft, Verkehr, Ernährung, aber auch Wissenschaft, Journalismus und Politik – elementare Bereiche der Gesellschaft müssen neu gedacht werden. Große Umbrüche stehen bevor. Und es hängt viel davon ab, ob wir gemeinsame Lösungen finden. Wieviel Ehrlichkeit verträgt der Konflikt zwischen den Generationen? Wir müssen dringend miteinander reden. Aktivistin und Vize-Chefredakteur, Studentin und Familienvater: Spannend, offen und klug diskutieren Luisa Neubauer und Bernd Ulrich die Schicksalsfragen unserer Tage. Denn noch haben wir die Wahl.

Grundlegende Beziehungen sind aus dem Gleichgewicht geraten. Es gibt einiges zu klären. Denn nur wenn wir jetzt zusammenkommen und die richtigen Entscheidungen treffen, haben wir auch in Zukunft noch eine Wahl. Was muss passieren, damit wir die Veränderungen selbst in der Hand behalten? Wie kann es gelingen, Jung und Alt, Mann und Frau, Stadt und Land nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zusammenzudenken? Gibt es Freiheit ohne Nachhaltigkeit? Aktivistin und Vize-Chefredakteur, Studentin und Familienvater, Millennial und Boomer – Luisa Neubauer und Bernd Ulrich haben je eine andere Sicht auf die Klimakrise, das Artensterben, den erstarkenden Populismus und die Freiheit der Späterlebenden. Ein überfälliges Klärungsgespräch zwischen zwei Generationen und die Analyse einer Welt, in der Ökologie nicht bloß ein Thema unter vielen ist, sondern Ausgangspunkt von allem.
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1. Plötzlich Öko? Von wegen! Über die Widersprüche zweier Leben
Leben im Ruhrgebiet und an der Elbe – Öko – Abirrung, Renaissance – Steinkäuze und Bio-Äpfel BERND Die Menschen, die ich treffe, frage ich seit einiger Zeit immer nach ihrer Öko-Biografie, also danach, wie Natur und Naturzerstörung in ihr Leben eingezogen sind, das ist meist sehr aufschlussreich. Ein Minister, den du auch kennst, hat mir mal gesagt, er möge Naturlandschaften schon sehr, aber am liebsten, wenn in der Mitte ein Renaissance-Schlösschen steht. Das war entwaffnend ehrlich. Vielleicht sollten wir auch mit unseren Öko-Biografien anfangen. LUISA Gar nicht so blöd, am Ende denken die Menschen noch, dass du und ich als Ökos vom Baum gefallen sind. BERND Genau, hat ja alles eine Vorgeschichte. LUISA Okay, fang du an, deine Geschichte ist ja ein klitzekleines bisschen länger. BERND Ich bin in den 60er- und 70er-Jahren im Ruhrgebiet aufgewachsen, da hat man ja sofort die ganze Spannbreite von Produktivität und Destruktivität. LUISA Aber so hättest du das damals sicher nicht gesagt. BERND Bestimmt nicht. Als Kind findet man ja erst mal alles normal. Mir war zunächst nicht bewusst, wie sehr das Ruhrgebiet im Krieg zerstört worden war. Die vielen, rasch hochgezogenen Gebäude, die ganze Hässlichkeit der Städte, all das kam mir lange gar nicht hässlich vor. Tatsächlich gehörten Fabriken, Fördertürme und Fußballstadien zu den schönsten Gebäuden. LUISA Von welcher Stadt sprechen wir? BERND Ich bin im Norden von Essen geboren. Da regnete es damals noch abwechselnd schwarz und gelb vom Himmel, Kohle und Schwefel. Trotzdem haben die Menschen dort ihre Wäsche zum Trocknen rausgehängt, was sollten sie auch machen? Wir sind dann bald in den Essener Süden gezogen, da sah es besser aus. In der Pubertät wurde mir dann langsam klar, dass das alles doch nicht normal ist, ich fing an, mich für Ökologie und Ornithologie zu interessieren. Wir haben Steinkäuze gezählt, uns für den Erhalt und die Pflege von Kopfweiden eingesetzt und solche Sachen. Gleichzeitig habe ich in den Ferien oft auf dem Bau gearbeitet, viel gepflastert und geteert. Zehn Mark Stundenlohn und endlich eine eigene Stereoanlage. Wie viele andere auch hatte ich in der Verwandtschaft Bergleute und Bauern. Diese ewig hustenden Bergleute, die haben mich als Kind schwer beeindruckt und erschreckt, irgendwie haben die sich schon aufgeopfert für den Wiederaufbau. LUISA Aber es war nicht die Kohlekraft mit ihren Emissionen, die dich ökologisch politisiert hat, wie mich, 40 Jahre später? BERND Nein, Emissionen waren kein Thema, eine Schütte Eierkohlen vier Stockwerke in die Wohnung hochtragen war ein Thema. Aber ich war in den 70er- und 80er-Jahren engagiert in der Anti-AKW-Bewegung, setzte mich für Naturschutz ein und landete sogar für ein paar Jahre bei den Grünen. LUISA Ach really, kann ich kurz was einwerfen? BERND Bitte doch, ist es was Witziges? LUISA Nur eine Beobachtung, die mich manchmal zum Schmunzeln bringt: In fast jedem Gespräch, das ich mit Vertreter:innen deiner Generation führe, allen voran den politischen, kommen wir an einen Punkt, an dem sie von ihrem Engagement für Umwelt oder gegen AKWs in den 80ern berichten. Ich habe lange nicht ganz verstanden, warum das so ein Ding war. Ich freue mich natürlich zu hören, was unsere Gesprächspartner:innen vor 30, 40 Jahren so gemacht haben, aber wenn wir dann in aufwendig vorbereiteten Gesprächsrunden oder auf Podien sitzen und sagen: »Hallo, wir würden gerne über Ihren CO2-Preis sprechen, der ist nämlich wissenschaftlich gesehen nicht vereinbar mit unserem verbleibenden CO2-Budget von weniger als 8 Gigatonnen«, und die Antwort ist: »Aha, also als ich in Ihrem Alter war, da war ich ja auch in der Friedens-/Umwelt-/Anti-AKW-Bewegung, und lassen Sie mich kurz erzählen, wie das damals war …«, dann macht das etwas stutzig. Mittlerweile erkläre ich mir diesen großen Drang, von damals zu berichten, auch mit dem Bedürfnis sich darüber hinweg zu helfen, dass zwischen damals und heute einfach lange, lange Zeit überhaupt nichts Angemessenes unternommen wurde, um die Eskalation der Klimakrise zu verhindern. BERND Hoffentlich werde ich noch alt genug, um zu erleben, was du in deiner kritischen Lebensphase zwischen 2030 und 2045 so machst, dann sprechen wir uns noch mal. Aber du triffst schon einen Punkt. Nach meinem besagten Engagement habe ich tatsächlich für eine ganze Weile irgendwie den ökologischen Faden verloren. Und damit war ich nicht alleine. Das war vor allem zwischen 2000 und 2015, ich nenne es meine Volvo-Phase. Natürlich blieb ich ökologisch bewusst, war immer mal wieder Vegetarier, aber unter dem Strich habe ich meinen eigenen sozialen Aufstieg schon mit ziemlich viel Konsum ausstaffiert: Auto, zu viel Kleidung, phasenweise Fleischkonsum, Flugreisen. Normal könnte man es nennen, wenn das Wort mittlerweile nicht so bitter schmecken würde. LUISA Und politisch? BERND Ja, das ist ein spannender Punkt. In der Zeit konnte man sich einreden, dass es ökologisch doch irgendwie läuft. Das Ruhrgebiet wurde grün, und die Klimakanzlerin kam von der CDU, also der Partei, die uns früher immer die Polizei-Hundertschaften geschickt hat, wenn wir in Brockdorf demonstriert haben. Ich war ein bisschen gerührt, wie sich alles fügte. Genauer, ich wollte gerührt sein. Denn im Augenwinkel sah ich schon ganz genau, was der Preis für diese ökologische Schein-Harmonie war, zwischen den Ökos und der CDU, zwischen meinem privaten Konsum und der Umweltpolitik von Schwarz-Rot. LUISA Verfehlte Klimaziele, Artensterben auch in Deutschland, Flächenversiegelung, Bodendegradation, Danke bestens. BERND So etwa. Ab 2015 setzte eine Art Renaissance meiner frühen persönlichen Ökologie ein. Ich wusste einfach zu viel, um dauerhaft zu verdrängen, was geschah. Privat habe ich angefangen zurückzubauen: Autos immer kleiner, vegane Ernährung, ökologisch akzeptable Kleidung und so weiter. Auch hier fügte sich dann wieder etwas: Als Journalist habe ich mich mehr mit Ökologie beschäftigt, und siehe da: Es war wirklich spannend und schloss mir die Politik noch einmal neu auf. Dennoch war es kein »back to the roots«. Denn das würde das Traurige und Tragische dabei unterschlagen. Heute gibt es zum Beispiel viel weniger Vögel als damals in den 70ern. Viel mehr Fläche ist »verbraucht«, und ich habe es mitverursacht durch meinen Lebensstil. Das geht mir nach. Und nun du! LUISA Okay, ich bin 1996 geboren, wir springen also in die Nullerjahre. Ich bin im privilegierten Setting im Hamburger Westen, in Iserbrook, mit meinen drei Geschwistern und meinen Eltern in einem – damals noch weniger politisch aufgeladenen – Einfamilienhaus aufgewachsen. Ich hatte es sehr, sehr gut, das kann man nicht anders sagen. Ein Schwarzbrot-in-die-Schule-Haushalt, die Äpfel kamen aus dem Alten Land und Cini Minis wurden mit Haferflocken gemischt. Meine Eltern waren politisch, meine Mutter auch immer wieder aktivistisch, sie waren informiert, auch punktuell missionierend, sie waren umweltbewusst, aber es war in meinen Augen eine Art von Umweltbewusstsein, dem vor allem meine Mutter mit Bio-Obst, Fahrradbegeisterung, der taz und Wanderurlauben begegnet ist, ohne das Gefühl, man müsste sich darüber hinaus großartig sorgen. Es wurde sich schon eingemischt, man sorgte dafür, dass der Schulweg für Kinder sicherer, dass das Schulessen gesünder und Klassenreisen bezahlbar wurden. Das ist der Grund, warum ich Engagement als etwas sehr Normales kennengelernt habe. Existenziell waren all diese Projekte aber nie. Sie haben beide hart gearbeitet, in ihrem eigenen Altersheim. Heute nennt man das systemrelevant, damals schien es vor allem aufreibend. Sie haben meine Geschwister und mich auf gute Schulen geschickt, fanden Engagement gut, aber Noten wichtiger, und wenn ich gefragt wurde, was ich mal werden will, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, auf welchem Planeten ich mal alt werden will, oder welche Perspektiven die Klimakrise mir womöglich rauben würde. Warum auch? Meine Welt war ein Safe Space und es gab kein Problem, das...


Neubauer, Luisa
Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, ist eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivistinnen. Die Geographiestudentin lebt in Go¨ttingen und Berlin. Zuletzt erschien von ihr und Alexander Repenning Vom Ende der Klimakrise (2019) und mit Bernd Ulrich Noch haben wir die Wahl (2021). Seit 2020 hostet sie den Klimapodcast 1,5 Grad.

Ulrich, Bernd
Bernd Ulrich, geboren 1960 in Essen, ist stellvertretender Chefredakteur der ZEIT. Für seine journalistische Arbeit erhielt er 2013 den Henri-Nannen-Preis und 2015 den Theodor-Wolff-Preis. Zuletzt erschienen von ihm: Guten Morgen, Abendland (2017) und Alles wird anders (2019).

Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, ist eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivistinnen. Die Geographiestudentin lebt in Go¨ttingen und Berlin. Zuletzt erschien von ihr und Alexander Repenning Vom Ende der Klimakrise (2019) und mit Bernd Ulrich Noch haben wir die Wahl (2021). Seit 2020 hostet sie den Klimapodcast 1,5 Grad.

Bernd Ulrich, geboren 1960 in Essen, ist stellvertretender Chefredakteur der ZEIT. Für seine journalistische Arbeit erhielt er 2013 den Henri-Nannen-Preis und 2015 den Theodor-Wolff-Preis. Zuletzt erschienen von ihm: Guten Morgen, Abendland (2017) und Alles wird anders (2019).


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